Oseberg-Stil

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Der Oseberg-Stil (auch: Broa-Stil oder Früher Wikingerstil) ist ein wikingerzeitlicher Kunststil in Skandinavien. Sein Verbreitungszeitraum reicht vom Ende des 8. bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts. Benannt ist er nach seinen Leitfunden aus dem Schiffsgrab von Oseberg am Oslofjord. Er tritt an hölzernen und metallenen Gebrauchsgegenständen und Schmuckstücken aus dieser Zeit auf.

Zeittafel der Kunststile der Wikingerzeit

In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts entstand im westlichen Skandinavien aus Einflüssen der spätantiken römischen Kunst, keltischen Motiven und Motiven der asiatischen Steppenvölker (Skythen, Sarmaten) der Germanische Tierstil. Er ist gekennzeichnet durch stilisierte Tierfiguren, deren Proportionen und Anatomie im Laufe der Zeit vollends der Ornamentik untergeordnet werden. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts entwickelte sich die letzte Stufe dieser Tierstile, bezeichnet als Tierstil III oder Vendel E (nach einem großen Bootsgräberfeld in Uppland, Schweden). Im Tierstil III sind die ursprünglichen Tierformen mit Rankenwerk aus irischen und angelsächsischen Einflüssen angereichert und in kurvenreich ineinander verschlungene Muster aufgelöst. Dieser Stil stellt das Endprodukt aus den seit Jahrhunderten verwendeten Motiven dar.

Der entscheidende Impuls zur Entwicklung des Osebergstiles ist die Einführung des so genannten Greiftieres, einem nicht näher zu bestimmenden tierartigen Wesens, dessen Formen fließend an die jeweiligen Erfordernisse angepasst wurden. Die Herkunft des Greiftieres ist vielleicht in Löwendarstellungen der karolingischen und angelsächsischen Kunst zu suchen[1], deren Kenntnis sich vom fränkischen Reich aus nach Nordeuropa ausbreitete. Andere Autoren vermuten eichhornartige Tiere, wie sie in englischen Buchmalereien vorkommen, als Vorlage.[2]

Charakterisierung

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Der Tierkopfpfosten des Akademikers, Stilformen des Germanischen Tierstil III. Holzpfosten mit unklarem Zweck, vermutlich aus Ahornholz, um 800, Fundort Oseberg, Norwegen.

Die Kunststile der Wikingerzeit sind Ornamentstile, die sich aus drei Motivbereichen zusammensetzen:

  • Figuren, also Menschen- und Tierdarstellungen (zu denen das Greiftier gehört)
  • Pflanzendarstellungen (Ranken, Blätter)
  • geometrische Figuren (Kreise, Dreiecke, Spiralen)

Der Oseberg-Stil besteht vor allem aus mehr oder weniger stilisierten Tierdarstellungen, wie sie aus dem vorhergehenden Tierstil III bekannt sind, die jedoch durch das Greiftier ergänzt werden. Teilweise sind die Tierfiguren zu langen bandförmigen, ineinander verschlungenen Figuren auseinandergezogen. Mit dem im Oseberg-Stil erstmals auftretenden Greiftier schufen die wikingischen Kunsthandwerker eine Figur, deren Körperpartien man so anordnen konnte, dass sie jede denkbare Form harmonisch ausfüllten.

Detail vom Bug des Osebergschiffes. Schnitzereien mit greiftierähnlichen Motiven: Kurze kompakte Hüftpartien und Greifklauen.

Die Verwendung des Greiftieres nimmt im Laufe der Entwicklung zu und verdrängt zum Teil andere Motive. Der Name Greiftier leitet sich von der typischen Darstellungsweise ab, bei der die Tatzen des meist kompakt dargestellten Greiftieres entweder in umgebende Elemente der Verzierungen greifen oder sich daran festkrallen. Das Motiv des Greiftieres tritt auf bronzevergoldeten Beschlägen eines Zaumzeuges auf, das in einem Männergrab in Broa auf Gotland gefunden wurde. Auch auf Teilen der Funde aus dem Oseberg-Schiff findet man das Greiftier. Hier wurde es – im Gegensatz zum Fund aus Broa, wo es sparsam neben den älteren Formen des Tierstils eingesetzt wurde – teilweise als vorherrschendes Motiv verwendet. Besonders auf einigen der fünf jeweils in einen geschnitzten Tierkopf auslaufenden Pfosten, die zum Oseberg-Fund gehören, wurde das Greiftier gehäuft benutzt. Diese Pfosten, deren ursprünglicher Zweck heute unbekannt ist, sind das Werk dreier Holzschnitzer. Der Älteste von ihnen – um 800 – ist noch ganz dem alten Tierstil III verhaftet. Wegen der nahezu perfekten Sicherheit, mit der er den Tierstil beherrscht, wird er als „Der Akademiker“[3] bezeichnet. Der Mittlere („Der Karolinger“) benutzt schon das Greiftiermotiv. Die Schnitzwerke des Jüngsten, wegen seiner überquellenden Formen „Der Barockmeister“ genannt, bestehen fast ausschließlich aus kunstvoll ineinander greifenden Motiven des neuen Stils. Er war etwa um 850 tätig und beherrschte ihn perfekt.

Der Oseberg-Stil ist durch die gemeinsame Benutzung der bisherigen Formen des Tierstils mit dem neuen charakteristischen Greiftiermotiv gekennzeichnet. Auf den Funden aus der Broa-Werkstatt finden sich drei Motivgruppen. In den stark stilisierten bandförmigen Tiermotiven mit ihren rankenartigen Auswüchsen finden sich Tierstilwurzeln. Als zweites Element sind halbnaturalistische Vögel und Tiere zu sehen, wie sie auch von fränkischen Manuskripten und Beschlägen bekannt sind. Das hier neu als dritter Hauptbestandteil auftretende Greiftier ist auch in späteren Stilrichtungen der wikingerzeitlichen Kunst eines der prägendsten Elemente geblieben. Die ersten beiden der genannten Motivgruppen werden immer im Profil dargestellt. Die Darstellung der Greiftiere hingegen erfolgt en face.[4][5] Auf den Funden aus Broa sind die drei Motivgruppen gleichberechtigt nebeneinander benutzt worden. Die Werke des Barockmeisters von Oseberg hingegen beschränken sich fast ausschließlich auf die Benutzung des Greiftieres. Im Oseberg-Stil ist das Greiftier noch kompakt mit kurzem Körper und gedrungenen Gliedmaßen. Große Tatzen greifen, oftmals knotenartig verschlungen, in die benachbarten Elemente der Muster, das nächste Greiftier oder den eigenen Körper. Dabei kann es wie bei den Pfosten des Barockmeisters von Oseberg in flächendeckenden Mustern auftreten. Das Relief ist sehr plastisch und weist mehrere Ebenen auf. Dadurch sind im Gegensatz zu Schnitzereien im traditionellen Tierstil völlig neue Licht- und Schattenwirkungen möglich. Typisch für die Greiftiere beim Osebergstil sind – wie bei allen frühen Wikingerstilen – im Gegensatz zum restlichen Körper kleine Köpfe und Tatzen.

Teilweise wird in der Literatur vom eigentlichen Oseberg-Stil noch der Berdal-Stil unterschieden, benannt nach einem Fundort in Norwegen. Der Berdal-Stil „zeichnet sich durch beinahe karikatureske Darstellungen von Tieren mit überproportionalen Köpfen und segmentierten Körpern aus“.[6] Dabei ist vor allem die Kopfpartie stark vergrößert. Das Greiftier wird meist halb plastisch und von vorne dargestellt. Der Berdal-Stil wird von ca. 800 bis 850 eingeordnet.[7]

  • Fünf Tierkopf-Pfosten aus Ahornholz von Oseberg, Vestfold, Norwegen, Universitetets Oldsaksamling, Oslo
  • Zaumzeugbeschläge aus vergoldeter Bronze von Broa, Gotland, Schweden, Statens Historisk Museum, Stockholm
  • Silberne Knaufkrone eines Schwertes von Rostock-Dierkow, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland[11]
  • Bronzene Plättchen auf Griffstangen und Knaufkrone eines Schwertes von Steinsvik, Nordland, Norwegen[12]
  • Tierförmige Fibel aus Bronze von Kaupang, Vestfold, Norwegen, Universitetets Oldsaksamling, Oslo[13]
  • Reinhard Barth: Taschenlexikon Wikinger. Piper, München Zürich 2002, ISBN 3-492-23420-8 (Kurzdarstellung)
  • Régis Boyer: Die Wikinger. Klett-Cotta, Stuttgart 1994, ISBN 3-608-93191-0
  • Ewert Cagner: Die Wikinger. 3. Auflage. Burkhard-Verlag Ernst Heyer, Essen 1992, ISBN 3-87117-000-3 (mit mehreren detaillierten Beispielzeichnungen von Kunstwerken im Osebergstil)
  • Torsten Capelle: Kultur- und Kunstgeschichte der Wikinger. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-02509-1
  • Hildegard Elsner: Wikinger Museum Haithabu: Schaufenster einer frühen Stadt. 2. Auflage. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1994 (Übersicht über einzelne Stile mit Beispielzeichnungen)
  • James Graham-Campbell: Das Leben der Wikinger. Universitas Verlag in F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München 1993, ISBN 3-8004-1297-7 (populärwissenschaftlich, ausführliche Darstellung und Fotos)
  • Joachim Hermann [Hrsg.]: Wikinger und Slawen. Akademie-Verlag, Berlin 1982 (Übersicht mit Beispielzeichnungen)
  • Arnold Muhl und Rainer-Maria Weiss: Wikinger, Waräger und Normannen: die Skandinavier und Europa 800 bis 1200. Staatliche Museen, Preussischer Kulturbesitz, Berlin 1992, ISBN 3-88609-304-2 (Ausstellungskatalog mit Text-Beiträgen und Bildern im Katalogteil)
  • Michael Müller-Wille und Lars Olof Larsson: Tiere – Menschen – Götter. Wikingerzeitliche Kunststile und ihre neuzeitliche Rezeption. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-86309-8 (zur zeitlichen Einordnung hölzerner Funde und Dauer einzelner Kunststile)
  • Erik Graf Oxenstierna: Die Wikinger und Nordgermanen. Fourier Verlag GmbH, Wiesbaden 2003, ISBN 3-932412-49-4 (populärwissenschaftlich, ausführlich zum Osebergfund, mit Zeichnungen)
  • Rudolf Pörtner: Die Wikinger-Saga. Econ Verlag GmbH, Wien und Düsseldorf Neuauflage 1990, ISBN 3-430-17517-8 (populärwissenschaftlich, sehr ausführlich zum Osebergfund)
  • Bernhard Salin: Die altgermanische Thierornamentik. Neue Auflage 1981. Fourier Verlag GmbH, Wiesbaden, Reprint d. Orig.-Ausg. 1935, ISBN 3-921695-60-0 (Darstellung der Entwicklung der germanischen Tierornamentik und Einteilung in die Stile I, II und III)
  • Haakon Shetelig: Vestfoldskolen. Osebergfundet III. Kristiania 1920 (wissenschaftliche Bearbeitung der Osebergfunde)
  • A. G. Smith: Viking Designs. Dover Publications Inc., Mineola 1999, ISBN 0-486-40469-2 (zahlreiche ungeordnete Zeichnungen verschiedener wikingerzeitlicher Stile)
  • Annemarieke Willemsen: Wikinger am Rhein 800 - 1000. Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2004, ISBN 3-8062-1909-5 (Ausstellungskatalog, Zeittafel einzelner Kunststile)

Einzelnachweise

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  1. Pörtner: Wikinger-Saga, Seite 210f.
  2. Fuglesang in: Muhl/Weiss: Wikinger. Seite 177.
  3. Bezeichnung der unterschiedlichen Schnitzmeister nach Shetelig: Osebergfundet III.
  4. Siehe Müller-Wille & Larsson: Tiere - Menschen - Götter, Seite 218.
  5. Siehe Elsner: Wikinger Museum Haithabu, Seite 62.
  6. Boyer: Die Wikinger, Seite 341.
  7. Willemsen: Wikinger am Rhein, Seite 51.
  8. nach Meehan: Celtic Design, Seite 37.
  9. nach Smith: Viking Design, Seite 4.
  10. nach Smith: Viking Design, Seite 40.
  11. Kurz beschrieben in: Müller-Wille & Larsson: Tiere - Menschen - Götter, Seite 225.
  12. Müller-Wille & Larsson: Tiere - Menschen - Götter, Seite 225. Das Schwert selbst ist vom Typus her fränkisch, die Verzierungen skandinavisch.
  13. Darstellung in Muhl/Weiss: Wikinger. Seite 235.