Karin Mylius

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Karin Mylius (* 11. Januar 1934 in Münster als Karin Loebel; † 13. Dezember 1986 in Halle (Saale)) war von 1968 bis 1986 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle (Saale).

Karin Mylius wurde in Münster (Westfalen) als Tochter nicht-jüdischer Eltern geboren und kam Ende der 1930er Jahre nach Halle (Saale). Ihr Vater, Paul Loebel, war Polizeibeamter[1]. Mylius besuchte die Volksschule und arbeitete als Stenotypistin. 1955 siedelte sie – für eine DDR-Bürgerin illegal – nach Stuttgart über, kehrte 1957 aber in die DDR zurück. Sie gab sich mit Erfolg als Tochter einer jüdischen Familie aus. Später wurde sie Sekretärin von Hermann Baden, dem Präsidenten des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle (Saale).[2] Am 20. Februar 1961 bekannte sie sich zum Judentum, was durch den Landesrabbiner Martin Riesenburger anerkannt wurde. Am 9. Oktober 1968 wurde Mylius als Nachfolgerin von Franz Kowalski zur Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle (Saale) gewählt. Die Wahl einer Frau führte in den traditionell orientierten jüdischen Gemeinden der DDR teilweise zu Widerspruch.

Die Amtsführung von Karin Mylius war umstritten. Man kritisierte, dass sie ihren nicht-jüdischen Vater 1974 auf dem Jüdischen Friedhof bestatten ließ (später wurde er auf den christlichen Gertraudenfriedhof überführt). Außerdem stellte sich heraus, dass Mylius’ Angaben über die eigene Biografie – sie behauptete etwa, lediglich ein Adoptivkind zu sein, aber eigentlich von einer jüdischen Familie abzustammen sowie im Konzentrationslager gewesen zu sein – widersprüchlich bzw. falsch waren.

Nachdem Mylius – auch als SED-Parteimitglied[3] – anfangs vom SED-Regime und vom Ministerium für Staatssicherheit protegiert worden war, erhöhte sich seit 1984 das Interesse staatlicher Stellen an ihrer Absetzung. Am 8. September 1986 wurde sie durch den Vorsitzenden des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Helmut Aris, schließlich von ihrem Amt entbunden.[4] Aris erstattete zudem Strafanzeige gegen Mylius.

Nach ihrem Tode verweigerte der Verband der Jüdischen Gemeinden eine Beteiligung an der Trauerfeier, ließ aber eine Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof zu.

Karin Mylius war mit dem Indologen Klaus Mylius verheiratet. Der Ehe entsprangen ein Sohn und eine Tochter.[5] In den 1970er Jahren war Klaus Mylius unter dem Vorsitz seiner Ehefrau Mitglied der Jüdischen Gemeinde Halle (Saale).[6]

Wissenschaftliche Aufarbeitung

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Der Fall Karin Mylius, der seit den 1990er Jahren nicht nur in Memorialliteratur Erwähnung fand,[7] sondern auch Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Untersuchungen geworden ist,[8][9][10] wird von Hartewig und Horstkotte auf Überidentifikation mit dem Schicksal jüdischer Verfolgter im Dritten Reich zurückgeführt[11][12] und weist Ähnlichkeiten mit dem Fall Binjamin Wilkomirskis auf.[13][14] Der Historiker Frank Hirschinger fasste seine ausführliche Aufarbeitung des Falls Mylius[15] dahingehend zusammen, dass es sich bei der „gefälschte(n) Biographie von Karin Mylius, die sich seit dem Ende der fünfziger Jahre als Überlebende des Holocaust ausgab und deren Vater während des Krieges an Judenmassakern teilgenommen haben soll“, um ein „besonders krasses Beispiel“ handele, das nur „durch die Unterstützung des MfS und staatlicher Stellen Bestand“ haben konnte.[16]

Sonstige Ämter und Auszeichnungen

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Seit 1984 war Mylius Stadtverordnete in Halle (Saale). Sie war Trägerin des Vaterländischen Verdienstordens.

Einzelnachweise

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  1. Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Böhlau, Köln / Weimar / Wien 2000, ISBN 3-412-02800-2, S. 191. (Habilitationsschrift Universität Essen 2000, 646 Seiten).
  2. Frank Hirschinger: „Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter.“ Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918–1953. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-36903-4, hier S. 383 f. mit Anm. 152 und 153.
  3. „Karin Mylius agierte als SED-Mitglied stets staatskonform und über alle Maßen linientreu. Dementsprechend äußerte sie sich auch mehrfach in der „Freiheit“, dem Organ der SED.“ Felicitas Mügge und Rebecca Swalve, Halle (Saale), Beitrag für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2008/09 Helden – verehrt – verkannt - vergessen. „Erinnern heißt Leben“ In Memoriam Gudrun Goeseke, 2009, S. 22 in https://archiv.elg-halle.de/aktuell/2009/geschwettb_muegge_swalve.pdf
  4. Gunther Helbig: Die Entwicklung der Jüdischen Gemeinde zu Halle von 1962 bis zur Gegenwart. In: Volker Dietzel (Hrsg.): 300 Jahre Juden in Halle. Leben–Leistung–Leiden–Lohn. Festschrift zum Jubiläum des 300jährigen Bestehens der Jüdischen Gemeinde zu Halle. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1992, S. 287–291, hier S. 288 f.
  5. Steffen Könau: Ungewöhnliche Biografie: Frank Mylius singt als Tenor in Gaststätten, Mitteldeutsche Zeitung vom 23. Mai 2023.
  6. Mitteldeutsche Zeitung, 23. Mai 2016.
  7. Vgl. Helmut Eschwege: Fremd unter meinesgleichen. Erinnerungen eines Dresdner Juden. Ch. Links Verlag, Berlin 1991, ISBN 3-86153-023-6, hier S. 162–165, mit teils gemäß späteren wissenschaftlichen Erkenntnissen allerdings fehlerhaften Datenangaben. Zum Autor Eschwege vgl. Peter Maser: Helmut Eschwege. Ein Historiker in der DDR. In: Horch und Guck. Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur. Heft 44, 2003, S. 21–23.
  8. Erica Burgauer: Zwischen Erinnerung und Verdrängung. Juden in Deutschland nach 1945. Rowohlt, Reinbek 1993, ISBN 3-499-55532-8, hier S. 215–222
  9. Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (Hrsg.): Rolle und Bedeutung der Ideologie, integrativer Faktoren und disziplinierender Praktiken in Staat und Gesellschaft der DDR. Nomos, Baden-Baden 1995 (Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Band 3.2), ISBN 3-7890-4035-5, hier S. 1572–1574.
  10. Michael Brenner: Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945–1950. C.H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39239-3, hier S. 220 f. mit Anm. 37.
  11. Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2000, ISBN 3-412-02800-2, S. 192 Anm. 284.
  12. Silke Horstkotte: Nachbilder. Fotografie und Gedächtnis in der deutschen Gegenwartsliteratur. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2009, ISBN 978-3-412-20321-4, S. 149–151.
  13. Lothar Mertens: Eine Christin als „Rabbinerin“: Karin Mylius. In: Irene Dieckmann, Julius H. Schoeps (Hrsg.): Das Wilkomirski-Syndrom. Eingebildete Erinnerungen oder Von der Sehnsucht, Opfer zu sein. Pendo, Zürich 2002, ISBN 3-85842-472-2, S. 262–272.
  14. Vgl. auch Manfred „Ibrahim“ Böhme.
  15. Frank Hirschinger: Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer Biographien. Das Beispiel Halle/Saale 1945–2005. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007 (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Berichte und Studien, Band 53), ISBN 3-89971-354-0, hier Kapitel 4: Karin Mylius: Eine Hochstaplerin als Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Halle., S. 113–136.
  16. Frank Hirschinger: Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer Biographien. Das Beispiel Halle/Saale 1945–2005. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007 (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Berichte und Studien, Band 53), ISBN 3-89971-354-0, hier S. 11 (Zitatquelle); in seinem ausführlichen Kapitel über Mylius tituliert er sie als „Hochstaplerin“ (S. 113).