Pogrom in Gugark

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Pogrom in Gugark
Datum März–Dezember 1988
Ort Distrikt Gugark, Armenische SSR, Sowjetunion
Ursache Reaktion auf ähnliche Pogrome, die an den Armeniern Aserbaidschans verübt wurden
Ziele Vertreibung und Ermordung der Aserbaidschaner Gugarks
Methoden Mord, Brandstiftung, Pogrom
Ausgang 11 (offizielle sowjetische Angabe) bzw. 21 (laut Arif Yunus) Tote, Zunahme der ethnischen Spannungen

Das Pogrom in Gugark[1] war ein Pogrom, welches sich gegen die aserbaidschanische Minderheit des Distriktes Gugark der Armenischen SSR richtete.[2][3]

Das im März 1988 beginnende Pogrom folgte einem Massaker, das an den Armeniern Sumgaits im Februar desselben Jahres verübt wurde.[4] Die Verfolgung der Aserbaidschaner dauerte an, bis diese nahezu gänzlich aus der Region geflohen waren.[5] Das Pogrom war einer der vielen Akte ethnischer Gewalt des Bergkarabachkonfliktes, der sich letztlich zu einem Krieg entwickeln sollte.

Aserbaidschanische Quellen sprechen auch vom „Massaker von Gugark“ (aserbaidschanisch Quqark qırğını/qətliamı).[6][7][8]

Lage des Gugark-Distrikts in der Armenischen SSR

Der Distrikt Gugark, von seinen aserbaidschanischen Einwohnern Böyük Qarakilsə (wörtlich: „große schwarze Kirche“) genannt,[9] war zu Zeiten der UdSSR Teil der Armenischen SSR und beheimatete neben seiner armenischen Bevölkerung auch eine aserbaidschanische Minderheit. Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Distrikt Teil der nun unabhängigen Republik Armenien und von dieser in die Provinz Lori eingegliedert.[10]

Nach dem Pogrom in Kirowabad flohen zahlreiche Armenier aus Gəncə, viele von ihnen über Georgien nach Gugark.[11] Die Spannungen zwischen den Armeniern und Aserbaidschanern der Region waren hoch, da beide Seiten befürchteten, die jeweils andere könnte einen Übergriff planen.[12]

Die Konfrontationen zwischen den Armeniern und Aserbaidschanern Gugarks begannen im März 1988. Erzürnte Armenier überfielen aserbaidschanische Häuser,[13] örtliche Behörden vermerkten zudem Schlägereien und Raubüberfälle. Selbst während der Arbeit wurden Aserbaidschaner angegriffen, wobei unter anderem auch mehrere Händler attackiert und ihre Waren gestohlen wurden.[12]

Gewalt und Diskriminierung gegen die aserbaidschanische Bevölkerung der Armenischen SSR nahmen im November 1988 weiter zu.[14] Mehrere Firmen und Organisationen entließen in dieser Zeit ihre aserbaidschanischen Angestellten.[12] Durch die armenischen Angriffe wurden mehrere Aserbaidschaner getötet, die meisten von ihnen im Norden Armeniens, darunter auch im Distrikt Gugark.[15] Das Karabach-Komitee versuchte, die Spannungen und Provokationen zu reduzieren, indem es die nächtliche Bewachung von Städten und Dörfern organisierte, doch auch dies konnte keine vollständige Sicherheit garantieren. Auch die örtlichen Behörden versuchten, die Aserbaidschaner durch die Stationierung von Soldaten und Polizisten an Straßen, die in die von ihnen bewohnten Dörfer führten, zu schützen. Als schließlich beschlossen wurde, die Aserbaidschaner aus der Region zu eskortieren, wurden auch ihre Fluchtkonvois von Armeniern angegriffen.[12][16]

Offiziellen Berichten zufolge wurden elf Aserbaidschaner in Gugark getötet.[12] Laut dem armenischen Journalisten Mane Papyan wurden sieben Aserbaidschaner in Wanadsor getötet, andere verfolgt und ins Exil getrieben,[17] während laut dem aserbaidschanischen Historiker Arif Yunus 21 Aserbaidschaner in Gugark ums Leben kamen.[15] Yunus Liste wurde 2008 von der aserbaidschanischen Botschaft im Vereinigten Königreich zitiert und erneut veröffentlicht.[18] Stepan Ayvazyan, ehemaliger Vorsitzender einer Kollektivfarm in der Region, behauptet zudem, dass in Schahumjan Leichen der Opfer verbrannt wurden, um ihre Identifizierung zu verhindern.[17]

Reaktion der Regierung

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Anfang Dezember meldete das Armenische Radio, dass die Vorsitzenden des Parlaments und der Kommunistischen Partei der Region Gugark aufgrund ihrer „politischen Kurzsichtigkeit“ durch die sowjetische Regierung entlassen wurden.[19] Kurz darauf trafen etwa 100 Experten aus Moskau ein, um die Morde zu untersuchen. Die Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR leitete zwar ein Strafverfahren ein, doch die Täter wurden nie gefunden und der Fall nie gelöst.[17] Der erste Generalstaatsanwalt der Republik Aserbaidschan, Ismət Qayıbov, kritisierte die sowjetischen Behörden für ihre Nachlässigkeit. Laut Grigori Shahverdyan, dem ehemaligen Staatsanwalt Wanadsors, gingen die Angriffe auf eine kleine Gruppe junger Armenier zurück.[17] Die Vorsitzende des Aserbaidschanischen Nationalkomitees der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, Arzu Abdulayeva, behauptet weiterhin, dass die Bevölkerung Aserbaidschans lange Zeit nichts über das Pogrom in Gugark wusste, lediglich Gerüchte vernommen hatte, da man versuchte, das Geschehene zu verschweigen.[20]

1989 kehrten viele Aserbaidschaner, die zuvor aus Gugark geflohen waren, zurück, um ihre Häuser und Wohnungen zu verkaufen oder um Kompensationen für die Schäden, die das Erdbeben von Spitak an ihren Häusern angerichtet hatte, zu erhalten.[17]

Arif Yunus zufolge ist das Wort „Gugark“ für Aserbaidschaner von ähnlicher Bedeutung wie das Wort „Sumgait“ für Armenier und somit zum Inbegriff der ethnischen Spannungen und Konflikte zwischen beiden Völkern geworden.[15]

In der Literatur

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Das Pogrom in Gugark ist einer der Hauptschauplätze des kontroversen, vom aserbaidschanischen Schriftsteller Seymur Baycan verfassten Romans Gugark.[21] Dieser handelt von der Liebe zwischen dem Aserbaidschaner Seymur und der Armenierin Anoush zur Zeit der ethnischen Spannungen, die zu den Pogromen in Baku und Gugark führten. Baycan konnte sich der Kritik durch seine Landsleute entziehen, indem er nur die Umsiedlung der Armenier, nicht aber die gegen sie ausgeübte Gewalt erwähnte. Əkrəm Əylisli, der Autor eines ähnlichen Romans names Steinträume, wiederum wurde für seine Beschreibungen der Pogrome in Baku und Sumgait verleumdet. Er verlor seine staatlichen Ehrungen und sah sich regelrechter Verfolgung ausgesetzt.

Einzelnachweise

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  1. Arpi Grigoryan, Elchin Karimov, Nisan Alıcı: Working Through the Past in the Shadow of the Present: The Cases of Armenia, Azerbaijan, and Turkey. In: Caucasus Edition. 15. Mai 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Februar 2021; abgerufen am 20. Dezember 2020 (englisch).
  2. Helvécio de Jesus Júnior, João Ricardo Guilherme Zimmer Xavier: The Geopolitics of the Caucasus: An Analysis of the Nagorno-Karabakh Conflict. 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. März 2020; abgerufen am 9. Mai 2021 (englisch, sp).
  3. James J. Coyle: Russia's Interventions in Ethnic Conflicts: The Case of Armenia and Azerbaijan. Hrsg.: Palgrave Macmillan. 2021, ISBN 978-3-03059575-3, S. 1–32 (englisch).
  4. Mgr. Jozef Hyrja: Slzy v Čiernej záhrade – Náhorný Karabach. 20. April 2016, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 1. November 2020; abgerufen am 9. Mai 2021 (slowenisch).
  5. James J. Coyle: Russia's Border Wars and Frozen Conflicts. Hrsg.: Palgrave Macmillan. 1. Auflage. 2017, ISBN 978-3-319-52203-6, S. 207–256 (englisch).
  6. Hafiz Ahmedov: Witness of the Gugark massacre: They burned the village at night, INTERVIEW (VIDEO). In: Azvision. 31. März 2017, abgerufen am 23. Dezember 2020 (englisch).
  7. Ermənilərdən şok etiraf: 1988-də azərbaycanlıların qətliamı – Video. In: Axar.az. 10. April 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Februar 2021; abgerufen am 23. Dezember 2020 (aserbaidschanisch).
  8. Aysel Yusifqızı: "Quqark qətliamını törədən cinayətkarların əsas məqsədi etnik təmizləmə idi"- Millət vəkili. Aqreqator.az, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Februar 2021; abgerufen am 23. Dezember 2020 (aserbaidschanisch).
  9. Rasul Rza, Dschemil Kulijew (Hrsg.): Aserbaidschanische Sowjet-Enzyklopädie. Band 5, 1981 (aserbaidschanisch).
  10. Закон Республики Армения Об административно-территориальном делении Республики Армения. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. Januar 2014; abgerufen am 20. Dezember 2020 (russisch).
  11. Armenian-Azerbaijani clashes, ethnic cleansings and pogroms; November 22-23, 1988. ANI Armenian Research Center, 23. November 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Februar 2021; abgerufen am 20. Dezember 2020 (englisch).
  12. a b c d e Mane Papyan: Gugark after Sumgait. In: Caucasus Edition. 22. April 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. November 2020; abgerufen am 20. Dezember 2020 (englisch).
  13. Viktor Chlystun: 10 баллов по шкале политбюро сотрудники КГБ СССР рассказывают о нестихийной катастрофе, приведшей к кровавому конфликту между Азербайджанцами и Армянами. 2. Januar 2001, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. November 2020; abgerufen am 20. Dezember 2020 (russisch).
  14. Yazep Abzavaty: Непризнанные IV. Горькие плоды «Черного сада». In: Наше Мнение. 15. Januar 2007, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. November 2008; abgerufen am 20. Dezember 2020 (russisch).
  15. a b c Погромы в Армении: суждения, домыслы и факты. In: Экспресс-Хроника. Nr. 9, 26. Februar 1991 (russisch).
  16. Marc Elie: « Au centre d’un double malheur » Le séisme du 7 Décembre 1988 en Arménie et l’expulsion des sinistrés azéris de Spita. In: Cairn.info. 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 9. Mai 2021; abgerufen am 9. Mai 2021 (französisch).
  17. a b c d e Mane Papyan: События в Гугарке. Как громили азербайджанцев в Армении. In: epress.am. 29. April 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. Januar 2021; abgerufen am 20. Dezember 2020 (russisch).
  18. Report on mass human rights violation. Aserbaidschanische Botschaft im Vereinigten Königreich, 18. Dezember 2007, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. März 2012; abgerufen am 2. Oktober 2023 (englisch).
  19. Felicity Barringer: 3 More Killed in Soviet Ethnic Protest. New York Times, 7. Dezember 1988, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. Januar 2012; abgerufen am 20. Dezember 2020 (englisch).
  20. Jolyon Naegele: Azerbaijan: Armenians and Azerbaijanis Remember Suffering. Radio Free Europe / Radio Liberty, 9. März 1998, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 20. Dezember 2020; abgerufen am 20. Dezember 2020 (englisch).
  21. Zaur Gasimov: Historical Dictionary of Azerbaijan. Rowman & Littlefield Publishers, 2017, ISBN 978-1-5381-1041-6, S. 64 (englisch).