Rede Wladimir Putins auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz 2007

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Putin 2007 auf der 43. Sicherheitskonferenz in München

Putins Rede auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz 2007 war die erste Rede eines russischen Staatsoberhaupts. Hauptthemen waren die „Unipolare Weltordung“, die NATO-Osterweiterung, die Abrüstung und das iranische Atomprogramm.[1][2] Putins Rede am 10. Februar 2007 im Kaisersaal des Bayerischen Hofes gilt als Botschaft Russlands an den Westen, keine untergeordnete Rolle in der Weltpolitik zu akzeptieren. Sie markierte einen bedeutenden Wandel in der russischen Außenpolitik und signalisierte eine selbstbewusstere und unabhängigere Haltung auf der internationalen Bühne. Putin machte deutlich, dass Russland bereit sei, seine Interessen zu verteidigen und eine aktivere Rolle in der Gestaltung der globalen Ordnung zu übernehmen.

Die Rede erweckte weltweit Aufsehen und gilt als Wendepunkt in den internationalen Beziehungen und als Beginn einer neuen Phase der russischen Außenpolitik, die auf mehr Eigenständigkeit und Widerstand gegen westliche Dominanz setzt. Teilnehmer und Medien sprachen teilweise schockiert von einer Brandrede und einem neuen Kalten Krieg.

Im Rückblick sehen Kritiker die Aussagen Putins als frühe Anzeichen der imperialen Kurswendung Russlands, die zum Ukrainekrieg führte und die westliche Ordnung bedroht; Befürworter sehen die Rede als Warnung Putins vor dem hegemonialen Anspruch der USA, die der Westen ignoriert und in der Folge einen militärischen Konflikt in Osteuropa provoziert habe, anstatt eine multipolare Weltordnung zu akzeptieren und zu fördern.

Am Abend zuvor war Putin im Hotel „Vier Jahreszeiten“ mit Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber zusammengekommen, schließlich trafen noch Verteidigungsminister Iwanow und dessen Sohn ein.[3] Putin war mit 200 Mitarbeitern angereist.[4] Er fuhr in einem gepanzerten Spezialmodell einer Mercedes-S-Klasse zum Hotel, dahinter folgte unter anderen Fahrzeugen auch eine Limousine vom Typ SIL.[5] Während Angela Merkels Eingangsrede machte er sich Notizen zu weiteren Themen und änderte dabei das Manuskript seiner Rede ab, die an zwei Stellen explizit auf die Rede Merkels und auf eine Frage an sie in der Diskussion Bezug nahm.[6]

Zu Beginn seiner Rede am 10. Februar sagte Putin, das Format der Sicherheitskonferenz biete ihm die Gelegenheit, „der 'übertriebenen Höflichkeit' zu entgehen, mit geschliffenen, angenehmen, aber leeren diplomatischen Worthülsen sprechen zu müssen“ und das zu sagen, was er wirklich denke. Er hoffe, dass der Vorsitzende der Konferenz, Horst Teltschik, ihm nicht gleich das rote Licht einschalte und das Mikro abdrehe.[7]

Kritik an der unipolaren Weltordnung

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Beginn der Rede Putins am 9. Februar 2007.

Wladimir Putins erstes Thema war eine klare Botschaft mit einer scharfen Kritik an der unipolaren Weltordnung, die seiner Meinung nach von den USA dominiert wird. Er stellte die Legitimität einer solchen Weltordnung in Frage. Er sagte: „Ein unipolares Modell ist nicht nur inakzeptabel, sondern auch unmöglich in der heutigen Welt.“ Er argumentierte, dass eine solche Ordnung zu Instabilität und Konflikten führe, da sie die Interessen und Souveränität anderer Nationen missachte. Diese Dominanz führe zu einem „fast unkontrollierten Hyper-Einsatz von Gewalt“ in den internationalen Beziehungen und destabilisiere die globale Sicherheit. Putin betonte, ein solches System sei nicht nachhaltig und zwinge die Weltgemeinschaft dazu, sich gegen die USA zu positionieren. Die USA hätten „ihre Grenzen in fast allen Bereichen überschritten“. In den „militärischen Abenteuern“ kämen Tausende von friedlichen Menschen ums Leben. Anderen Staaten würden „Regeln aufgedrängt, die sie nicht wollen“. Wem könne das schon gefallen, fragte Putin.[7]

„Eine monopolare Welt, das heißt: ein Machtzentrum, ein Kraftzentrum, ein Entscheidungszentrum. Dieses Modell ist für die Welt unannehmbar. Es ist vernichtend, am Ende auch für den Hegemon selbst.“

Das „monopolare Modell“ habe in dieser Welt keinen Bestand, weil es keinen moralischen und ethischen Bestand hat, argumentierte Putin.[7] Putin warnte EU und Nato davor, alleine als Konfliktlöser auftreten zu wollen. Es gebe eine fast ungezügelte Anwendung von Gewalt, das Völkerrecht werde zunehmend missachtet. Niemand fühle sich sicher. Grundlage für den Einsatz von Waffen könnten jedoch nur die Statuten der Vereinten Nationen sein. Man solle die Vereinten Nationen nicht durch EU oder Nato ersetzen.[8]

Rolle von OSZE und NGOs

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Putin warf der OSZE vor, Instrument der Außenpolitik zur Einmischung in innere Angelegenheiten von Teilnehmerstaaten geworden zu sein. Dieser Aufgabe sei auch der bürokratische Apparat der OSZE untergeordnet worden, der überhaupt nicht mit den Teilnehmerländern verbunden sei, ebenso wie die Prozeduren für die Annahme von Entscheidungen. Die so genannten „Nicht-Regierungs-Organisationen“ dienten ebenso der Einmischung. Die NGOs seien nur formal unabhängig, würden aber zielgerichtet vom Ausland finanziert, „das heißt kontrolliert“.

Militärische Interventionen

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Militärische Interventionen der USA und ihrer Verbündeten würden, so Putin, oft ohne die Zustimmung der internationalen Gemeinschaft und unter Missachtung des Völkerrechts durchgeführt. Er betonte, diese militärischen Aktionen trügen nicht zur Stabilität bei, sondern führten im Gegenteil zu mehr Chaos und Unsicherheit. Er sagte: „Wir sehen eine immer größere Missachtung der Grundprinzipien des internationalen Rechts. Ein Staat, und natürlich vor allem die Vereinigten Staaten, hat seine nationalen Grenzen in jeder Hinsicht überschritten.“

NATO-Osterweiterung und Sicherheitsbedenken

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Ein zentrales Thema seiner Rede war die NATO-Osterweiterung. „Warum ist es notwendig, die NATO bis an unsere Grenzen zu erweitern?“ Putin äußerte starke Bedenken, da sie als direkte Bedrohung für die Sicherheit Russlands betrachtete. Er verwies auf vermeintliche Zusicherungen westlicher Führer nach dem Zerfall des Warschauer Pakts, die NATO würde sich nicht nach Osten ausdehnen würde: „Die Garantien, die uns gegeben wurden, wurden nicht eingehalten. Ist das normal?“[7] Er gab ein angebliches Zitat Manfred Wörners wieder: „Schon der Fakt, dass wir bereit sind, die NATO-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der BRD zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien.“[9] Der Bruch dieser Versprechen habe zu einem Vertrauensverlust geführt. Putin argumentierte, die NATO-Erweiterung trage nicht zur Sicherheit Europas bei, sondern provoziere Spannungen und reduziere das gegenseitige Vertrauen. Die militärische Infrastruktur der Nato reiche „bis an unsere Grenzen“ heran, äußerte Putin. Er warnte die Nato vor „ungezügelter Militäranwendung“. Nordatlantik-Allianz und Europäische Union würden anderen Ländern ihren Willen aufzwingen.[10]

Kritik an den US-Raketenabwehrplänen

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Putin kritisierte den von den USA geplanten Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien, der mit einer Bedrohung durch „Schurkenstaaten“ wie dem Iran begründet wurde. Putin hielt dagegen: Der Iran bedrohe Europa nicht, da die Reichweite der iranischen Raketen zu kurz sei. Keiner der Problemstaaten habe Raketen mit Reichweiten von 5000 bis 8000 Kilometern, die über Europa abgefangen werden müssten.[8] Er argumentierte, solche Maßnahmen dienten nicht dem Schutz Europas, sondern seien eine strategische Maßnahme gegen Russland. Putin schlug alternative Sicherheitsvereinbarungen vor, die jedoch von den USA abgelehnt wurden. Er warnte, dass diese Raketenabwehrpläne ein neues Wettrüsten auslösen könnten.

Globale Sicherheit und Wirtschaft

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Putin betonte, dass die internationale Sicherheit nicht nur militärische Stabilität umfasst, sondern auch wirtschaftliche Sicherheit, Armutsbekämpfung und den Dialog zwischen Zivilisationen. Er sagte: „Die Sicherheit eines Einzelnen ist untrennbar mit der Sicherheit aller verbunden.“ Er hob hervor, dass wirtschaftliche Ungleichheit und Armut zu Instabilität und Konflikten führen können und dass diese Probleme nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden können.

Putin sprach auch über die Energiepolitik und die Bedeutung von Energie als Instrument der Außenpolitik. Er betonte, Russland sei ein zuverlässiger Lieferant von Energie und die Energiepolitik sollte nicht zur Erpressung genutzt werden. „Wir sind kein Feind, wir sind ein Partner“, sagte Putin und forderte eine faire und transparente Energiepolitik.

Aufruf zu einer multipolaren Welt

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Putin plädierte für eine multipolare Welt, in der mehrere Machtzentren koexistieren und kooperieren können. Er betonte die Bedeutung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen als Grundlage für globale Sicherheit und Stabilität. Putin forderte ein ausgewogeneres und gerechteres internationales System, das die Souveränität aller Nationen respektiert. Er hob hervor, nur durch Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt könne eine stabile und sichere Weltordnung erreicht werden. „Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir die Herausforderungen der modernen Welt bewältigen“, sagte Putin.

Nach der Rede wurde von Horst Teltschik die Diskussion eröffnet. Es wurden acht Fragen gestellt, die Putin beantwortete.

  1. Putin wurde gefragt, ob er die Selbstbestimmung der NATO-Mitglieder anerkenne, eingestehe, dass die Erweiterung der NATO die Ostgrenzen sicherer macht, warum er Angst vor Demokratie habe? Zuletzt wurde Besorgnis wegen der Verfolgung von Journalisten und der Einschränkung der Arbeit von NGOs in Russland geäußert.
  2. Es wurde festgestellt, dass der internationale Terrorismus zugenommen habe, weshalb der Schutz von Kernmaterialien und die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen wichtig seien.
  3. Was wird mit dem Kosovo und mit Serbien? Wie stehen Sie zu Martti Ahtisaari?
  4. Es wurde nach den Erfahrungen der russischen Armee in Tschetschenien gefragt. Hinsichtlich der Energiewirtschaft wurde Putin gefragt, ob er bereit sei, die Sicherheit der Energielieferungen zu garantieren und dies in dem Abkommen festzuschreiben.
  5. Welche Schritte wird Russland unternehmen, um diese Entwicklung von Kernwaffen im Iran zu stoppen?
  6. Stimmt es, dass Russland einen verstärkten Druck in Form von Sanktionen auf den Iran verhindert? Weiterhin wurde nach russischen Lieferungen von Waffen an den Iran gefragt, die im Libanon und im Gaza-Streifen gelandet sind.
  7. Nur Russland entwickele strategische Waffen. Putin wurde aufgefordert zu sagen, dass Russland nie Kriegshandlungen ohne Zustimmung der UNO führen werde, unabhängig davon, ob seine internationalen Interessen bedroht sind.
  8. Putin kritisiere Unipolarität, sein Land werde aber unipolar regiert. Inwiefern könne man von so einem Land Sicherheit bei den Energielieferungen erwarten?

Putin antwortete zu den einzelnen Punkten

  1. Die eigene Sicherheit zu gewährleisten, sei natürlich das ausschließliche Recht eines jeden souveränen Staates. Putin fragte, warum bei der Erweiterung ausgerechnet die Militärinfrastruktur näher an die russischen Grenzen verlegt werden solle? „Was hat der Ausbau der militärischen Infrastruktur mit der Abwendung der globalen Bedrohungen der Gegenwart gemein? (...) Die Erweiterung der militärischen Infrastruktur in der Nähe unserer Grenzen hat hier mit dem demokratischen Auswahlrecht einzelner Staaten nichts zu tun. Diese beiden Begriffe dürfen nicht verwechselt werden.“ Wenn NGOs von ausländischen Regierungen finanziert würden, so betrachteten sie das als ein Instrument ausländischer Staaten bei der Realisierung einer Politik gegenüber ihrem Land. Außerdem gebe es in allen Ländern bestimmte Regeln für die Finanzierung beispielsweise von Wahlkampagnen. Über die nichtstaatlichen Organisationen erfolgt die Finanzierung aus Regierungsquellen anderer Länder. Das sei nicht demokratisch, sondern eine Beeinflussung des einen Staates durch einen anderen. Sie seien daran interessiert, „dass sich die zivile Gesellschaft innerhalb von Russland selbst entwickelt, dass sie die Behörden rügt und kritisiert und der Macht hilft, deren Fehler zu finden und die Politik im Interesse der Menschen zu korrigieren.“ Die Ermordung von Journalisten werde gerichtlich verfolgt, dem Fragesteller sei aber als Fachmann bekannt, dass es im Irak die meisten Morde an Journalisten gebe.
  2. -
  3. Putin äußerte, wenn sie merkten, dass eine Partei mit der vorgeschlagenen Lösung grundsätzlich unzufrieden ist, würden sie diese Lösung nicht unterstützen.
  4. In Tschetschenien seien ein Parlament und ein Präsident gewählt worden und es bestehe eine Regierung. So gut wie alle politischen Kräfte in Tschetschenien seien in den Aufbau eines Macht- und Verwaltungsapparates einbezogen. Die Prinzipien, wie sie in der Energiecharta enthalten sind, seien im Großen und Ganzen akzeptabel. „Doch die Charta selbst passt uns nicht ganz. Denn sie wird weder von uns noch von unseren europäischen Partnern erfüllt. Man denke allein an den Markt für Kernmaterial, von dem wir ausgeschlossen bleiben.“
  5. Putin sprach von Beweisen dafür, dass die Technologien zur Entwicklung von Raketen sowohl aus Europa als auch aus asiatischen Staaten an den Iran flössen. Irans Raketen seien mit einer Reichweite von 1600/1700 Kilometern keine Bedrohung für Europa. Man lehne die Entwicklung iranischer Atomwaffen ab. Die militärtechnische Zusammenarbeit sei minimal.
  6. Im Libanon habe Russland Aufbauarbeit in der Infrastruktur geleistet. Im Gaza-Streifen seien keine russischen Waffen, außer vielleicht Kalaschnikows, im Libanon seien gegen die Vereinbarung von Syrien russische Panzerabwehrwaffen zurückgelassen worden. Dies soll in Zukunft durch Kontrollen verhindert werden.
  7. Russland wisse, dass die Vereinigten Staaten an einem Raketenabwehrsystem arbeiten, das die Bedrohung durch die heutigen Nuklearkräfte Russlands völlig neutralisieren würde. Dies bedeute, dass „das Kräftegleichgewicht absolut zerstört wird und dass bei einer der Seiten das Gefühl einer völligen Sicherheit entstehen wird, was ihr Handlungsfreiheit geben würde, und zwar nicht nur in lokalen, sondern vielleicht bereits auch in globalen Konflikten.“ Angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten Russlands müsse man eine billigere asymmetrische Antwort geben. Dies sei nicht gegen die USA gerichtet, es sei nichts Persönliches, sondern reine Kalkulation. „Das System der Beziehungen ist wie Mathematik.“ Russland werde stets strikt im Rahmen des Völkerrechts agieren. Als Jurist erlaube er sich, sich selbst wie die Kollegen daran zu erinnern, dass für Friedensoperationen gemäß der UNO-Charta Sanktionen der Organisation der Vereinten Nationen und des UN-Sicherheitsrates erforderlich sind. „In der UNO-Charta gibt es auch einen Artikel über das Recht auf Selbstverteidigung. Da sind keine Sanktionen mehr nötig.“
  8. Russland entwickele sich zu einem Mehrparteienstaat, der Fragesteller solle sich mit den Oppositionsparteien unterhalten, um sich zu überzeugen. Zur Erhöhung der Energiesicherheit habe man mit der Ukraine einen 5-jährigen Durchleitungsvertrag statt der bisherigen jährlichen Verhandlungen abgeschlossen.

Reaktion der Teilnehmer

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Nach Darstellung von Jochen Bittner schienen viele der Sicherheitspolitiker und -experten die Tragweite von Putins Worten unmittelbar nach seiner Rede noch nicht recht erfasst zu haben. Kurt Beck habe in seiner späteren Rede völlig unbeeindruckt davon gesprochen, dass Deutschland die "besondere strategische Partnerschaft mit Russland voranbringen" wolle.[11] Der US-amerikanischen Delegation in der ersten Reihe habe Schlimmes geschwant. Die Mienen seien versteinert gewesen, schreibt der Spiegel.[12]

Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer habe verärgert reagiert und „einen Bruch“ gesehen: Die Äußerungen von Putin würden nicht zur viel beschworenen „Partnerschaft zwischen Russland und der Nato“ passen. Scheffer zeigte sich enttäuscht und bekundete sein Unverständnis für Putins Äußerung gegen die Nato-Osterweiterung. Wörtlich fragte er: Wie könne man sich denn sorgen, „wenn Demokratie und Rechtsstaat näher an die Grenzen rücken“?[10]

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte ihre Überzeugung, dass auch in Zukunft die Nato der „stärkste Ausdruck gemeinsam formulierter Sicherheitspolitik“ bleibe.[13]

Der CDU-Außenpolitiker und seinerzeit Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, Friedbert Pflüger, teilte die Enttäuschung Scheffers. Man habe von Putin eine Rede zur strategischen Partnerschaft zwischen Nato und Russland erwartet, „aber davon war er weit entfernt“. Bei Putin sei „viel Verletzung“ spürbar gewesen, „Verletzung über die verlorene Weltmachtrolle“, bewertete Pflüger die Rede.[10]

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) äußerte Verständnis für die Sorgen Putins und erklärte: „Ich hoffe, wir können beim nächsten Nato-Russland-Rat darüber sprechen“.[8]

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck zeigte sich beeindruckt von Putins Offenheit und wies Sorgen um einen neuen Kalten Krieg zurück.[10] Beck forderte: „Man muss den Dialog mit Russland intensiver führen.“[8] „Wir haben einen offenen Austausch darüber, wie ein stabiles Miteinander entstehen kann.“[14]

Der SPD-Außenexperte Karsten Voigt wies darauf hin, dass es Putin nicht um die Meinungen der Konferenzteilnehmer gegangen sei. Putin habe die Rede an die Öffentlichkeit gerichtet.[10] Es sei keine Propagandarede, es sei klar geworden, was Putin wirklich denke: "Wir müssen das ernst nehmen."[15]

Der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Klaus Naumann, attestierte Putin eine verpasste Chance und verspielte Sympathien: Putin habe versucht, den Eindruck eines starken Russlands zu erwecken, tatsächlich aber sei das Land „schwach“.[10]

Putins Sprecher Dmitri Peskow hob hervor, dass die Rede zeigen sollte, dass Russland aufgrund seiner gewachsenen Rolle auf der Weltbühne Anspruch auf Mitsprache erhebe und nannte die Rede einen „Alarmruf“. Es gehe „nicht um Konfrontation, sondern um Sorge“.[10] Sergej Iwanow sagte auf einer anschließenden Pressekonferenz: "Ich denke, dass die Rede des russischen Präsidenten sehr auf den Punkt war. Das ist kein Denken des kalten Krieges." Iwanow erinnerte an die Unterschiede in den Verteidigungsbudgets. Außerdem gebe es mehr gewaltsame Konflikte weltweit als zu Zeiten des Kalten Krieges. Das Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien sei technisch nur auf Russland gerichtet.

Der amerikanische Senator John McCain widersprach der Einschätzung Putins zur Rolle Amerikas. Russland entferne sich immer mehr von unseren wesentlichen Werten, was eine Partnerschaft ausschließe.[16]

Der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates sagte am Sonntag auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Keiner will einen neuen Kalten Krieg mit Russland.“[17]

Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg äußerte „Irgendjemand hat hier nicht gemerkt, dass es die Sowjetunion nicht mehr gibt“. Falls in Polen und in der tschechischen Republik Teil eines Raketenschutzschildes werde, dann betreffe das Polen, die tschechische Republik und die Nato. Und niemanden sonst, sagte er laut Stern.[18]

Direkte Folgen der Rede

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Bundeskanzlerin Merkel traf sich nach der Rede mit Putin zu einem Privatgespräch. Der Ton des Gesprächs soll laut WELT angenehm gewesen sein. Putin lädt CSU-Chef Edmund Stoiber zum Abschiedsbesuch nach Moskau ein. Beide sollen sich laut WELT so gut verstanden haben, dass sie zum Du übergegangen seien.[19]

Bewertung in den Medien 2007

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  • Thomas Shanker und Mark Landler (NYT) kommentierten, in der lebhaften Diskussionsrunde habe Putin erkennen lassen, dass es ihm Freude mache, das internationale Publikum aus Politikern, Regierungschefs, politischen Analysten und Menschenrechtsaktivisten zu provozieren. Einige Analysten hätten den Ton der Rede als Beweis dafür genommen, wie sehr die Einnahmen aus Öl und Mineralien Putin gestärkt hätten.[20]

Großbritannien

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  • Im Guardian schrieb Ian Traynor, Putins Tirade habe darauf hingedeutet, dass sich der Kreml auf eine Konfrontation mit den Amerikanern vorbereite. Über die Politik Washingtons habe Putin kein gutes Wort zu sagen gehabt.[21]
  • Sebastian Fischer (Der Spiegel) stellte am 10. Februar fest, mit seiner aggressiven Rhetorik habe Putin seine Zuhörer in München geschreckt. "Die fragten sich anschließend: Warum macht Russlands Präsident das? Aus Sorge um den Weltfrieden? Aus Frust über den eigenen Bedeutungsverlust?"[22] Eine solch derbe Nato-Kritik sei noch nie dagewesen, kommentiert er.[23]
  • Jochen Bittner schrieb am 12. Februar in Die Zeit: „Was Putin im Hotel Bayerischer Hof dem Publikum vortrug, war nicht weniger als der Versuch, die alte Weltordnung wiederzubeleben, eine Ordnung, in der die Supermacht Amerika eingehegt werde durch ein staatliches Gegengewicht, durch völkerrechte Schranken und strategische Rücksichtspflichten.“ Putins „Frontalangriff auf die Supermacht Amerika“ erkläre sich wohl nur zum Teil aus den Verletzungen, die der russischen Seele seit Ende des Kalten Kriegs zugefügt worden seien. Dazu kamen die Pläne Washingtons, in Polen und Tschechien Elemente seines Raketenabwehrschirms zu installieren, und die Osterweiterung der Nato. Mit dem Verweis auf „Garantien“ gegenüber Gorbatschow habe Putin daran erinnern wollen, dass Michael Gorbatschow 1990 zwar einem vereinigten Deutschland innerhalb der Nato zugestimmt hatte. Eine weiterreichende Verlegung der Nato-Grenzen nach Osten habe damals, so Bittner, allerdings nicht zur „außenpolitischen Geschäftsgrundlage gehört“.[7]
  • Hans-Jürgen Leersch befand am selben Tag in Die Welt: „Russland ist reich und selbstbewusster geworden. Entsprechend tritt Putin auf. Der Präsident hat sich weitere Themen notiert. Einen Teil seines Manuskripts arbeitet er noch um, während Merkel spricht. Konferenzteilnehmer, die das beobachten, kommen zum Ergebnis, dass Putin seine Thesen höchstpersönlich formuliert hat und seine Schüsse auf Amerika und Nato nicht von Heckenschützen im Kreml vorformuliert worden sind.“[8]
  • Katja Gloger (Stern) reflektierte am 12. Februar über in den USA wahrgenommene mögliche Gründe für Putins in den USA überrascht, schockiert und vor allem ratlos aufgenommene Rede: "Hatte da einer endlich einmal seinen Gefühlen freien Lauf gelassen - Putin pur sozusagen, ein Ex-KGB-Oberst im anti-amerikanischen O-Ton? Wollte da einer endlich einmal die Karten auf den Tisch knallen und klar machen, wer der Gegner ist, die wahre Gefahr für den Weltfrieden? Die USA nämlich - so wie es Umfragen zufolge ja die Meisten in Europa denken, auch in Deutschland. Will da jemand die Europäer gegen Amerika auf seine russische Seite ziehen? Oder wollte sich da ein beleidigter Russe etwa nur für die jüngsten Äußerungen des US-Verteidigungsministers Gates rächen, der Russland vergangene Woche in einem Atemzug mit den "Schurkenstaaten" Iran und Nordkorea nannte?" Die Besonnenen hofften, so Gloger, auf eine deutliche Antwort der Europäer, vor allem der Deutschen. Sie hofften, der Westen würde sich von dem Mann aus Moskau nicht spalten lassen.[24]
  • Christian Semler (TAZ) kommentierte am 13. Februar, im Milieu der Militärpolitiker setze sich langsam die Einsicht durch, dass es Zeit sei, Abschied von der Vorstellung der USA als Welthegemon zu nehmen, der allein fähig sei, kraft seines überragenden Militärpotenzials überall die „Pax Americana“ herbeizuführen. „Auch die Reaktionen deutscher Politiker auf Putins Rede zeugen von dieser Einsicht. Unabhängig von parteipolitischen Verortungen wurde dem russischen Präsidenten attestiert, er habe bei einer Reihe von Themen, vor allem der geplanten Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Osteuropa, eine berechtigte Sorge artikuliert. Das Gleiche gelte, abgeschwächt, auch für die Stationierung von US-Truppen an der russischen Grenze.“[25]
  • Die NZZ schrieb, Putin habe mit einem aggressiv-vorwurfsvollen Auftritt gegen die amerikanische Politik und die Osterweiterung der Nato überrascht. Von deutscher Seite habe es allerdings eine Reihe bemerkenswert verständnisvoller Stimmen für Putins Kritik an der amerikanischen Politik gegeben.[26]
  • Ignacio Sotelo (El Pais) kommentierte, es seit offensichtlich, dass Russland weder willens noch in der Lage sei, eine Politik der Konfrontation zu verfolgen. „In Deutschland, das an einem Gleichgewicht zwischen den USA und Russland interessiert ist, zielen die Kommentare nicht darauf ab, Putins Ansichten in Frage zu stellen, sondern die Motive dahinter zu entschlüsseln. Russland hätte innenpolitisch viel zu verbergen und versucht daher, einen Nationalismus zu verstärken, der durch die verbesserte wirtschaftliche Lage aufgrund der hohen Energiepreise gestärkt wird. Man wird mit Russland als einer Macht rechnen müssen, die sich nicht von einer Großmacht mit Monopolbestrebungen vereinnahmen lässt, wie es in der Tat mit der Europäischen Union geschehen ist.“[27]

Bewertungen nach 2007

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Ähnlich wie Roman Azanov am 10. Jahrestag der Rede 2017,[28] schrieb die außenpolitische Redaktion der TASS am 15. Jahrestag der Rede am 10. Februar 2022, Putin habe alles gesagt, aber Warnungen und Prophezeiungen seien ignoriert worden. Die fortgesetzte NATO-Erweiterung, das Angebot an die Ukraine und die Einmischung in Georgien 2008 hätten dies gezeigt. Die Aufnahme der Krim in die Föderation sei 2014 von Putin auch entsprechend seiner Rede von 2007 begründet worden: Russland halte es für unmöglich, „NATO-Streitkräfte auf den Boden der Krim und Sewastopols zu lassen, eines Landes, in dem russische Soldaten und Matrosen ihren Kampfruhm verzeichnen.“ Wie von Putin warnend beschrieben, habe es zahlreiche Beispiele der Destabilisierung von Ländern gegeben, denen unsinnigerweise „demokratische Normen“ diktiert werden sollten, was Zehntausende Opfer, den faktischen Verlust der Souveränität einiger Länder und die Entstehung des Islamischen Staates zur Folge gehabt hätte. Trotz Sanktionen sei Russland weiterhin vertragstreuer Garant der Lieferung großer Mengen konkurrenzlos günstigen Gases für Europa geblieben. Angesichts der wachsenden Stärke Chinas, der G20 und BRICS sei die unipolare Ordnung nicht mehr möglich. Putins und Bushs hoffnungsvolle Annahme, Russland und die USA würden nie wieder Gegner und Feinde sein sei leider zu optimistisch gewesen. 2017 etwa hätte die USA Russland offiziell zum Gegner erklärt, indem sie den berühmten CAATSA (Countering America's Adversaries by Sanctions Act) verabschiedeten. Putin habe betont, es würde es zu einer militärischen Konfrontation zwischen Russland und der NATO und damit auch den USA kommen, wenn die Ukraine in die Allianz aufgenommen würde und Kiew die russische Krim angreifen würde. Um dies zu vermeiden, habe Russland Initiativen ergriffen, „um den Rechtsstatus paneuropäischer Sicherheitsgarantien zu korrigieren.“[29]

Daniel Fried und Kurt Volker, der selbst an der Konferenz teilgenommen hatte, kommentierten am 18. Februar 2022 in Politico, es werde leicht vergessen, dass die USA und Europa nach dem Aufstieg Russlands aus den Ruinen der Sowjetunion jahrelang daran gearbeitet hätten, das Land in eine neue Nachkriegsordnung zu integrieren. „Weit entfernt von triumphalistischer Rache (wie der Kreml die Welt glauben machen wollte), unterstützte der Westen Russland mit beträchtlicher finanzieller und technischer Hilfe.“ Nach seinem Amtsantritt habe Putin jedoch systematisch Militär und der Geheimdienste aufgebaut und die Ansätze zur Demokratie demontiert, die Medien kontrolliert, die Staatsindustrie konsolidiert, den Widerstand gegen seine Partei untergraben, politische Gegner ermordet.

Putin zähmte nicht nur die Oligarchen der 1990er Jahre; er ersetzte sie durch seine eigenen. Er schuf so etwas wie ein sowjetisches System der kommunistischen Partei, nur ohne die sowjetische Ideologie und mit einer persönlichen Herrschaftsstruktur anstelle der alten Parteinomenklatura.

Zur Zeit der Rede sei die Bush-Regierung immer noch optimistisch geblieben, dieser Optimismus habe sich ohne Rechtfertigung über Obama und Trump bis zu Biden fortgesetzt. Putin habe inzwischen die europäische Öffentlichkeit für seine Beschwerden gewinnen können und die USA für die angebliche Bedrohung Russlands verantwortlich gemacht, ein bewährtes Manöver aus den 1980er Jahren gegen die Stationierung von Pershing-Raketen. Mehr noch als 2007 akzeptierten, so die Autoren, manche in Europa und den USA die „Linie des Kremls, dass die wahre Ursache der russischen Bedrohung der Ukraine heute in der NATO-Erweiterung liegt, einem Instrument zur Förderung eines vereinten Europas - und nicht in Putins Wunsch, ein größeres Russland aufzubauen, das im Inland autoritär und im Ausland aggressiv ist.“ 2007 sei der Wandel in der Rhetorik unmissverständlich geworden und habe sich in den späteren Handlungen Russlands gezeigt.[30]

Ted Galen Carpenter urteilte am 28. Februar 2022, Moskaus Geduld mit dem immer aufdringlicheren Verhalten der Nato sei erschöpft gewesen. Als Putin auf der jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz sprach, sei die letzte einigermaßen freundliche Warnung aus Russland gekommen, dass die Allianz einen Gang zurückschalten müsse. „Es ist seit langem klar, dass die Nato-Erweiterung zu einer Tragödie führen würde. Jetzt zahlen wir den Preis für die Arroganz der USA.“[31]

Georg Schwarte vom ARD-Hauptstadtstudio schrieb am 7. Juni 2022, schon 2007 habe Putin in zeiner wütenden Rede angekündigt, Russland werde wieder Weltmacht. Der NATO habe Putin damals vorgeworfen, Russland zu bedrohen. Schwarte berief sich auf Carlo Masala von der Münchner Bundeswehrhochschule, dass alle einschließlich der Bundesregierung die Brandrede Putins ignoriert hätten, obwohl Putin klar gesagt habe, "fortan gebe es keine kooperativen Beziehungen mehr: Der Westen sei der Antagonist." Niemand habe laut Masala die eigentlich richtigen, strategischen Konsequenzen gezogen auch Merkel nicht, deren Priorität das Erdga gewesen sei.[32]

Wolfgang Ischinger und Sebastian Turner urteilten am 7. September 2022 in einem Gastartikel der FAZ, Putins Absage an die demokratische Welt bei seinem Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 sei weder in Washington noch in Brüssel oder Berlin hinreichend ernst genommen worden.[33]

Hanna Notte und Michael C. Kimmage sahen am 12. Oktober 2022 in der ZEIT eine direkte Verbindung zum russischen Überfall auf die Ukraine. Putin sehe diesen Krieg als radikalen Höhepunkt seines Widerstands gegen das amerikanische Primat in Europa. Damit kopiere er genau jene außenpolitische Maßlosigkeit, die er Washington 2007 anlastete. Er habe Amerika um die Privilegien und Anmaßungen beneidet, die es als Großmacht genoss. Bush sei sein Vorbild gewesen.[34]

Kathrin Braun (Merkur) berief sich am 19. Februar 2022 auf Claudia Major, die geäußert hatte, womöglich seien Putins Warnungen damals nicht ernst genug genommen worden, da Russland zu dem Zeitpunkt wirtschaftlich und politisch schwächer als jetzt gewesen sei. Beim Georgien-Krieg 2008 hätte es aber spätestens klar sein müssen, „dass Russland bereit ist, mit militärischer Macht Grenzen zu verschieben, um seine Interessen durchzusetzen. Und um einen Nato-Beitritt seiner Nachbarländer zu vermeiden.“[35]

Georg Schwarte vom ARD-Hauptstadtstudio schrieb am 7. Juni 2022, schon 2007 hatte Putin in einer wütenden Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt, Russland werde wieder Weltmacht. Der NATO habe Putin damals vorgeworfen, Russland zu bedrohen. Schwarte berief sich auf Carlo Masala von der Münchner Bundeswehrhochschule, dass alle einschließlich der Bundesregierung die Brandrede Putins ignoriert hätten, obwohl Putin klar gesagt habe, "fortan gebe es keine kooperativen Beziehungen mehr: Der Westen sei der Antagonist." Niemand habe laut Masala die eigentlich richtigen, strategischen Konsequenzen gezogen auch Merkel nicht, deren Priorität das Erdga gewesen sei.[32]

Wolfgang Ischinger und Sebastian Turner urteilten am 7. September 2022 in einem Gastartikel der FAZ, Putins Absage an die demokratische Welt bei seinem Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 sei weder in Washington noch in Brüssel oder Berlin hinreichend ernst genommen worden.[33]

Hanna Notte und Michael C. Kimmage sahen am 12. Oktober 2022 in der ZEIT eine direkte Verbindung zum russischen Überfall auf die Ukraine. Putin sehe diesen Krieg als radikalen Höhepunkt seines Widerstands gegen das amerikanische Primat in Europa. Damit kopiere er genau jene außenpolitische Maßlosigkeit, die er Washington 2007 anlastete. Er habe Amerika um die Privilegien und Anmaßungen beneidet, die es als Großmacht genoss. Bush sei sein Vorbild gewesen.[34]

Niels Kruse (Stern) schrieb am 17. Februar 2023, im Rückblick würden die Worte wie ein Wutausbruch über die verlorene Weltmachtrolle und nach programmatischer Grundsatzrede klingen. 16 Jahre später stehe fest: „Es ist nicht bei einem neuen, kalten Krieg geblieben.“[36]

Federico Fubini (Corriere der la Sera) analysierte in einem sehr ausführlichen Kommentar am 3. April 2022 eine von ihm wahrgenommene gedankliche Einheit der Rede von 2007 mit Putins Essay von 2021 und der Kriegserklärung an die Ukraine. Fubini verglich Putins Denkmuster mit den Ressentiments Mussolinis und Hitlers. „Es wäre unmöglich, Putins mentale Struktur zu lesen, ohne diesen Hintergrund zu berücksichtigen, so wie es unmöglich ist, die politische Formation Mussolinis oder Hitlers ohne die Erfahrung und den Mythos des 'ungerechten Friedens' von Versailles zu rekonstruieren.“ Putin habe in seiner Rede außerdem ausgedrückt, was auch Chinesen, Inder, Pakistaner oder Südafrikaner empfänden und habe schon 2007 bewusst die Vision der heutigen BRICS-Staaten interpretiert.[37] Gegenüber dem italienischen Außenminister Antonio Martino, der von der Legitimität von Gewaltanwendung der NATO und EU gesprochen hatte, habe Putin erklärt, die Anwendung von Gewalt sei nur dann legitim, wenn sie von den Vereinten Nationen sanktioniert werde: „Wir brauchen die UNO nicht durch die NATO oder die EU zu ersetzen.“ (Non abbiamo bisogno di sostituire l’Onu con la Nato o la Ue). Moskau, so Fubini, sei in den letzten Jahren aber nicht nur in die Widersprüche zurückgefallen, die es Amerikanern und Europäern vorwerfe, Putin habe sich 2007 erstmals geweigert, die Legitimität der europäischen Sicherheitsordnung anzuerkennen, die aus dem Kalten Krieg hervorgegangen ist. „Diese Implikation wirft ihren Schatten auf den heutigen Krieg, weil sie den konkretesten Versuch darstellt, das kontinentale Gleichgewicht zu untergraben, das nach dem Fall der Mauer entstanden ist.“[38] Die Anschuldigungen Putins gegen die NATO und die Kritik an ihrer Ausdehnung nach Osten seien irrig.[39]

Commons: 43rd Munich Security Conference – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Wladimir Putin: Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz in deutscher Übersetzung. AG Friedensforschung, 9. Februar 2007, abgerufen am 1. April 2022.
  2. https://www.americanrhetoric.com/speeches/vladimirputin43rdmunichsecurityconference2007.htm
  3. Nachrichten: Putin in München. 10. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  4. "Es war schrecklich, es war fürchterlich". 12. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  5. Sebastian Fischer: Putin warnt USA: Ein Hauch von Kaltem Krieg in München. In: Der Spiegel. 10. Februar 2007, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 28. Oktober 2024]).
  6. Münchner Sicherheitskonferenz: Putins Paukenschlag - WELT. Abgerufen am 28. Oktober 2024.
  7. a b c d e Jochen Bittner: Sicherheitskonferenz: Kein Grund zur Beruhigung. In: zeit.de. 12. Februar 2007, abgerufen am 11. März 2022.
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  9. https://www.bundestag.de/resource/blob/414776/0bab96642a9626ff21caa1fd344cd5b1/wd-2-078-14-pdf-data.pdf S. 10 Quelle dort: AG Friedensforschung (2007)
  10. a b c d e f g Sebastian Fischer: Sicherheitskonferenz in München: Putin schockt die Europäer. In: Der Spiegel. 10. Februar 2007, abgerufen am 11. März 2022.
  11. Jochen Bittner: Kein Grund zur Beruhigung. In: Die Zeit. 12. Februar 2007, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 28. Oktober 2024]).
  12. Sebastian Fischer: Putin warnt USA: Ein Hauch von Kaltem Krieg in München. In: Der Spiegel. 10. Februar 2007, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 28. Oktober 2024]).
  13. Münchner Sicherheitskonferenz: Putin attackiert die Amerikaner. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 11. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  14. Eckart Lohse: Münchner Sicherheitskonferenz: Der Krieger und die Diplomatin. In: FAZ. 11. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  15. Sebastian Fischer: Putin warnt USA: Ein Hauch von Kaltem Krieg in München. In: Der Spiegel. 10. Februar 2007, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 28. Oktober 2024]).
  16. FAZ.NET mit ddp/AP/dpa: Münchner Sicherheitskonferenz: Putin attackiert die Amerikaner. 11. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  17. Sicherheitskonferenz: Gates: Keiner will einen neuen Kalten Krieg mit Russland. 11. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  18. Bettina Sengling: Nostalgieshow der Kalten Krieger. 11. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
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  23. Sebastian Fischer: Putin warnt USA: Ein Hauch von Kaltem Krieg in München. In: Der Spiegel. 10. Februar 2007, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 2. November 2024]).
  24. "Es war schrecklich, es war fürchterlich". 12. Februar 2007, abgerufen am 28. Oktober 2024.
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  31. Ted Galen Carpenter: Many predicted Nato expansion would lead to war. Those warnings were ignored. In: The Guardian. 28. Februar 2022, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 28. Oktober 2024]).
  32. a b Georg Schwarte: Umgang mit Putin: Merkels größtes Missverständnis. Abgerufen am 28. Oktober 2024.
  33. a b Wolfgang Ischinger/Sebastian Turner: Vorsicht vor Führerstaaten. In: FAZ. Abgerufen am 28. Oktober 2024.
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  35. Kathrin Braun: Als Putin in München den Kurs wechselte: Siko-Brandrede vor 15 Jahren - Expertin erklärt die Folgen. In: Merkur. 19. Februar 2022, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  36. Niels Kruse: Rückblick auf den großen Bruch: Als Putin im "Bayerischen Hof" dem Westen den neuen Kalten Krieg erklärte. In: Stern. 17. Februar 2023, abgerufen am 28. Oktober 2024.
  37. "Di certo Putin quel giorno al Bayerischer Hof di Monaco è consapevole di interpretare la visione di tante potenze emergenti, quelle che allora si chiamavano Brics..."
  38. "L’implicazione allunga la sua ombra sulla guerra di oggi, perché essa rappresenta il tentativo più concreto di sovvertire l’equilibrio continentale emerso dopo il crollo del Muro."
  39. Federico Fubini: I discorsi di Putin al microscopio: ecco perché la guerra non è all’Ucraina ma alla Nato. 4. März 2022, abgerufen am 14. November 2024 (italienisch).