Die Regel ist nach Guillaume François Antoine, Marquis de L’Hospital (1661–1704) benannt. L’Hospital veröffentlichte sie 1696 in seinem Buch Analyse des infiniment petits pour l’intelligence des lignes courbes, dem ersten Lehrbuch der Differentialrechnung. Er hatte sie aber nicht selbst entdeckt, sondern von Johann I Bernoulli gekauft.[3] Aus diesem Grund spricht man auch von der Regel von Bernoulli-de L’Hospital.
Die Regel von de L’Hospital erlaubt es in vielen Fällen, den Grenzwert von Funktionen selbst dann noch zu bestimmen, wenn deren Funktionsterm beim Erreichen der betreffenden Grenze einen unbestimmten Ausdruck wie etwa
liefert. Alle Anwendungen der Regel lassen sich dabei auf die Grundaufgabe zurückführen, den Grenzwert zu bestimmen, wenn und entweder beide null oder beide unendlich sind, der Quotient also ein unbestimmter Ausdruck des Typs oder ist. Die Regel von de L’Hospital besagt dann, dass, falls der Grenzwert existiert, dieser zugleich der Grenzwert sei, wobei und die ersten Ableitungen der Funktionen und sind.
Die Umkehrung der Regel dagegen gilt nicht: Daraus, dass der Grenzwert existiert, folgt nicht zwingend, dass auch existiert. Liefert deshalb die Berechnung von zunächst einmal wieder einen unbestimmten Ausdruck, müssen Zähler- und Nennerterm erneut abgeleitet werden, bis sich schließlich, ggf. nach endlich vielen Wiederholungen, ein bestimmter Ausdruck ergibt.
Liefert die Ausgangsfunktion einen anderen als die oben genannten unbestimmten Ausdrücke bzw. , z. B. oder , muss sie zuvor so umgeformt werden, dass sie die oben genannten Kriterien erfüllt, also als Quotient zweier Funktionen erscheint, die beide gleichzeitig null oder unendlich werden:[4]
Sei ein nichtleeres offenesIntervall und seien differenzierbare Funktionen, die für ( geht von unten gegen ) beide gegen 0 konvergieren oder beide bestimmt divergieren.
Wenn für alle gilt sowie für gegen einen Wert konvergiert oder bestimmt divergiert, so tut dies auch . Analoges gilt, wenn man überall durch ( geht von oben gegen ) ersetzt.
Ist eine echte Teilmenge eines offenen Intervalls, auf dem die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, dann gilt also insbesondere
.
Der Satz gilt auch für uneigentliche Intervallgrenzen .
Im Fall lassen sich die Funktionen und an der Stelle durch stetig fortsetzen. Der Satz lässt sich damit auf den erweiterten Mittelwertsatz zurückführen, nach dem unter den gegebenen Voraussetzungen für jedes ein zwischen und existiert, so dass
.
Mit dem Grenzübergang folgt die Behauptung.
Durch Variablentransformation lässt sich der Satz auf den uneigentlichen Fall erweitern.
Die Regel von de L’Hospital beruht ihrem Prinzip nach darauf, dass jedes an einer Stelle differenzierbare Funktionspaar und sich damit ebenda auch durch ihr dortiges Tangentenpaar annähern lässt, dessen Gleichungen sich in allgemeinster Form (mit als Parameter) wie folgt formulieren lassen:
und
In der Konsequenz muss Gleiches dann auch für den Quotienten beider Funktionen gelten, d. h., auch dieser sich für durch den Quotienten annähern lassen:
für .
Werden in diesem Quotienten die beiden Konstanten und gleichzeitig Null, vereinfacht er sich, wie nachstehend gezeigt, sukzessive zur gesuchten Näherung:
für .
Vorausgesetzt, dass und an der Stelle gleichzeitig Null werden, kann ihr Quotient also ebenda gleich gut durch den Quotienten ersetzt werden:
Die Regel von de L’Hospital kann aber nicht angewandt werden, denn ist für unbestimmt divergent, da eine periodische Funktion vorliegt. Trotz des Versagens der hospitalschen Regel konvergiert für . Es ist nämlich .
Wenn man den Grenzwert berechnen möchte und die Taylorentwicklung von Nenner und Zähler um kennt, ist es oft einfacher, den Grenzwert über den Landau-Kalkül zu bestimmen, als mehrfach die Regel von de L’Hospital anzuwenden.
Die Regel lässt sich auch für Funktionen mit komplexen Variablen formulieren. Seien und zwei in holomorphe Funktionen, welche an der Stelle dieselbe Nullstellenordnung haben. Dann gilt