Paulina Stulin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Paulina Stulin am Zeichentisch (2020)

Paulina Stulin (* 1985 in Breslau, Polen) ist eine deutsche Comic-Künstlerin aus Darmstadt. Ihre Comics sind hauptsächlich autobiografisch geprägt. Insbesondere für ihr drittes Werk Bei mir zuhause aus dem Jahr 2020 erhielt sie größere Aufmerksamkeit. Sie zeichnet darin kleinere und größere Episoden aus etwa einem Jahr ihres Lebens nach. 2022 illustrierte sie erstmals einen Comic, den sie nicht selbst verfasst hatte; die Adaption Freibad entstand parallel zum gleichnamigen Film von Doris Dörrie.

Paulina Stulin wurde 1985 in Breslau, Polen, geboren und kam ein Jahr nach ihrer Geburt mit ihren Eltern nach Deutschland. Nach ihrem Realschulabschluss absolvierte sie eine Ausbildung als Sozialassistentin und erlangte anschließend ihre Fachhochschulreife mit Schwerpunkt Sozialwesen. Zunächst versuchte es Stulin mit Sozialer Arbeit, brach dieses Studium allerdings ab.[1] Von 2007 bis 2012 studierte sie Kommunikationsdesign in Darmstadt und absolvierte ein Semester an der Akademie der Bildenden Künste Krakau.[2] Ihr erster Comic entstand als Entwurf für ihr Studium, die Autorin adaptierte die Kurzgeschichte Theobald und Theodor von Jostein Gaarder.[3] Sie schloss ihr Studium an der Hochschule Darmstadt als Diplom-Designerin ab. Stulin zeichnet bereits seit ihrer Kindheit, laut Aussage der Autorin habe ihre lebenslange Leidenschaft durch Scott McClouds Comics endlich einen Zweck gefunden.[4]

2014 erschien ihre erste Veröffentlichung Mindestens eine Sekunde und höchstens dein ganzes Leben beim Jaja Verlag; es handelt sich um die Diplomarbeit der Autorin.[1] In der biografisch geprägten Geschichte erzählt sie von Agnieszka, die ihr Studium an der Kunsthochschule in Krakau beginnt. Ihre Mutter ist wenig begeistert über die Rückkehr der Tochter in die alte Heimat, aus der sie geflohen ist. Agnieszka genießt ihre Freiheit als Studentin, sucht nach künstlerischer Inspiration und macht erste Erfahrungen mit harten Drogen, sieht sich in der Fremde aber auch das erste Mal mit sich selbst konfrontiert.[5]

Stulins zweiter Comic The Right Here Right Now Thing erschien noch im gleichen Jahr und Verlag wie ihr Debüt. Sie erzählt darin von einem Besuch bei Studienfreunden in Krakau. Dort hat sie einen One-Night-Stand mit einem Fremden.[6] Dessen Gesicht wird nur als schwarze Fläche dargestellt, er soll dadurch nicht nur rätselhaft wirken, die gesichtslose Darstellung diene auch der besseren Identifikation des Lesers. Das erste Skript des Comics entstand innerhalb von etwa zehn Stunden im Oktober 2013, für die vollständige Umsetzung brauchte die Künstlerin sechs Monate.[2]

An ihrem dritten und bisher umfangreichsten Werk Bei mir zuhause mit mehr als 600 Seiten arbeitete Stulin über fünf Jahre lang, bevor es 2020 vom Jaja Verlag publiziert wurde. Sie schildert darin kleinere und größere Episoden aus etwa einem Jahr ihres Lebens.[7] Ihr Atelier befindet sich in ihrer Dachgeschosswohnung in Darmstadt, in der sie seit ihrem 18. Lebensjahr wohnt und zeichnet, und diese stellt den zentralen Handlungsort dar. Die Künstlerin lässt dabei bewusst offen, was genau biografisch korrekt wiedergegeben ist, um ihre Erzählung in Teilen drastischer darstellen zu können. Der Comic sei auch eine Mutprobe gewesen, der Kampf mit der Scham gehöre als wichtiger Bestandteil zur Geschichte.[1]

Anfang 2021 kam es zu einer Zusammenarbeit mit Doris Dörrie. Diese war wegen „ihres fantastischen Buchs“ Bei mir zuhause auf Stulin aufmerksam geworden und schrieb sie mit der Frage an, ob sie den Film Freibad als Comic adaptieren wolle. Stulin arbeitete parallel zur Entstehung des Films an ihrer Umsetzung, dabei griff sie vor allem auf unterschiedliche Drehbuch- aber auch Schnittfassungen der Vorlage zurück. Im August 2021 besuchte Stulin für eine Woche die Dreharbeiten vor Ort. Der Comic ist keine exakte Umsetzung der Filmvorlage: Stulin nutzte zum einen ihre künstlerische Freiheit und fügte eigene Ideen hinzu, zum anderen finden sich dort Szenen, die zwar gedreht wurden, aber nicht im Film enthalten sind. Der Comic erschien im Juli 2022 beim Jaja Verlag, der Film kam im September 2022 in die deutschen Kinos.[8] Im Mittelpunkt des titelgebenden Freibads für Frauen stehen die Gäste, Mitarbeiter und insbesondere deren zahlreiche Auseinandersetzungen. Stammkundinnen fühlen sich etwa von neuen Besucherinnen in Burkinis gestört, oder durch den neuen Bademeister, der aus Bewerbermangel ein Mann ist.[9]

Stulin lebt und arbeitet in Darmstadt. Ihre Zeichnungen entstehen überwiegend digital am Rechner. Als Grundlage dienen Geschichten aus Stulins Tagebüchern, womit sie ihre „schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit“ wasche. Die Tagebucheinträge strukturiert sie mit Hilfe des Zeichenprozesses. Dabei arbeitet sie meist vom Großen ins Kleine, indem sie etwa mit der Aufteilung einer Doppelseite beginnt und diese zum Schluss koloriert.[1][10]

Neben ihrer Tätigkeit als Comiczeichnerin arbeitet Stulin als pädagogische Betreuung und gestaltet dort kreative Projekte für Jugendliche. Unter anderem bietet sie regelmäßige Malkurse in der Oetingervilla in Darmstadt an. Außerdem unterhielt sie den Podcast Pingpong mit Pauli, in dem sie Menschen aus ihrem Umfeld interviewt.[10][11][12] Zwischen April 2015 und Mai 2020 entstanden 27 Folgen. Jede Episode beginnt mit der Frage „Was ist deine Profession?“ und endet mit den sechs gleichen Fragen, die jedem Gast gestellt werden („Pauli Questionnaire“).[13][14] Seit Februar 2021 produziert sie den Podcast In Echtzeit, in dem sie aus ihren Tagebüchern vorliest. Die Reihe startete mit Einträgen von Anfang bis Mitte 2015.[15] Zu dem Projekt wurde Stulin angeregt, als sie während ihrer fünfjährigen Arbeit an Bei mir zuhause Autobiografien als Hörbuch konsumierte, beispielsweise von David Sedaris, Augusten Burroughs oder Doris Dörrie, und selbst regelmäßig Tagebuch schrieb.[16]

Veröffentlichungen (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Zusammenarbeit mit dem Verein Community for all entstand im Jahr 2019 die Ausstellung Break the Isolation – Portraits aus dem Abschiebegefängnis. Der Verein unterstützt Inhaftierte der Abschiebungshafteinrichtung Darmstadt, etwa durch Besuche vor Ort, bereitgestellte Mobiltelefone und vermittelte Rechtsberatung oder Dolmetscher. Mit der Ausstellung wollten Stulin und der Verein dazu beitragen, „Menschen und ihre Schicksale sichtbar zu machen“. Sie zeichnete acht Bilder in schwarz-weiß mit aquarellierbarem Buntstift auf braunem Papier. Sieben der Zeichnungen porträtieren jeweils einen Inhaftierten in frontaler Ansicht. Eine Illustration zeigt eine Außenansicht vom Abschiebegefängnis; in dem Ausschnitt sind vor allem vergitterte Fenster und Stacheldraht zu sehen. Die Werke sollen „Empörung auslösen“ und „emotionale Reaktionen hervorrufen“. Ebenso seien die Bilder als „politische Positionierung“ zu verstehen, die Stulin als „explizite Prämisse ihres künstlerischen Schaffens“ betrachtet.[17][18] Break the Isolation wurde an verschiedenen Veranstaltungsorten in Darmstadt ausgestellt, beispielsweise am 6. Mai 2019 beim Kulturprojekt 806qm[19] oder vom 1. bis zum 3. August 2021 im Amt für künstlerische Vermessung.[20]

Vom 27. September bis zum 19. Januar 2025 zeigt das Caricatura Museum für Komische Kunst eine Kabinettausstellung unter dem Titel „Paulina Stulin. Comics über Leben“ der Comic-Künstlerin und ihrer Werke. Zu sehen sind unter anderem Ausschnitte aus Bei mir Zuhause und Freibad.[10][21]

Kritiken und Auszeichnungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut Christian Muschweck bei comicgate sei Stulin mit Mit Mindestens eine Sekunde und höchstens dein ganzes Leben eine „runde kleine Novelle gelungen, die vor allem durch ihren durchdachten Aufbau überzeugt“. Trotz kleinerer Schwächen bleibe ein überzeugender Gesamteindruck. Stulin gelängen einige „durchaus schöne Seiten- und Bildkonstruktionen“, auf Dauer wirkten die Illustrationen „doch steril und eintönig“.[5]

Man bemerke einen deutlichen Unterschied zwischen ihrem Erstlingswerk und The Right Here Right Now Thing, schreibt Muschweck bei comicgate. Bei ihrem Debüt ginge es noch um die schädlichen Folgen von Drogenkonsum auf eine ungefestigte Persönlichkeit, während ihre zweite Publikation Drogen als legitimen „Bestandteil des Über-die Stränge-Schlagens, ein Hilfsmittel, um den Alltag möglichst schnell hinter sich zu lassen“ zeige. Kenne man „das Gefühl einer gelungenen Nacht und des Katers ohne Reue“, werde man The Right Here Right Now Thing lieben.[6] Im Jahr 2015 erhielt Stulin den ICOM Independent Comic Preis für The Right Here Right Now Thing in der Kategorie „Herausragendes Szenario“. Stulin wähle besondere Momente ihres Lebens aus und arrangiere diese in „Panels und Seitenlayouts zu erzählenswerten Geschichten“. Dabei komme die philosophisch tiefgründige Erzählung auf „leichten Füßen daher und nimmt sich dabei selbst nicht allzu ernst“.[22]

Insbesondere ihr drittes und bisher umfangreichstes Werk Bei mir zuhause fand größere mediale Beachtung. Für Andreas Platthaus stellt bereits Stulins Comicdebüt einen „fulminante[n] Start […] mit zwei autobiographischen Bänden in einem Jahr“ dar. Die äußerst komplexe dritte Veröffentlichung zeige deutlich, dass „sich Paulina Stulins Erzählgeschick extrem weiterentwickelt“ habe. Der Band sei ein Persönlichkeitsporträt, „das in dieser Intensität wenig Konkurrenz im deutschsprachigen Comic hat“.[7] Für Lydia Herms zeige die Graphic Novel eine „intime Auseinandersetzung der Autorin mit sich selbst“.[11] Bei Deutschlandfunk Kultur wird der Stil ihres dritten Werkes als eine „Mischung aus fotorealistisch und […] Impressionismus“ beschrieben.[4] Die Redaktion von Alfonz wählte Bei mir zuhause auf den zehnten Platz der Comics des Jahres 2020, der Titel sei eine „eindringliche Studie des mäandrierenden Lebens einer jungen Frau, die zwar weiß, was sie will, [...] aber ihren eigentlichen Platz in der Welt noch nicht gefunden hat“.[23] Auch Alex Jakubowski hält fest, dass Stulin stilistisch und zeichnerisch einen „großen Sprung“ gemacht habe. Ihre episodenhaften Geschichten seien mal „laut mit viel Text, mal leise, ganz ohne Worte“ gestaltet. Eine Leitmotiv ihrer Erzählung stelle dabei das Thema Zuhause dar.[1] In Strapazin spiegelt sich für Jonas Engelmann Zuhause in verschiedenen Aspekten wider, in der eigenen Wohnung und vertrauten Orten in Darmstadt, aber auch im Innenleben und Körper der Comicautorin.[24] Stulin wurde auch in der 3sat-Kulturzeit und im ARD-Nachtmagazin vorgestellt.[25][26] Der Comic wurde 2022 für den Max-und-Moritz-Preis nominiert.[27]

Im Mikrokosmos Freibad erzähle die Comicumsetzung des gleichnamigen Films von gesellschaftlichen Konflikten und Fragen unter anderem zu Körperpolitik, Frauenrechten oder kulturellen und religiösen Unterschieden, hält Lara Keilbart in Der Tagesspiegel fest. Die Geschichte bleibe durch „humorvolle Einwürfe und Situationen jedoch luftig und leicht verdaulich“. Man könne zwar über die Themen nachdenken, müsse es aber nicht. Dank Stulins weicher Linienführung, aufwendiger Kolorierung sowie ausdrucksstarker Mimik der Protagonistinnen „ziehen [die Zeichnungen] das Publikum nah an das Geschehen heran“.[9]

Commons: Paulina Stulin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e Alex Jakubowski: Alfonz 1/2021. Edition Alfons, Januar 2021, S. 55–56.
  2. a b Björn Bischoff: Herausragendes Szenario: "The Right Here Right Now Thing" von Paulina Stulin – Interview von Björn Bischoff. In: comic-i.com. 2016, abgerufen am 16. November 2020.
  3. Arkadiusz Łuba: »Theobald und Theodor«. In: h-da.de. 2009, abgerufen am 14. November 2020.
  4. a b Arkadiusz Łuba: Comic „Bei mir zuhause“ – Selbstbeobachtungen im Dachgeschoss. In: deutschlandfunkkultur.de. 21. Oktober 2020, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  5. a b Christian Muschweck: Mindestens eine Sekunde. In: comicgate.de. 12. März 2014, abgerufen am 18. September 2022.
  6. a b Christian Muschweck: The Right Here Right Now Thing. In: comicgate.de. 8. September 2014, abgerufen am 18. September 2022.
  7. a b Andreas Platthaus: Weltstadt Darmstadt. In: faz.net. 12. Oktober 2020, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  8. Pressemappe Freibad. (pdf) In: jajaverlag.com. 2022, abgerufen am 18. September 2022.
  9. a b Lara Keilbart: Comic-Komödie „Freibad“: In der Hitze des Sommers. In: tagesspiegel.de. 28. Juli 2022, abgerufen am 18. September 2022.
  10. a b c Künstlerin Paulina Stulin zeigt Comics in Frankfurt: „Kunst ist das einzig Echte im Leben“. In: Frankfurter Rundschau. 13. Oktober 2024, abgerufen am 12. November 2024.
  11. a b Lydia Herms: Das perfekte Buch für den Moment…wenn du deine Wohnung am Geruch erkennst. In: deutschlandfunknova.de. 18. Oktober 2020, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  12. Samba Gueye: Paulina Stulin: Über den Dreißig-werden-Blues. In: p-stadtkultur.de. Oktober 2020, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  13. Pingpong mit Pauli. In: fyyd.de. Abgerufen am 8. Juli 2023.
  14. Pingpong mit Pauli. In: archive.org. Abgerufen am 8. Juli 2023.
  15. In Echtzeit. In: spotify.com. Abgerufen am 8. Juli 2023.
  16. Palina Stulin: In Echtzeit. In: paulinastulin.de. Abgerufen am 8. Juli 2023.
  17. Matin Nawabi: Break The Isolation. In: p-stadtkultur.de. April 2020, abgerufen am 25. August 2023.
  18. Community for all: 4 Jahre Abschiebeknast Hessen: Ein Bericht über rassistische Politik, menschenunwürdige Behandlung und mutwilliges Versagen des Rechtsstaats. 1. Auflage. Darmstadt Februar 2020, S. 63–64.
  19. Break The Isolation – Portraits aus dem Abschiebegefängnis. In: 806qm.de. 2019, abgerufen am 25. August 2023.
  20. Break the Isolation – Vernissage & Vortrag. In: afkv.info. 2021, abgerufen am 25. August 2023.
  21. Paulina Stulin. Comics über Leben. In: Caricatura Museum für Komische Kunst. 2024, abgerufen am 12. November 2024.
  22. Max Höllen: Herausragendes Szenario – „The Right Here Right Now Thing“ von Paulina Stulin. In: comic-i.com. 2015, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  23. Matthias Hofmann: Alfonz 1/2021. Edition Alfons, Januar 2021, S. 19.
  24. Jonas Engelmann: Strapazin 12/2020 – Superheld*innen in der Krise. Strapazin, Dezember 2020, S. 73–74.
  25. Comicbuchtipp: "Bei mir zuhause". In: Kulturzeit. 9. Oktober 2020, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  26. TV-Beitrag »Spannende Graphic Novel aus Darmstadt« vom 6.10.2020 über »Bei mir zuhause«. In: Nachtmagazin. 14. Oktober 2020, abgerufen am 30. Oktober 2020.
  27. Martina Knoben: Fünf Favoriten der Woche: Eine Leica 105 für zwei bis vier Millionen. In: sueddeutsche.de. 11. Juni 2022, abgerufen am 29. Juni 2022.