Pathogenität

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Arbeiten unter BSL-3

Pathogenität (retronymes Kofferwort aus griechisch πάθος pathos „Leiden, Krankheit“ und γένεσις genesis „Erzeugung, Geburt“, vgl. -genese) ist die Fähigkeit von Krankheitserregern und bestimmten chemischen Substanzen, z. B. von Toxinen, krankhafte Veränderungen im Organismus hervorzurufen.[1][2] Das Ausmaß der Pathogenität, darunter ist die Vermehrungsfähigkeit von Krankheitserregern und die Intensität der Bildung von Toxinen zu verstehen, wird als Virulenz bezeichnet, ohne dass dafür ein einheitliches Maß definiert ist.[3]

Krankheitserreger werden synonym auch als Pathogene bezeichnet. Das Adjektiv dazu lautet pathogen (krankheitserregend, krank machend),[4] das gegenteilige Adjektiv apathogen (nicht krankheitserregend, nicht krank machend, wie z. B. solche Bakterien, die im Organismus keine Krankheiten hervorrufen).[5] Dieser Begriff hat aber ähnlich wie das Adjektiv pathogen eine allgemeinere Bedeutung als der Begriff Krankheitserreger, da auch schädliche Stoffe (Gifte) und ionisierende Strahlung, im Sinne von „Krankheitsauslöser“, als Pathogene bezeichnet werden.[6][7]

Pathogene werden nach ihrem Gefahrenpotential für den Menschen in vier Risikogruppen eingeteilt. Die Arbeit mit ihnen erfolgt in der entsprechenden biologischen Schutzstufe (engl. Biosafety Level), mit BSL-1 für Tätigkeiten mit apathogenen bis hin zu BSL-4 für Tätigkeiten mit hochpathogenen Erregern.

Im engeren Sinne bezeichnet Pathogenität die Fähigkeit eines Pathogens (eines parasitären Organismus wie Bakterien, Pilze, Protozoen oder Parasiten) oder parasitärer Moleküle (Viren, Viroide, Transposons, Prionen), einen bestimmten Wirt durch seinen Ressourcenerwerb zu schädigen. Ihr Gegenteil ist die Apathogenität, d. h. ein solcher Organismus oder Stoff fügt dem Wirt keinen Schaden zu, er ist für diesen apathogen. Die Pathogenität ist zwar in erster Linie eine Eigenschaft des Pathogens, entsteht jedoch erst im Kontakt mit einem Wirt.[8] Die Pathogenität wird durch geschwächte Wirte, z. B. bei einer Infektion mit Pneumocystis carinii oder Cryptosporidium in Patienten mit Immunsuppression, verstärkt.[8]

Begleiterscheinungen

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Weitere gelegentlich auftretende Eigenschaften sind Transmission (nicht aber bei Cryptococcus neoformans oder einigen Zoonosen), Adhäsion, Immunreaktionen des wirtseigenen Immunsystems, immunologische Fluchtmutanten, Mechanismen zur Immunevasion, eine Pathogenität durch die Immunreaktion (Immunpathogenese, z. B. die Zerstörung der Lymphknoten bei HIV, Arthus-Reaktionen bei Streptokokkeninfektionen oder die Tyrosis bei der Tuberkulose) und auch Verhaltensänderungen des Wirtes (z. B. Yersinia pestis bei Flöhen, Toxoplasma gondii bei Ratten, das Tollwutvirus bei diversen Säugern, der kleine Leberegel bei Ameisen oder Polydnaviren bei Schlupfwespenbeute). Die Eigenschaft zu töten (siehe Letalität und Mortalität) ist nicht bei allen Pathogenen gegeben, einige Beispiele hierfür sind humane Papillomviren, Herpesviren, Adeno-assoziierte Viren oder Rhinoviren.

Die Virulenz von Bakterien ist unter anderem von der Existenz von Toxin-Proteinen abhängig, die auch Bestandteil eines Toxin-Antitoxin-Paars sein können. Eine Assoziation von Virulenz mit einer gesamten Bakterienspezies ist nur dann sinnvoll, wenn es keine Stämme ohne Virulenz gibt.[9]

Eine Beobachtung bei der Pathogenese in natürlichen Wirten ist, dass an den Wirt angepasste Krankheitserreger ihm meist nicht sehr schaden, da sie ihn für ihre eigene Entwicklung benötigen und das Immunsystem durch Zellschäden und Apoptose aktiviert wird, was sich wiederum senkend auf die Viruskonzentration auswirkt.[10] Die Vermeidung einer Immunreaktion erleichtert die Replikation und die Übertragung (synonym Transmission) an weitere Wirte. Beispielsweise erreichen Herpes-simplex-Viren eine Infektionsprävalenz (synonym Durchseuchung) von über 90 % der deutschen Bevölkerung mit wenig ausgeprägten Symptomen. Das simiane Immundefizienz-Virus erzeugt in seinen natürlichen Wirten kein AIDS, im Gegensatz zu HIV im Menschen. Dagegen löschen sich Infektionen mit Ebola-Virus im Menschen, nicht aber in ihren natürlichen Wirten, gelegentlich durch ihre hohe Virulenz selbst aus, bevor eine effiziente Transmission erfolgt, da der Wirt stark geschwächt ist und bald verstirbt, folglich ist sein Bewegungsradius und somit die Verbreitung des Virus begrenzt. Ein schwerer Infektionsverlauf mit hohem Sterberisiko (siehe Letalität und Mortalität) ist zumeist ein Anzeichen dafür, dass der verursachende Erreger noch nicht an den betreffenden Organismus als seinen Reservoirwirt angepasst ist. Jedoch ist der Übergang von Pathogenen mit einer hohen Replikation (und erzeugten Schäden) zu einer dauerhaften Infektionsprävalenz (Infect and persist, unter Vermeidung von Schäden) fließend. Anders ausgedrückt, neigen angepasste infektiöse Objekte zur Persistenz und einer regulierten Reproduktionsrate, während weniger angepasste Pathogene tendenziell zur vorzeitigen Beendigung der Infektionskette führen.[11][12][13][14] Bakterien verwenden dazu unter anderem das Quorum sensing.[14] Ausnahmen sind z. B. H5N1-Viren in Vögeln, Yersinia pestis und humane Pockenviren im Menschen, welche trotz längerem Vorkommen vergleichsweise hohe Opferzahlen fordern. Ebenso erfolgt eine Evolution im Wirt als Reaktion auf ein Pathogen. Diese Evolution wird in der Gen-für-Gen-Hypothese beschrieben. Die Anpassung erfolgt jedoch meistens seitens des Wirts, da die Pathogene mit ihren Artgenossen in Konkurrenz um Ressourcen stehen und ein weniger reproduktives Pathogen schneller untergehen würde.[15] Daher tritt eine Minderung der Pathogenität bei Pathogenen vor allem in Verbindung mit einer erhöhten Reproduktionsrate auf.[11]

Die Anpassung des Wirts an das Pathogen wird als Wirtsrestriktion oder Wirtsresistenz bezeichnet. Zu den bekannten antiviralen und antibakteriellen Restriktionsfaktoren gehören beim Menschen z. B. der Myxovirus-Resistenzfaktor Mx1, die PAMP-Rezeptoren, der dsRNA-aktivierte Inhibitor der Translation DAI, das Melanom-Differenzierungs-Antigen 5 (MDA-5), die Oligoadenylatsynthase OAS1, das Langerin, das Tetherin, das SAM domain and HD domain 1-Protein (SAMHD1), das RIG-I, das APOBEC3, das TRIM5alpha, die Proteinkinase R und die RNA-Interferenz. Darüber hinaus erfolgt die Immunantwort. Ohne Pathogene wäre die Evolution des Immunsystems nicht erforderlich. Pflanzen haben andere Mechanismen zur Abwehr von Pathogenen entwickelt.

Im Falle der vertikalen Infektion wird nach der Kontinuumshypothese eine Abnahme der Virulenz bei Zunahme des Anteils einer vertikalen Infektion (also von Eltern zu Nachkommen) vermutet.[16]

Kompromisshypothese

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Die Kompromisshypothese (engl. trade-off hypothesis) geht davon aus, dass Virulenz eine unvermeidbare Folge der Transmission ist.[17] Bei dem Erreger der Malaria Plasmodium sp. wurde eine Abnahme der Transmission bei erhöhter Virulenz beobachtet.[18][19]

Kurzsichtigkeitshypothese

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Die Kurzsichtigkeitshypothese (engl. short-sighted evolution hypothesis) beschreibt Virulenz als unvermeidbare Folge der Mutation und Selektion eines Pathogens bei der Anpassung an seinen direkten Wirt, ohne Bezug zu weiteren und später möglichen Wirten.[20] Als Beispiele werden Meningokokken, das Poliovirus und das HIV angeführt.[21]

Zufälligkeitshypothese

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Die Zufälligkeitshypothese (engl. coincidental evolution hypothesis) vermutet eine Unabhängigkeit der Virulenz von der Transmission, d. h. die Virulenz entsteht aus anderen Gründen und ist nur ein Nebeneffekt.[22] Beispiele sind die Toxin-bildenden Bodenbakterien Clostridium botulinum (bildet das Botulinumtoxin) und Clostridium tetani (bildet das Tetanustoxin), denen das Toxin in ihrem normalen Habitat keinen Vorteil erbringt.[20]

Einteilung nach Wirtsspektrum

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Die Spezifizierung der Pathogenität kann durch die Art des Wirtes bezeichnet werden: Den Menschen betreffende Krankheitserreger werden als humanpathogen, Tiere betreffende als zoopathogen (tierpathogen), Pflanzen betreffende als phytopathogen (pflanzenpathogen) bezeichnet. Je nach der Fähigkeit, im Einzelfall tatsächlich eine Erkrankung auszulösen, unterscheidet man eine fakultative Pathogenität (nicht in jedem Fall pathogen oder nur unter bestimmten Umständen) und obligate Pathogenität (in jedem Fall krankheitsauslösend). Der Ursprung eines Pathogens kann außerhalb des Wirts liegen (exopathogen, die meisten Pathogene) oder aus dem Wirt selbst stammen (endopathogen, z. B. manche Prionen).

Seltener findet der Begriff Psychopathogenität im Zusammenhang mit umstrittenen Inhalten und Dogmen verschiedener Religionen und Ideologien Verwendung. In Analogie zur Pathogenität bezeichnet der Begriff hier die Eigenschaft derartiger Inhalte, „schädigend“ auf den Geist zu wirken.

Einteilung nach Taxonomie

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Die Gruppe der unbelebten Pathogene umfasst Prionen, Transposons, Retroelemente, Viroide und Viren. Belebte Pathogene kommen als Einzeller (Bakterien, Pilze und Protisten) und Mehrzeller (Parasiten) vor.

Die Idee der Pathogenität von Mikroorganismen entstand am Ende des 18. Jahrhunderts. Damals wurde der Streit zwischen Kontagionisten, also Vertretern der Idee der ansteckenden Krankheiten, und Antikontagionisten zugunsten ersterer entschieden. Die Übertragbarkeit von Krankheiten durch pathogene Organismen wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich nicht mehr angezweifelt.

Einzelnachweise

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  1. Pathogenität, die. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 15. August 2022.
  2. B. Alberts, A. Johnson, J. Lewis: Molecular Biology of the Cell. 4th Auflage. Garland Science, 2002, Introduction to Pathogens, S. 1 (nih.gov [abgerufen am 26. April 2016]).
  3. L. A. Pirofski, A. Casadevall: Q and A What is a pathogen? A question that begs the point. In: BMC Biol. 10:6 (2012). PMID 22293325. PMC 3269390 (freier Volltext)
  4. pathogen. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 15. August 2022.
  5. apathogen. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS). Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 15. August 2022.
  6. DocCheck Flexikon: Pathogen
  7. Vgl. Duden online: pathogen
  8. a b R. Poulin, C. Combes: The concept of virulence: interpretations and implications. In: Parasitol Today 15:474–5 (1999). PMID 10557145.
  9. Kalliopi Georgiades, Didier Raoult: Comparative Genomics Evidence That Only Protein Toxins are Tagging Bad Bugs. In: Frontiers in Cellular and Infection Microbiology. 1, 2011, S. , doi:10.3389/fcimb.2011.00007
  10. F. von Rheinbaben, M.H. Wolff: Handbuch der viruswirksamen Desinfektion. Springer-Verlag, 2013, ISBN 9783642563942, S. 7.
  11. a b V. J. Torres, D. L. Stauff et al.: A Staphylococcus aureus regulatory system that responds to host heme and modulates virulence. In: Cell Host Microbe. Bd. 1, Nr. 2, 2007, S. 109–19, PMID 18005689. PMC 2083280 (freier Volltext)
  12. G. Silvestri: Naturally SIV-infected sooty mangabeys: are we closer to understanding why they do not develop AIDS? In: J Med Primatol. (2005) 34(5-6):243-52. PMID 16128919.
  13. M. J. Pantin-Jackwood, D. E. Swayne: Pathogenesis and pathobiology of avian influenza virus infection in birds. In: Rev Sci Tech. (2009) 28(1):113-36. PMID 19618622.
  14. a b P. N. Jimenez, G. Koch, J. A. Thompson, K. B. Xavier, R. H. Cool, W. J. Quax: The multiple signaling systems regulating virulence in Pseudomonas aeruginosa. In: Microbiol Mol Biol Rev. (2012), Band 76, Nr. 1, S. 46–65. doi:10.1128/MMBR.05007-11. PMID 22390972; PMC 3294424 (freier Volltext).
  15. K. D. Mir, M. A. Gasper, V. Sundaravaradan, D. L. Sodora: SIV infection in natural hosts: resolution of immune activation during the acute-to-chronic transition phase. In: Microbes Infect. (2011), Bd. 13(1), S. 14–24. PMID 20951225; PMC 3022004 (freier Volltext).
  16. P. X. Kover, K. Clay: Trade-off between virulence and vertical transmission and the maintenance of a virulent plant pathogen. In: The American naturalist. Band 152, Nummer 2, August 1998, S. 165–175, doi:10.1086/286159, PMID 18811383.
  17. S. Alizon, A. Hurford, N. Mideo, M. Van Baalen: Virulence evolution and the trade-off hypothesis: history, current state of affairs and the future. In: Journal of evolutionary biology. Band 22, Nummer 2, Februar 2009, S. 245–259, doi:10.1111/j.1420-9101.2008.01658.x, PMID 19196383.
  18. M. J. Mackinnon, A. F. Read: Virulence in malaria: an evolutionary viewpoint. In: Philosophical transactions of the Royal Society of London. Series B, Biological sciences. Band 359, Nummer 1446, Juni 2004, S. 965–986, doi:10.1098/rstb.2003.1414, PMID 15306410, PMC 1693375 (freier Volltext).
  19. R. E. Paul, T. Lafond, C. D. Müller-Graf, S. Nithiuthai, P. T. Brey, J. C. Koella: Experimental evaluation of the relationship between lethal or non-lethal virulence and transmission success in malaria parasite infections. In: BMC Evolutionary Biology. Band 4, September 2004, S. 30, doi:10.1186/1471-2148-4-30, PMID 15355551, PMC 520815 (freier Volltext).
  20. a b B. R. Levin: The evolution and maintenance of virulence in microparasites. In: Emerging infectious diseases. Band 2, Nummer 2, 1996 Apr-Jun, S. 93–102, doi:10.3201/eid0202.960203, PMID 8903208, PMC 2639826 (freier Volltext).
  21. B. R. Levin, J. J. Bull: Short-sighted evolution and the virulence of pathogenic microorganisms. In: Trends in microbiology. Band 2, Nummer 3, März 1994, S. 76–81, PMID 8156275.
  22. S. J. Gould, R. C. Lewontin: The spandrels of San Marco and the Panglossian paradigm: a critique of the adaptationist programme. In: Proceedings of the Royal Society of London. Series B, Biological sciences. Band 205, Nummer 1161, September 1979, S. 581–598, PMID 42062.