Silke Maier-Witt
Silke Maier-Witt (* 21. Januar 1950 in Nagold) ist eine ehemalige deutsche Terroristin. Sie war ab 1977 Mitglied der zweiten Generation der Roten Armee Fraktion (RAF), tauchte 1980 in der DDR unter, wurde 1990 enttarnt, wegen der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und 1995 vorzeitig entlassen. Maier-Witt arbeitet heute als Psychologin.[1][2]
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Silke Maier-Witt besuchte ab 1960 das Heilwig-Gymnasium in Hamburg.[3] In der Hansestadt studierte sie ab 1969 Medizin und Psychologie, während des Studiums arbeitete sie unter anderem mit verhaltensauffälligen Jugendlichen. Zu ihrem Vater hatte sie ein distanziertes und emotional kühles Verhältnis, ihre Mutter starb früh. Auf ihre Frage als junge Frau, welche Rolle ihr Vater im 2. Weltkrieg gespielt hatte, reagierte dieser ausweichend. Während ihrer Inhaftierung in den 1990er Jahren erfuhr Maier-Witt, dass ihr Vater SS-Mann[4] und in einem SS-Schützen-Bataillon in Russland aktiv war.
Am 7. April 1977 schloss sie sich in einer konspirativen Wohnung in Amsterdam – teilweise in Reaktion auf den Tod von Holger Meins – der Roten Armee Fraktion an.[5] Sie war als Späherin an der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer beteiligt. Ihre Hauptaufgaben innerhalb der Organisation lagen meist im Bereich der Recherche und Zubringerdienste.
Nachdem 1979 bei einem Banküberfall in Zürich eine Unbeteiligte erschossen worden war, tauchte sie in der DDR unter. Dort ließ sie sich unter dem Namen Angelika Gerlach in Hoyerswerda zunächst zur Krankenschwester ausbilden und studierte später Informationswissenschaften an der Technischen Hochschule Ilmenau. 1981 wurde sie inoffizielle Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit (MfS) mit dem Decknamen Anja Weber.[6]
Am 13. Juni 1985 meldete ein junger DDR-Übersiedler der Polizei in Möglingen in Baden-Württemberg, er habe die gesuchte Silke Maier-Witt in Weimar als Angelika Gerlach, wohnhaft in Erfurt gesehen. Als das MfS dies durch den sowjetischen Geheimdienst KGB erfuhr, siedelte es Maier-Witt mit der neuen Identität Sylvia Beyer nach Ost-Berlin um und setzte sie als Leitung der Informationsstelle des VEB Pharma Neubrandenburg ein.[7][8][9] Unter diesem Namen wurde sie am 18. Juni 1990 in Neubrandenburg verhaftet und in die Bundesrepublik abgeschoben. Am 8. Oktober 1991 wurde sie wegen der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt[10] und 1995 vorzeitig aus der Haft entlassen.
1994 nahm sie ihr Psychologie-Studium an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg wieder auf. Im Anschluss absolvierte sie eine Ausbildung in systemischer Familientherapie und war schließlich im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der psychologischen Beratung und der innerbetrieblichen Kommunikation tätig.
1999 bewarb sie sich mit einem Empfehlungsschreiben von Generalbundesanwalt Kay Nehm beim forumZFD zur Ausbildung als Friedensfachkraft. Sie war in dieser Funktion von 2000 bis 2005 in Prizren im Kosovo im Einsatz.[11][12]
2006 betreute sie in Ulcinj ein Urlaubsprojekt des Komitees für Grundrechte und Demokratie im Rahmen der Aktion Ferien vom Krieg für albanische und serbische Jugendliche aus dem Kosovo.[13] Heute lebt Maier-Witt in Nordmazedonien.[14]
Maier-Witt gehört zu den wenigen Beteiligten des engsten RAF-Kreises, die sich mittlerweile selbstkritisch öffentlich äußern. Im Rahmen einer Zeugenaussage im Jahr 2011 appellierte sie an ihre ehemaligen Mitstreiter: „Wir sind alle alte Leute geworden, da macht es keinen Sinn mehr, das Versteckspiel aufrechterhalten zu wollen“. Es gebe eine moralische Pflicht „auch gegenüber dem Sohn von Herrn Buback, der ein Recht darauf hat, zu erfahren, wer das war“.[15]
In einem Interview nach ihrer Verurteilung stellte Maier-Witt Zusammenhänge zwischen ihrer Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe und der Zugehörigkeit ihres Vaters zur SS her.[5]
Im November 2017 bat sie Jörg Schleyer, den jüngsten Sohn von Hanns Martin Schleyer, um Verzeihung. Die beiden trafen sich zu einem siebenstündigen Gespräch in einem Hotel im mazedonischen Skopje.[16][17] Jan Feddersen schrieb dazu in der taz, Maier-Witt sei damit das erste frühere RAF-Mitglied, das sich „ernsthaft an so etwas wie Aussöhnung, Erklärung, Reue und die Bitte um ‚Verzeihung‘ heranwagt“.[18]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Tobias Wunschik: Der Prozeß gegen Silke Maier-Witt. In: Uwe Backes, Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 4. Jahrgang (1992), Bouvier, Bonn 1992, ISBN 3-416-02404-4, S. 146–156.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Silke Maier-Witt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- „Irgendwann ging es nicht mehr“, in: zivil, Nr. 4, 1999, Interview
- »Bis zum heutigen Tag ist mein Leben bestimmt davon«, in: SZ-Magazin, Nr. 41/2021, Interview
- Dossier zu Silke Maier-Witt bei Spiegel Online
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Maier-Witt-Aussage: Geschichtsstunde über den RAF-Terror. In: Focus Online. 24. Februar 2011, abgerufen am 21. Januar 2016.
- ↑ Miriam Hollstein: Das einsilbige Treffen zweier Terror-Rentnerinnen. In: Welt Online. 25. Februar 2011, abgerufen am 21. Januar 2016.
- ↑ Maike Röttger: „Ich muss dazu stehen. Das war so“, in: Hamburger Abendblatt, 28. Juni 2008
- ↑ Ex-RAF-Terroristin Silke Maier-Witt - "Ich hatte meine Gefühle ausgeschaltet". Abgerufen am 15. Oktober 2020 (deutsch).
- ↑ a b Markus Wehner: Silke Maier-Witt: „Wir haben nie gefragt, wen löschen wir da aus?“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29. April 2007, Nr. 17 / S. 8.
- ↑ BStU: Die Integration der in der DDR untergetauchten RAF-Terroristin Silke Maier-Witt aus Sicht des MfS. In: Stasi-Mediathek.de.
- ↑ Georg Mascolo, Michael Sontheimer: Terroristen: Kunstvolle Legende. In: Der Spiegel. Nr. 47, 1998 (online – 16. November 1998).
- ↑ Michael Sontheimer: Natürlich kann geschossen werden. Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion. DVA / Spiegel-Verlag, München 2010, ISBN 3-421-04470-8, S. 147–150 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ MfS-Dokument aus der Stasi-Mediathek des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen: Umsiedlung der RAF-Terroristin Silke Maier-Witt durch das MfS. In: Stasi-Mediathek. Abgerufen am 23. Juni 2017.
- ↑ Silke Maier-Witt erklärt Schleyer-Sohn, wie sein Vater hingerichtet wurde. In: Focus Online. 29. November 2017, abgerufen am 31. Januar 2024.
- ↑ Robert Leicht: Silke Maier-Witt wollte am "Forum Ziviler Friedensdienst" mitwirken – doch dem Ministerium dahinter wurde die Personalie jetzt unheimlich, ein Analyse in Der Tagesspiegel vom 30. September 1999
- ↑ Gerd Rosenkranz: Verhinderte Friedenstaube, Der Spiegel Nr. 39/1999 vom 27. September 1999
- ↑ Silke Maier-Witt: Albanische und serbische Jugendliche aus dem Kosovo machen gemeinsam Urlaub in Montenegro, Projekt Ferien vom Krieg, Broschüre 2006 ( vom 28. Januar 2016 im Internet Archive), S. 38.
- ↑ NDR: Silke Maier-Witt: Zwischen RAF und Stasi, Minute 6:00. In: Nordmagazin. 15. Oktober 2017, abgerufen am 18. Oktober 2017.
- ↑ sueddeutsche.de: Buback-Attentat: Maier Witt entlastet Folkerts. 25. Februar 2017, abgerufen am 3. September 2023.
- ↑ dw.com: RAF-Terroristin Silke Maier-Witt bittet um Verzeihung. 28. November 2017, abgerufen am 28. November 2017.
- ↑ welt.de: Silke Maier-Witt bittet Schleyer Sohn um Verzeihung. 28. November 2017, abgerufen am 28. November 2017.
- ↑ taz.de: Ex-RAF-Mitglied entschuldigt sich. 28. November 2017, abgerufen am 9. Juli 2018.
Personendaten | |
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NAME | Maier-Witt, Silke |
ALTERNATIVNAMEN | Silke Gerlach |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche RAF-Terroristin |
GEBURTSDATUM | 21. Januar 1950 |
GEBURTSORT | Nagold |