Sächsisch-karolingische Siedlung von Liebenau
Bei der Sächsisch-karolingischen Siedlung von Liebenau handelt es sich um eine im 8. und 9. Jahrhundert bestehende Siedlung im heutigen Liebenau in Niedersachsen. Die seit 2015 anhaltende Ausgrabung des Areals liefert Erkenntnisse zu sächsischen Siedlungen in karolingischer Zeit im Mittelwesergebiet.
Lage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die frühere Siedlungsstelle liegt am südlichen Ortsrand von Liebenau auf einer in West-Ost-Richtung verlaufenen Binnendüne zwischen der Weser und der Großen Aue. Der Siedlungsplatz wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt aufgegeben. Sandüberwehungen konservierten seine Bodenreste und einstigen Laufhorizonte.[1] Da das heute bewaldete Gelände nie intensiv landwirtschaftlich genutzt wurde, bestanden für die Siedlungsreste gute Erhaltungsbedingungen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Düne zur Sandgewinnung allmählich abgetragen. Da beim Sandabbau Keramik-, Knochen- und Schlackefunde zutage traten, wurde 1971 eine Sondagegrabung auf dem Areal durchgeführt. Sie erfolgte im Zuge der Ausgrabungen des etwa zwei Kilometer westlich liegenden Altsächsischen Gräberfeldes Liebenau. Anschließend wurde der Sandabbau beendet und das Gelände unter Denkmalschutz gestellt.
Ausgrabungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei der Sondagegrabung von 1971 und einer weiteren Grabung von 1973 wurden drei nahe nebeneinander stehende Grubenhäuser entdeckt. Bei der Grabung geborgene Fundstücke waren eine Scheibenfibel, ein Kamm, ein Messer, ein Schlüssel, Spinnwirtel, Webgewichte und Schalen von Süßwassermuscheln. Eine Abfallgrube war mit Eisenschlacken verfüllt. Mit 350 Gefäßscherben war das keramische Fundaufkommen hoch.
2015 kam es zu einer dreiwöchigen Lehrgrabung des Seminars für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen mit ehrenamtlichen Grabungshelfern im Rahmen des Projektes „ehrenWERT“ der Klosterkammer Hannover.[2] Die Ausgrabung erfolgte unter der Leitung des Archäologen Tobias Scholz in Kooperation mit der Kommunalarchäologie der Schaumburger Landschaft und Kommunalbehörden. Dabei wurden Pfostenstellungen von Gebäuden sowie Vorrats- und Abfallgruben gefunden. Dokumentierte Spuren von Wagenrädern deuteten auf einen einstigen Verkehrsweg hin. Zu den Funden gehörten Keramikfragmente, Metallschlacken, Brandlehm, Muschelschalen und Spinnwirtel. Durch eine Glasperle, eine Messerklinge, eine Pfeilspitze und eine kissenförmigen Rechteckfibel erfolgte die Datierung der Fundstelle in das späte 8. und frühe 9. Jahrhundert. Die Funde von Keramikscherben aus dem 8. und 9. Jahrhundert belaufen sich auf über 10.000 Stücke.
Weitere Ausgrabungen auf dem früheren Siedlungsareal fanden in den Jahren 2017, 2018 und 2019 durch die Universität Göttingen in Zusammenarbeit mit dem Verein RAUZWI – Lebendige Archäologie Mittelweser statt.[3] Bei der Ausgrabung im Jahr 2018 wurde die Pfostenreihe eines Langhauses freigelegt.[4] 2019 fanden sich 160 kg an Schlacken und 60 kg an Metallobjekten.
Grabungshelfer, die im Jahr 2015 an der Ausgrabung teilgenommen hatten[5], gründeten 2016 den Verein RAUZWI – Lebendige Archäologie Mittelweser.[6] 2022 eröffnete der Verein in Liebenau eine Ausstellung zur Siedlung unter dem Titel „Auf Sand gebaut - Von Sand begraben“.[7]
Bewertung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bewohner des weilerartigen Siedlungsplatzes, deren Anzahl zwischen 30 und 100 geschätzt wird, waren Ackerbauern, Viehzüchter und Fischer. Sie nutzten die nahen Flüsse zum Fischfang sowie zum Sammeln essbarer Muscheln. Auch betrieben sie Eisenverarbeitung.[8] Der für die Fundstelle zuständige Kommunalarchäologe der Schaumburger Landschaft Daniel Lau sieht in der Siedlung einen Handelsposten.[9]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Tobias Scholz, Gundula Tessendorf: Auf Sand gebaut – von Sand begraben. Ausgrabung einer frühmittelalterlichen Siedlung im Umfeld des Gräberfeldes von Liebenau/Steyerberg. (= Schriften des RAUZWI-Vereins 1.), Nienburg/Delligsen, 2020.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Siedlungsforschung und Landschaftsentwicklung Liebenau bei Universität Göttingen
- Ronald Reimann: Archäologische Grabung sächsisches Gräberfeld Liebenau:
- Teil 1: Die Befunde, Video bei Youtube (14:41 Minuten)
- Teil 2: Die Funde, Video bei Youtube (14:26 Minuten)
- Teil 3: Der Grabungsablauf, Video bei Youtube (08:07 Minuten)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Leif Rullhusen: Lebendige Geschichte, die den Forschergeist weckt in Blickpunkt Nienburg vom 23. Juli 2015
- ↑ Gerd Lübbers: Mittelalterliche Siedlung bei Liebenau, Landkreis Nienburg, Niedersachsen bei: Freundeskreis für Archäologie in Niedersachsen von 2016
- ↑ Ausgrabung 2015, Ausgrabungen 2017-2019 bei RAUZWI – Lebendige Archäologie Mittelweser e. V.
- ↑ Altsachsensiedlung war deutlich größer als erwartet ( vom 14. August 2019 im Internet Archive) in: Die Harke vom 22. August 2018
- ↑ Ausgrabung einer sächsisch-karolingischen Siedlung bei Liebenau, LK Nienburg bei hobbyausgrabung.de
- ↑ Neuer Verein „Rauzwi“ hat sich gegründet ( vom 11. August 2019 im Internet Archive) in: Die Harke vom 7. Oktober 2016
- ↑ Auf Sand gebaut - Von Sand begraben beim Verein RAUZWI vom 18. September 2022
- ↑ Max Brinkmann: Altsachsen-Siedlung größer als gedacht in Blickpunkt Nienburg vom 25. August 2018
- ↑ Sandstürme zwangen zur Aufgabe ( vom 29. August 2019 im Internet Archive) in: Die Harke vom 27. August 2019
Koordinaten: 52° 35′ 29,1″ N, 9° 5′ 30,2″ O