Scharlach (Stoff)

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Scharlach, mhd. auch scharlât-, bezeichnete im Mittelalter ein wertvolles Textil. Die genaue Beschaffenheit ist umstritten, wahrscheinlich handelte es sich um geschorenes Tuch aus Wolle.[1] Frühestens ab dem 12. Jahrhundert beschrieb der Begriff auch einen kräftigen Rotton, wodurch eine polyseme Wortbedeutung entstand.[2]

Begriffs- und Materialgeschichte

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Der Begriff trat in Europa zuerst in althochdeutschen und lateinischen Texten auf: Das Summarium Heinrici (nach 1000) etwa nennt Scharlach als deutsche Glosse zu lateinisch rālus, ‚scheren‘: „Ralla vel rullo quę vulgo rasilis dicitur scarlachen“ („Die ralla oder rullo, die gewöhnlich als rasilis [„glatt geschoren“] bezeichnet wird[:] scarlachen.“).[3][4][5] Danach tritt der Begriff in vielen europäischen Sprachen auf, etwa im Altfranzösischen (escarlet) und um Mittelniederländischen (scharlaken).[6]

Die Herkunft des Wortes Scharlach und damit auch die Beschaffenheit und Herkunft des Stoffes sind bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen.[6]

Vermutet wird einerseits seit dem 19. Jahrhundert eine arabisch-persisch-türkische Wortherkunft, etwa vom Persischen sakirlāt ‚wollenes, scharlachfarbenes Tuch‘ oder Arabischen siklātūn.[6][7] Munro hielt dies für den Namen eines islamischen, mit Kermes gefärbten Seidengewebes aus dem 9. oder 10. Jahrhundert.[8] Bei Ersterem könnte es sich um eine Entlehnung aus einer europäischen Sprache handeln.[6][8] Munro und Pfeifer sahen den Ursprung im lateinischen sigillātus ‚mit kleinen Figuren verziert‘, das über das mittelgriechische sigillátos (σιγιλλάτος) ins Persische eingegangen sei.[9][10]

Eine weitere These besagt, dass es sich um eine Zusammensetzung aus althochdeutsch scar ‚Scher-‘ und lahhan ‚Tuch‘ (vgl. das neuhochdeutsche ‚Laken‘) handelt. Dieses zusammengesetzte Wort könnte als Fachterminus in der Frühphase der flandrischen Tuchindustrie entstanden sein. Geschorene Tuche wurden nachweislich schon vor 1000 hergestellt und stellten eine der wichtigsten technischen Neuerungen der mittelalterlichen Textilindustrie dar.[8] Zu diesem Schluss über die Bedeutung kommt auch Jörg Riecke bei der Untersuchung des Summarium Heinricis und widerspricht damit früheren Annahmen, bei Scharlach habe es sich um ein Gewand aus rotem Stoff gehandelt.[2] Diese These wird dadurch unterstützt, dass mittelalterliche Quellen neben der überwiegenden Anzahl roter Scharlache auch braun-violette und selten grüne, blaue, weiße und gestreifte Scharlache kennen.[1][6][11] Im Spätmittelalter wurde in einigen französischen Städten, in England und den Niederlanden versucht, den Namen Scharlach auf hochrotes, ausschließlich mit Kermes gefärbtes Tuch zu beschränken.[6] Ingrid Loschek beschreibt Scharlach als ein feines, durch die Art der Fadendrehung und Webens dehnbares Wollgewebe.[12]

Als sich Karmin im 16. Jahrhundert als Farbstoff in Europa verbreitete und auch zum Färben von Scharlach Verwendung fand, wurden die Begriffe „scharlachrot“, „karmesinrot“ und „purpur“ teilweise synonym verwendet.[6]

Mittelalterliche Texte berichten von Talaren und anderen Kleidungsstücken aus Scharlach.[6][11] In Shakespeares Stück Heinrich VIII. steht scarlet für den Kardinal Wolsey.[6] Seit dem 14. Jahrhundert wurden Strümpfe häufig aus Scharlach hergestellt.[12] In der Nürnberger Polizeiordnung aus dem 15. Jahrhundert wird Frauen untersagt, Kleider oder Unterkleider aus Scharlach zu tragen. Seit dem 14. Jahrhundert fanden in Wien, später auch an anderen Orten, sogenannte Scharlachrennen statt, bei denen der Gewinner ein großes Stück Tuch erhielt.[6][13]

Wegen seiner Hochwertigkeit unterlag die Verwendung von Scharlach ständischen Beschränkungen.[14]

  • Elke Brüggen: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, Carl Winter, Heidelberg 1989.
  • William Jervis Jones: Historisches Lexikon deutscher Farbbezeichnungen, Akademie Verlag/De Gruyter, Berlin 2013.
  • John H. Munro: The Medieval Scarlet and the Economics of Sartorial Splendour. In: Cloth and Clothing in Medieval Europe. Essays in Memory of Professor E. M. Carus-Wilson, hrsg. von N. B. Harte und K. G. Ponting. Heinemann, London 1983, S. 13–70. Abgedruckt in: Munro: Textiles, Towns and Trade: Essays in the Economic History of Late-Medieval England and the Low Countries, Variorum, Aldershot usw. 1994.
  • John H. Munro: Medieval Woollens: Textiles, Textile Technology and Industrial Organisation c. 800–1500. In: The Cambridge History of Western Textiles, hrsg. von David Jenkins, Cambridge University Press, 2003, Band 1, S. 181–227.
  • John H. Munro: The Anti-Red Shift – to the ‚Dark Side‘: Colour Changes in Flemish Luxury Woollens, 1300–1550. In: Medieval Clothing and Textiles 3, 2006, S. 55–95.
  • John H. Munro: Scarlet, in: Encyclopaedia of Medieval Dress and Textiles of the British Isles c. 450–1450, hrsg. von Gale Owen-Crocker, Elizabeth Coatsworth und Maria Hayward, Brill, Leiden 2012, doi:10.1163/2213-2139_emdt_COM_550.
  • Anna Zanchi: ‚Melius abundare quam deficere‘: Scarlet clothing in Laxdaela Saga and Njáls Saga. In: Medieval Clothing and Textiles 4, 2008, S. 21ff.
Wiktionary: Scharlach – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. a b Elke Brüggen: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, Carl Winter, Heidelberg 1989, 48f. u. S. 282–287.
  2. a b Jörg Riecke: Über das Summarium Heinrici. In: Das Thema Kleidung in den Etymologien Isidors von Sevilla und im Summarium Heinrici 1. De Gruyter, 2013, ISBN 978-3-11-029373-9, S. 23–52, doi:10.1515/9783110293739.23 (degruyter.com [abgerufen am 31. Januar 2021]).
  3. Malte-Ludolf Babin: Summarium Heinrici I Buch IX, 1-14 Text und Übersetzung. In: Mechtild Müller, Malte-Ludolf Babin und Jörg Riecke (Hrsg.): Das Thema Kleidung in den Etymologien Isidors von Sevilla und im Summarium Heinrici 1. De Gruyter, 2013, ISBN 978-3-11-029373-9, S. 103–126, doi:10.1515/9783110293739.103 (degruyter.com [abgerufen am 31. Januar 2021]).
  4. Summarium Heinrici, bearbeitet und hrsg. von Reiner Hildebrandt [und Klaus Ridder], 3 Bde., De Gruyter, Berlin, New York 1974, 1982, 1995.
  5. John Munro: Scarlet. In: Encyclopedia of Medieval Dress and Textiles. 23. April 2012 (brillonline.com [abgerufen am 1. Februar 2021]).
  6. a b c d e f g h i j William Jervis Jones: Frühneuhochdeutsch – Neuhochdeutsch: S. In: Historisches Lexikon deutscher Farbbezeichnungen. Band 5. De Gruyter, 2013, ISBN 978-3-05-006322-5, S. 2434–2442, doi:10.1524/9783050063225.2389 (degruyter.com [abgerufen am 31. Januar 2021]).
  7. Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch (1893), Band 14, Sp. 2200; Walther von Wartburg: Französisches Etymologisches Wörterbuch (1922–2002), Band 19, S. 149–150; écarlate auf cnrtl.fr; scarlet in The Lexis of Cloth and Clothing Project.
  8. a b c John H. Munro: The Medieval Scarlet and the Economics of Sartorial Splendour. In: N. B. Harte und K. G. Ponting (Hrsg.): Cloth and Clothing in Medieval Europe. Essays in Memory of Professor E. M. Carus-Wilson. Heinemann, London 1983, S. 13–70.
  9. John H. Munro, „The Anti-Red Shift – to the ‚Dark Side‘: Colour Changes in Flemish Luxury Woollens, 1300–1550“, in: Medieval Clothing and Textiles 3 (2006), S. 55–95, hier S. 63f.: „In my view, set forth here as a hypothesis, the name 'scarlet' in later medieval Latin (scarlata, scarlatum), in all other Romance languages, and in English is derived from the Arabic name for an even earlier Islamic textile, from the ninth or tenth century, whose principal feature was that it was dyed in kermes: the siklat or later more commonly known as siklatun. It was, to be sure, a silk and not a woollen textile, but its name was probably derived from the late Roman or Byzantine woollen textile, the sigillatus (in Greek: σιγιλλατου), one decorated with seals or rings. The later Persian term for this kermes-dyed silk, the sakirlat, though certainly derived from siklatun, was probably also influenced in its formation by the Italian term scarlatto, through Italian commerce.“ Siehe auch Munro 1983, S. 20ff.; Munro 2003, S. 212f.; Munro 2012.
  10. Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. In: DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. 1993, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  11. a b Susanne Mosler-Christoph: Die materielle Kultur in den Lüneburger Testamenten 1323 bis 1500. Göttingen 1998 (Digitalisat [PDF]).
  12. a b Ingrid Loschek, Gundula Wolter: Reclams Mode- und Kostümlexikon. 6. Auflage. Reclam, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-15-010818-5, S. 461.
  13. Rerum Austriacarum Scriptores, Qui Lucem Publicam Hactenus Non Viderunt, Et Alia Monumenta Diplomatica Nondum Edita: Qvibvs Hvivs Gentis, Aliarvmqve Vicinarvm Medii Aevi Historia, Ac Ivra Eivs Temporis Pvblica Provincialia, Mvnicipalia, Feudalia, Et Civilia Vberrime Illvstrantvr. 3. Stahel, 1794, S. 135–138 (google.de [abgerufen am 1. Februar 2021]).
  14. J. Zander-Seidel: Textiler Hausrat. Kleidung und Haustextilien in Nürnberg von 1500-1650. München 1990, S. 402.