Römeroden

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Der Begriff Römeroden bezeichnet die sechs Gedichte am Anfang des dritten der insgesamt vier Oden-Bücher des römischen Dichters Horaz; er wird gemeinhin erstmals nachgewiesen über Theodor Plüss’ Horazstudien von 1882.[1]

Für die Zusammengehörigkeit dieser Texte spricht formal die Metrik: ein und dasselbe Versmaß (die sogenannte „alkäische Strophe“) für ein halbes Dutzend aufeinander folgender Gedichte findet sich in der horazischen Lyrik nur hier.[2] Zudem lässt die Ankündigung 'bisher unerhörter Gedichte' gleich zu Beginn des dritten Oden-Buches (c. 3,1,2 f.: carmina non prius/audita) mehr als nur einen Einzeltext erwarten.

Offenbar hat bereits der spätantike Grammatiker Diomedes die „Römeroden“ als ein Gedicht gelesen bzw. gezählt;[3] auch der wohl noch frühere Horaz-Kommentator Pomponius Porphyrio scheint in diese Richtung zu weisen.[4] Neben Fragen nach Entstehung, Datierung[5] und Anordnung[6] im Werk stehen zumal Zusammenhang und Einheit des angenommenen Gedicht-Zyklus sowie der „politische“ Horaz[7] im Fokus der neuzeitlichen Forschung.

  • Theodor Mommsen: Rede zur Feier der Geburtstage König Friedrichs II. und Kaiser Wilhelms II. [Die ersten sechs Gedichte des dritten Buches der Lieder des Horaz] In: Otto Hirschfeld (Hrsg.): Sitzungsberichte der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1889, S. 23–35 [erneut in: Reden und Aufsätze. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1905 (Nachdruck: Dogma, Bremen 2012), S. 168–184]
  • Hugo Jurenka: Zur Würdigung der Römeroden des Horaz. In: Philologus, 57, 1898, S. 289–306.
  • Friedrich Kreppel: Der Zyklus der Horazischen Römeroden. I. Teil. (Programm des K. Humanistischen Gymnasiums für das Schuljahr 1902/1903). Druck Hermann Kayser, Kaiserslautern 1903
  • Karl Theodor Hiemer: Die Römeroden des Horaz. (Programm des Königlichen Gymnasiums in Ellwangen zum Schlusse des Schuljahres 1904–1905). Druck der Ipf- und Jagst-Zeitung, Ellwangen 1905
  • Hendrik Wagenvoort: De Horatii quae dicuntur Odis Romanis. Diss. Groningen 1911.
  • Giorgio Pasquali: Orazio lirico. Studi. Felice Le Monnier, Florenz 1920 (Nachdruck 1966), S. 649–710 (Kap. 3 ‘Gli elementi Romani della lirica di Orazio’: "2. Le odi Romane (III 1–6).").
  • Richard Heinze: Der Zyklus der Römeroden. In: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung, 5, 1929, S. 675–687 [erneut in: Erich Burck (Hrsg.): Vom Geist des Römertums. 4., durchgesehene Auflage. Teubner, Stuttgart 1972, S. 190–205].
  • Carl Koch: Der Zyklus der Römeroden. In: Neue Jahrbücher, 4, 1941, S. 62–83 [erneut in: Otto Seel (Hrsg.): Religio. Studien zu Kult und Glauben der Römer (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 7). Verlag Hans Carl, Nürnberg 1960, S. 114–141].
  • Leiv Amundsen: The 'Roman Odes’ of Horace. In: Serta Eitremiana (Symbolae Osloenses Supplement 11). Oslo 1942, S. 1–24 [dt. Die Römeroden des Horaz. Ein Vortrag. Aus dem Englischen übersetzt von Volker Eggers. In: Hans Oppermann (Hrsg.): Wege zu Horaz (= Wege der Forschung 99). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972, S. 111–138].
  • Laura O. Sangiacome: Le odi Romane. Rom (Roma) 1942 (eine kommentierte Sonderausgabe mit Übersetzung).
  • Walter Wili: Horaz und die augusteische Kultur. Benno Schwabe & Co., Basel 1948 (Nachdruck 1966; als 2., unveränderte Auflage bereits Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1965), S. 201–211.
  • Friedrich Klingner: Horazens Römeroden. In: Varia Variorum. Festgabe für Karl Reinhardt (dargebracht von Freunden und Schülern zum 14. Februar 1951). Böhlau, Münster/Köln 1952, S. 118–136 [erneut in: Klaus Bartels (Hrsg.): Studien zur griechischen und römischen Literatur. Artemis, Zürich/Stuttgart 1964, S. 333–352].
  • Eduard Fraenkel: Horaz. (engl. Original Horace. Clarendon Press, Oxford 1957). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1963, 6. Auflage 1983, S. 308–341.
  • Hans Oppermann: Zum Aufbau der Römeroden. In: Gymnasium, 66, 1959, S. 204–217.
  • Karl Büchner: Die Römeroden. In: Studien zur römischen Literatur. Band III: Horaz. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1962, S. 125–138 [auch neben einem Beitrag Die Einheit der Römeroden im Horaz-Kapitel von: Die römische Lyrik. Texte, Übersetzungen, Interpretationen, Geschichte. Reclam, Stuttgart 1976 (2. Auflage 1983), S. 139–163].
  • Jean-Marie André: Les odes romaines. Mission divine, otium et apothéose du chef. In: Jacqueline Bibauw (Hrsg.): Hommages à Marcel Renard I (Collection Latomus 101). Latomus, Brüssel (Bruxelles) 1969, S. 31–46.
  • Pierre Grimal: Les odes romaines d’Horace et les causes de la guerre civile. In: Revue d’Études Latines, 53, 1975, S. 135–156.
  • Charles Witke: Horace’s Roman Odes. An Critical Examination. In: Mnemosyne, Supplement 77. Brill, Leiden 1983.
  • Michael von Albrecht: Horazens Römeroden. In: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae, 30, 1982–1984, S. 229–241.
  • Dieter Lohmann: Horaz carmen III 2 und der Zyklus der ‚Römer-Oden‘. In: Der Altsprachliche Unterricht, 34,3, 1991, S. 62–75.
  • Karl Numberger: Horaz – Lyrische Gedichte. Kommentar für Lehrer der Gymnasien und für Studierende. 3. Auflage. Aschendorff, Münster 1997, S. 420–422.
  • Hans Peter Syndikus: Die Lyrik des Horaz. Eine Interpretation der Oden. Band II: Drittes und viertes Buch. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2001, S. 3–6 („Der Zyklus der Römeroden“).
  • Gregor Maurach: Horaz. Werk und Leben. (Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern). Winter, Heidelberg 2001, S. 219–257 (X. Kapitel – Politisches Mahnen: Die „Römer-Oden“).
  • Robin G. M. Nisbet, Niall Rudd: A Commentary on Horace: Odes Book III. Oxford: Oxford University Press 2004, S. xx–xxi ("3. The ›Roman Odes‹").
  • Friedemann Weitz: Die 'Römeroden' am Scheideweg. Eine Momentaufnahme zu einem wirkungsmächtigen Schlagwort (in) der Horaz-Forschung.
  1. Hans Theodor Plüss: Horazstudien. Alte und neue Aufsätze über Horazische Lyrik. Teubner, Leipzig 1882. Ohne genaueren Beleg behauptet Niklas Holzberg (Horaz. Dichter und Werk. C.H.Beck, München 2009, S. 149): „Wer den Begriff ›Römeroden‹ geprägt hat – er existiert seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und wird heute international verwendet –, kann man heute nicht mehr eindeutig feststellen.“; vielleicht verdankt sich diese Datierung der Anmerkung bei Fraenkel (S. 308 Fußn. 1): „T. Plüß, Horazstudien, 1882, S. 185 ff. scheint die Bezeichnung ‚die Römeroden‘ als eine durchaus übliche zu verwenden. Als [sc. Arthur Woollgar] Veral<l> 1884 seine Studies [sc.: literary and historical] in the Odes of Horace veröffentlichte [sc. London: Macmillan and Co.], kannte er das Buch von Plüß (Verrall, 8, Anm. 2); er selbst sagt S. 106: 'the ›Römer-Oden‹ as they are sometimes called'.“ Auf je ihre Weise einig sind sich beide Gelehrten in der skeptischen Beurteilung des Sammelbegriffs: „Der Brauch, Od. 3, 1–6 die Überschrift ‚Römeroden‘ zu geben, ist nicht über jede Kritik erhaben.“ bei Fraenkel (S. 308) und „Es ist freilich kein glücklicher Terminus.“ bei Holzberg (Horaz. Dichter und Werk. C.H.Beck, München 2009, S. 149); in ähnlicher Richtung vermerkt Lohmann (S. 67): „Man hat sich daran gewöhnt, die ersten sechs Gedichte (sc. des dritten Oden-Buches) wegen der metrischen Übereinstimmung und auf Grund eines sehr fragwürdigen Vorverständnisses unter dem (seit etwa hundert Jahren üblichen) Titel ›Römeroden‹ zusammenzufassen.“ und quasi zusammenfassend Gerhard Binder: Kriegsdienst und Friedensdienst. Über „Politische Lyrik“ und die 2. Ode des Horaz „An die Jugend“. In: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae, 39, 1999, S. 53–72 gleich zu Beginn (S. 53): „›Römeroden‹ nennt man seit dem 19. Jahrhundert die wohl umstrittenste Gruppe lyrischer Gedichte des Horaz, die sechs Carmina in Alkäischer Strophe am Anfang des 3. Buches.3 Den vom Dichter ohne Zweifel zu einem Zyklus vereinigten Gedichten wird mit dieser Etikettierung bereits eine einheitliche Linie und Funktion zugesprochen: Sie enthielten das politische Credo des Dichters und hätten ›alle dasselbe Ziel, die auf die sittliche Wiedergeburt des römischen Volkes abzielenden Bestrebungen und Maßregeln des Augustus zu unterstützen‹. Einschätzungen wie diese haben gerade in der deutschen Horaz-Philologie interpretatorische Verhärtungen bewirkt, die es lange Zeit erschwerten, in der Gedichtgruppe neben den zweifellos vorhandenen affirmativen, ›vaterländischen‹, auch andere für die Lyrik des Horaz charakteristerische Töne wahrzunehmen.“ mit der Fußnote 3: „E. FRAENKEL: Horace (Oxford 1957) 260: ›The habit of attaching the label ‘Roman Odes’ to Odes III. 1–6 may be open to criticism.‹ Nach FRAENKEL a. O. Anm. 1 wohl eine deutsche Begriffsprägung; …“ Eine frühe Kritik steht in Carl Naucks Horaz-Erklärungen für den Schulgebrauch (Teubner, Leipzig 1889, S. 146, books.google.de): „Die Oden III. 1–6 hat man neuerdings mit dem wenig oder nichts sagenden Namen Römeroden bezeichnet.“ In der vierzehnten, neu bearbeiteten Auflage dieses Werkes schreibt hingegen der neue Herausgeber Otto Weissenfels (Teubner, Leipzig 1894) in der „Einleitung“ (§ 22, hier S. 18): „Einen römischen Charakter tragen vor allem jene grossen feierlichen Gedichte, in welchen die Tugenden des alten Roms und Roms glorreiche Vergangenheit, in welchen Augustus, Drusus und Tiberius verherrlicht werden, in erster Linie also die sechs ersten Gedichte des dritten Buches, welche man deshalb auch geradezu die Römeroden genannt hat.“ Als kleiner Anstoß für weitere wissenschaftshistorische Untersuchungen sei schließlich für das Jahr 1880 – aus einer Zweitauflage! – Hermann Schütz zu c. 3,1 zitiert (Q. Horatius Flaccus. Erklärt von H. Sch. Erster Theil: Oden und Epoden. Zweite Auflage. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin, S. 174): „Ueber den allgemeinen inneren Zusammenhang der 6 folgenden sogenannten politischen od. Römeroden s. d. krit. Anhang.“
  2. Der klassische deutsche Horaz-Kommentar von Kießling/Heinze hält in seiner siebten Auflage von 1930 dazu fest (S. 248): „nur einmal hat H.[oraz] sonst drei [sc. c. 2,13-15], selten [sc. c. 1,9 f.; 1,24 f.; 1,26 f.; 1,34 f.; c. 2,19 f.; c. 4,14 f.] zwei Gedichte gleicher Strophenform nebeneinander gestellt“.
  3. "liber tertius prima ode alcaicum metrum habet, quod similiter scanditur, «odi profanum uulgus et arceo». secunda ode asclepiadeum metrum habet et per quaternos uersus scanditur. nam duo penthemimeres, duo tripodia dactylice insunt. «quid fles Asterie quem tibi candida»" (Drittes Buch: Die erste Ode hat ein alkäisches Metrum, das gleichartig skandiert wird: ‚Odi profanum volgus et arceo’. Die zweite Ode [nach landläufiger Zählung c. 3,7!] hat ein asklepiadäisches Metrum und wird zu je vier Versen skandiert, denn es gibt darin zwei(mal den metrischen Einschnitt) ‚penthemimeres’ und daktylisch zwei Tripodien: ‚Quid fles, Asterie, quem tibi candida’).
  4. "haec autem ᾠδή multiplex per varios deducta est sensus" (Diese Ode aber ist vielfältig in verschiedenen Stimmungen durchgeführt): „Man kann dies nur so verstehen, daß in diesem carmen longissimum ein einheitliches Thema vielfältig variiert (per varios sensus deducta) wird.“ (Lohmann S. 67)
  5. Der zum Namen gewordene Titel 'Augustus' wurde Octavian (bei Horaz meist 'Caesar', womit man heutzutage Gaius Iulius Caesar meint und bezeichnet!) im Januar des Jahres 27 v. Chr. verliehen und markiert damit den sog. terminus post quem für die dritte (c. 3,3,11) und fünfte Ode (c. 3,5,3); weniger eindeutig ist das Verhältnis der in ein Gedicht integrierten Aufforderung, die Heiligtümer der Götter wieder instand zu setzen (c. 3,6,2 f.), zur Äußerung des (Kaisers) Augustus, er habe im Jahr seines sechsten Konsulats (= 28 v. Chr.) aufgrund der Ermächtigung durch den Senat 82 stadtrömische Tempel restaurieren lassen („duo et octoginta templa deum in urbe consul sextum ex auctoritate senatus refeci“; Res gestae divi Augusti 20). So oder so bildet die (so allgemein angenommene) Veröffentlichung der ersten drei Oden-Bücher im Jahre 23 v. Chr. die zeitliche Grenze für Konzeption ('Programm'), Abfassung und Arrangement aller 88 darin enthaltenen ‚Lieder’.
  6. Ein solch bewusstes Vorgehen bei der Erstellung seiner Gedichtsammlung(en) scheint für Horaz unumstritten: Das erste Buch der Oden beginnt mit nicht weniger als neun Gedichten in verschiedenen Versmaßen (sogenannte „Paradeoden“), das zweite mit dem Wechsel von alkäischer und sapphischer Strophenform über elf Gedichte, bevor mit c. 2,12 wieder ein anderes Versmaß erscheint.
  7. Pointiert zugespitzt in der Tusculum-Ausgabe von Gerhard Fink (Horaz. Oden und Epoden. Artemis&Winkler, Düsseldorf/Zürich 2002, S. 340): „Wer sich auf keine Weise mit dem Gedanken anfreunden kann, Horaz habe im Schatten des Augustus bisweilen höchst geistreich und nicht ohne ein gewisses Risiko seine Distanz zum Prinzeps im einen oder anderen Gedicht durchscheinen lassen, müßte von Rechts wegen das bisweilen überschwenglich gespendete Lob entweder als ernst gemeint hinnehmen oder als Ausdruck serviler Kriecherei betrachten. Im einen Fall kommt der Intellekt, im anderen der Charakter des Dichters schlecht weg.“ Als Gretchen-Frage zu den „Römer-Oden“ resp. seinem Verfasser könnte man exemplarisch aufwerfen: Wie hältst Du’s mit c. 3,2,13? („dulce et decorum est pro patria mori“: Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.)