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Ivo Pogorelich

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Ivo Pogorelich (2015)

Ivo Pogorelich (kroatisch: Ivo Pogorelić, serbisch: Иво Погорелић; * 20. Oktober 1958 in Belgrad, Jugoslawien) ist ein kroatischer Pianist. Er ist für seinen teils exzentrischen Spielstil, der ihm eine große, ihn fast kultisch verehrende Fangemeinde einbrachte, aber auch scharfe Kritik von Musikexperten hervorrief, bekannt.[1][2]

Pogorelich avancierte in den frühen 1980er-Jahren zu einem Star der Klassikszene. Seine Konzerte und unorthodoxen Werkinterpretationen spalteten das Publikum und die Musikkritiker seit Beginn seiner Karriere bis in die Gegenwart in Bewunderer seiner pianistischen Meisterschaft und Skeptiker seiner betont individualistischen Interpretationen.

Bekannt wurde er durch einen Eklat: Einige Juroren des 1980 ausgetragenen Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau distanzierten sich gegenüber der Presse von dem Jury-Entscheid, Pogorelich nicht für die Endrunde zuzulassen. Nikita Magaloff, der wie Martha Argerich und Paul Badura-Skoda zu den protestierenden Juroren gehörte, erklärte den ungewöhnlichen Schritt des Öffentlichmachens der Jury-Interna damit, dass Pogorelich auf „höchstem Niveau“ spiele, „wie das wohl kaum sonst jemand auf der Welt heute kann“.[3]

Ivo Pogorelich, Sohn eines Kontrabassisten, begann seine Ausbildung am Klavier mit sieben Jahren in Belgrad. Er setzte sie 1970 an der Zentralen Musikschule in Moskau als Schüler von Jewgeni Timakin fort[4] und wechselte anschließend an das Moskauer Tschaikowski-Konservatorium, um bei Wera Gornostajewa und Jewgeni Malinin weiter zu studieren.[5]

Ab Oktober 1976 wurde Pogorelich zusätzlich von Aliza Kezeradze unterrichtet.[6] Pogorelich beschrieb die Begegnung mit Kezeradze als „Wendepunkt“ in seinem Leben,[7] da er sich damals in einer künstlerischen „Sackgasse“ befunden,[8] aber durch sie neue Einblicke in die Ausdrucksmöglichkeiten des Klavierspiels bekommen habe.[9] Seine „Auffassung und seine Herangehensweise an das Klavier“ sei durch ihren Einfluss „komplett“ verändert worden.[10] Er weist der Pianistin, mit der er von 1980 bis zu ihrem Tod 1996 verheiratet war,[11] maßgeblich seine künstlerische „Weiterentwicklung und seinen beruflichen Erfolg zu“.[12]

Klavierwettbewerbe

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Im Jahr 1978 gewann Pogorelich den Alessandro-Casagrande-Wettbewerb im italienischen Terni und 1980 den Internationalen Musikwettbewerb in Montreal. Im selben Jahr nahm er am Warschauer Chopin-Wettbewerb teil und wurde über Nacht bekannt. Als Wettbewerbsteilnehmer war er aufgrund der viermaligen Vergabe der höchsten, aber auch der viermaligen Vergabe der niedrigsten Punktzahl nicht über die dritte Runde hinausgekommen,[13][14] was einige der Juroren, darunter Magaloff und Badura-Skoda, zu öffentlichen Protesten veranlasste.[15] Martha Argerich war derart erbost, dass sie die Wettbewerbs-Jury mit den Worten „Er ist ein Genie!“ verließ.[16] Sie protestierte durch die Niederlegung ihres Amtes gegen das Bewertungssystem, welches „konservativen Stil-Puristen die Möglichkeit gab, jemanden auszupunkten, der einen völlig modernen und neuen Zugang zur Musik Chopins erschloss“.[9] Über diesen Skandal wurde weltweit in den Medien berichtet. Harold C. Schonberg, der Musikkritiker der New York Times, schloss sich wie andere Fachleute der Einschätzung der aufbegehrenden Jury-Mitglieder an und bemerkte zu Pogorelichs Wettbewerbsleistung anerkennend: „Er ignorierte die Partitur und machte alles falsch. […] er ist eindeutig ein Genie“.[17] Das Spiel des „brillant ausgestatteten Künstlers“, für den es keine technische Limitierung gebe, sei „voller architektonischer, dynamischer und rhythmischer Extreme“. Pogorelich, „in jeder Hinsicht unkonventionell“, habe die konservativen Jury-Mitglieder verschreckt, da er sich nicht an die Aufführtradition halte.[18]

Die Warschauer Musikgesellschaft, eine Organisation zur Wahrung des Andenkens Chopins,[19] arrangierte für Pogorelich nach seinem Ausscheiden aus dem regulären Wettbewerb ein Konzert, bei dem er von seinem zumeist jungen Publikum frenetisch bejubelt wurde.[20] Die polnischen Musikkritiker ehrten ihn im Anschluss an das Konzert mit dem Sonderpreis außerordentlich originelles Pianistentalent.[21]

Im Februar 1981 nahm Pogorelich für die Deutsche Grammophon seine erste Schallplatte unter dem Namen Chopin Recital auf. Der Tonträger, beworben als Pogorelichs „Antwort auf Warschau“,[16] wurde in Deutschland nach seiner Veröffentlichung innerhalb eines Monats 20.000 Mal verkauft.[7] Das Musiklabel nahm Pogorelich daraufhin unter Vertrag.[22]

Jahre nach dem Chopin-Wettbewerb erläuterte Pogorelich, dass die Vorkommnisse in Warschau „magisch“ gewesen seien, er heute aber froh sei, die Zeit der Hysterie hinter sich zu haben. Sein Erfolg habe nichts mit Exzentrik, wie in der Presse oft fälschlich dargestellt, zu tun.[20] In Warschau sei seine „Einstellung und seine Haltung zu Chopins Musik“ von der Öffentlichkeit falsch interpretiert worden.[23] Die Juryentscheidung habe ihm zu schaffen gemacht und demotiviert,[24] seine Herangehensweise an die großen Komponisten gewähre aber keinen Raum für Kompromisse, er versuche deren Intention so nahe wie möglich zu kommen.[25] Pogorelich weist in Interviews und dem Dokumentarfilm Why Competitions zudem immer wieder auf die politische Dimension hin, die seiner Meinung nach dem Wettbewerbsentscheid von 1980 zugrunde liegt.[26] Anlässlich eines Konzerts in Warschau im Jahr 2008 verlangte er demzufolge, „dass die Protokolle des damaligen Juryentscheides offengelegt werden“ sollen.[27]

Ivo Pogorelich (2015)

Die Berichterstattung zum Chopin-Wettbewerb 1980, Pogorelichs erste Plattenaufnahme und die veröffentlichten Pressefotos, auf denen er mehr einem „New-Wave-Rocker“ als einem Musiker des klassischen Genres ähnlich sah,[28] erzeugten Interesse weit über das Stammpublikum klassischer Klaviermusik hinaus. Joachim Kaiser erläuterte, ein klassikfernes Publikum „zum Kauf von Konzertkarten zu animieren“, war in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts „nur drei seriöse[n] Pianisten“ vorbehalten: „Wladimir Horowitz, Friedrich Gulda und – Ivo Pogorelich“.[29] Das Medienecho auf die Konzerte war außergewöhnlich enthusiastisch.[30][31] Der junge Pianist, dem eine „Aura aus eleganter Verträumtheit und Hochmut“ zugesprochen wurde, konnte in Folge „fabelhafte Honorare verlangen“ und „mit stets ausverkauften Sälen rechnen“.[29] Pogorelich beschränkte sich auf ein kleines Repertoire. Kaiser verortete dies in seinem „penible[n] Sinn für die Verantwortung gegenüber großer Musik“. Pogorelich wende „sich nur mit originellen Interpretationen an die Öffentlichkeit“.[29]

Die Berichterstattung konzentrierte sich aber nicht nur auf die musikalische Leistung. In einer Zusammenfassung des Spiegels zu den Pressestimmen der frühen 1980er Jahre wird eine Fokussierung auf Pogorelichs äußere Attribute deutlich. Zudem wurden Vergleiche zu Prominenten anderer Genres, darunter Kinski, Wilde und Nurejew bemüht.[16] Der Independent bezeichnete ihn als „Mick Jagger der klassischen Konzertbühne“.[32] Pogorelich wurde durch solche Medienzuschreibungen zum ersten „Popstar der Klassikszene“ stilisiert.[33] Pogorelich unterstützte diese Zuschreibung durch provokante Aussagen: „Ich bin der Pianist, über den am meisten geschrieben wird, ich bekomme eine Rezension, wenn ich meinen Flügel abstaube“ und indem er neue, für einen klassischen Musiker ungewöhnliche Wege der Öffentlichkeitsarbeit beschritt.[34] Er ließ sich u. a. als Model für Herrenmode in den Zeitschriften Esquire, Vogue und Égoïste abbilden und trat regelmäßig im Fernsehen als Talk-Gast auf.[20] In Deutschland war er bei Bio’s Bahnhof, in der tele-illustrierten und Willemsens Woche zu sehen. In Großbritannien widmete ihm Don Featherstone eine Folge der South Bank Show und zeigte Pogorelich in häuslicher Umgebung auf seinem Schloss in Schottland zusammen mit Aliza Kazeradze bei der Erarbeitung einer Partitur. Nach Pogorelichs Auftritt in Los Angeles auf der Hollywood Bowl 1985 vor 25.000 Zuschauern gab es Gerüchte über eine Filmrolle,[35] die er an der Seite von Bo Derek und Josep Carreras übernehmen wolle. Durch seine Nähe zur internationalen High Society, dem Jetset und Geldadel berichtete nicht nur das Feuilleton. In den 1980er Jahren war Pogorelich in allen Medien bis hin zum Boulevard präsent. Dadurch erreichte er eine Bekanntheit, wie sie in dieser Breite noch keinem klassischen Musiker zuteilgeworden war. Pogorelich äußerte dazu, dass öffentliche Aufmerksamkeit für einen Pianisten nicht unwichtig sei und er selbst an seinem Image, exzentrisch und arrogant, in jungen Jahren wie an „einem Spielzeug gebastelt“ habe. Durch eine negative Attribution könne die Gesellschaft „einen außergewöhnlichen Menschen“ leichter akzeptieren und den „Erfolg vergeben“.[11] Warum die Menschen zu seinen Konzerten kämen, interessiere ihn aber nicht, sondern, was sie aus diesen mitnehmen würden.[20] Kaiser attestierte, Pogorelich sei „nicht nur Exzentriker“ und sich seines Ruhms bewusst. Ihm gehe es musikalisch „bewundernswürdig um die Sache“, er nehme „jeden Ton todernst“.[29] Dies goutiere das Publikum mit dem „Pogorelich-Phänomen“, einem „konzentriert, fasziniert, hingegeben[em]“ Zuhören.[36] Der Musikkritiker Helmut Mauró sieht im Rückblick auf die Anfangsjahre demgemäß Pogorelichs „eigentliche Wirkung“ im Klavierspiel verortet. Er erläutert, dass nicht nur Pogorelichs „fulminante[n] Fingerfertigkeit […] einer männlich-kraftvollen Pranke“ überzeugte, sondern vor allem seine pianistische Fähigkeit, „einen Zustand der Konzentration soweit zu verdichten, dass er energiegeladene Kontemplation und schließlich Transzendenz ist“.[37] Pogorelichs Andersartigkeit sei damals „glamourös kaschiert“ durch den Filter dessen attraktiver und „jugendlicher Erscheinung“ wahrgenommen worden, überwältige aber bis in die heutige Zeit durch „nachdenklich-kreative Sturheit, gepaart mit künstlerisch gelebtem Narzissmus“.[38]

Pogorelich trat nach seinem fulminanten Karrierebeginn in den ersten zwei Jahrzehnten seines Musikerlebens an allen großen Konzerthäusern der Welt auf und spielte mit den renommiertesten Orchestern, so u. a. mit dem Boston Symphony Orchestra, dem London Symphony Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra, den Wiener Philharmonikern und den Berliner Philharmonikern. Er beschränkte sich dabei auf ungefähr 60 Konzerte pro Jahr, gemäß seiner Maxime „Kunst braucht Zeit“.[37] Aufsehen erregte Pogorelich aber weiterhin nicht nur durch sein Klavierspiel, sondern auch durch Äußerungen über andere Musiker. Er kritisierte in Interviews u. a. Swjatoslaw Richter, Glenn Gould, Vladimir Horowitz, Luciano Pavarotti und nachdrücklich Herbert von Karajan, den er als „künstlerische Ruine“ bezeichnete.[39][40] Der „streitbare Tastenlöwe“, dem die Musikkritik eine Vorliebe für das Extreme attestierte,[41] hatte sich 1984 in Wien bei einer Orchesterprobe zu Tschaikowskis erstem Klavierkonzert mit dem Dirigenten aufgrund unterschiedlicher Tempi-Vorstellungen überworfen. Das für den darauffolgenden Tag angekündigte Konzert fand ohne Pogorelich statt.[42]

Mitte der 1990er Jahre zog sich Pogorelich zunehmend aus dem regulären Konzertbetrieb zurück. Zum einen war er durch den Bürgerkrieg in seinem Heimatland, als Sohn einer serbischen Mutter und eines kroatischen Vaters,[43] belastet, zum anderen hatte er mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Nach dem krankheitsbedingten Tod seiner Frau im Jahr 1996 gab er die Konzerttätigkeit nach eigener Aussage gänzlich auf, da er es nicht ertrug, ein Klavier zu berühren, und Zeit zur Wiedererlangung seiner Kreativität benötigte.[11] In den späten 1990er Jahren kehrte Pogorelich auf die Konzertbühne zurück, um sich durch Benefizkonzerte für soziale und kulturelle Einrichtungen seines auseinandergebrochenen Heimatlandes zu engagieren. Als UNESCO-Sonderbotschafter gab er weltweit Konzerte und sammelte Spenden für den Bau eines Mutter-Kind-Krankenhauses in Sarajevo.[44][45] In gleicher Weise setzte er sich für den historischen Wiederaufbau des zerstörten Dubrovnik und karitative Organisationen ein.[46] Pogorelich erklärte gegenüber der Presse, dass ihn die Bilder des menschlichen Leids in seinem Heimatland krank machten und es unmöglich sei, nur zuzuschauen.[26]

Im Jahr 1999 und regelmäßig ab 2003 gastierte Pogorelich wieder auf deutschen Konzertbühnen.[47][48] Er engagierte sich wie in den vorangegangenen Jahren für die Jugendarbeit und ließ das von ihm 1989 gegründete und bis 1996 jährlich ausgetragene Festival zur Förderung junger Künstler in Bad Wörishofen 2003 für eine Saison erneut aufleben.[49][50] Pogorelich hatte bereits Mitte der 1980er Jahre in Kroatien eine Stiftung ins Leben gerufen, die junge talentierte Musiker auf verschiedene Weise unterstützt und fördert, sowie 1993 einen Klavierwettbewerb in Pasadena initiiert, bei dem er als „Namensgeber und Sponsor des Preisgeldes“ auftrat.[51][52] Im Jahr 2006 konzertierte er zusammen mit der „Jungen Philharmonie Thüringen“, einem „vielversprechenden Nachwuchsorchester“, beim Kunstfest in Weimar.[53] Für den 2016 erstmals ausgetragenen und jährlich stattfindenden Musikwettbewerb Manhattan International Music Competition in der Carnegie Hall, in der Pogorelich 1981 debütierte, fungiert er als Ehrenpräsident.[54] Vereinzelt gibt Pogorelich jungen Musikern Meisterkurse.[51]

Pogorelich konzertierte seit 2010 auf europäischen und ostasiatischen Bühnen und trat regelmäßig mit Orchester- und Soloprogrammen auf.[37] Im Dezember 2017 war er erstmals wieder nach 28 Jahren Abwesenheit in seiner Geburtsstadt Belgrad zu hören.[55] Er hat die Angewohnheit, sich nach Einlass des Publikums bis wenige Minuten vor Konzertbeginn in Freizeitkleidung auf der Bühne einzuspielen und während seiner Konzerte eine Partitur zu nutzen.[56][57]

Im Frühjahr 2015 wurden die Aufnahmen Pogorelichs aus den Veröffentlichungsjahren 1981 bis 1997 von der Deutschen Grammophon neu aufgelegt.[58] Die 12 Einspielungen zählen bis in die Gegenwart „zu den bestverkauften aus dem Klavierkatalog“ des Labels.[59] Im Mai 2015 wurde die CD-Kollektion von der französischen Musikzeitschrift Diapason mit der „Goldenen Stimmgabel“ ausgezeichnet.[60] Im November 2016 veröffentlichte Idagio, eine Internet-Plattform für klassische Musik, erstmals eine mehrere Monate verfügbare Aufzeichnung Pogorelichs nach 1998 mit Werken von Beethoven.[61] Im April 2019 unterzeichnete Pogorelich einen Plattenvertrag mit Sony Classical.[62]

Pogorelichs Repertoire reicht vom Barock über die Klassik und Romantik bis ins 20. Jahrhundert.[3] Er blieb weiterhin seinem Postulat der Anfangsjahre, eine begrenzte Anzahl von kompositorischen Werken intensiv über einen langen Zeitraum zu studieren, treu.[63] Pogorelich lebt in Lugano.[11]

Pogorelich ist für seinen „eigenwilligen, manieristischen Interpretationsstil“ klassischer Klavierkompositionen bekannt, der die „Grenzen der Werktreue“ hinsichtlich Tempivorgaben überschreitet.[59] Durch seine individuelle Gestaltung der „dynamischen Vorschriften“ und des Zeitmaßes der Originalkomposition erzeugt er „ungewöhnlich starke Kontraste“ und „subtile Nuancierungen“ der „Klangfarben-Dynamik“.[9] Er „versteht sich nicht als notengetreuer Anwalt der Partitur, er sucht vielmehr die Essenz, die hinter ihr steht“ und die „vielleicht nicht einmal dem Komponisten bewusst war“.[64] Seine radikalen Interpretationen werden demzufolge entweder als Erlebnis oder als Zumutung,[65][35] als „genial“ oder als „undiskutabel“ beschrieben.[66] Die „Verfremdungstechniken, mit denen Pogorelich die Originalwerke“ vorträgt, werfen in Konzertkritiken immer wieder die Frage auf: „Wie viel kreative Freiheit darf sich ein Interpret herausnehmen?“.[67][68]

1980 schied Pogorelich in der dritten Runde des X. Internationaler Chopin-Wettbewerbs in Warschau aus, was zu geteilten Meinungen der Jury führte. Eine der Juroren, Martha Argerich, bezeichnete ihn als „Genie“ und trat aus Protest aus der Jury aus. Zwei weitere Juroren erklärten, es sei „undenkbar, dass ein solcher Künstler es nicht ins Finale schafft“. Andere Richter äußerten sich jedoch über ihre Missbilligung von Pogorelichs Exzentrizitäten. Eugene List gab ihm eine sehr niedrige Punktzahl und erklärte: „Er respektiert die Musik nicht. Er verwendet Extreme bis zur Verzerrung. Und er spielt zu viel auf.“[2] Louis Kentner trat zurück, nachdem alle seine Studenten in der ersten Stufe aus dem Wettbewerb ausgeschieden waren,[69] und sagte: „Wenn Leute wie Pogorelich es in die zweite Stufe schaffen, kann ich nicht an der Arbeit der Jury teilnehmen. Wir haben unterschiedliche ästhetische Kriterien.“[2] Nichtsdestotrotz half die Bekanntheit des Skandals Pogorelich beim Start seiner Karriere.[2]

Pogorelichs Auftritte waren oft umstritten. Seine Interpretationen kamen beim Konzertpublikum gut an, aber nicht immer bei der Kritik. Der englische klassische Pianist Peter Donohoe bemerkte während Pogorelichs Karriere eine Reihe von „demütigenden Angriffen“ (“humiliating attacks”) von Kritikern, während er meinte, sein Ruhm sei eher auf „LKW-Ladungen von Werbung im Pop-Stil basierend auf seinen Exzentrizitäten“ als auf sein Talent zurückzuführen.[70] Seine frühe Aufnahme von Prokofievs Sechster Sonate wurde hoch gelobt, darunter eine Rosette im Penguin Guide to Classical Recordings. Der Kritiker der New York Times, Harold C. Schonberg, kritisierte Pogorelich jedoch für sein ungewöhnlich langsames Tempo in Beethovens Op. 111 Sonate, und sagte, Pogorelich „scheint verzweifelt zu versuchen, der Glenn Gould des romantischen Pianismus zu sein (mit einigen von Goulds Exzentrizitäten, aber nicht von seiner besonderen Art von Genie)“.[71] Zwanzig Jahre später rezensierte ein anderer Kritiker der New York Times, Anthony Tommasini, eine Aufführung desselben Stücks und schrieb: „Hier ist ein immenses Talent auf tragische Weise vom Weg abgekommen. Was ist schief gelaufen?“[72]

Pogorelichs Rezital-Programm 2015 an der Royal Festival Hall polarisierte wie in den Jahren zuvor und wurde von der Musikkritik sehr unterschiedlich aufgenommen. Seine Leistung wurde von britischen Kritikern weithin verrissen.[73][2] Im Guardian wurde sein Vortrag als „erbärmlich“ und „zutiefst unmusikalisch“ bezeichnet.[74] In der Süddeutschen Zeitung wurde das gleiche Programm hingegen als „Hartes Tongeröll, beidhändig aufgetürmt zu Gebirgen von expressionistischer Bildkraft“ gewertet und Pogorelich als das Gegenteil eines „Tastencharmeurs“ oder „Gefälligkeitskünstlers“ beschrieben. Seine Kunst sei „die Begegnung mit der Kunst, der Prozess des Wiedererschaffens, […] des Verstehens und des Wiederbelebens“ der Klangwelten, dem „Denken und Empfinden“ der alten Meister.[75]

Von seinem Stammpublikum „junger und jung gebliebener Klavierliebhaber“[59] wird Pogorelich aufgrund seiner Werkinterpretationen beinah kultisch verehrt.[33] Pogorelich sei „der radikalste und spannendste Denker der großen Pianisten“,[76] „das grandiose Gegenteil des Klassik-Zirkus“, seine Konzerte die „Kunst der perfekten Freiheit“.[77] Durch sein „grundsätzliches Misstrauen gegenüber den kompositorischen Vorgaben“ würden Pogorelichs Interpretationen „zum Nachdenken der Musik über sich selbst“.[78]

Allgemein anerkannt ist seine souveräne Beherrschung höchster technischer Schwierigkeiten, insbesondere bei Maurice Ravels Gaspard de la nuit[79] und der von ihm bis heute favorisierten Zugabe Islamej von Balakirew.[80][81] Als „brillanter Techniker“ verfügt er über „sämtliche Anschlagnuancen“.[78]

Aufnahmen (Auswahl)

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  • Ivo Pogorelich Recital. Bach – Scarlatti – Beethoven. J. S. Bach: Englische Suiten Nr. 2 a-Moll BWV 807 und Nr. 3 g-Moll BWV 808. D. Scarlatti: Sonaten C-Dur K.487, E-Dur K.20, e-Moll K.98, g-Moll K.450, d-Moll K.1, C-Dur K.159. Beethoven: Klaviersonate Nr. 11, Für Elise. (Deutsche Grammophon, 2005. Bach-Aufnahme, Vicenza, Italien im Oktober 1986, Scarlatti- und Beethovenaufnahmen im Schloss Eckartsau, Österreich im Januar 1987.)
  • Ivo Pogorelich in Castello Reale Di Racconigi. Chopin – Haydn – Mozart. Chopin: Polonaise Nr. 2 c-Moll op. 40, Klaviersonate Nr. 3, Nocturn Nr. 2 Es-Dur op. 55, Prélude cis-Moll op. 45, Hayden: Sonate in As-Dur Hob.XVI:46. Mozart: Sonate Nr. 11 A-Dur KV 331. (Deutsche Grammophon, 2007. Aufnahme in Turin, Italien im April und Mai 1987.)
  • Ivo Pogorelich – RECITAL – Beethoven/Chopin/Scriabin. Chopin: Sonate Nr. 2 b-Moll, Polonaise fis-Moll, Préludes Nr. 21 B-Dur op. 28. Beethoven: Klaviersonate Nr. 27 op. 90, Klaviersonate Nr. 32 in c-Moll op. 111, Alexander Scriabin: Etüde Nr. 2 fis-Moll op. 8, Deux Poémes Fis-Dur und D-Dur op. 32. (Naxos, 2009. Aufnahme in der Villa Contarini, Italien zwischen dem 2. und 14. August 1987.)

Auszeichnungen (Auswahl)

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  • 1978: 1. Preis beim Casagrande-Wettbewerb im italienischen Terni
  • 1980: 1. Preis beim Internationalen Musikwettbewerb in Montreal
  • 1980: außerordentlich originelles Pianistentalent, Sonderpreis der polnischen Musikkritiker
  • 1981: Orlando (Nationaler kroatischer Fernseh- und Radiopreis für die beste Aufführung beim Sommer-Festival in Dubrovnik)[82]
  • 1993: Abrassador Award for Excellence der Weltweiten Kirche Gottes, Pasadena.[83]
  • 1985: Vladimir Nazor Award des kroatischen Kulturministeriums[84]
  • 1990: Rosette des Penguin Guide to Recorded Classical Music für die Einspielung der Klaviersonate Nr. 6 A-Dur op. 82 von Sergei Prokofjew.[85]
  • 1997: Porin Award für das Lebenswerk (Nationaler kroatischer Musikpreis)[86]
  • 1997: ECHO Klassik in der Kategorie Instrumentalist des Jahres für die Einspielung Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgski[87]
  • 1999: Orden Kroatischer Morgenstern mit dem Antlitz von Marko Marulić[88]
  • 2002: Milka Trnina Award der Gesellschaft der kroatischen Musiker[89]
  • 2015: Goldene Stimmgabel der französischen Musikzeitschrift Diapason
  • 2016: Fürst-Branimir-Orden mit Halsband[90]

Literatur (Auswahl)

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  • David Dubal: Reflections from the Keyboard: The World of the Concert Pianist. Summit Books, New York 1981, ISBN 978-0-671-49240-3. (englisch)
  • Joachim Kaiser: Große Pianisten in unserer Zeit. 5. erweiterte Auflage, Piper Verlag, München 1982, ISBN 3-492-02810-1.
  • Harold C. Schonberg: The Great Pianists. 1. aktualisierte Taschenbuchausgabe. Simon & Schuster, New York 1987, ISBN 978-0-671-63837-5. (englisch)
  • Clauspeter Koscielny: In: Orpheus (Hrsg.) Band 16: Ivo Pogorelich. Cool mit Sinnlichkeit. Clauspeter Koscielny Verlag, Berlin 1988, S. 179 ff., ISSN 0932-6111
  • Klaus Umbach: Geldschein-Sonate. Das Millionenspiel mit der Klassik. Ullstein Verlag, Berlin 1990, ISBN 3-550-06450-0.
  • Elysa March: Great contemporary pianists speak for themselves. Dover Publications, New York 1991, ISBN 978-0-486-26695-4. (englisch)[91]
  • Ivo Pogorelich: In: Frankfurter Allgemeine Magazin (Hrsg.): Warum brauchen große Pianisten Vorbilder? Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt 1998.
  • Christoph Rueger (Hrsg.): Harenberg Klaviermusikführer. Harenberg Verlag, Dortmund 1998, ISBN 978-3-611-00679-1.
  • Der Brockhaus Musik. Personen, Epochen, Sachbegriffe. 2. Auflage. F. A. Brockhaus, Mannheim 2001, ISBN 978-3-7653-0374-6.
  • Vladimir Arsenijević, Đorđe Matić, Iris Adrić: Leksikon YU mitologije. Postscriptum, Zagreb und Rende, Belgrad 2004, ISBN 953-99584-0-7. (kroatisch)[92]
  • Hanno Rinke: Zerrissen. Ein Tagebuch in Briefen. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2008, ISBN 978-3-434-50625-6.
  • Jürgen Otten: Die großen Pianisten der Gegenwart: Mit ausführlichem Lexikonteil. Henschel Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89487-530-5.
  • YuanpuÌ Chao, Ivo Pogorelich, YoÌ Morioka: Pianisuto ga kataru: gendai no sekaiteki pianisutotachi tono taiwa. (Titel international: The colours between black and white.) Tankobon Softcover, Tankōbon 2014, ISBN 978-4-87198-584-0. (japanisch)
  • Stephen Siek: A Dictionary for the Modern Pianist. Rowman & Littlefield, London 2016, ISBN 978-0-8108-8879-1. (englisch)[93]

Filme (Auswahl)

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Commons: Ivo Pogorelich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Peter Donohoe: Was the Chopin jury not right to eliminate Pogorelich In: Slipped Disc, 12. April 2005 
  2. a b c d e Lisa McCormick: Pogorelich at the Chopin: Towards a sociology of competition scandals. In: The Chopin Review. Nr. 1. Fryderyk Chopin Institute, 2018, ISSN 2544-9249 (englisch, chopinreview.com).
  3. a b Arkadiusz Luba: Pianist voller Temperament. Deutschlandradio Kultur, 12. März 2015, abgerufen am 6. November 2015.
  4. Js: The soldierly aspects of making a comeback. In: The Comeback Blog. 9. Mai 2011, abgerufen am 20. Oktober 2023.
  5. Teddy Hoersch: Ivo Pogorelich. Der Punker der Klassik? In: Keyboards, Heft 2/1987.
  6. Bernhard Holland: Flamboyance and virtuosity are Pogorelich’s trademarks. The New York Times, 16. Februar 1986, abgerufen am 3. Juli 2015 (englisch).
  7. a b Elizabeth Pond: Pianist Pogorelich. The Christian Science Monitor, 27. August 1981, abgerufen am 31. Oktober 2015 (englisch): „This was the turning point.“
  8. Haggai Hitron: Playing Himself to Tears. Haaretz, 9. März 2010, abgerufen am 31. Oktober 2015 (englisch): „When Aliza came into my life I was 17 and at a dead end with my piano studies.“
  9. a b c Heinz Josef Herbort: „Das Problem der heutigen Künstler: sie arbeiten nicht genug“. Ich möchte gern mein Publikum sein. In: Die Zeit, Nr. 21/1981
  10. Daniel B. Wood: Ivo Pogorelich: dissolving controversy by caressing the piano. The Christian Science Monitor, 23. November 1984, abgerufen am 31. Oktober 2015 (englisch): „[…] my views and my approach to the piano.“
  11. a b c d "Ich bin das Produkt einer sehr strengen Erziehung" - WELT. 15. November 2011, abgerufen am 20. Oktober 2023.
  12. Bernhard Holland: Flamboyance and virtuosity are Pogorelich’s trademarks. The New York Times, 16. Februar 1986, abgerufen am 3. Juli 2015 (englisch): „Mr. Pogorelich credits his subsequent development and success to her.“
  13. Piano Sonata in B flat minor, Op. 35 mov. 3 Marche funèbre. Lento. Third stage, October 1980. In: YouTube. The Fryderyk Chopin Institute, 4. Dezember 2015, abgerufen am 16. Februar 2016 (englisch).
  14. Piano Sonata in B flat minor, Op. 35 mov. 1 Grave. Doppio movimento. Third stage, October 1980. In: YouTube. The Fryderyk Chopin Institute, 18. Dezember 2015, abgerufen am 16. Februar 2016 (englisch).
  15. Zdenko Antic: Yugoslav Pianist: the Man „Who Killed Chopin“. In: Open Society Archives at the Central European University. Radio Free Europe. Research and Analysis Department, 11. November 1980, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. April 2015; abgerufen am 24. März 2015 (englisch).
  16. a b c Klaus Umbach: Ich will Spuren hinterlassen wie Tito. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1981 (online).
  17. Douglas Kennedy: From wunderkind to guardian angel. In: The Independent. 19. Mai 1995, abgerufen am 10. Oktober 2015 (englisch): „He ignored the score and did everything wrong. Except for one thing: he’s clearly a genius.“
  18. Harold C. Schonberg: A virtuoso collection of New York recitals. The New York Times, 2. November 1984, abgerufen am 7. Juli 2017 (englisch): „Pogorelich is unconventional in every aspect.  […] his playing is full of architectural, dynamic and rhythmic extremes.  […] a brilliantly equipped performer“
  19. Barbara H. Seemann: Die Fryderyk Chopin Gesellschaft. versus Polen, abgerufen am 31. Oktober 2015.
  20. a b c d Donna Perlmutter: Pogorelich: Pianist Does It His Way. Los Angeles Times, 17. Februar 1986, abgerufen am 31. Oktober 2015 (englisch).
  21. Sabine Tomzig: Im Rolls-Royce zum Training. Hamburger Abendblatt, 15. Januar 1982, abgerufen am 31. Oktober 2015.
  22. Christophe Huss: Ivo Pogorelich, l’Icare du piano. Le Devoir, 2. Mai 2015, abgerufen am 31. Oktober 2015 (französisch).
  23. Ted Weiner & Don Lee: Episode 65: The Strange Case of Ivo Pogorelich. In: Radio Chopin. WDAV Classical Public Radio, abgerufen am 31. Oktober 2015 (englisch): „In 1980 people wrongly interpreted my attitude and approach to Chopin’s music“
  24. Genius or Jest? The Warsaw Voice, 3. September 2008, abgerufen am 10. Oktober 2015 (englisch).
  25. Controversial pianist Pogorelich makes comeback. In: YouTube. Agence France-Presse, 14. März 2015, abgerufen am 29. März 2015 (englisch).
  26. a b The delicate sound of thunder. The Telegraph, 21. April 1999, abgerufen am 10. Oktober 2015 (englisch).
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