Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk
Koordinaten: 49° 4′ 12″ N, 33° 25′ 29″ O
Der Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk erfolgte am 27. Juni 2022 im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine. Bei dem Raketenangriff wurden mindestens 20 Menschen getötet und 59 verwundet; weitere 40 Menschen wurden vermisst.[1]
Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Stadt Krementschuk in der Oblast Poltawa ist gut 100 Kilometer von der Front entfernt und zählte 2021 etwa 220.000 Einwohner. Die Stadt war bereits in den Wochen zuvor schon das Ziel von russischen Luftangriffen, zuletzt am 18. Juni 2022.
Die Verwendung mächtiger und gleichzeitig ungenauer Waffen in einer Stadt qualifiziert den Beschuss als Kriegsverbrechen.[2]
Verlauf
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Beim Ertönen des Luftalarms suchte nur ein geringer Teil der Besucher des Einkaufszentrums einen Schutzraum auf. Gegen 14:52 Uhr deutscher Zeit schlug laut ukrainischen Angaben eine gelenkte Rakete vom Typ Ch-22, abgefeuert von Tu-22M-Bombern aus Russland,[3] 50 Meter neben[4] dem zentral gelegenen Einkaufszentrum namens Amstor ein.[5] Zum Zeitpunkt des Einschlages sollen sich rund 300 Menschen in dem Gebäude aufgehalten haben.[6] Nach der Explosion des 630 bis 950 Kilogramm schweren Gefechtskopfes breitete sich ein Feuer auf einer Fläche von ungefähr 10.000 Quadratmetern aus.[1] Eine zweite Ch-22 schlug rund 500 Meter nördlich in ein Industriegebiet ein.[5] Nach russischen Behauptungen hätten die Raketen in das Industriegebiet nördlich des Einkaufszentrums einschlagen sollen, und Sekundärexplosionen seien die Ursache für das Feuer im angeblich leeren Einkaufszentrum gewesen.[7] Einigen Behauptungen zufolge seien die widersprüchlichen Angaben von Seiten Russlands ein Indiz dafür, dass Russland für den Angriff verantwortlich sei.[8]
Die verwendete Waffe ist nur bedingt für Bodenziele tauglich. Es wird angenommen, dass der Suchkopf der Lenkwaffe schlicht das größte Gebäude in der Umgebung anpeilte.[4]
Eine dreitägige Staatstrauer wurde durch den Bürgermeister von Krementschuk verkündet.[9]
Reaktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Russland behauptete zunächst, die Meldung sei westliche Propaganda, es handele sich um Fakenews und die Toten seien von den üblichen Verdächtigen (Ukraine, USA) platziert worden. Der Stellvertreter des russischen Vertreters bei der UNO benannte den Vorfall dementsprechend als „Provokation wie Butscha“, zumal Russland auch dort jede Verantwortung von sich weist. Der Sinn einer solchen westlichen Inszenierung bestände aus der Sicht von Russland darin, die westlichen Teilnehmer des G7-Gipfels zu vereinen und den Krieg erneut auf die Titelseiten zu bringen.[10] Danach folgte die Verlautbarung des Verteidigungsministeriums, welches den Luftschlag bestätigte. Es wurde nunmehr für wahrheitswidrig erachtet[11] und das Einkaufszentrum sei zum Zeitpunkt der Einschläge geschlossen gewesen. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte sodann am 28. Juni 2022, dass sich westliche Waffen neben dem ungenutzten Einkaufszentrum befunden hätten, welche wiederum für das Feuer im Einkaufszentrum verantwortlich wären.[12] Bei diesen widersprüchlichen russischen Narrativen ginge es in keiner Weise um Scham gegenüber der Ukraine und dem Westen, sondern um innerrussische Rechtfertigungen, so die Wirtschaftsjournalistin Julija Latynina; jeder müsse seine Unfähigkeit und Unwissenheit kaschieren, vermutlich fehle auch die militärische Aufklärung.[4]
- Die G7-Nationen verurteilten den „abscheulichen“ Angriff und bekundeten ihre Solidarität mit den Ukrainern.[13]
- Die Schweiz sei, so das Aussendepartement, «zutiefst bestürzt» über den Angriff und verurteile diese «schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts» und rufe Russland dazu auf, «seine militärische Aggression gegen die Ukraine unverzüglich zu beenden.»[14]
- Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb, dass der Angriff eine Schande für die Menschlichkeit sei und forderte mehr Waffen für sein Land und mehr Sanktionen gegen Russland.[15]
- Die Firmen, welche ihre Angestellten und Kunden beim Luftalarm nicht in die Schutzräume schickten, sollten sanktioniert werden.[2]
Analyse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut der Ukraine gab es keine militärischen Ziele im Umkreis von 5 Kilometern vom Tatort. Ermittler von Human Rights Watch fanden keine Hinweise auf die Nutzung des an das Einkaufszentrum grenzenden Industriegeländes durch das Militär. Der Einsatz von Explosivwaffen mit großflächiger Wirkung in bewohnten Gebieten nähre die Befürchtung, so Human Rights Watch, dass „rechtswidrige, willkürliche und unverhältnismäßige Angriffe“ stattfänden:
„Wenn die russischen Streitkräfte auf den Industriekomplex abzielten, waren sie sich der großen Anzahl von Zivilist*innen in der Nähe ihres Ziels bewusst oder hätten es sein müssen. Sie waren verpflichtet, diese Zivilist*innen und das von Zivilist*innen besuchte Einkaufszentrum von jeglichen potenziellen militärischen Zielen zu unterscheiden und jedwede Vorkehrungen zu treffen, um den Kollateralschaden an der Zivilbevölkerung, einschließlich Tod und Verletzungen, und die Beschädigung ziviler Objekte zu minimieren. Dazu gehört, dass ein Angriff nicht durchgeführt wird, wenn das vorhersehbare Risiko von Todesopfern unter der Zivilbevölkerung und Schäden an zivilen Objekten eindeutig größer ist als jeder erwartete konkrete militärische Vorteil. Das vorsätzliche Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen, stellt ein Kriegsverbrechen dar.“
Satellitenbilder deuten darauf hin, dass das Einkaufszentrum – entgegen der Darstellung Russlands – direkt beschossen wurde. Zudem fand Human Rights Watch nach Besichtigung einer anliegenden Fabrik keine militärischen Fahrzeuge, Waffen oder Munition in dem Gebäude – anders als von Russland behauptet.[17]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Chronologie des russischen Überfalls auf die Ukraine
- Kriegsverbrechen im Russisch-Ukrainischen Krieg
- Raketenschlag auf Winnyzja (Juli 2022)
- Raketenangriff auf ein Wohnhaus in Dnipro
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bericht eines Opfers Weltspiegel-Video vom 17. Juli 2022, Videolänge 3:35 min, bei 2:02–3:35 min
- FAKTENCHECK : Russischer Raketenangriff in der Ukraine: Doch, das Einkaufszentrum in Krementschuk war geöffnet bei Correctiv
- Direkter Raketeneinschlag Einkaufszentrum in Krementschuk durch Explosion zerstört Deutsche Presse-Agentur factchecking
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Российская ракета попала в торговый центр в Кременчуге. Погибли 20 человек, десятки раненых. 27. Juni 2022, abgerufen am 28. Juni 2022 (russisch).
- ↑ a b Was wirklich in Krementschuk passiert ist, Meduza, 28. Juni 2022
- ↑ Heute wird die Abgabe der Atomwaffen als Fehler gesehen n-tv.de, 13. Januar 2024
- ↑ a b c A trail of lies and coffins The Russian military denies there was an attack on a mall in Kremenchuk not because they’re ashamed: they are simply afraid of their higher-ups, Nowaja Gaseta, 3. Juli 2022
- ↑ a b Russia’s Kremenchuk Claims Versus the Evidence. In: bellingcat.com. Bellingcat, abgerufen am 29. Juni 2022 (englisch).
- ↑ Simon Lewis: Russian missile strike kills 16 in shopping mall, Ukraine says. In: Reuters. 28. Juni 2022 (reuters.com [abgerufen am 28. Juni 2022]).
- ↑ Russia claims responsibility for Kremenchuk mall strike. In: Financial Times. 28. Juni 2022 (ft.com [abgerufen am 4. Juli 2022]).
- ↑ Russia’s Kremenchuk Claims Versus the Evidence. 29. Juni 2022, abgerufen am 4. Juli 2022 (britisches Englisch).
- ↑ Most of the shopping centre rubble in Kremenchuk has been cleared, mourning declared in the city. Abgerufen am 28. Juni 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Aufdeckung einer Fälschung über einen russischen Angriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk. Augenzeugenaufnahmen erklären alles, 360tv.ru, 28. Juni 2022
- ↑ Russischer Raketenangriff in der Ukraine: Doch, das Einkaufszentrum in Krementschuk war geöffnet. In: correctiv.org. 21. Juli 2022, abgerufen am 27. Juli 2022 (deutsch).
- ↑ Russia claims responsibility for Kremenchuk mall strike. In: Financial Times. 28. Juni 2022 (ft.com [abgerufen am 28. Juni 2022]).
- ↑ Putin’s attack on Ukrainian shopping airstrike a ‘war crime’, say G7 leaders. 28. Juni 2022, abgerufen am 28. Juni 2022 (englisch).
- ↑ Bereits 20 Tote nach Raketen-Angriff auf Einkaufszentrum, Blick vom 27. Juni 2022
- ↑ Rob Picheta and Tara Subramaniam CNN: Russian airstrike hits busy shopping mall in central Ukraine. Abgerufen am 28. Juni 2022.
- ↑ Ukraine: Russische Rakete tötet Zivilist*innen in Einkaufszentrum, Human Rights Watch, 1. Juli 2022
- ↑ Ukraine: Russian Missile Kills Civilians in Shopping Center. 30. Juni 2022, abgerufen am 27. Juli 2022 (englisch).