Selbsthilfe (Recht)

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Selbsthilfe ist die Durchsetzung oder Sicherung des (vermeintlichen) Rechts „auf eigene Faust“.

Die (reine) Selbsthilfe ist eine primitive Form der Rechtsdurchsetzung:[1]

  • Es gibt keine Instanz, die den wahren Berechtigten von dem irrigen oder angemaßten Berechtigten unterscheidet.
  • Ein objektiv Berechtigter hat nicht immer die Macht, sein Recht durchzusetzen.
  • Sie führt meist nicht zum Rechtsfrieden.

Für eine Selbsthilfe spricht, wenn es keine übergeordnete Instanz gibt, diese ungerecht, parteiisch oder ineffektiv, insbesondere zu langsam ist oder die zugrunde liegende Rechtsordnung als rechtswidrig erscheint. Der Rechtsstaat versucht daher in der Regel, Forderungen nach Selbsthilfe erst gar nicht aufkommen zu lassen oder sie zumindest als um des Rechtsfriedens willen abzuwenden.

Frage der Zulässigkeit

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Die Zulässigkeit von Selbsthilfe hängt zum einen von der Existenz zentraler Gerichts- und Zwangsinstanzen ab. So ist das völkerrechtliche Selbsthilferecht von Staaten sehr viel weitgehender als das Selbsthilferecht Privater in Rechtsstaaten.

Die Frage des Selbsthilferechts stellt sich auch innerhalb einzelner Rechtsordnungen. Sind diese ungerecht oder werden sie als solche empfunden, so wird ein Selbsthilferecht geltend gemacht, so etwa das Streikrecht als Selbsthilfe von Arbeitern[2] oder – fiktional veranschaulicht – in der Figur des Michael Kohlhaas.

Die private Selbsthilfe kann den Rechtsfrieden gefährden. Um sie zu verhindern, besteht in den modernen Staaten ein Gewaltmonopol des Staates. Das ist aber nur die negative Seite. Positiv muss ein Staat einen funktionierenden, effektiven staatlichen Rechtsschutz gewährleisten (vgl. Justizgewährungsanspruch).

In den modernen Staaten ist deshalb eine Selbsthilfe in der Regel („grundsätzlich“ im juristischen Sinne) verboten. Das in Deutschland grundgesetzlich garantierte Streikrecht ist ein Sonderfall. Nur in seltenen Ausnahmefällen darf eine Person ihre Forderung selbst durchsetzen. Wo sie zugelassen wird, geschieht dies nur unter engen Voraussetzungen, deren Einhaltung staatlich kontrolliert wird.

Im Privatrechtsbereich bedeutet Selbsthilfe private Zwangsvollstreckung.[3] Das Selbsthilferecht ist zugleich ein Rechtfertigungsgrund, führt also zur Rechtmäßigkeit der privaten Rechtsdurchsetzung, sodass weder strafrechtliche noch zivilrechtliche Sanktionen erfolgen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Voraussetzungen und die Grenzen des Selbsthilferechts beachtet werden.

Situation in bestimmten Ländern

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Selbsthilfe ist in Deutschland in der Regel verboten. Ausnahmsweise erlaubte Selbstvollstreckungsmöglichkeiten (Selbstjustiz) sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt:

Selbsthilfe nach § 229, § 230 BGB ist ausnahmsweise zulässig, wenn „obrigkeitliche Hilfe“ nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen zumindest die Gefahr einer wesentlichen Erschwerung der Verwirklichung eines eigenen Anspruchs droht. Bestehen andere Sicherungsmittel, ist die Selbsthilfe ausgeschlossen, so z. B. wenn wegen eines Zahlungsanspruchs die Erwirkung eines Arresttitels mit anschließender Sicherungsvollstreckung (§ 916, § 917, § 922 Abs. 1, § 930 Abs. 1 ZPO) möglich wäre. War die Selbsthilfe im Beispielsfall zulässig, wäre die Erwirkung eines dinglichen Arrestes nachzuholen, da sie nur aus Zeitgründen unterblieb (§ 230 Abs. 2 BGB).

Selbsthilfetatbestände im BGB:

Selbsthilfe ist hierbei nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auszuüben, sie darf nicht weiter als zur Abwendung der Gefahr erforderlich gehen (vgl. § 230 BGB: Grenzen der Selbsthilfe). Um die weitgehenden Selbsthilferechte für das Opfer erträglich zu machen, korrespondiert mit ihnen oft eine scharfe Haftung für irrtümliche Ausübung. Wer also versehentlich annimmt, es liege ein Fall der Selbsthilfe vor, haftet abweichend vom sonst herrschenden Verschuldensprinzip verschuldensunabhängig, also „auch wenn der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht“, § 231 BGB (vgl. Gefährdungshaftung).

Die Selbsthilfe ist in § 344 ABGB geregelt:

Zu den Rechten des Besitzes gehört auch das Recht, sich in seinem Besitze zu schützen, und in dem Falle, daß die richterliche Hülfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben (§. 19). Uebrigens hat die politische Behörde für die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, so wie das Strafgericht für die Bestrafung öffentlicher Gewaltthätigkeiten zu sorgen.

In der Schweiz bestehen ähnliche Regelungen. Die Ersatzpflicht bei Selbsthilfe ist im Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) geregelt:

Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.

Bereich des Common Law

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Im Bereich des Common Law (u. a. in England und Wales und den Vereinigten Staaten) gibt es die Doktrin der self-help. Ein Beispiel ist eine Räumung in Selbsthilfe. Dies ist das z. B. in New York State gesetzlich verankerte Recht eines gewerblichen Vermieters, sein Eigentum im Wege der Selbsthilfe wieder friedlich zu betreten, um einen säumigen Mieter oder eine andere Person, die kein Recht auf Besitz hat, zu vertreiben.[4]

  • Michael Duchstein: Die Selbsthilfe, JuS 2015, S. 105–109.
  • Stefan Klingbeil: Die Not- und Selbsthilferechte: Eine dogmatische Rekonstruktion, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, ISBN 978-3-16-155533-6.
  • Wolfgang B. Schünemann: Selbsthilfe im Rechtssystem. Eine dogmatische Studie am Beispiel der §§ 227, 229 ff. BGB, Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-644980-9.

Einzelnachweise

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  1. Nach Reinhold Zippelius: Einführung in das Recht. 7. Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 2017 (utb; 2175), ISBN 978-3-8252-4795-9, S. 15 f.
  2. Vgl. Hensche, in: Däubler, Hjort, Schubert, Wolmerath: Arbeitsrecht, GG, 4. Auflage 2017, Art. 9 Rn. 13: „So war die Geschichte der Industrialisierung auf der Seite der Opfer eine Geschichte der Gesellung, des immer wieder unternommenen Bemühens, soziale Not durch organisierte, solidarische Selbsthilfe und Gegenwehr zu überwinden.“
  3. Stefan Klingbeil, Selbsthilfe als private Zwangsvollstreckung, in: Tim Husemann, Robert Korves, Frank Rosenkranz u. a. (Hrsg.): Strukturwandel und Privatrecht. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8487-5494-6, S. 185 ff.
  4. Adam Leitman Bailey: Self-Help Eviction in 2020/2021. In: New York Law Journal. Abgerufen am 7. Januar 2021 (englisch).