Modernisierungsverlierer
Als Modernisierungsverlierer bezeichnet man Menschengruppen, die in als Modernisierung aufgefassten sozialen Wandlungsprozessen ihre soziale oder ökonomische Stellung ganz oder teilweise einbüßen. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Abstieg dieser Gruppen wird in den Sozialwissenschaften als identitätsstiftendes Merkmal gesehen und gilt dort als eine Ursache für Rückzug aus der Gesellschaft, Ablehnung des politischen Systems oder Neigung zu Gewalt und Kriminalität.[1]
Der Begriff „Modernisierungsverlierer“ wurde hauptsächlich im Zusammenhang mit Forschungen über den politischen Rechtsextremismus Jugendlicher von Wilhelm Heitmeyer und Wilfried Schubarth geprägt. Das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit basiert im Wesentlichen auf der Annahme, rechte Jugendliche seien zu den „Modernisierungsverlierern“ zu rechnen.[2]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schon die industrielle Revolution zeigte ungeachtet ihrer insgesamt expansiven Auswirkungen auf den Volkswohlstand negative Auswirkungen auf zahlreiche alt-etablierte Handwerke (etwa die Handweberei) und Dienstleistungsgewerbe. Die Vorgehensweise der Maschinenstürmer (Ludditen) und der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts explosiv wachsende Antisemitismus des mit übermächtiger Konkurrenz von Fabrik, Warenhaus etc. konfrontierten, gewerblichen Mittelstandes stellen typische ressentimenthafte Reaktionsformen von Modernisierungsverlierern dar.
Der Begriff wird heute medial weit verwendet. Auch die Demokratie-Unzufriedenheit in vielen westlichen Staaten (siehe auch Politikverdrossenheit, Politikerverdrossenheit) wird vielfach auf die Reaktionen von Modernisierungsverlierern (ältere Arbeitnehmer, „Wendeopfer“, technologische, gesellschaftliche und politische „Umbruchopfer“ etc.) zurückgeführt.[3]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jürgen Falter: Wer wählt rechts? Die Wähler und Anhänger rechtsextremer Parteien im vereinigten Deutschland, München 1994
- Edward P. Thompson: Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse, Frankfurt/M. 1987, speziell S 638f über die Ludditen
- Wilfried Schubarth/Richard Stöss (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 2001
- Tim Spier: Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa, Wiesbaden 2010
Weblink
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Die „Alternative für Deutschland“: eine Partei für Modernisierungsverlierer? In: Holger Lengfeld, KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2017, Volume 69, Number 2, Page 209. 22. Juni 2017, abgerufen am 6. November 2019.
- ↑ Tim Spier: Modernisierungsverlierer? In: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. 2010, doi:10.1007/978-3-531-92496-0_1.
- ↑ Norbert Götz: Modernisierungsverlierer oder Gegner der reflexiven Moderne? In: Zeitschrift für Soziologie, Band 26, Heft 6, Seiten 393–413, ISSN (Online) 2366-0325, ISSN (Print) 0340-1804. 1. Dezember 1997, doi:10.1515/zfsoz-1997-0601.