Ocelloid

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Eine licht­mikroskopische Aufnahme eines ocelloid­haltigen Dino­flagellaten (Proterythropsis). Der Zellkern ist mit n markiert, das Ocelloid ist mit einer Doppel­pfeil­spitze und eine hintere Ver­längerung („Kolben“, „Piston“) der Zelle mit einem ein­fachen Pfeil gekenn­zeich­net. Das Ocelloid besteht aus einer rund­lichen ‚Linse‘ und einem dunkel pigmentierten, scheiben­förmigen Netz­haut­körper (englisch retinal body). Maßstab: 10 µm.

Ein Ocelloid (nicht zu verwechseln mit Ocellus, einem bei verschiedenen Tiergruppen zu findenden mehrzelligen Punktauge) ist eine subzelluläre Struktur (d. h. ein komplex aufgebautes Organell), das man bei einzelligen Dinoflagellaten der Familie Warnowiaceae (Warnowiiden) findet. Das Ocelloid ist in Struktur und Funktion den Augen vielzelliger Organismen analog, die Licht fokussieren, verarbeiten und wahrnehmen können. Das Ocelloid ist wesentlich komplexer als ein gewöhnlicher Augenfleck (eine lichtempfindliche Struktur, die ebenfalls in einzelligen Organismen vorkommt). Es ist tatsächlich eine der komplexesten bekannten subzellulären Strukturen überhaupt[1] und wurde als ein auffallendes Beispiel für konvergente Evolution beschrieben.[2][3]

Das Ocelloid wurde erstmals im Jahre 1884 beschrieben.[4] Frühe Beschreibungen wurden mit Skepsis aufgenommen: Man vermutete, dass sie das Auge eines vielzelligen Organismus darstellen, das zufällig von einem einzelligen Organismus verschlungen wurde.[1] Die Möglichkeit, dass es eine evolutionäre Verwandtschaft zu den Plastiden geben könnte, wurde etwa ab den 1970er Jahren in Betracht gezogen, obwohl erst ab 2010 direkte Beweise vorlagen.[5]

Ocelloide enthalten Unterstruktur analog zu denen eines echten Auges einschließlich Linse, Hornhaut, Iris und Netzhaut (Retina).[1] Das Ocelloid kann in zwei Sub­strukturen unterteilt werden:

Eine mikroskopische Nahaufnahme eines ein­zelnen Ocelloids; Protery­thropsis, Maßstab: 5 µm.[3]
TME-Aufnahme eines Oceloids (weißes Kästchen) von Erythropsi­dinium in seinem zellulären Kontext als Graustufen-Negativ. Zu sehen: Hyalo­som (H), Netzhaut­körper (R) und ein Teil des Pistons (‚Kolbens‘, Ps). Auf­grund der verwendeten Mikroskopie­technik erscheint das normaler­weise durch­scheinende Hyalosom fast so dunkel wie der Netzhaut­körper. Maßstab: 10 µm.[5]

Unter Verwendung von Genom­analyse von Einzel­zellen und Elektronen­mikroskopie wurde gezeigt, dass das Ocelloid aus mehreren membran­gebundenen Organellen unterschiedlichen endo­symbiontischen Ursprungs besteht: Es sind mehrere Abstammungs­linien Peridinin-haltiger Plastiden beteiligt.[1] Diese Entdeckung fand in populären Wissen­schafts­medien breite Beachtung, als 2015 davon berichtet wurde.[7][8][9]

Vergleich zwischen den Strukturen des Ocelloids (1) und des Wirbel­tier­auges (2). Komponenten sind als Hyalosom (H) bzw. Kristalllinse (C) sowie Retinalkörper bzw. Retina (R) angegeben.[5]

Aufgrund der starken strukturellen Ähnlichkeit zwischen dem Ocelloid und den Augen der vielzelligen Tiere (Metazoen) wurde lange spekuliert, ob das Ocelloid als Photorezeptor fungiert. Dies war jedoch experimentell schwer zu be­stim­men, da Warnowiiden nicht im Labor kultiviert werden können und Isolate aus natürlichen Lebensräumen schnell ab­ge­baut werden. Es wurde gezeigt, dass sich die Morphologie des Ocelloids als Reaktion auf die Umgebungs­beleuch­tung ändert, dass die Ocelloidstruktur durch Einwirkung von extrem hellem Licht gestört werden kann, und schließlich, dass das Ocelloid Proteine enthält mit ähnlicher Sequenz wie bekannte lichtempfindliche Proteine.[5] Daher wurde vermutet, dass das Ocelloid beim Erkennen von Beute hilft, möglicherweise anderen Dinoflagellaten.[1]

Bild von Erythropsi­dinium sp. mit einem Ocelloid (mit rundlicher ‚Lin­se‘ und dun­kel­pig­men­tier­tem scheibenförmigen Netz­haut­körper, Pfeil mit Dop­pel­spitze), sowie einem Piston (‚Kolben‘), einer langen, dünnen, tentakel­artigen Struktur (einfacher Pfeil). Maßstab: 20 µm.

Ocelloide werden für die Warnowiiden als synapomorphes Merkmal betrachtet – das heißt, sie sind in allen Warnowi­iden vorhanden und daher vermutlich auch in ihrem gemeinsamen Vorfahren, nicht aber in den nächst­liegenden Ver­wandten, den polykrikoiden Dinoflagellaten (Polykrikaceae). Diese beiden Gruppen teilen sich jedoch andere un­ge­wöhnlich komplexe subzelluläre Strukturen (d. h. komplexe Organellen) wie Nematozysten und Pistone (‚Kolben‘).[3][4]

Die molekularbiologischen Beweise, dass Ocelloide aus mehreren Endosymbionten bestehen, sind zwingend, es sind dies Mitochondrien und mindestens eine Art von Plastiden. Ocelloide sind wahrscheinlich homolog zu viel weniger kom­plexen, Plastiden enthaltenden Augenflecken. Solche werden in anderen (entfernt verwandten) Dinoflagellaten gefunden.[1]

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g Gregory S. Gavelis, Shiho Hayakawa, Richard A. White III, Takashi Gojobori, Curtis A. Suttle, Patrick J. Keeling, Brian S. Leander: Eye-like ocelloids are built from different endosymbiotically acquired components. In: Nature. 523. Jahrgang, Nr. 7559, 2015, S. 204–207, doi:10.1038/nature14593, PMID 26131935.
  2. Thomas A. Richards, Suely L. Gomes: Protistology: How to build a microbial eye. In: Nature. 523. Jahrgang, Nr. 7559, 1. Juli 2015, S. 166–167, doi:10.1038/nature14630, PMID 26131934.
  3. a b c M Hoppenrath, TR Bachvaroff, SM Handy, CF Delwiche, BS Leander: Molecular phylogeny of ocelloid-bearing dinoflagellates (Warnowiaceae) as inferred from SSU and LSU rDNA sequences. In: BMC Evolutionary Biology. 9. Jahrgang, 25. Mai 2009, S. 116, doi:10.1186/1471-2148-9-116, PMID 19467154, PMC 2694157 (freier Volltext).
  4. a b Fernando Gómez, Purificación López-García, David Moreira: Molecular Phylogeny of the Ocelloid-Bearing Dinoflagellates and (Warnowiaceae, Dinophyceae). In: Journal of Eukaryotic Microbiology. 56. Jahrgang, Nr. 5, September 2009, S. 440–445, doi:10.1111/j.1550-7408.2009.00420.x, PMID 19737196.
  5. a b c d e f Shiho Hayakawa, Yasuharu Takaku, Jung Shan Hwang, Takeo Horiguchi, Hiroshi Suga, Walter Gehring, Kazuho Ikeo, Takashi Gojobori, Simonetta Gribaldo: Function and Evolutionary Origin of Unicellular Camera-Type Eye Structure. In: PLoS ONE. 10. Jahrgang, Nr. 3, 3. März 2015, S. e0118415, doi:10.1371/journal.pone.0118415, PMID 25734540, PMC 4348419 (freier Volltext).
  6. Proteorhodopsin, Lexikon der Biologie, auf Spektrum.de
  7. Ed Yong: Single-Celled Creature Has Eye Made of Domesticated Microbes. In: Phenomena: Not Exactly Rocket Science. National Geographic, 2. Juli 2015, archiviert vom Original am 23. Juni 2016; abgerufen am 4. April 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/phenomena.nationalgeographic.com Vie WebArchiv vom 23. Juni 2016.
  8. Single-celled predator evolves tiny, human-like 'eye'. In: Phys.org. 1. Juli 2015, abgerufen am 4. April 2019.
  9. Allison Eck: The Most Unbelievable Eye on Earth Belongs to a Creature With No Brain. In: Nova Next. PBS, 16. Juli 2015, abgerufen am 4. April 2019.