Siduri

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Siduri ist eine Göttin der altbabylonischen Zeit. Ihr Name bedeutet so viel wie „Sie ist mein Schutz“ bzw. in hurritischer Schreibung „Junge Frau“.[1]

Erste Erwähnung findet sie in altakkadischen Inschriften. Ab der mittelbabylonischen Zeit wird sie mit Ishtar und Ninkasi gleichgesetzt.[2] Entsprechend gilt sie als kleine Göttin der Schankwirte und Brauer aber auch der Weisheit.[3] Ihr ist die Hymne „Königin von Nippur“ gewidmet, in der viele Aufforderungen zum Glauben und Frömmigkeit genannt werden, wie „sucht keinen anderen Gott“ oder „hört auf die Weisungen der Götter“.[1] Ihre bekannteste Rolle ist die als weise Ratgeberin im Gilgamesch-Epos.

Die Weisung der Siduri gilt als ältester Beleg für das Carpe-Diem-Konzept in der Literatur.[4] Sie gibt Gilgamesch folgenden Rat:

„Gilgamesch, wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschen schufen, Bestimmten sie für die Menschen den Tod, Das Leben behielten sie in ihrer Hand! Drum Gilgamesch, fülle deinen Leib, Freue dich bei Tag und Nacht, Feire jeden Tag ein Freudenfest! Tag und Nacht spring und vergnüge dich! Zieh reine Kleider an, Wasche dein Haupt und bade dich im Wasser, Schau froh auf das Kind, das dich an der Hand hält, Und dein Weib freue sich in deinen Armen!“[5]

Dieses Zitat wurde in der Standardversion des Gilgamesch-Epos entfernt, ist aber in anderen Fassungen, z. B. der Assyrischen Fassung aus Niniveh, enthalten. Wahrscheinlich wurde die Passage entfernt, um nachträglich die Sintflutgeschichte des Atraḫasis-Epos in das Gilgamesch-Epos zu integrieren.[6]

Auszug aus dem Gilgamesch-Epos

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Nachdem Gilgamesch den Skorpionmenschen begegnet[7], die er nach seinem Vorfahren Utnapishtim befragt, um von ihm das Geheimnis des ewigen Lebens zu erfahren, weisen sie ihn an, den 12 Wegstunden langen Sonnentunnel zu durchschreiten. Rechtzeitig zum Sonnenaufgang erreicht er dessen Ausgang; dort gelangt er in einen Garten voller Edelsteinbäume, der nahe an einem Meer liegt. An dessen Ufern erblickt er von Weitem Siduri. Sie hält sich komplett verhüllt[8] und versucht hastig, sich in ihrer Schenke zu verbarrikadieren.

1 Siduri, die unten am Meer wohnt – sie wohnt da und unterhält eine Kneipe. 4 Tief ist sie in eine Decke gehüllt, verdeckt von einem Schleier ist ihr Gesicht. 5 Gilgamesch streifte umher und schaute sich um zwischen den Edelsteinbäumen.10 Die Wirtin schaut zu ihm in die Ferne, 12 mit sich selbst zu Rate gehend: 14 „Von wo nur steuert er geradewegs auf mein Tor?“ 16 Ihr Tor verschloss sie und stieg aufs Dach hinauf.“

Zehnte Tafel des Gilgamesch-Epos[9]

Gilgamesch tritt heran und droht, die Tür einzuschlagen, so bittet sie ihn lieber zu sich hinein. Nachdem er ihr vom Tode seines Freundes Enkidu und seiner Suche nach dem ewigen Leben berichtet, erbarmt sie sich seiner und erklärt ihm den weiteren Weg: Um Untnapishtim zu begegnen (der auf einer weit im Meer gelegenen Insel Dilmun lebt), muss er das Todesgewässer überqueren; allein Urschanabi, der Fährmann der Steineren, könne ihm hierbei helfen...

Siduri in anderen Kulturen

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Siduri scheint in verschiedenen Kulturen des vorderen Orients verschiedene Rollen bekleidet zu haben. Ein Hinweis ist dabei schon die Änderung ihres Namens von Siduri „Sie ist mein Schutz“ zu der hurritischen Version Šiduri „junge Frau“. Lambert sieht diese Wandlung mit der allmählichen Assimilierung durch Ishtar verbunden[1].

Viele Autoren sehen Siduri auch als Vorlage für Kirke, die ähnliche Ratschläge Odysseus, dem Helden der Odyssee, erteilt. Dementsprechend wird vermutet, dass das Konzept auf mesopotamische Wurzeln zurückgeht.[10][11]

Einzelnachweise

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  1. a b c W.G. Lambert: The Hymn to the Queen of Nippur. In: Zikir šumim (Hrsg.): Assyriological studies presented to F.R. Kraus on the occasion of his seventieth birthday. E.J. Brill, Leiden 1982, ISBN 90-6258-126-9.
  2. Patricia Monaghan: Encyclopedia of goddesses and heroines. Greenwood, Santa Barbara, Calif. 2010, ISBN 978-0-313-34989-8.
  3. Michael Jordan: Dictionary of gods and goddesses. 2. Auflage. Facts on File, New York 2004, ISBN 978-0-8160-5923-2.
  4. Leo G. Perdue: Scribes, sages, and seers: the sage in the Eastern Mediterranean world. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-53083-2.
  5. Hermann Ranke: Das Gilgamesch-Epos. Der älteste überlieferte Mythos der Geschichte. 1. Auflage. marixverlag, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-8438-0012-9.
  6. A. R. George: The Babylonian Gilgamesh epic: introduction, critical edition and cuneiform texts. Oxford University Press, Oxford 2003, ISBN 978-0-19-814922-4.
  7. Gilgamesch 9. Tafel In: lyrik.ch, abgerufen am 21. August 2017.
  8. Gilgamesch 10. Tafel In: lyrik.ch, abgerufen am 21. August 2017.
  9. Stefan M. Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 126.
  10. David Adams Leeming: Jealous gods and chosen people: the mythology of the Middle East. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 978-0-19-514789-6.
  11. M. L. West (Martin Litchfield): The east face of Helicon: west Asiatic elements in Greek poetry and myth. Clarendon Press, Oxford [England] 1997, ISBN 978-0-19-815221-7.