Narr

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Narrenfreiheit)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Vogtherr d. J., Heinrich: Der Narr, um 1540

Als Narr wird eine männliche Person bezeichnet, welche sich töricht verhält oder sich auf lächerliche Weise irreführen oder täuschen lässt.[1] Die weibliche Entsprechung (auch historisch) ist Närrin. Es gibt daneben den Narren als ein bildliches und literarisches Motiv, das auch eine enge Beziehung zur Fastnacht hat und konkrete visuelle Attribute herausbildete. Darüber hinaus spricht man vom Narren, wenn jemand diesen für ein Publikum spielt, ohne einer zu sein.[2] Diese drei sind sehr unterschiedlich, beeinflussten sich in ihrer Entstehungsgeschichte und Wahrnehmung aber gegenseitig, so dass sie nur schwer voneinander zu trennen sind.

Der Hofnarr dagegen ist eine politische bzw. rechtliche Institution, die einen anderen Ursprung hat, aber von der Idee des Narren nicht unbetroffen blieb.

Es existieren eine Reihe von Bezeichnungen, die teilweise synonym genutzt werden, aber nicht immer deckungsgleich sind: z. B.: Tor, Schalk, Schelm, Gaukler. Das betrifft auch die Begriffsgeschichte in nicht-deutschsprachigen Kulturen.

Die Herkunft des deutschen Wortes Narr (mhd. narre, ahd. narro) ist nicht sicher geklärt. Der Romanist Friedrich Christian Diez hat eine Ableitung vom spätlat. Wort nārio in der Bedeutung von Nasenrümpfer, Spötter empfohlen.[3][4]

Andere Autoren vermuten, dass sich das Wort Narbe die sprachliche Wurzel mit dem Begriff Narr teilt und somit etwas Eingeschrumpftes, Verkrüppeltes, also auch den geistig beschränkten Menschen meint.[5] Auch verwachsene Früchte an Bäumen werden Narren genannt.[6]

Entstehungsgeschichte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Insipiens um 1250, Ausschnitt aus einer Initiale in einer frz. Handschrift. Während Psalm 110 den Stab zum Attribut des Königs erklärt, erscheint der Narr hier mit einer Art Keule. In der anderen hält er ein Brot, das sich auf den gleichen Psalm bezieht.

Das Motiv des Narren ist biblischen Ursprungs. Das Buch der Psalmen nennt ihn in der lateinischen Version noch Insipiens (wörtlich: einsichtslos, unverständig, töricht, lernunfähig, unverbesserlich):

Dixit insipiens in corde suo: Non est Deus

„Der Narr sprach in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“

In den deutschen Übersetzungen finden wir für Insipiens die Benennung Narr. Luther nutzt in seiner Übertragung noch die Bezeichnung T[h]or.

Die Textstelle markiert den Beginn eines Psalms, weshalb in den Handschriften häufig eine illustrierte Initiale eingefügt wurde, die den Insipiens darstellt. Anhand dieser Darstellungen in verschiedenen Bibelausgaben über mehrere hundert Jahre hinweg kann die visuelle Entwicklung des Narrentypus mit der Entstehung und Veränderung seiner spezifischen Attribute belegt werden.

Der biblische Kontext zeigt aber auch, wie die Idee des Narren in seinem Anfang zu verstehen war. Der Insipiens ist das Gegenteil vom Sapiens (siehe auch: Homo Sapiens), dem weisen Menschen, der an späterer Stelle des gleichen Buches erwähnt wird:

res principium sapientiae timor Domini sen doctrina

„Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“

Demzufolge lebe der weise Mensch in der Erkenntnis Gottes. Dem Narren fehle diese Gotteserkenntnis.[7]

Der Narr und der Teufel sind darum in der Wahrnehmung eng miteinander verwandt und werden gemeinsam als Gegenspieler Gottes verstanden. Vor allem in der Fastnacht komplettieren sich die beiden Figuren gegenseitig. Das geht zurück auf Augustinus, der Anfang des 5. Jahrhunderts seine Schrift Vom Gottesstaat verfasste. Dieser stehe, so Augustinus, in bleibendem Gegensatz zum sogenannten civitas terrena bzw. diaboli (dem irdischen Reich unter der Herrschaft des Teufels). Um 1400 übertrugen Theologen dieses Modell auf die Fastnacht, in der der Teufel los sei, während in der Fastenzeit die Menschen wieder gottgefällig leben. In der Folge trugen die Menschen zur Fastnacht Teufels-Verkleidungen, die teilweise aus den Requisiten der Kirche entliehen wurden, die zu Prozessionszwecken gedient hatten. Mitunter wurden aber auch ganz neutrale Masken (sogenannte Glattlarven) genutzt, die eher freundlich erschienen. Dahinter, so die Vorstellung, verberge sich aber niemand anderes als der Teufel selbst. Um 1500 kam dann neben den Teufeln und Verführern der Narr als weiterer Figurentypus hinzu.[7]

Narrenattribute

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Abbildung aus dem Narrenschiff: Die Narren werden vom Antichrist, dem der Teufel ins Ohr flüstert, mit herabgeworfenen Geldsäcken angelockt, worauf diese kentern. Die Christen in "sant peters schifflin" werden von Petrus gerettet. Der Umstieg vom Narrenschiff in das Kirchenschiff war die ritualisierte Erwartung an die Fastnachtnarren.

Im weiteren Verlauf des Mittelalters veränderte sich diese Figur. Sie trug meist ein farbiges Kleid, oft ein Mi-Parti, das mit Schellen behängt war. Die Keule hatte sich zur Marotte weiterentwickelt, an der sich ein kleines Köpfchen befindet, später wahlweise zum Spiegel, einem Zeichen, dass der Narr verblendet und blind für Gott sei. Oftmals wird die Figur mit einer Gugel, einer zipfeligen Mütze oder Kappe dargestellt, die ebenfalls mit Schellen behangen ist. Ein angedeuteter Hahnenkamm und Eselsohren gehörten genauso dazu.

Die Kleidung realer Menschen wie Hofnarren und Menschen mit geistigen Behinderungen wurden zeitweise mit Narrenattributen versehen, um anderen erkennbar zu machen, dass sie diese nicht ernst nehmen oder vorsichtig sein sollten. Im Sachsenspiegel, dem ältesten deutschen Rechtstext ist ein geistig Behinderter abgebildet, der einen anderen schlägt. Er trägt illustrativ das Narrenkleid. Der Sachsenspiegel sagt, dass diese Menschen rechtlich nicht belangt werden sollen, sondern deren Vormund.[8]

In der Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Rolle in der Entwicklung des Narren als Typus und Motiv spielte auch die Literatur, insbesondere Sebastian Brants Narrenschiff (1494) und das Lob der Torheit (1509) von Erasmus von Rotterdam. Beides waren Bestseller der Zeit des frühen Buchdrucks.

Weitere Texte entwickeln den Typus noch einmal zum Schildbürger und Schelm bzw. Schalk weiter, die nicht mehr selbst geblendet sind, sondern anderen einen Spiegel vorhalten, damit diese sich selbst erkennen oder ihre Narrheit offenbart wird. Aber auch diese Figuren erscheinen nicht immer konsistent. Beispiele sind die Geschichten von Till Eulenspiegel (1515) und Der abenteuerliche Simplicissimus (1668/69) von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.

Diese Texte, die nicht selten satirisch gestaltet sind, knüpfen an eine Tradition an, die bis zu Lukian von Samosata (2. Jahrhundert n. Chr.) bzw. dem griechischen Kyniker Menippos von Gadara (3. Jahrhundert v. Chr.) reicht.

Narren fanden sich sowohl im ritterlichen Gesinde als auch an Fürstenhöfen. Im französischen Schachspiel hat der Narr („Fou“) gar die Rolle des Läufers im deutschen Schach. Für die dort tätigen Hofnarren galt die Narrenfreiheit, die es ihnen ermöglichte, ungestraft Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben. Auch die Parodierung von Adeligen war den Hofnarren erlaubt.

Das Hofnarrentum war eine ideengeschichtlich klar begründete Institution, die fast immer ein fester Bestandteil des Hofstaates war. Die Hofnarren als „Offizianten“ (in einem festen höfischen Amt) sollten ursprünglich ihren Herrn nicht belustigen, sondern ihn als ernste Figur ständig daran erinnern, dass auch er der Sünde verfallen könne, und in religiöser Deutung seinem Herrn als Erinnerer an die Vergänglichkeit seines menschlichen Daseins dienen. Sie waren also eine soziale Institution zulässiger Kritik. Ihre gesonderte Stellung mit der fehlenden Bindung an gesellschaftliche Normen ermöglichte dem Narren einen besonders großen Handlungsfreiraum – da alles, was er sagte, aufgrund seiner „Narrheit“ als nicht ernst betrachtet werden konnte. Darauf begründet sich der heute noch viel verwendete Begriff der „Narrenfreiheit“.

Der klassische Hofnarr begann sich jedoch spätestens seit dem 14. Jahrhundert von der allgemeinen „Narrenfigur“ zu unterscheiden. Während Ersterer eine Stellung bei Hofe, die eines Unterhalters, eines Spaßmachers und Zeitvertreibers hatte, hatte der allgemeine Narr eine religiöse, philosophische Funktion, nach der er (spätestens seit dem 12. Jahrhundert) für Gottesferne, sündhaftes Leben und Vergänglichkeit stand. Ursprünge für diese Funktion finden sich bereits im Römischen Reich, als beim Einzug des römischen Kaisers in Rom nach einem erfolgreichen Kriegszug ein – meist besonders hässlicher – Sklave direkt hinter ihm mitgeführt wurde, um ihn an die Vergänglichkeit seines Ruhmes zu erinnern (Memento mori).

Der Narr entstand als eine Figur, die keinen festen Platz in der ständischen Ordnung und somit in der Gesellschaft hat, die sich keinerlei Normen verpflichtet fühlt und in ihrer menschlichen Gegebenheit aus dem System fällt.

Im Mittelalter unterschied man zwei Arten von Narren, die natürlichen und die künstlichen Narren. Als natürliche Narren galten Geisteskranke, geistig Behinderte und Missgestaltete. Die künstlichen Narren waren Menschen, die sich dumm oder tölpelhaft stellten, absichtlich Scherze trieben. Diese Menschen mussten ein gewisses Maß Intelligenz besitzen, um glaubwürdig in die Rolle des Narren schlüpfen zu können. Man erfreute sich ihrer Unterhaltung und entwickelte eine gewisse Sympathie und Bewunderung ihnen gegenüber. Zu den „natürlichen Narren“ dagegen wahrte man lieber Distanz; diesen Menschen drohte je nach Ausmaß ihrer Missbildung die Isolierung von der Gesellschaft.

Der Hofnarr Sebastián de Morra, Ölgemälde von Velázquez, 1636

Im frühen Hochmittelalter waren es vor allem körperlich Behinderte oder Kleinwüchsige, Hofzwerge, die wie Raritäten zum Teil in Käfigen gehalten wurden, aus denen man auch (wie im Sprichwort) einen Narren machte. Die Herrscher wetteiferten darin, wer den spektakulärsten Narren in seiner Sammlung hatte.

Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren es zunehmend Menschen, die sich nur dumm stellten oder über besonderes künstlerisches oder humoristisches Talent verfügten, die als Unterhalter engagiert wurden. Teilweise gab es an Höfen Narrenausbilder, die auffällige Kinder aus der Umgebung zusammensuchten und sie zu Hofnarren ausbildeten.

In der frühen Neuzeit waren es nicht selten durchaus intelligente und intrigante Strippenzieher, die ihren Posten als Hofnarr ausnutzten, um sich ein schönes Leben bei Hofe zu machen, zum Beispiel die französische Närrin Mathurine, die sich zusätzliches Geld damit verdiente, dass sie Hofklatsch drucken ließ und eigenhändig auf dem Pont Neuf in Paris ans gemeine Volk verkaufte.

Manche Städte unterhielten sogenannte Stadtnarren, die zur allgemeinen Belustigung Späße treiben durften. Ihre Entlohnung bestand meist aus erbettelten Gaben.

Hofnarr im 15. Jahrhundert

Im 14. Jahrhundert kam jedoch mehr und mehr in Mode, sich neben den „natürlichen Narren“ auch Spaßmacher zu halten. Ein Beispiel hierfür ist der Lieblingshofnarr Kaiser Maximilians I. (1459–1519), Kunz von der Rosen, ein intelligenter Mann, der es verstand, durch seine Späße und seine Anmerkungen nicht selten zum Nachdenken anzuregen. So wurde er einmal vom Rat des Kaisers befragt, was er von einem Friedensangebot halte. Von der Rosen antwortete darauf mit der Frage, wie alt er geschätzt werde. Nach einigen Versuchen sagte er, dass er schon über 200 Jahre alt sei, da er schon mindestens zwei Friedensangebote in Kraft treten gesehen habe, die beide über jeweils 100 Jahre abgeschlossen wurden.

Nichtsdestoweniger hielten sich die Fürsten auch weiterhin natürliche Narren, zum Beispiel den Narren namens Claus Narr von Ranstedt, einen stiernackigen, verwirrten Mann, der an verschiedenen Höfen in der Gegend des heutigen Sachsens mehr oder weniger „herumgereicht“ wurde.

Als Narren engagierte Menschen konnten gelegentlich auch Karriere machen. Beispiel hierfür ist der Zwerg Perkeo, der als kleinwüchsiger Spaßmacher am Heidelberger Schloss begann und aufgrund seiner Intelligenz, seiner Kenntnisse und Einsatzfreude Haushofmeister des Kurfürsten wurde.

Am Hofe Augusts des Starken war ebenfalls ein berühmter Hofnarr angestellt, der den passenden Namen Joseph Fröhlich trug.

Narren hatten zu Teilen an Fürstenhöfen auch die politische Funktion, zu Zeiten absolutistischer Herrschaft die einzigen zu sein, die dem Fürsten noch die Wahrheit übermittelten, ihn an das Geschehen in seinem Herrschaftsbereich ankoppelten. Sei es, dass sie selbst als Spaßmacher oder Künstler scharfe Beobachter des Zeitgeschehens waren oder aber sich von Ratgebern und Hofleuten zur Übermittlung von Informationen oder Meinungen instrumentieren ließen und Wahres und Nachdenkenswertes dem Fürsten übermittelten. Dinge, die ein „normaler Mensch“ wegen des Zornesrisikos sich nicht vor Publikum oder Zeugen zu sagen getraut hätte, weshalb man eben noch den Narren vorschicken konnte. Wenn die Meinungen und Mitteilungen ungefällig waren, dann tat man es eben als „Narretei“ ab.

Narr auf einer Kneipentür in Brüggen

Heute wird das Wort Narr nur noch selten als abwertende Bezeichnung für Menschen verwendet, die sich unvernünftig verhalten. Erhalten hat sich allerdings der Volksmund-Spruch „Narrenhände beschmieren Tisch und Wände“. In einigen Dialekten, so z. B. im Österreichischen und Bayerischen, werden Konnotationen zum Narren weiterhin in der Umgangssprache gebraucht (z. B. „narrisch werden“ für verrückt werden oder „Narrenhaus“ für Irrenhaus bzw. psychiatrische Anstalt oder „ins Narrnkastl schaun“ für geistesabwesend ins Leere starren). Ebenso sind sprichwörtliche Redensarten zuweilen gebräuchlich, wie: „Ein Narr und sein Gold sind bald getrennt“. Geblieben ist auch die Formulierung „vernarrt sein“ für „total verliebt sein“, wobei Fehler und Schwächen der geliebten Person bzw. des geliebten Gegenstandes vom Verliebten ignoriert werden; auch hier wiegt die negative Bedeutung schwer.

Insbesondere in der Zeit vor Aschermittwoch, also der Fastnacht oder dem Karneval, tritt die Figur des Narren heute noch häufig auf. So werden Karnevalsteilnehmer heute auch Narren genannt.

Die Stadt Conwy in Wales besitzt seit 2015 (nach über 700 Jahren) mit Russel Erwood wieder einen offiziellen Stadt-Narren.[9]

Narrenfiguren in der bildenden und darstellenden Kunst

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Jan Matejko: Stańczyk während des Balls am Hofe der Königin Bona, als die Kunde vom Verlust von Smolensk eintrifft, 1862

Narren, insbesondere Hofnarren, wurden mit ihren Attributen immer wieder bildlich oder figürlich dargestellt, so in Bildern von Diego Velasquez und in den Büsten bzw. Figurinen von Joseph Fröhlich, des Hofnarren Augusts des Starken. Der polnische Maler Jan Matejko (1838–1893) stellte in mehreren Gemälden den Hofnarren Stańczyk († um 1560) dar, wie er trotz glänzenden Erfolgen des polnischen Staats zu seinen Lebzeiten pessimistisch in die Zukunft schaut, in der – zu Matejkos Lebzeiten – Polen als Staat nicht existierte.

Trotz ihres geringen Ansehens in der Gesellschaft fand die Figur des Narren immer wieder auch Eingang in die klassische Musik, sogar als Protagonist.[10] Berühmte Beispiele hierfür sind Rigoletto von Giuseppe Verdi und Der Bajazzo von Ruggero Leoncavallo.

Eine heute noch verbreitete Darstellung des Hofnarren findet sich im Joker aus den Kartenspielen Canasta, Rommé und anderen, mit den typischen Attributen: ein lachender Mann in kunterbunter Kleidung mit schellenbehangener Narrenkappe, oft gedoppelt durch eine Marotte mit seinem Konterfei, gelegentlich auch mit einem Musikinstrument.

Schachvariante Jester’s Game

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In dieser Variante (deutsch: Spiel des Narren) operiert der Narr als Spielfigur mit den Zugmöglichkeiten von Turm, Läufer und Springer, ohne jedoch schlagen zu können. Zugleich kann er nur geschlagen werden, wenn er von zwei Parteien gleichzeitig bedroht wird, und die Figur, die ihn schlägt, verlässt mit ihm zusammen das Brett. Der Bezug zwischen Spiel und realem Hofnarren ergibt sich wie folgt: Wer einen Hofnarren schlug, vergriff sich an einer wehrlosen Person und schlug sich dadurch selbst.

„Narr in Christo“

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausgehend von einer tragischen Interpretation des Lebens Jesu Christi hat sich eine breite von dieser inspirierte Narrenliteratur besonders in Russland (siehe Jurodiwy) entwickelt. Der Narr in Christo ist im Osten bereits im 6. Jahrhundert durch Symeon von Emesa belegt. Später wurde er besonders in der russisch-orthodoxen Kirche durch den Heiligentypus der beim Volk hoch angesehenen Gottesnarren verkörpert. Außer in vielen russischen Legenden findet sich die Figur des Narren in Christo etwa bei Nikolai Leskow in seiner Erzählung Der Gaukler Pamphalon (1887). In der Westkirche zählt z. B. Franz von Assisi zu den Vorbildern dieser Figur in Literatur und Film. In Deutschland hat sie Gerhart Hauptmann in seinem Roman Der Narr in Christo Emanuel Quint aufgenommen.

Die Tradition des Narren in Christo geht auf einige Zeilen des Apostels Paulus zurück: Einerseits mimt Paulus selbst einmal rhetorisch den Narren (2 Kor 11,1.16 EU und 2 Kor 12,10f EU), andererseits stellt er die christliche Weisheit als Narretei vor der Welt dar (1 Kor 3,18 EU).

Primäre Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Abraham a Sancta Clara: Hundert Ausbündige Narren. Nach der Ausgabe von 1709. Mit einem Nachwort von Wilfried Deufert und 101 Tafeln von Johann Christoph Weigel. Harenberg, Dortmund (= Die bibliophilen Taschenbücher. Band 51).
  • Friedrich Nick: Die Hof- und Volksnarren sammt ihrer närrischen Lustbarkeiten. J. Scheible, Stuttgart 1861;
    • Band 1: Die Hofnarren, Lustigmacher, Possenreißer und Volksnarren älterer und neuerer Zeiten. Ihre Spässe, komischen Einfälle, lustigen Streiche und Schwänke.
    • Band 2: Das Komische und Groteskkomische in Schaudarstellungen verschiedener Zeiten und Nationen, Narren- und Esels-Feste, närrische Lustbarkeiten und lustige Possen, Gecken und Narren-Orden. Auch andere komische, weltliche und kirchliche Belustigungen, Curiositäten usw.
  • Erasmus von Rotterdam: Moriae Encomium Declamatio. Schürer, Straßburg 1511 (als: Das Lob der Narrheit. Aus dem Lateinischen des Erasmus. Von Wilhelm Gottlieb Becker. Mit Kupfern von Chodowiecky. bei Georg Jacob Decker, Berlin/ Leipzig 1781; als: Das Lob der Narrheit. Mit vielen Kupfern nach den Illustrationen von Hans Holbein und einem Nachwort von Stefan Zweig. Diogenes, Zürich 1987, ISBN 3-257-21495-2).
  • Sebastian Brant: Das Narrenschyff. (PDF; 75,6 MB). Johann Bergmann, Basel 1494.
  • Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (= Neudrucke deutscher Literaturwerke. NF Band 5). Herausgegeben mit einer Einleitung von Manfred Lemmer. 3., erweiterte Auflage. Niemeyer, Tübingen 1986, ISBN 3-484-17005-0.

Sekundäre Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Clemens Amelunxen: Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren. de Gruyter, Berlin / New York 1991, ISBN 3-11-013217-6 (ausschnittsweise bei Google Books).
  • Edgar Barwig, Ralf Schmitz: Narren. Geisteskranke und Hofleute. In: Bernd-Ulrich Hergemöller (Hrsg.): Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Neu bearbeitete Ausgabe. Fahlbusch, Warendorf 2001, ISBN 3-925522-20-4, S. 220–252.
  • Peter Burke: Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Rudolf Schenda. Klett-Cotta, Stuttgart 1981, ISBN 3-12-930630-7.
  • Karl Friedrich Flögel: Geschichte der Hofnarren. Liegnitz/ Leipzig 1789 (Nachdruck: Olms, Hildesheim/ New York 1977).
  • Peter Fuchs: Hofnarren und Organisationsberater. Zur Funktion der Narretei, des Hofnarrentums und der Organisationsberatung. In: Marie-Christin Fuchs (Hrsg.): Konturen der Modernität. Systemtheoretische Essays II. transcript, Bielefeld 2005, ISBN 3-8394-0335-9, S. 17–35 (online auf: books.google.de).
  • Hadumoth Hanckel: Narrendarstellungen im Spätmittelalter. Freiburg (Breisgau) 1952 (Maschinenschriftlich; Freiburg (Breisgau), phil. Dissertation vom 29. Mai 1952).
  • Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus. F. Steiner Verlag, Wiesbaden 1966. (Zugleich: Universität, Frankfurt am Main, Habilitations-Schrift.)
  • Maurice Lever: Zepter und Schellenkappe. Zur Geschichte des Hofnarren (= Fischer. 10502). Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-10502-1 (fr. Originalausgabe: Le Sceptre et la Marotte. Historie des Fous de Cour, Paris 1983).
  • Lutz S. Malke (Hrsg.): „La Folie“. Wahnsinn und Narrheit im spätmittelalterlichen Text und Bild. Heidelberg 1990.
  • Lutz S. Malke: Narren. Porträts, Feste, Sinnbilder, Schwankbücher und Spielkarten aus dem 15.–17. Jahrhundert. Berlin 2001.
  • Hadumoth Meier: Die Figur des Narren in der christlichen Ikonographie des Mittelalters. In: Das Münster. Jg. 8, Heft 2, 1955, ISSN 0027-299X, S. 1–11.
  • Katharina Meiser, Sikander Singh (Hrsg.): Narren, Clowns, Spaßmacher. Studien zu einer Sozialfigur zwischen Mittelalter und Gegenwart. Wehrhahn, Hannover 2020, ISBN 9783865257543.
  • Dietz-Rüdiger Moser: Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der „verkehrten Welt“. Edition Kaleidoskop, Graz u. a. 1986, ISBN 3-222-11595-8.
  • Heiner Meininghaus: Narrenzepter oder Marotten. In: Weltkunst. 72. Jg., Nr. 13, November 2002, ISSN 0043-261X, S. 2031–2033.
  • Werner Mezger, Irene Götz: Narren, Schellen und Marotten. Elf Beiträge zur Narrenidee (= Kulturgeschichtliche Forschungen. Band 3). 2., verbesserte Auflage. Kierdorf, Remscheid 1984, ISBN 3-922055-98-2.
  • Werner Mezger: Hofnarren im Mittelalter. Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amts. Universitätsverlag, Konstanz 1981, ISBN 3-87940-186-1.
  • Werner Mezger: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur (= Konstanzer Bibliothek. Band 15). Universitätsverlag, Konstanz 1991, ISBN 3-87940-374-0. (Zugleich: Freiburg (Breisgau), Universität, Habilitations-Schrift, 1990.)
  • Friedrich Nick: Die Hof- und Volksnarren, sammt den närrischen Lustbarkeiten der verschiedenen Stände aller Völker und Zeiten. 2 Bände. Stuttgart 1861.
  • Walter Nigg: Der christliche Narr. Artemis, Zürich 1956.
  • Beatrice K. Otto: Fools are everywhere. The Court Jester Around the World. University of Chicago Press, 2001, ISBN 0-226-64091-4.
  • Wolfgang Promies: Der Bürger und der Narr oder das Risiko der Phantasie. Hanser, München 1966.
  • Heinz-Günter Schmitz: Das Hofnarrenwesen der frühen Neuzeit. Claus Narr von Torgau und seine Geschichten. Münster Westf. 2004, ISBN 3-8258-4644-X.
  • John Southworth: Fools and Jesters at the English Court. Sutton, Stroud 1998, ISBN 0-7509-3477-8.
  • Erica Tietze-Conrat: Dwarfs and Jesters in Art. London 1957.
Wiktionary: Narr – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Narr – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Sachsenspiegel – Quellen und Volltexte
Wikiquote: Narr – Zitate

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Duden | Narr | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft. Abgerufen am 20. Mai 2022.
  2. Narr (Deutsches Rechtswörterbuch – DRW). Abgerufen am 19. Mai 2022.
  3. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. de Gruyter, Berlin / New York 1975, Lemma Narr.
  4. Duden: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Mannheim 2007, Lemma Narr.
  5. Narr (Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm). Abgerufen am 19. Mai 2022.
  6. Johannes Bruggaier: Fasnacht: Was hat der Baum mit Narren zu tun? Experte Werner Mezger über Spuren der Fasnacht in der Sprache. 25. Februar 2022, abgerufen am 20. Mai 2022.
  7. a b Teufel und Narr. In: Virtuelles Fastnachtmuseum. Fastnachtmuseum Narrenschopf, Bad Dürrheim, abgerufen am 22. Mai 2022.
  8. Cod. pal. germ. 164: Heidelberger Sachsenspiegel, 13r. Weitere Verlinkungen mit Versionen der Handschrift unter: Universitätsbibliothek Heidelberg, Bibliotheca Palatina- digital
  9. Benjamin Schulz: Hofnarr in Wales: Die Witzfigur von Conwy. In: Spiegel online. 24. August 2015.
  10. Jasmine Rudolph: Der Narr in der Oper. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Dissertation. Universität Bayreuth 2015 (Volltext).