Murat Arslan

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Murat Arslan (geb. 1974 in Ankara) ist ein bekannter ehemaliger türkischer Richter. Er ist Vorsitzender der inzwischen verbotenen Vereinigung der Richter und Staatsanwälte (YARSAV). Nach einem umstrittenen Prozess wurde Arslan 2019 zu einer 10-jährigen Haftstrafe verurteilt.

Murat Arslan schloss 1999 sein Studium der Rechtswissenschaft an der juristischen Fakultät der Universität Istanbul ab. Ab 2001 arbeitete er am Rechnungshof und wechselte 2005 von dort als Berichterstatter zum Verfassungsgericht.

Er trat der 2006 gegründeten Vereinigung der türkischen Richter und Staatsanwälte (YARSAV) bei, war deren Vorstandsmitglied, dann Vizepräsident und vom 16. März 2011 nach mehrfacher Wiederwahl bis zum 23. Juli 2016 deren Präsident. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 wurde YARSAV durch ein am 23. Juli 2016 im Amtsblatt der Republik Türkei veröffentlichtes Notstandsdekret aufgelöst.[1]

Arslan, der bereits 2015 an den Rechnungshof zurückversetzt worden war, wurde nach dem Putschversuch entlassen. Am 19. Oktober 2016 wurde er in Untersuchungshaft genommen.[2] Ihm wurde vorgeworfen, aktives Mitglied der terroristischen Organisation FETÖ/PDY (türkisch Paralel devlet yapilamasi, deutsch: „Parallele Staatsstruktur“) des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu sein. Die Anschuldigung beruhte auf einer anonymen Denunziation und der Anwesenheit der App „ByLock“ auf seinem Smartphone. Türkische Behörden verdächtigen „ByLock“-Nutzer, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein, die die Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates verlieh Murat Arslan in Abwesenheit am 9. Oktober 2017 den Václav-Havel-Menschenrechtspreis. Er erhielt diesen Preis, mit dem herausragende zivilgesellschaftliche Aktivitäten zur Verteidigung der Menschenrechte gewürdigt werden, als „Verfechter der Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei“.[3][4] In seiner Dankesrede, die er vorlesen ließ, bezeichnete Arslan die Türkei als ein Land, „wo der Rechtsstaat aufgehoben ist“.[5] Von Seiten der Türkei wurde die Verleihung am Folgetag scharf kritisiert und als „falsch und inakzeptabel“ bezeichnet.[6]

Am 2. November 2017 fand vor einer Strafkammer in Ankara der erste Hauptverhandlungstag im Strafverfahren gegen Arslan statt. Ingrid Heinlein, Vorsitzende Richterin a. D. am Landesarbeitsgericht Düsseldorf, nahm als Vertreterin von MEDEL, einer europäischen Organisation von Richtern und Staatsanwälten, an dieser Verhandlung teil und berichtete anschließend in der juristischen Fachzeitschrift Betrifft Justiz ausführlich darüber. Obwohl der erste Verhandlungstag nichts ergeben hatte, das die weitere Untersuchungshaft Murat Arslans rechtfertigen könnte, wurde dem Antrag der Verteidigung auf seine Entlassung aus der Untersuchungshaft nicht stattgegeben.[7]

Nach zwei Jahren und drei Monaten Untersuchungshaft wurde Arslan am 18. Januar 2019 wegen „Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung“ zu 10 Jahren Haft verurteilt.[5] Der vorangegangene Prozess war laut dem UN-Sonderberichterstatter zur Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten, Diego García-Sayán, nicht fair: „Die Verurteilung von Richter Arslan stellt einen schweren und groben Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei dar, und in einem demokratischen Rechtsstaat ist eine unabhängige und unparteiische Justiz ein grundlegender Garant für die Gesellschaft als Ganzes“, sagte der UN-Menschenrechtsexperte.[8]

In einem Berufungsurteil wurde Arslans erstinstanzliche Verurteilung bestätigt. Dagegen legte er Ende 2019 Revision ein.[9] Der Oberste Gerichtshof der Türkei bestätigte am 3. November 2021 das erstinstanzliche Urteil.[10]

Am 30. März 2022 wurde Arslan wegen Präsidentenbeleidigung zu einer weiteren Haftstrafe von 1 Jahr verurteilt.[11]

Arslan ist seit Oktober 2016 in der geschlossenen Typ-F-Hochsicherheitsstrafvollzugsanstalt in Sincan inhaftiert.[12]

Eine bedingte Entlassung nach drei Vierteln der Haftzeit, wie im türkischen Strafrecht üblich, wurde ihm verwehrt. Im Jahr 2024 startete die Internationale Richtervereinigung (IJA) eine Initiative, um Druck auf die türkischen Behörden aufzubauen und seine bedingte Entlassung zu erwirken.[13][14] Im Rahmen dieser Initiative richtete auch der Deutsche Richterbund am 3. Juni 2024 ein entsprechendes Schreiben an den türkischen Justizminister Yılmaz Tunç.[15]

Arslan ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.[4]

  • Ingrid Heinlein: Murat Arslan: "Dieser Prozess ist ein Rachefeldzug gegen YARSAV". Bericht über den ersten Hauptverhandlungstag im Strafverfahren gegen den Vorsitzenden der verbotenen, türkischen Richter- und Staatsanwaltsvereinigung YARSAV. In: Betrifft Justiz. Nr. 132, Dezember 2017, S. 212–216 (online [PDF]).
  • Ingrid Heinlein: Türkei 2020: Die »Säuberung« in der Justiz wird fortgesetzt. In: Betrifft Justiz. Nr. 144, Dezember 2020, S. 397–400 (online [PDF]).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Former YARSAV Chair Murat Arslan Sentenced to 10 Years in Prison. In: bianet.org. 18. Januar 2019, abgerufen am 9. Juli 2022 (englisch).
  2. YARSAV President Murat Arslan Arrested. In: bianet.org. 27. Oktober 2016, abgerufen am 9. Juli 2022 (englisch).
  3. Václav Havel Human Rights Prize 2017 awarded to Murat Arslan. In: pace.coe.int. 9. Oktober 2017, abgerufen am 9. Juli 2022 (englisch).
  4. a b Report of MEDEL's observer to the ongoing trial of Murat Arslan, President of YARSAV (in German and English). Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés, 21. Februar 2018, abgerufen am 9. Juli 2022 (englisch).
  5. a b Murat Arslan: Zehn Jahre Haft für türkischen Menschenrechtspreisträger. In: zeit.de. 18. Januar 2019, abgerufen am 9. Juli 2022.
  6. Turkey slams PACE for awarding a former judge linked with Gülenists. In: hurriyetdailynews.com. 10. Oktober 2017, abgerufen am 9. Juli 2022 (englisch).
  7. Ingrid Heinlein: Murat Arslan: "Dieser Prozess ist ein Rachefeldzug gegen YARSAV". Bericht über den ersten Hauptverhandlungstag im Strafverfahren gegen den Vorsitzenden der verbotenen, türkischen Richter- und Staatsanwaltsvereinigung YARSAV. In: Betrifft Justiz. Nr. 132, Dezember 2017, S. 212–216, hier S. 216 (online [PDF]).
  8. Turkey must ensure fair appeal for Judge Murat Arslan after gross attack on judicial independence, says UN expert. Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, 6. Februar 2019, abgerufen am 9. Juli 2022 (englisch).
  9. Ingrid Heinlein: Türkei 2020: Die »Säuberung« in der Justiz wird fortgesetzt. In: Betrifft Justiz. Nr. 144, Dezember 2020, S. 397–400, hier S. 398 (online [PDF]).
  10. Ingrid Heinlein: Oberster Gerichtshof der Türkei bestätigt Verurteilung Murat Arslans zu 10 Jahren Freiheitsstrafe. In: juristsforjurists.de. 20. Januar 2022, abgerufen am 9. Juli 2022.
  11. Murat Arslan wegen Präsidentenbeleidigung verurteilt. In: juristsforjurists.de. 24. April 2022, abgerufen am 9. Juli 2022.
  12. Letter from Murat Arslan. In: medelnet.eu. 26. Januar 2022, abgerufen am 10. Juli 2022 (englisch).
  13. Free Murat Arslan! In: Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter. 25. April 2024, abgerufen am 14. November 2024.
  14. Free Murat Arslan - IAJ-UIM. In: iaj-uim.org. 23. April 2024, abgerufen am 14. November 2024 (englisch).
  15. Germany – Letter concerning Murat Arslan. In: iaj-uim.org. 4. Juni 2024, abgerufen am 14. November 2024 (englisch, Text als .pdf herunterladbar).