Schriftlinguistik
Schriftlinguistik (gelegentlich auch: Grapholinguistik) ist eine Fachdisziplin der Linguistik, die sich seit den 1980er Jahren konsolidiert hat und in der eine Reihe von unterschiedlichen Forschungstraditionen zusammenfinden, die sich unter verschiedenen Aspekten mit Schrift, Schriftsystemen und der Bedeutung der Schrift für den Menschen befassen.
Bedeutung der Schrift
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff Schriftlinguistik ist relativ neu: Nach Christa Dürscheid[1] geht der Begriff vermutlich auf Dieter Nerius (1988) zurück. Dies betrifft aber lediglich den Begriff selbst; Auseinandersetzungen mit Schrift lassen sich dagegen bis in die Antike zurückverfolgen,[2] sie wurden jedoch unter ganz unterschiedlichen Aspekten geführt. In der Linguistik des 19. und 20. Jahrhunderts ist die Ansicht, dass Schrift im Verhältnis zur gesprochenen Sprache lediglich ein sekundäres Phänomen sei, weit verbreitet und als Abhängigkeitshypothese (Dependenzhypothese) bekannt. In neuerer Zeit wird das Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache dagegen immer häufiger so gedeutet, dass es sich um zwei eigenständige und gleichberechtigte Ausdrucksformen der Sprache handelt. Bezogen auf die geschriebene Sprache geht man dann also von einer Autonomiehypothese aus. Eine weitere Sicht dieser Zusammenhänge wird als Interdependenzhypothese vertreten.
Eine neuere Bezeichnung für eine umfassende Wissenschaft von der Schrift ist das Wort Grammatologie, das durch das gleichnamige Werk von Jacques Derrida bekannt geworden ist.
Aspekte von Schrift
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Folgende linguistische und paralinguistische Disziplinen und Themen haben teilweise unabhängig voneinander die Sprachwissenschaft beschäftigt und befassen sich mit Schrift:
- Graphem(at)ik
- Graphetik
- Schrifttypologie
- Orthographie (Rechtschreibung)
- Schriftspracherwerb, Schriftdidaktik
- Schrifttechnik
- Schriftstatistik (quantitative Analysen von Schrifterzeugnissen), Kryptographie, Steganographie
- Schriftgeschichte, Paläographie
- Wahrnehmungspsychologie
- Graphologie (Pseudowissenschaft)
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Florian Coulmas: Über Schrift. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-07978-6.
- Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler Lexikon Sprache. 3., neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3-476-02056-8 (Stichwort: „Schriftlinguistik“).
- Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 3-525-26516-6 (Dieses Lehrbuch gibt einen Überblick über die meisten der genannten Forschungsaspekte.).
- Dimitrios Meletis: The Nature of Writing. A Theory of Grapholinguistics. Fluxus Editions, Brest 2020, ISBN 9782957054923 (Umfassender Überblick über die synchrone Schriftlinguistik).
- Richard Wiese: Vom Laut zum Buchstaben oder zurück? In: Bommes, Michael; Doris Tophinke; Christina Noack (Hrsg.): Sprache als Form. Festschrift für Utz Maas zum 60. Geburtstag. Opladen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002, 151-60.
- Richard Wiese: How to optimize orthography. Written Language and Literacy 7/2, 2004, 305–331.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- The World’s Writing Systems, Alle 294 bekannten Schriftsysteme der Menschheit mit je einer typografischen Referenz-Glyphe, sortierbar nach Entstehungszeit, Region, Namen und Unicode-Status
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, S. 12
- ↑ Florian Coulmas: Über Schrift. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1982, S. 9, ISBN 3-518-07978-6
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Phonographie (Linguistik) (Verhältnis Laut/Phonem – Buchstabe)