Peter Scheibert

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Peter Scheibert (geboren 3. Mai 1915 in Groß-Lichterfelde; gestorben 31. März 1995 in Berlin) war ein deutscher Osteuropahistoriker.

Peter Scheibert war ein Sohn des preußischen Generalstabsoffiziers und Militärschriftstellers Friedrich Wilhelm Scheibert und der Johanne Prinz. Von einem Onkel hatte er in Ostpreußen ein Gut geerbt.[1] Nach dem Besuch des Realgymnasiums Lichterfelde studierte er ab 1933 in Berlin, Breslau und Königsberg (Preußen) Geschichte, Kunstgeschichte, Slawistik und Philosophie. Einer seiner Hochschullehrer in Königsberg war der Exilrusse Nikolaus von Arseniew.[1] Scheibert wurde Mitglied der SA,[2] und am 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei.[2]

Er unternahm Studienreisen in Nord- und Osteuropa, 1936 in die Pripjetsümpfe, 1938 hatte er einen Studienaufenthalt in Helsinki und promovierte im Juli 1939 in Berlin über ein Thema der finnischen Geschichte. Scheibert platzierte drei Beiträge in der nationalsozialistischen Zeitschrift Jomsburg – Völker und Staaten im Osten und Norden Europas. Nach Feststellung seiner Schülerin Inge Auerbach habe Scheibert sich einer neutralen Sprache bedient und nur gelegentlich aus der NS-Sprache rassistische Begriffe wie Verpolung und Umvolkung benutzt.[3]

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim Auswärtigen Amt eingestellt und arbeitete mit am deutschen Weißbuch zum Kriegsausbruch 1939.[4][5] Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande 1940 wurde er zeitweilig bei der Auswertung der dort erbeuteten politischen Akten eingesetzt.[2] Beim Unternehmen Barbarossa im Juli 1941 wurde er im Auswärtigen Amt dem Sonderkommando Künsberg zugeordnet, das den Aktenraub und Kunstraub organisieren sollte, Scheibert war in Belarus und Wilna eingesetzt. Am 15. Juli 1941 flog Künsbergs Privatpilot Münter einen Teil des „Einsatzkommandos Hamburg“ von „Adlerhorst“ nach Kaunas, Scheibert stieg in Königsberg zu.[6] Politischer und militärischer Leiter des Einsatzkommandos war Hellmut Haubold, Scheibert war Leiter des Arbeitsstabes Archivkommission und gleichzeitig einer der Dolmetscher. Am 3. August 1942 wurde Scheibert als Mitglied und Sachbearbeiter Politik im „Einsatzkommando Süd B (Wolga)“ in Marsch gesetzt, die Gruppe beschlagnahmte in Stalingrad und Kalatsch unter Artilleriebeschuss hauptsächlich wirtschaftliche und landeskundliche Bücher solange, bis ihnen durch General v. Loenig am 14. Oktober ausdrücklich das Betreten der Stadt Stalingrad verboten wurde. Ab dem 14. Oktober führten Schreiber und der Sachbearbeiter Landeskunde Alfred Karasek eine Erkundungsfahrt in die Kalmückensteppe durch, doch diese Fundmöglichkeit war durch Heinrich von zur Mühlen bereits erschöpft.[7]

Ab April 1942 war Scheibert im Range eines Untersturmführers dem „Bataillon der Waffen-SS z. b. V.“ zugeordnet worden,[1][8] ab August 1943 wurde er im Reichssicherheitshauptamt in der Abteilung „Wissenschaftlich-methodischer Forschungsdienst“ und in der „Kulturabteilung“ tätig, über eine SD-Zugehörigkeit ist nichts bekannt.[2][9] Weiterhin im Auftrag des RSHA war er bis April 1944 in Rom und Fasano im „Sonderauftrag zur Sicherung von Kunstschätzen“ an der Sicherung italienischer Kunstschätze beteiligt, die teilweise aus Mittelitalien in den Alpenraum transportiert wurden.[10] Ab Juli 1944 war Scheibert im vom Deutschen Reich seit März 1944 kontrollierten Königreich Ungarn in der Budapester Gesandtschaft bei Edmund Veesenmayer tätig und wurde im Oktober 1944 in das Frontgeschehen nach Kaschau abgeordnet, wo er Propagandaschriften für die ruthenische Bevölkerung Transkarpatiens verfassen sollte.[2] Das Kriegsende erlebte er in der „Dienststelle Gesandter Altenburg“ in Wien und in der nach Szombathely verlegten Budapester Botschaft.[2]

Es gab drei Ausschussentscheidungen zur Entnazifizierung Scheiberts, von denen ihn die ersten beiden als ‚Mitläufer‘ und die letzte als ‚unbelastet‘ einstuften.[11] In der Zeit unmittelbar nach Kriegsende war er zeitweise Mitinhaber einer Speditionsfirma und übte eine Tätigkeit als Religionslehrer in Uslar aus.[12]

Scheibert wurde 1949/50 bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für das Bibliothekswesen tätig, habilitierte 1955 an der Universität Köln, wurde dort Privatdozent und war ab 1959 als Nachfolger Georg von Rauchs Professor für Osteuropäische Geschichte an der Philipps-Universität Marburg, wo er auch eine Zeit das Akademische Auslandsamt leitete. 1964 war er Mitherausgeber der Festschrift für Percy Ernst Schramm, der ihn nach dem Krieg in Göttingen aufgenommen hatte, Schramms Sohn Gottfried Schramm habilitierte sich in Marburg 1964. Scheibert förderte unter anderen auch die wissenschaftlichen Arbeiten von Andreas Hillgruber, Bernd Martin, Dietrich Grille und Egbert Jahn. Scheibert, der 1961 das Ordinariat erhalten hatte, gehörte seit 1965 dem Vorstand des ebenfalls in Marburg ansässigen Herder-Instituts an. In der Folge der Hochschulreformen der 1968er Jahre war Scheibert ein Vertreter der konservativ agierenden Professorenschaft, war in Marburg und Hessen mit Ernst Nolte einer der bewegenden Akteure des Bundes Freiheit der Wissenschaft und strengte mehrfach Verwaltungsgerichtsprozesse gegen den eigenen Fachbereich an.[13]

Scheibert war als Gastprofessor 1963 an die Indiana University Bloomington, 1972/73 an die Columbia University, 1975/76 an das Woodrow Wilson International Center for Scholars und nach der Emeritierung 1981 noch an die University of California eingeladen. 1987 zog er von Marburg zurück nach Berlin.

Scheibert hatte seinen Entschluss, der SS 1942 beizutreten, dem acht Jahre jüngeren Nicolaus Sombart damit schmackhaft machen wollen, dass es „in den hohen Rängen hochintelligente und kultivierte Leute gäbe, die bewußt auf die Bildung einer europäischen Elite hinarbeiteten, eine Art neuer Adel, die Aristokratie der Zukunft. Den vulgären Nationalsozialismus verachteten sie.“,[1] Scheiberts angebliche Affinität zu faschistischem Gedankengut, zu Männerbundphantasmen[1] wurde von seinen akademischen Schülern als Sombarts „eigenartiges Porträt“ in einer Fußnote behandelt[14] Scheiberts Tätigkeit im Künsberg-Kommando und im RSHA wurde als „Kunstrettung“[15] bezeichnet, sein „Amtsauftrag“ wurde von ihnen bislang nicht näher hinterfragt.[16]

Schriften (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Lenin an der Macht. Das russische Volk in der Revolution 1918–1922. Verlag Acta humaniora, Weinheim 1984, ISBN 3-527-17503-2.
  • Die russische Agrareform von 1861. Ihre Probleme und der Stand ihrer Erforschung (= Beiträge zur Geschichte Osteuropas. Band 10). Verlag Böhlau, Köln/Wien 1973.
  • Das Petrinische Kaiserreich. In: Rußland (= Fischer Weltgeschichte. Band 31). Hrsg. u. verfasst zus. mit Carsten Goehrke, Manfred Hellmann u. Richard Lorenz. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1973, S. 175–270.
  • (Hrsg.) Die russischen politischen Parteien von 1905 bis 1917. Ein Dokumentationsband. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972.
  • Von Bakunin zu Lenin. Geschichte der russischen revolutionären Ideologien, 1840–1895 (= Studien zur Geschichte Osteuropas. III/1). Band 1: Die Formung des radikalen Denkens in der Auseinandersetzung mit deutschem Idealismus und französischem Bürgertum. E. J. Brill, Leiden 1956, OCLC 86141124.
  • mit Bernhard Sticker: Die Notlage der deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bad Godesberg 1952, DNB 454884338.
  • Volk und Staat in Finnland in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Plischke, Breslau 1941 (zugleich: phil. Dissertation, Berlin 1941).
  • Zur politischen Entwicklung des Weißruthenentums. S. Hirzel Verlag, Leipzig 1940.

in der Reihenfolge des Erscheinens

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e Nicolaus Sombart: Jugend in Berlin. 1933–1943. 1991, S. 119–121.
  2. a b c d e f Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, Band 4, S. 53 f.
  3. Inge Auerbach: Peter Scheibert – sein wissenschaftliches Werk. In: Inge Auerbach, Hans Lemberg (Hrsg.): Peter Scheibert zum Gedächtnis, 1997, S. 14 f.
  4. Inge Auerbach: Peter Scheibert – sein wissenschaftliches Werk. In: Inge Auerbach, Hans Lemberg (Hrsg.): Peter Scheibert zum Gedächtnis, 1997, S. 14, Fn. 7.
  5. Zum Weißbuch siehe: Auswärtiges Amt (Hrsg.): Weißbuch Nr. 3 – Polnische Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Eher, Berlin 1940.
  6. Ulrike Hartung: Raubzüge in der Sowjetunion: das Sonderkommando Künsberg 1941–1943, S. 78, 122, Fn. 414.
  7. Ulrike Hartung: Raubzüge in der Sowjetunion. Das Sonderkommando Künsberg 1941–1943, S. 103, 126.
  8. Ulrike Hartung: Raubzüge in der Sowjetunion. Das Sonderkommando Künsberg 1941–1943, S. 85.
  9. Anders jedoch Lutz Klinkhammer 1992, S. 508, siehe Weblinks.
  10. Lutz Klinkhammer: Kunstschutz im Propagandakrieg. In: Christian Fuhrmeister, Johannes Griebel, Stephan Klingen, Ralf Peters (Hrsg.): Kunsthistoriker im Krieg. Deutscher Militärischer Kunstschutz in Italien 1943–1945. Böhlau, Köln 2012, S. 49–73, hier S. 52 ff.
  11. Egbert Jahn, Inge Auerbach: Der Osteuropahistoriker Peter Scheibert. Anmerkungen zu einer misslungenen Biographie. In: Osteuropa. Heft 1–2, 2017, S. 27–59 (hier: S. 50; Bezug nehmend auf Esther Abel: Kunstraub – Ostforschung – Hochschulkarriere. Der Osteuropahistoriker Peter Scheibert. Schöningh, Paderborn 2016, S. 125–134).
  12. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2007, S. 528 f.
  13. Hans-Joachim Drexhage: Eröffnung durch den Dekan. In: Inge Auerbach, Hans Lemberg (Hrsg.): Peter Scheibert zum Gedächtnis, 1997, S. 4.
  14. Hans Lemberg: Osteuropäische Geschichte – ein akademisches Fach. In: Inge Auerbach, Hans Lemberg (Hrsg.): Peter Scheibert zum Gedächtnis, 1997, S. 30, Fn. 17.
  15. Gottfried Schramm: Peter Scheibert zum 65. Geburtstag. wieder abgedruckt in: Inge Auerbach, Hans Lemberg (Hrsg.): Peter Scheibert zum Gedächtnis, 1997, S. 63.
  16. Inge Auerbach, Andreas Hillgruber, Gottfried Schramm (Hrsg.): Felder und Vorfelder russischer Geschichte. Freiburg i. Br. 1985, S. 9.
  17. Eine Replik auf die Dissertation von Esther Abel mit Hinweisen auf darin enthaltene Ungenauigkeiten, siehe Rolf Wörsdörfer: Stalin brachte wenigstens Ordnung in die Revolution. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 13. September 2017, S. N3.