Orgel von Aquincum

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Rekonstruktion der Orgel im Aquincum Museum Budapest (Foto: 2009)

Die Orgel von Aquincum ist eine unvollständig erhaltene römische Orgel aus dem 3. Jahrhundert, die in Aquincum im heutigen Budapest entdeckt wurde und im dortigen Aquincum Museum aufbewahrt wird. Sie ist die am besten erhaltene römische Orgel.

Stiftungstafel der Orgel von Aquincum (2024)

Das Instrument wurde im Jahr 228 n. Chr. dem dortigen Feuerwehrkollegium (collegium centonariorum) geschenkt. Der Stifter war Gaius Iulius Viatorinus, Stadtratsmitglied (Decurio) von Aquincum und Vorsteher des Kollegiums. Diese Informationen gehen aus einer beschrifteten Metalltafel hervor, die an der Orgel angebracht war und mit ihr zusammen gefunden wurde.

„G(aius) IVL(ius) VIATORINVS DEC(urio) COL(oniae) AQ(uinci) AEDILICIVS PRAEF(ectus) COL(egii) CENT(onariorum) HYDRAM COLL(egio) S(upra) S(cripto) DE SUO D(onum) D(edit) MODESTO ET PROBO CO(n)S(ulibus)[1]

Übersetzung: Gaius Iulius Viatorinus, Ratsherr (bzw. Stadtrat) der Colonia Aquincum, ehemaliger Ädil und Vorsteher des Feuerwehrkollegiums, hat diese Wasserorgel dem oben genannten Kollegium aus eigenen Mitteln zum Geschenk gemacht, als Modestus und Probus Konsuln waren.

Das Instrument war wahrscheinlich neu angefertigt worden.

Entdeckt wurde das Instrument im Jahr 1931 bei Grabungen des Aquincum Museums in der Nähe des Museumsgebäudes. Das freigelegte Areal befand sich nahe dem Südtor der Zivilstadt von Aquincum und umfasste das Vereinshaus des Feuerwehrkollegiums. Dieses Gebäude war in der Antike von einem Brand zerstört worden. Dabei fiel die Einrichtung zusammen mit dem Holzboden in den Keller durch. Auch die dort aufbewahrte Orgel wurde vom Schutt begraben und blieb dadurch bis in die Neuzeit erhalten.[2] Der Ausgräber Lajos Nagy fand mehrere hundert Metallteile und stellte sie 1933 in Form einer kleinen Monographie vor. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Reste der Orgel an einem sicheren Ort eingelagert, dennoch gingen bis zum Wiederaufbau nach dem Krieg einige Einzelteile verloren. Anschließend waren noch 298 Teile vorhanden, die im Aquincum Museum unter der Inventarnummer 70.11.1–298 aufbewahrt werden.[3]

Die erhaltenen Metallteile der Orgel (links) und eine rekonstruierte Version des Instruments (rechts) (2013)

Die Orgel war verhältnismäßig klein, etwa 60 cm hoch, 35 cm breit und 20 cm tief.[4] Sie umfasste vier Register, die jeweils aus 13 Orgelpfeifen bestanden. Demnach ließen sich vier unterschiedliche Tonreihen spielen. Schieberegler auf der Unterseite des Instruments ermöglichten, die Luftzufuhr zu jedem der vier Register beliebig zu öffnen und zu schließen und damit die Tonreihe auszuwählen, die man spielen wollte. Oberhalb dieser Apparatur befand sich die Windlade, auf der die Pfeifen montiert waren. Es handelt sich um eine sogenannte Schleiflade. Durch Drücken einer Orgeltaste wurde eine sogenannte Tonschleife, eine Metallplatte mit vier Löchern, so unter die entsprechenden vier Löcher in der Windladenoberplatte gezogen, dass Luft hindurchströmen konnte. In der Praxis strömte die Luft aber nur in dem Register, dessen Luftzufuhr durch den Schieberegler unten am Instrument eingeschaltet worden war. Die Schieberegler schränkten also den Luftstrom auf das gewünschte Register ein, die Tonschleifen, die durch Druck auf eine Orgeltaste bedient wurden, dagegen auf den Ton, der in dem betreffenden Register gewünscht war. Beim Betätigen einer Taste wurde die betreffende Tonschleife gegen eine Metallfeder gedrückt, die dafür sorgte, dass die Schleife beim Loslassen der Taste wieder in ihre Ausgangsposition geschoben und der Luftstrom durch die jeweilige Pfeife unterbunden wurde.[5]

Wie der Luftstrom überhaupt erzeugt wurde, ist streng genommen nicht bekannt, weil die Windanlage nicht erhalten ist. Wahrscheinlich war diese getrennt von der restlichen Orgel aufbewahrt und geriet beim Brand des Kollegiengebäudes nicht mit in den Brandschutt. Das Funktionieren antiker Orgeln lässt sich aber durch zeitgenössische Schriftquellen rekonstruieren. Der Luftstrom wurde durch einen Gehilfen mittels eines Blasebalgs erzeugt und in ein Gefäß, das mit Wasser gefüllt war, geleitet. Bei jedem Pumpvorgang wurde innerhalb dieses Gefäßes eine Luftblase gebildet beziehungsweise vergrößert. Der Wasserdruck presste diese Luftblase jedoch durch eine Öffnung im Gefäß, von wo die Luft zu den Pfeifen geleitet wurde. Diese Konstruktion sorgte dafür, dass kontinuierlich ein gleichbleibender Luftstrom gebildet wurde, egal wie ungleichmäßig der Gehilfe den Blasebalg bediente.[6]

Die Einzelteile der Orgel bestanden aus unterschiedlichen Metalllegierungen auf Kupferbasis. Intensive Abnutzungsspuren zeugen von der häufigen Benutzung der Orgel. Einige der Teile mussten sogar ausgetauscht werden und wurden durch Neuanfertigungen aus Eisen ersetzt.[7] Einzelne Teile, darunter wohl auch der Kern der Tasten, waren aus Holz gefertigt, von denen sich aber nur geringe Reste erhalten haben. Die Windlade war aus Fichtenholz, die Stöpsel der gedackten Pfeifen aus Eichenholz, einer aus Ulme.[8]

Zur Musik lässt sich sagen, dass die Orgel wahrscheinlich einen härteren, herberen Klang hatte als heutige Orgeln. Vermutlich ließ sie sich auch nicht sonderlich schnell spielen, sodass Triller oder schnelle Läufe nicht möglich waren.[9] Bei dreien der Register waren die Pfeifen gedackt, bei einem offen. Der Tonumfang lag wahrscheinlich im Bereich zwischen einer Oktave und einer Duodezime.

Rekonstruktionen

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Es wurden seit 1935 verschiedene Nachbildungen angefertigt, die unterschiedliche mögliche Funktionsweisen abbildeten.

Jahr Erbauer Aufbewahrung Bild Windzufuhr Tonumfang Bemerkungen
1935 Emil Angster Aquincum Museum Budapest
op. 1102, 1970 Restaurierung, evtl. zweites Modell vorhanden
1936 Emil Angster Museum in Rom? (Mostra Augusteana 1938) Verbleib unklar, op. 1121
1965, 1966, 1969 Werner Walcker-Mayer Privatbesitz drei Modelle[10]
2005/2006 Martin Braun, Justus Wilberg Privatbesitz
hydraulisch vier verschiedene Tonarten, auch im plenum spielbar wird regelmäßig in Konzerten aufgeführt[11]
2012 Michael Zierenberg, Susanne Rühling Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz; Privatbesitz hydraulisch Oktave zwei identische Modelle, unter Mitwirkung von Schuke Orgelbau[12][13]

Weitere römische Orgelfragmente

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Die heutige Orgel ist letztlich eine antike Erfindung. In Schriftquellen der griechisch-römischen Zeit werden solche Instrumente wiederholt als „Hydra“, „Hydraulia“ oder „Hydraulis“ erwähnt und auch mehrere bildliche Darstellungen zeigen Orgeln. Erhalten sind jedoch nur drei Exemplare, von denen die Orgel von Aquincum das mit Abstand vollständigste Exemplar ist.

  • Wasserorgel von Dion, Griechenland, 1. Jahrhundert v. Chr., älteste Reste einer römischen Orgel
  • Orgel von Aventicum (Avenches), Schweiz, etwa 1./3. Jahrhundert n. Chr., nur wenige kleine Teile erhalten
  • Ernő Gegus, Eugene L. Szonntagh: Roman copper alloys and the Aquincum organ. In: International Symposium Organ of Classical Antiquity. The Aquincum Organ A.D. 228. Musikwissenschaftlicher Verlag, Kleinblittersdorf 1997, S. 79–83.
  • Melinda Kaba: Die römische Orgel von Aquincum (3. Jahrhundert) (= Musicologia Hungarica. Neue Folge, Band 6). Bärenreiter, Kassel u. a. 1976, ISBN 3-7618-0541-1.
  • Lajos Nagy: Az aquincumi orgona [Die Orgel von Aquincum]. Budapest 1933.
  • Judit B. Perjés: Geschichte der Restaurierung der römerzeitlichen Orgel von Aquincum. In: International Symposium Organ of Classical Antiquity. The Aquincum Organ A. D. 228. Musikwissenschaftlicher Verlag, Kleinblittersdorf 1997, S. 119.
  • Susanne Rühling: Imponieren, Brillieren, Musizieren – Orgelklänge für Gott, Kaiser und den Sport. In: Falko Daim, Dominik Heher, Claudia Rapp (Hrsg.): Menschen, Bilder, Sprachen, Dinge. Wege der Kommunikation zwischen Byzanz und dem Westen. Band 1: Bilder und Dinge (= Byzanz zwischen Orient und Okzident. Band 9,1). Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Mainz 2018, S. 105–123 (PDF).
  • Kilián Szigeti: Die ungelösten Probleme der römischen Orgel von Aquincum. In: Studia Musicologia, 13, 1971, S. 1–13.
  • Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970 (mit Hintergrundinformationen zur antiken Musiktheorie).
Commons: Orgel im Museum Aquincum – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. AE 1934, 118
  2. Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970, S. 12.
  3. Melinda Kaba: Die römische Orgel von Aquincum (3. Jahrhundert). Bärenreiter, Kassel u. a. 1976, ISBN 3-7618-0541-1, S. 7–8.
  4. Jean Perrot: The Organ from its Invention in the Hellenistic Period to the end of the Thirteenth Century. Oxford University Press, New York/Toronto 1971, S. 116.
  5. Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970, S. 16–22 und S. 46–49.
  6. Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970, S. 39–41.
  7. Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970, S. 21 und 34–36.
  8. Susanne Rühling: Imponieren, Brillieren, Musizieren – Orgelklänge für Gott, Kaiser und den Sport. In: Falko Daim, Dominik Heher, Claudia Rapp (Hrsg.): Menschen, Bilder, Sprachen, Dinge. Wege der Kommunikation zwischen Byzanz und dem Westen. Band 1: Bilder und Dinge. Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Mainz 2018, S. 105–123, hier S. 107.
  9. Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970, S. 58.
  10. Werner Walcker-Mayer: Die römische Orgel von Aquincum. Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1970, S. 43.
  11. Unser Nachbau Hydraulis.de
  12. Antike Orgelklänge Susanne Rühling Blog
  13. Nachbau einer antiken römischen Orgel nach einem Fund in Budapest (Memento des Originals vom 20. April 2019 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/web.rgzm.de Römisch-Germanisches Zentralmuseum