Sarah Kofman

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Sarah Kofman

Sarah Kofman (geboren am 14. September 1934 in Paris; gestorben am 15. Oktober 1994 ebenda) war eine französische Philosophin, Essayistin und Professorin an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne. Sie gilt als eine bedeutende Vertreterin der Philosophie der Dekonstruktion. In Essays ihres Spätwerks beschäftigte sie sich mit dem Holocaust.

Sarah Kofman war das dritte von sechs Kindern polnisch-jüdischer Eltern. Ihre Eltern waren Fineza Kofman (geborene Koenig) und der Rabbiner Berek Kofman. Sie waren 1929 nach Frankreich emigriert. In der Familie wurde Jiddisch und Polnisch gesprochen.[1] Im Januar 1942 beantragte Berek Kofman, der im Personenregister der Polizei des Vichy-Regimes als Staatenloser geführt wurde, die französische Staatsbürgerschaft für seine Tochter Sarah. Im Juli wurde er in das Sammellager Drancy deportiert, mit dem 12. Deportationszug am 29. Juli kam er ins KZ Auschwitz, wo er ermordet wurde.[2] In ihrer Autobiografie von 1994 schreibt Sarah Kofman: „Am 16. Juli 1942 wusste mein Vater, dass er ‚abgeholt‘ werden würde. Es hatte Gerüchte gegeben, dass für diesen Tag eine große Massenverhaftung vorbereitet wurde. Als Rabbiner einer kleinen Synagoge im 18. Arrondissement in der Rue Duc war er sehr früh von zu Hause aufgebrochen, um so viele Juden wie möglich zu alarmieren und sie dazu zu bringen, sich so schnell wie möglich zu verstecken. Dann war er zurückgekommen und wartete: er befürchtete, dass, wenn er sich selbst verstecken würde, seine Frau und seine sechs kleinen Kinder (drei Mädchen und drei Jungen zwischen zwei und zwölf Jahren) an seiner Stelle mitgenommen würden. Er wartete und betete, dass man ihn verhafte, wenn nur seine Frau und seine Kinder gerettet würden.[3]

Die Mutter versteckte Sarah und ihre Geschwister zwischen Juli 1942 und Februar 1943 auf dem Land in der Umgebung von Paris. Da Sarah das unkoschere Essen bei französischen Bauern verweigerte, holte die Mutter sie zurück in die Pariser Wohnung der Familie in der Rue Ordener. Nach einer Razzia der Gestapo floh Fineza mit der Siebenjährigen und wurde mit ihr bis zur Befreiung von Paris im August 1944 von einer jungen Witwe aus der Nachbarschaft, eine christliche Französin, in ihrer Wohnung in der Rue Labat im 18. Arrondissement (Paris) versteckt. Die „Dame aus der Rue Labat“ oder „Mémé“ (dt.: Omi), wie Sarah sie nannte, behandelte das jüdische Mädchen bald wie eine Tochter, gab ihr den Namen Suzanne und machte sie mit der säkularen, bürgerlichen französischen Lebensweise vertraut. In dieser Zeit entfremdete sich Sarah von der jüdisch-orthodoxen Kultur und der jiddischen Sprache, vergaß ihren Vater und entzweite sich mit ihrer Mutter.

Ihre Geschwister überlebten außerhalb von Paris. Der Großteil der Familienangehörigen des Vaters in Polen starb beim Aufstand im Warschauer Ghetto.[1]

Von den Erfahrungen der Flucht traumatisiert verbrachte Sarah Kofman zusammen mit ihrer Schwester Annette neun Monate in einem Sanatorium für Kinder und wohnte anschließend in einem Heim für Kinder von Deportierten. 1953 macht sie ihr Abitur. Von 1955 bis 1960 studierte sie Philosophie an der Sorbonne. Nach ihrem Diplom-Abschluss unterrichtete sie am Lycée Saint-Sernin in Toulouse und von 1963 bis 1970 am Lycée Claude Monet in Paris.

Von 1970 bis 1988 war Sarah Kofman Assistentin von Jacques Derrida an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne. Sie hatte ihre Dissertation über das Kulturkonzept bei Nietzsche und Freud im Jahr 1966 bei Jean Hyppolite am Collège de France begonnen, die nach dessen Tod 1968 von Gilles Deleuze 1971 übernommen wurde. 1976 schloss sie ihre Promotion mit einer Sammlung bereits erschienener Arbeiten unter dem Titel Travaux sur Nietzsche et sur Freud ab.[4][5] Von 1991 bis zu ihrem Tod lehrte sie als Professorin (Maître de conférences) Philosophie an der Sorbonne. Ihr Werk umfasst beinahe 30 Bücher und zahlreiche Artikel über philosophische, literarische und psychoanalytische Arbeiten, darunter von Empedokles, Rousseau und Shakespeare bis zu Nietzsche, Freud und Jacques Derrida. In mehreren ihrer Schriften beschäftigte sie sich mit Theorien des Weiblichen; ihre bekannteste ist L’Énigme de la femme. La femme dans les textes de Freud (1980).

Erst in ihren letzten Büchern wandte sie sich dem Holocaust zu. 1987 erschien ihr Essay Paroles suffoquées, das sie Robert Antelme, Maurice Blanchot und ihrem Vater widmete. Wenige Tage nach dem Erscheinen ihrer autobiografischen Skizzen mit dem Titel Rue Ordener, Rue Labat über ihre Kindheit im Paris der dreißiger und vierziger Jahre, in der sie ihre jüdische Identität vergessen lernte,[6][7] nahm sich Sarah Kofman – wie Brault und Naas schrieben, am 150. Geburtstag Nietzsches[8] im Oktober 1994 das Leben.[2]

Schriften (Auswahl)

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  • Rue Ordener, Rue Labat. Autobiographisches Fragment („Rue Ordener, Rue Labat“). Edition Diskord, Tübingen 1995, ISBN 3-89295-589-1 (übersetzt durch Ursula Beitz).
  • Rousseau und die Frauen. Konkursbuch Verlag, Tübingen 1986, ISBN 3-88769-303-5 (übersetzt durch Ruthard Stäblein).
  • Konversionen. „Der Kaufmann von Venedig“ unter dem Zeichen des Saturn („Conversions“). 2. Auflage. Passagen Verlag, Wien 2012, ISBN 978-3-7092-0052-0 (übersetzt durch Monika Buchgeister).
  • Die lachenden Dritten. Freud und der Witz („Pourquoi rit-on?“). Verlag Internationale Psychoanalyse, München 1990, ISBN 3-621-26519-8 (übersetzt durch Monika Buchgeister-Niehaus und Hans-Walter Schmidt-Hannisa).
  • Die Kindheit der Kunst. Eine Interpretation der Freudschen Ästhetik („L’enfance de l’art“). Fink Verlag, München 1993, ISBN 3-7705-2860-3 (übersetzt durch Heinz Jatho).
  • Derrida lesen. („Lectures de Derrida“). 3. Auflage. Passagen Verlag, Wien 2012, ISBN 978-3-7092-0051-3 (übersetzt durch Monika Buchgeister-Niehaus und Hans-Walter Schmidt-Hannisa).
  • Die Verachtung der Juden. Nietzsche, die Juden, der Antisemitismus („Le mépris des Juifs“). diaphanes, Berlin 2002, ISBN 3-935300-11-5 (übersetzt durch Bernhard Nessler).
  • Erstickte Worte. („Paroles suffoquées“). 2. Auflage. Passagen Verlag, Wien 2005, ISBN 3-85165-720-9 (übersetzt durch Birgit Wagner).
  • Melancholie der Kunst. („Mélancolie de l’art“). 3. Auflage. Passagen Verlag, Wien 2008, ISBN 978-3-85165-816-3 (übersetzt durch Birgit Wagner).
  • Schreiben wie eine Katze… Zu E.T.A. Hoffmanns ›Lebens-Ansichten des Katers Murr‹ („Autobiogriffure. Du chat Murr d’Hoffmann“). 3. Auflage. Passagen Verlag, Wien 2013, ISBN 978-3-7092-0093-3 (übersetzt durch Monika Buchgeister-Niehaus und Hans-Walter Schmidt-Hannisa).
  • Camera obscura. Von der Ideologie („Camera obscura. De l’idéologie“). Turia + Kant, Wien/ Berlin 2014, ISBN 978-3-85132-744-1 (Herausgegeben und übersetzt durch Marco Gutjahr).
  • Nerval. Le charme de la beauté; Lecture de »Sylvie«. Édition L’Age d’Homme, Lausanne 1979 (Cistre; 6).
  • Nietzsche et la métaphore. 2. Auflage. Galilée, Paris 1983, ISBN 2-7186-0249-X (Débats).
    • englische Übersetzung von Duncan Large: Nietzsche and Metaphor. Athlone Press, London / Stanford University Press, Stanford, CA 1993.
    • deutsche Übersetzung von Florian Scherübl: Nietzsche und die Metapher. Wolff Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-941461-14-7.
  • L’énigme de la femme. La femme dans les textes de Freud. 2. Auflage. Galilée, Paris 1983, ISBN 2-7186-0192-2.
    • englische Übersetzung von Catherine Porter: The Enigma of Woman: Woman in Freud’s Writings. Cornell University Press, Ithaca 1985.
  • Nietzsche et la scène philosophique. 2. Auflage. Galilée, Paris 1986, ISBN 2-7186-0304-6.
  • Explosion. Galilée, Paris 1992/93 (La philosophie en effet).
  • De l’Ecce homo de Nietzsche. 1992, ISBN 2-7186-0397-6.
  • Les enfants de Nietzsche. 2. Auflage. 1993, ISBN 2-7186-0418-2.
  • Socrates: Fictions of a Philosopher., engl. Übers. Catherine Porter, Cornell University Press, Ithaca 1998.
  • The Economy of Respect: Kant and Respect for Women. In: Robin May Schott (Hrsg.): Feminist Interpretations of Immanuel Kant. Pennsylvania State University Press, University Park, PA 1997.
  • Socrates and his Twins (The Socrates(es) of Plato’s Symposium). In: Genevieve Lloyd (Hrsg.): Feminism and History of Philosophy. Oxford University Press, New York 2002, S. 41–67.
  • Rousseau’s Phallocentric Ends. In: Lynda Lange (Hrsg.): Feminist Interpretations of Jean-Jacques Rousseau. Pennsylvania State University Press, University Park 2002, S. 229–244.
  • Baubo: Theological Perversion and Fetishism. In: Kelly Oliver, Marilyn Pearsall (Hrsg.): Feminist Interpretations of Nietzsche. Pennsylvania State University Press, University Park 1998, S. 21–49.
  • Thomas Albrecht, Georgio Albert (Hrsg.): The Sarah Kofman Reader. Stanford University Press, 2007, ISBN 978-0-8047-3297-0.
  • Tina Chanter, Pleshette DeArmitt (Hrsg.): Sarah Kofman’s corpus (= SUNY series in gender theory). University Press, Albany, N.Y. 2007, ISBN 978-0-7914-7268-2.
  • Jacques Derrida: Les Cahiers du GRIF. Band 3, 1997, S. 131–166 (persee.fr).
    • In englischer Übersetzung von Pascale-Anne Brault und Michael Naas: In: A Sarah Kofman Reader
    • In Auszügen mit einer Einführung herausgegeben von Pascale-Anne Brault und Michael Naas in: The Work of Mourning. The University of Chicago Press, Chicago / London 2001, ISBN 0-226-14316-3, S. 165–188.
  • Penelope Deutscher (Hrsg.): Enigmas. Essays on Sarah Kofman. University Press, Ithaca, N.Y. 1999, ISBN 0-8014-2912-9.
  • Karoline Feyertag: Sarah Kofman. Eine Biographie. Turia + Kant, Wien/Berlin 2014, ISBN 978-3-85132-727-4 (FWF-E-Book Library).
  • Duncan Large: Double Whaam! Sarah Kofman on „Ecce homo“. In: German life and letters/N.F. Band 48 (1995), Heft 4, S. 441–462, ISSN 0016-8777.
  • François Laruelle: Suivi d’entretiens avec Jean-Luc Nancy, Sarah Kofman, Jacques Derrida, Philippe Lacoue-Labarthe. In: Ders.: Le déclin de l’écriture Abier-Flammarion, Paris 1977.
  • Alan D. Schrift: Twentieth Century French Philosophy. Key Themes and Thinkers. Blackwell, 2006, ISBN 1-4051-3218-3, Sarah Kofman (books.google.de).

Einzelnachweise

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  1. a b Jacques Derrida: The Work of Mourning. University Of Chicago Press, 2003, ISBN 0-226-14281-7, S. 165.
  2. a b Pleshette DeArmitt: Sarah Kofman. In: Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia. 1. März 2009. Jewish Women’s Archive. (Abgerufen am 12. September 2014).
  3. Zitiert von Karoline Feyertag, in: Transkriptionen des Selbst. Eine polyphone Biographie zu Sarah Kofman. Dissertation Universität Wien 2011, Volltext zum Herunterladen (PDF; 27 MB) S. 67.
  4. Jacques Derrida: The Work of Mourning. S. 166.
  5. Schrift 2006, books.google.de, S. 144.
  6. Iris Radisch: Der Tod ist schlimmer als der Tod. In: Die Zeit. 08/1995. zeit.de (Rezension).
  7. Jonas Engelmann: Schreiben um die Leere. Wie Nachkommen der Holocaust-Opfer versuchen, das Schweigen zu überwinden. In: konkret. Juni 2014.
  8. The Work of Mourning. S. 167.