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Die Ernennung Otto von Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten sprach König Wilhelm I. am 22. oder 23. September 1862 aus. Im Zuge des sich zuspitzenden preußischen Verfassungskonflikts hatten konservative Politiker Bismarck wiederholt als preußischen Ministerpräsidenten ins Gespräch gebracht. Erst nachdem jedoch ein Einigungsversuch der preußischen Regierung mit dem Landtag am Widerstand des Königs gescheitert war und zwei Minister Rücktrittsgesuche eingereicht hatten, wurde Bismarck im Herbst 1862 nach Berlin gerufen. Da zu erwarten war, dass das preußische Abgeordnetenhaus die Finanzierung von Wilhelms Heeresreform ablehnen würde, erwog dieser, zu Gunsten von Kronprinz Friedrich Wilhelm abzudanken. In dieser Situation kam es am 22. September 1862 zu einer Unterredung zwischen Bismarck und König Wilhelm I. in Schloss und Park Babelsberg bei Potsdam. In Folge des Treffens wurde Bismarck zunächst zum Ministerpräsidenten ernannt, am 8. Oktober 1862 zusätzlich auch zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten.
In den folgenden 28 Jahren spielte Otto von Bismarck eine zentrale Rolle in der preußischen und deutschen Politik. Er selbst prägte durch seine Memoiren, die Gedanken und Erinnerungen, bis heute den Blick auf die Umstände seiner Einsetzung: Ob es allerdings allein seine Bereitschaft war, gegen das Parlament zu regieren, die König Wilhelm I. von einer Abdankung abhielt, ist umstritten. Ebenso wird diskutiert, welchen Handlungsspielraum der König ihm am 22. September 1862 zugestand und ob Bismarck die Unterredung in Babelsberg tatsächlich dominierte. In der Forschung verbindet sich mit Bismarcks Ernennung die Frage, ob dieses Ereignis den Übergang zu einer parlamentarischen Monarchie in Preußen und Deutschland verhinderte. Historiker wie Thomas Nipperdey, Hans-Ulrich Wehler und Lothar Gall sehen hier einen entscheidenden Wendepunkt der deutschen Geschichte. Einer solchen Einschätzung widersprechen unter anderem Eberhard Kolb und Christoph Nonn.