Paul-André Lobstein

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Paul-André Lobstein (2. Januar 1923 in Straßburg12. November 2012 ebenda)[1] war ein Kämpfer der Résistance, Häftling in den Konzentrationslagern KZ Royallieu – Compiegne, Buchenwald, Ravensbrück und dem KZ-Außenlager Malchow.

Paul-André Lobstein stammt aus einer bekannten Straßburger Ärztefamilie. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt begann er das Medizinstudium an der 1940 nach Clermont-Ferrand umgesiedelten Université de Strasbourg[2], wobei sich der Elsässer der völkerrechtswidrigen Zwangsrekrutierung zur Wehrmacht (Malgré-nous) entzog. Im Februar 1943 trat er unter seinem Mitstudenten Paul Robert Gandar[3][4] der Armée secrète der Region Clermont–Ferrand bei.

Am Nachmittag des 24. Juni 1943 waren in der Wohnung des Gymnasiallehrers Jean-Michel Flandin (1909–1969), dem Regionalleiter des Mouvements unis de la Résistance, zwei Polizeiagenten der deutschen SiPo–SD[5] erschossen worden. Flandin war dabei nicht anwesend. Um 1.30 Uhr des Folgetages umstellten Mitglieder der SD-SiPo von Clermont-Ferrand das Studentenwohnheim „Gallia“ der Université de Strasbourg[6]. Sie verhafteten 39 elsässische und lothringische Studenten, darunter den zwanzigjährigen Lobstein[7] sowie Paul Robert Gandar. Die 39 Studenten wurden zur deutsch belegten Kaserne des 92. Infanterieregiments verbracht, von dort am 26. Juni in das Gefängnis La Mal Coiffée von Moulins (Allier). Am 18. Juli wurden die jüdischen Studenten in das Sammellager Drancy transportiert, die „arischen“ Studenten in das Konzentrationslager Royallieu in Compiègne.

Konzentrationslager Compiègne und Buchenwald

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Häftlingskarte Paul–André Lobsteins mit der Häftlingsnummer 31307

Der Aufenthalt im deutschen Konzentrationslager Royallieu von Compiègne wurde von den Häftlingen der Gruppe „Gallia“ als erträglich beschrieben. Paul Hagenmuller (1921–2017): „Abgesehen von einigen Strafarbeiten wird nicht gearbeitet. Schläge sind seltener als im Gefängnis (La Mal Coiffée). Bücher vom Roten Kreuz und Pakete sind erlaubt. ... Aber, und das möchte ich betonen, die ersten Studenten der Universität werden in voller körperlicher und geistiger Kraft nach Buchenwald und seinen Kommandos aufbrechen. Das macht den tragischen Anteil der Todesfälle in der Folgezeit umso bedeutsamer“[8]. Lobstein war einer der 933 Männer, die mit dem Convoi 28 nach zwei Tagen Fahrt das Konzentrationslager Buchenwald erreichten[9]. Dort erhielt er die Häftlingsnummer 3107 und wurde Block 26 zugeteilt[10].

Konzentrationslager Dora

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Am 28. September 1944 wurde Lobstein dem Konzentrationslager Dora überstellt und als Medizinstudent der Tuberkulosestation des Krankenreviers, Block 39 A, zugewiesen. Er wurde so zu einem bedeutenden Zeugen für die Behandlung Tuberkulosekranker und den Umgang mit ihnen im Konzentrationslager Dora[11][12]: „Block 39 A,..., sollte gleich nach seiner Eröffnung gegen Ende Oktober (1944) ausschließlich Tuberkulosekranke aufnehmen. Bald schon genoss er einen finsteren Ruf. ... Außerdem stand das viel geräumigere neue Krematorium in zwanzig Metern Entfernung von der Baracke, sodss es bald schon nicht mehr nötig war, telefonisch die Leichenträger anzufordern, die jeden Morgen die Toten der Nacht wegräumten“[13]. Im Rahmen seiner Tätigkeiten war er Zeuge des Todes von Claude Thomas[14][15] (2. März 1905–6. November 1944), Juraprofessor der Universität Strasbourg, und des belgischen Studenten Marcel Lejeune[16] (4. August 1922–19. Januar 1945). Außerdem bezeugte er, dass der Straßburger Student Alphonse Emile Heckly[17][18] (27. Juni 1913–27. März 1945) Opfer einer tödlichen Selektion geworden war.

Am 5. April 1945 verließ Lobstein mit dem letzten Evakuierungstransport von 4.000 Häftlingen das Lager Dora; Zielort war das Konzentrationslager Oranienbourg-Sachsenhausen. Der Zugtransport endete bereits in Osterode. Hier wurden 416 Häftlinge, die zu schwach für den Weitermarsch waren, in verschlossenen Waggons zurückgelassen. Nach 40 Kilometer Marsch erreichte die Kolonne Oker bei Goslar, von wo der Zugtransport fortgesetzt werden konnte. Weil die Lagerleitung des KZ Oranienburg–Sachsenhausen sich weigerte, die Kolonne aufzunehmen, wurde das zum KZ-Ravensbrück gehörige JugendkonzentrationslagerKZ Uckermark angesteuert. Dort kam der Transport am 14. April um 16 Uhr an. Lobstein erhielt die Häftlingsnmmer 15979. Die Häftlinge mussten Panzergräben gegen die anrückende Sowjetarmee ausheben.

Am 26. April wurde auch dieses Lager evakuiert und die SS trieb die Häftlinge zu Fuß in Richtung Westen. Am 28. April erreichte die Kolonne das Ravensbrück-Aussenlager Malchow. Am 1. Mai wurde der Marsch in Richtung Westen fortgesetzt. Nach und nach lösten sich die Marschgruppen auf; die Bewacher flohen. Am 8. Mai wurde Lobstein in Spornitz bei Parchim befreit[19]. Am 16. Mai 1945 meldete er sich im Repatriierungszentrum von Lille[20].

Nach dem Krieg heiratete Lobstein am 3. Juli 1950 Yvonne Lobstein, geb. Henry (* 1926), die an derselben Universität studiert hatte und bei der Razzia vom 23. November 1943 in Clermont–Ferrand kurzzeitig verhaftet worden war. Beide waren nach dem Krieg als Augenärzte in Straßburg tätig[21]. Im Jahre 1953 war er Liquidator der Gruppe „Jean Cavaillès“, der „Association des déportés politiques et déportés résistantes der Universität Straßburg“. Er erhielt eine Invalidenpension von 100 % und zusätzlich 50 % für die Erkrankungen als Folge der Deportation[22].

  • Chevalier de la Légion d`Honneur
  • Médaille de la déportation pour faits de Résistance

Einzelnachweise

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  1. Lionel Roux: Lobstein, Paul–André. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 1428–1429.
  2. Henning Schmidgen: Von der Universität ins Konzentrationslager. Die Témoignages strasbourgois im Kontext. In: Anett Dremel, Michael Löffelsender, Jens Christian Wagner (Hrsg.): Témoignages strasbourgois. Berichte französischer Überlebender der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora. Buchenwald und Mittelbau-Dora. Berichte und Dokumente. Band 1. Wallstein, Göttingen 2024, ISBN 978-3-8353-5771-6, S. 9–14.
  3. Lionel Roux: Paul Gandar. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 907.
  4. Robert Gandar. In: Musée de la Résistance en ligne. Fondation de la Résistance (Département AERI) - 2010- 2024, abgerufen am 21. November 2024 (französisch).
  5. Thomas Fontaine: Polizisten und deutsche Agenten im besetzten Frankreich. In: Chemins de Mémoire. Ministère de l`Armée. Bureau de l'Action Pédagogique et de l'Information Mémorielles, abgerufen am 19. November 2024.
  6. 1943-1944 RAIDS AND ARRESTS IN THE UNIVERSITY BUILDINGS JUNE 24, 1943: RAID IN GALLIA, STREET RABANESSE, HEARTH OF THE LORRAINE ALSATIAN STUDENTS. Abgerufen am 19. November 2024 (englisch).
  7. Sebastian Hammer, Maelle Lepitre: Témoignages strasbourgois. Berichte französischer Überlebender der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora. In: Anett Dremel, Michael Löffelsender, Jens Christian Wagner (Hrsg.): Buchenwald und Mittelbau-Dora. Band 1. Wallstein, Göttingen 2024, ISBN 978-3-8353-5771-6, S. 387.
  8. Paul Hagenmuller: La Rafle du 25 Juin 1943. In: Prosper Alfaric, Faculté de Lettre de strasbourg (Hrsg.): Témoignages strasbourgeois : De l'université aux camps de concentration. Presses universitaires de Strasbourg (Strasbourg), Straßburg 6. Januar 2019, S. 4 (französisch, bnf.fr [abgerufen am 20. November 2024] Erstausgabe: 1947).
  9. André Sellier: CONVOI du 28 OCTOBRE 1943. COMPIEGNE - BUCHENWALD. In: Mémorial du Wagon de la Déportation. Fondation pour la Mémoire de la Déportatio, Februar 2010, abgerufen am 20. November 2024 (französisch).
  10. Akte von LOBSTEIN, PAUL, geboren am 02.01.1923. In: Arolsen Archives Online-Collections. Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution, 2021, abgerufen am 20. November 2024.
  11. Philipp Kiosze, Florian Steger: The Everyday Life of Patients With Tuberculosis in the Concentration Camp of Mittelbau-Dora (1943–1945). In: Frontiers in Medicin. Kåre Mølbak, Statens Serum Institut (SSI), Denmark, 25. September 2020, S. 55,66,86,88,141,144,150,182, abgerufen am 20. November 2024 (englisch).
  12. Philipp Kiosze: Medizinischer Alltag in einem Konzentrationslager der letzten Kriegsphase (1943-1945) Die Krankenversorgung im KZ Mittelbau-Dora. In: OPARU (Open Access Repositorium der Universität Ulm). 2020, abgerufen am 20. November 2024.
  13. Paul-André Lobstein: Block 39 A im Revier von Dora. In: Anett Dremel, Michael Löffelsender, Jens Christian Wagner (Hrsg.): Témoignages strasbourgois. Berichte Überlebender der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora. Buchenwald und Mittelbau-Dora. Berichte und Dokumente. Band 1. Wallstein, Göttingen 2024, ISBN 978-3-8353-5771-6, S. 268–273.
  14. Roger Lefort: La Résistance des professeurs et étudiants de L'université de Strasbourg. In: Mémoire et Espoirs de la Résistance. Association des amis de la Fondation de la Résistance. Association déclarée – Loi 1901, abgerufen am 20. November 2024 (französisch).
  15. André Janson: Thomas, Claude. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 2188.
  16. Joelle Hellebold–Allouchery: Lejeune, Marcel. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 1363 f.
  17. Jacques Ghémard: 64 dossiers correspondant à votre recherche parmi 596928 dossiers administratifs de résistants du SHD. In: Les Français Libres, de juin 1940 à juillet 1943. 1. Januar 2024, abgerufen am 20. November 2024 (französisch).
  18. Lionel Roux: Heckly, Alphonse. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 1097.
  19. Regine Heubaum: Zwischen Harz und Heide. Todesmärsche und Räumungstransporte im April 1945 : Die Räumung des KZ Mittelbau. In: Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Regine Heubaum, Jens-Christian Wagner, i.A. der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, April 2015, S. 116-117, abgerufen am 21. November 2024.
  20. Lionel Roux: Lobstein, Paul–André. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 1429.
  21. Florence Grandon: Rafle d'universitaires strasbourgeois à Clermont-Ferrand en 1943 : "les Allemands supposaient, à raison, qu'il y avait beaucoup de résistants parmi eux". 25. November 2023, abgerufen am 19. November 2024 (französisch).
  22. Lionel Roux: Lobstein, Paul–André. In: Laurent Thiery (Hrsg.): Le Livre des 9000 Déportés de France à la Mittelbau–Dora. Cherche Midi, Paris 2020, ISBN 978-2-7491-6473-1, S. 1429.