Mosaicarum et Romanarum legum collatio
Mosaicarum et Romanarum legum collatio (in der rechtshistorischen Literatur meist Lex Dei, quam praecepit Dominus ad Moysen[1] genannt, kurz: Lex Dei; übersetzt sinngemäß: Vergleich der alttestamentarischen und römischen Gesetze[2]) ist der Titel eines anonymen spätantiken Rechtswerkes aus dem ausgehenden 4. Jahrhundert,[3][4] möglicherweise sogar erst Anfang des 5. Jahrhunderts. Die Collatio ist dabei weniger Rechtsliteratur an sich, eher Synoptikum zahlreicher Bestimmungen zur älteren biblischen Überlieferung Mose, mithin eine religionspolitische Streitschrift.[5]
Mehrere Faktoren sprechen für Rom als Entstehungsort; vermutlich wurde ein stadtrömisches Archiv benutzt.[6] Das Werk gehört in die Zeit des nachklassischen Rechts. Inhalt des Werks sind vornehmlich Regeln zum Straf- und Privatstrafrecht, und bis zu seinem Abbruch das gesetzliche Erbrecht als privatrechtlicher Themenbereich.
Werksgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In dem aus 16 Titeln bestehenden Werk werden einigen Geboten des jüdischen Rechtes (Tora) entsprechende Passagen des Römischen Rechts gegenübergestellt. Vornehmlich befasst sich das Werk mit strafrechtlichen Normen.[7] Die Titel der Kompilation beginnen grundsätzlich mit einem Auszug aus dem Deuteronomium, dem Auszüge aus den Werken der Zitierjuristen Gaius, Modestin, Papinian, Iulius Paulus (wohl auch Pseudo-Paulus), Ulpian (und Pseudo-Ulpian), sowie Dem folgen Kaiserkonstitutionen der Kodizes Gregorianus und des Hermogenianus.[3][7]
Die Inskriptionen sind Detlef Liebs zufolge nicht so einheitlich erfolgt wie im Vorgängerwerk, den Fragmenta Vaticana. Diese stammt aus einer Zeit, in der sich das Christentum erst angefangen hatte mit Fragen zur Setzung von Recht auseinanderzusetzen. In der Collatio ist die sprachliche Anlehnung an den Pentateuch daher deutlich besser erkennbar, zum einen weil das Christentum als Staatsreligion nun anerkannt war, wohl aber auch, weil das Neue Testament keine Rechtssätze propagierte.[3] Ausweislich des Forschungsstands hielt Sulpicius Severus gegen 400 n. Chr. in seiner Weltchronik fest, dass bereits der Christ Tertullian darauf hingewiesen habe, dass das mosaische Recht (Zehn Gebote) eine höhere Priorität als das römische habe.[3] Insoweit greife (nach Liebs) auch nicht die von Fritz Schulz hervorgehobene Auffassung, es handle sich um eine, den Fragmenta Vaticana vergleichbare, juristische Exzerptensammlung,[8] denn der biblische Gebotscharakter war den vorangegangenen Konstitutionen noch fremd.
Verfasser und Zweck des Werks sind nicht bekannt. Hyamson vermutet dahinter einen Kleriker, der an einem italienischen Bischofssitz arbeitete. Als Entstehungszeitraum wird unter den Forschern eine Datierung zwischen 389 und 438 diskutiert. Hinweisen auf historische Umstände folgend, betrachtet Liebs die Jahre zwischen 394 und 410 als den wahrscheinlichsten Entstehungszeitraum.[3] Ulrich Manthe hält es für sehr wahrscheinlich, dass ein jüdischer Verfasser die Vereinbarkeit des römischen Rechts mit dem Christentum unter Beweis stellen wollte.[9] Er identifiziert mehrere Dubletten, fast synonyme Textelemente, die auf Irrtum oder Absicht beruhen können und stellt in Frage, ob der überlieferte Text der Collatio abschließend ist, möglicherweise nie abgeschlossen wurde.[10] Die bereits von Edoardo Volterra aufgestellte These eines jüdischen Autors wird beispielsweise von Liebs[3] abgelehnt; er sieht ebenfalls christliche Interessen am Werk.
860 nutzte der erzbischöfliche Gelehrte und Ratgeber Karls des Kahlen, Hinkmar von Reims, zwei Passagen der Collatio für ein Gutachten mit dem Titel De divortivo Lotharii regis et Thetbergae reginae. Die Handschrift vertritt sich durch drei Exemplare, die so genannte „Berliner Handschrift“, die Ende des 9., Anfang des 10. Jahrhunderts in Norditalien entstanden sein dürfte, das „Vercelli-Exemplar“ und die so genannte „Wiener Handschrift“. Die beiden letzteren stammen gewiss aus dem 10. Jahrhundert.[11][12] Fritz Schulz geht bei allen Exemplaren davon aus, dass sie im 8. Jahrhundert geschrieben worden sind, lange nach der Abfassung der Collatio.[13]
Während der Zeit des christlichen Früh- und Hochmittelalters konnte sich die Collatio wohl behaupten, unterlag in ihrer Bedeutung allerdings den Digesten, nachdem diese durch die Gelehrten der Glossatoren und späteren Kommentatoren eine Renaissance als nachhaltiges Nachschlagewerk erfuhren.[3]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Diokletians Edikt gegen die Manichäer (Bestandteil des Gesetzeswerks)
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Robert M. Frakes: Compiling the Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum in Late Antiquity. Oxford University Press, Oxford 2011.
- Paul Frédéric Girard, Félix Senn: Textes de droit romain, in: L'Antiquité Classique, Band 1, 7. Auflage Liebmann-Frankfort Thérèse, Paris 1967. S. 545–590, n. 29.
- Gábor Hamza: Comparative Law and Antiquity. Budapest 1991. Herausgeber: Akademiai Kiado (1992). ISBN 978-9-630-56218-8.
- Constantin Hohenlohe: Ursprung und Zweck der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum. Mayer & Comp., Wien 1935.
- Moses Hyamson: Mosaicarum et Romanarum legum collatio. Oxford University Press 1913, Digitalisat (enthält ein Faksimile des Berliner Manuskripts).
- Wolfgang Kaiser: Die Epitome Iuliani. Beiträge zum römischen Recht im frühen Mittelalter und zum byzantinischen Rechtsunterricht. Klostermann. Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-465-03297-7, S. 92–95, 123 f., 154.
- Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge. Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 162–174.
- Ulrich Manthe: Collatio 6,7 pr. isdem abstipulantibus. In: Martin Avenarius u. a. (Hrsg.): Ars Iuris, Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag. Göttingen 2009, S. 351–370.
- Ulrich Manthe: Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Redaktionstätigkeit. In: Karlheinz Muscheler (Hrsg.): Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption / Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag. (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge. Band 63). Duncker & Humblot, Berlin 2011, ISBN 978-3-428-13163-1, S. 395–412.
- Ulrich Manthe: Die Mosaicarum et Romanarum legum collatio und der Ambrosiaster. Jüdisches Recht im spätantiken Rom. (= Abhandlung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. N. F. 147). München 2021, ISBN 978-3-7696-0135-0, S. 54, 115, 176.
- Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. Band 2132). Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74048-0, S. 116.
- Theodor Mommsen: Collectio librorum iuris anteiustiniani. Band III. Berlin 1890, S. 107–198.
- Adolf August Friedrich Rudorff: Über den Ursprung und die Bestimmung der Lex Dei oder Mosaicarum … Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin; 1868, 4. Berlin 1869, S. 266–296.
- Fritz Schulz: Die biblischen Texte in der Collatio legum Mosaicarum … Apollinaris, 1936.
- Reinhard Zimmermann: Gábor Hamza, Comparative Law and Antiquity, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung), Band 111, Heft 1, 1994. S. 533–536.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Text der Collatio legum mosaicarum et romanarum ( vom 8. Februar 2008 im Internet Archive)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Theodor Mommsen: Collectio librorum iuris anteiustiniani. Band III. Berlin 1890, S. 107–198.
- ↑ Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. Band 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5. S. 115.
- ↑ a b c d e f g Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge. Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 162–174.
- ↑ Wolfgang Kaiser: Die Epitome Iuliani. Beiträge zum römischen Recht im frühen Mittelalter und zum byzantinischen Rechtsunterricht. Klostermann. Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-465-03297-7, S. 92–95, 123 f.; S. 154.
- ↑ Detlef Liebs: Rechtsliteratur. In: Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, ISBN 978-3-16-152359-5. Band I, S. 193–221, hier S. 215 f. (Rn. 50).
- ↑ Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge. Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 165 f.; vgl. Coll. 5,3.
- ↑ a b Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-58155-4, S. 63.
- ↑ Fritz Schulz: Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, S. 396–398.
- ↑ Ulrich Manthe: Collatio 6,7 pr. isdem abstipulantibus. In: M. Avenarius, R. Meyer-Pritzl, C. Möller (Hrsg.): Ars Iuris, Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag. Wallstein, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0420-8, S. 351–370.
- ↑ Ulrich Manthe: Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Redaktionstätigkeit. In: Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption / Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag. hrsg. von Karlheinz Muscheler, Duncker & Humblot, Berlin (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 63), S. 395–412 (396).
- ↑ Gustav Friedrich Hänel (Hrsg.): Iuliani Epitome Latina Novellarum Iustiniani, Leipzig 1873, S. 4 ff. Nr. 4, 6 und 5.
- ↑ Max Conrat (Cohn): Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts im früheren Mittelalter. Hinrichs, Leipzig 1891, S. 87.
- ↑ Fritz Schulz: The Manuscripts of the Collatio legum Mosaicarum et Romanarum. In: Bullettino dell'Istituto di Diritto romano (BIDR) 55-6 „post-bellum“ (= nuova serie. 14-5). (1951) S. 49–69.; darauf Bezug nehmend, Ulrich Manthe: Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Redaktionstätigkeit. In: Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption / Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag. hrsg. von Karlheinz Muscheler, Duncker & Humblot, Berlin (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 63), S. 395–412 (395).