Sonderzüge in den Tod
Sonderzüge in den Tod ist der Titel einer Wanderausstellung, die an die Deportation hunderttausender Menschen durch die damalige Reichsbahn in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager erinnert. Sie wurde 2006 in Frankreich und 2008 verändert in Deutschland vor allem in Bahnhöfen bis 2015 an 44 Orten gezeigt. Mehr als 400.000 Besucher haben sie gesehen.
Geschichte und Konzept der Ausstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Deutschland wurde die Ausstellung am 23. Januar 2008 im Zwischengeschoss des Bahnhofs Potsdamer Platz eröffnet.[1][2] Anschließend war die Ausstellung am Hauptbahnhof Halle (Saale) zu sehen. Vom 28. März bis zum 10. April war sie am Hauptbahnhof Schwerin zu sehen.[3] Bis 12. Mai war die Ausstellung in Wittenberge zu Gast, vom 18. Mai bis 15. Juni beim Hauptbahnhof Münster.[4] Es folgten Stationen in Köln, Frankfurt am Main, Dresden und München. Vom 14. bis 26. November 2008 wurde sie im Hauptbahnhof Mannheim gezeigt. Bis zum Jahresende 2008 wurden rund 80.000 Besucher erwartet. 2009 sollte die Wanderausstellung fortgesetzt und kostenlos an interessierte Städte verliehen werden. Die erste Station war im Januar 2009 Hanau.[5] Ab 22. Januar 2009 wurde die Ausstellung in Chemnitz gezeigt, ab 15. Februar im Jüdischen Museum in Dorsten.[6]
Die von der Deutschen Bahn in Zusammenarbeit mit Beate und Serge Klarsfeld gemeinsam mit einer Bürgerinitiative konzipierte Ausstellung integriert Elemente aus der Ausstellung Enfants juifs déportés de France, die über drei Jahre auf Bahnhöfen der französischen SNCF gezeigt wurde. Von insgesamt 40 Informationstafeln basieren 15 auf dieser Sammlung.
Bis April 2008 besuchten, laut Schätzungen der Deutschen Bahn AG, rund 30.000 Menschen die Ausstellung.[4]
Diskurs um die Ausstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Ausstellung ging u. a. ein öffentlicher Streit zwischen den Klarsfelds und der DB AG voraus, nachdem sich das Unternehmen geweigert hatte, die in Frankreich gezeigte Ausstellung auch auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen.
In einem Interview im November 2006 begründete DB-Vorstandsvorsitzender Hartmut Mehdorn seine Ablehnung der Wanderausstellung: „Auf Bahnhöfen herrscht Hast und Eile. Es sind keine Orte für ein derart ernstes Thema wie den Holocaust. Es kann dort keine seriöse, tiefgehende Befassung mit solch einem Thema geben. Wir kennen unsere Verkehrsstationen und die Menschen, die sich dort aufhalten. Ich bin sogar geneigt zu sagen, wenn man es doch täte, wäre das kontraproduktiv. ‚Shock and go‘ funktioniert nicht mehr.“[7]
Er sagte ferner, die Deutsche Bahn habe sich „im Vergleich mit anderen großen Unternehmen geradezu vorbildlich mit [ihrer] Vergangenheit beschäftigt“. Er verwies auf eine von 200.000 Menschen jährlich besuchte Dauerausstellung im DB-Museum Nürnberg, die Beteiligung am Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter, die Aufklärung der eigenen Auszubildenden und die Unterstützung des Films Der letzte Zug. Klarsfeld habe dem Unternehmen „ihre Ausstellung diktieren“ wollen. Nachdem der Konzern dies abgelehnt hatte, habe man aus der Zeitung erfahren, das Unternehmen versuche, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit zu verdrängen. Mehdorn kündigte die Einrichtung einer Wanderausstellung an, die in der Nähe von Bahnhöfen gezeigt werden sollte.[7]
Die Einrichtung einer Wanderausstellung auf Bahnhöfen zu den Deportationen wurde zwischen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und Mehdorn am 1. Dezember 2006 vereinbart.[8]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Zug der Erinnerung – inhaltlich vergleichbares Projekt 2007 und 2008
- Mémorial de la Shoah, Paris
- Zeitgenössische Kenntnis vom Holocaust
- Bedeutung des US-Gesetzes Holocaust Rail Justice Act für Entschädigungsforderungen von ehemaligen Zwangsarbeitern
Mahnmale in Deutschland:
- Denk-Mal Güterwagen, Hamburg-Winterhude
- Gedenkstätte am ehemaligen Hannoverschen Bahnhof, Hamburg-Hafencity
- Gedenkstätte am Nordbahnhof, Stuttgart
- Mahnmal Gleis 17, Bahnhof Berlin-Grunewald
- Obelisk im Bahnhof Wuppertal-Steinbeck (auf dem Bahnsteig)
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Andreas Engwert, Susanne Kill (Hrsg.): Sonderzüge in den Tod. Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn, Böhlau, Köln 2009, 162 Seiten. ISBN 978-3-412-20337-5 (eine Dokumentation der Deutschen Bahn; Begleitpublikation zur gleichnamigen Wanderausstellung).
- Raul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz. Mainz 1981, ISBN 3-921426-18-9. Das amerikanische Original (The Role of the German Railroads in the Destruction of the Jews) wurde 1976 beim Jahrestreffen der American Sociological Association vorgelegt.
- Serge Klarsfeld: Le Mémorial des enfants juifs déportés de France (= La Shoah en France, Band 4). Gedenkband an die aus Frankreich deportierten Kinder. Édition Fayard, Paris 2001, ISBN 2-213-61052-5 (französisch; nennt alle Züge und die Zahl der darin deportierten Kinder und von der Mehrzahl auch die Personalien und Fotografien).
- Heiner Lichtenstein: Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941 bis 1945. Bund, Köln 1985, ISBN 3-7663-0809-2.
- Alfred Gottwaldt, Diana Schulle (Hrsg.): Die »Judendeportationen« aus dem Deutschen Reich 1941–1945. Marix, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-059-2 (Beschreibt detailliert alle Züge samt Zugnummern und Anzahl der Insassen vom 15. Oktober 1941, Abfahrt, bis 15. April 1945, Ankunft, nebst diversen Faksimiles von Anweisungen damaliger Behörden zur Durchführung der Transporte).
- Russalka Nikolov, Jürgen Franke, Ursula Bartelsheim; DB Museum Nürnberg (Hrsg.): Im Dienst von Demokratie und Diktatur. Die Reichsbahn 1920–1945 (= Geschichte der Eisenbahn in Deutschland, Band 2), Katalog zur Dauerausstellung im DB Museum, Nürnberg 2002, ISBN 3-9807652-2-9 (Inhaltsverzeichnis).
- Kurt Pätzold, Erika Schwarz: »Auschwitz war für mich nur ein Bahnhof«. Franz Novak – der Transportoffizier Adolf Eichmanns. Metropol, Berlin 1994, ISBN 3-926893-22-2.
Film
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wolfgang Schoen, Frank Gutermuth: Nach Fahrplan in den Tod – Europas Bahnen und der Holocaust. Dokumentation, D u. F, 90 Min, 2011 (vor allem zur Kollaboration der SNCF)
- Winfried Oelsner: Akte D (2/3) – Das Kriegserbe der Bahn. Dokumentation, 2014, 45 Min. (Zum Einfluss der NS-Politik, zu Aufgaben der Ostbahn, Rolle von GD Julius Dorpmüller und Rolle/Prozess gegen Albert Ganzenmüller, Finanzierung der Deportationszüge, Einsatz von fast 500.000 Zwangsarbeiterinnen; Senderkommentar bei Phoenix.de vom Nov. 2016)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ausstellung „Sonderzüge in den Tod“ beendet Informationen der Deutschen Bahn, unter Reichsbahn in der NS-Zeit; abgerufen am 12/2017.
- Enfants juifs déportés. (PDF; 8 MB) Broschüre zur Ausstellung 2004–2006 (französisch)
- MDR, Fernsehbeitrag ( vom 4. April 2008 im Internet Archive) im Magazin ttt, 27. Januar 2008
- Katharina Schuler: Eine Ausstellung erinnert nun an die Verstrickung der Deutschen Reichsbahn in den Holocaust. Der Eröffnung war ein langwieriger Streit vorausgegangen. Zeit online, 31. Januar 2008
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ DB-Konzern - PI 012/2008. 20. Februar 2008, archiviert vom ; abgerufen am 24. Juni 2024.
- ↑ Umkämpfte Ausstellung: „Sonderzüge in den Tod“ wird doch in Bahnhof gezeigt. Spiegel Online, 22. Januar 2008.
- ↑ Deutsche Bahn zeigt Wanderausstellung zur Rolle der Reichsbahn während des Holocausts in Schwerin. Deutsche Bahn AG, Presseinformation vom 28. März 2008
- ↑ a b Wanderausstellung der DB stößt auf großes Interesse. In: DB Welt, Ausgabe Mai 2008, S. 4.
- ↑ Wanderausstellung „Sonderzüge in den Tod“ wird 2009 fortgesetzt. Deutsche Bahn AG, Presseinformation vom 10. November 2008
- ↑ DB zeigt auch 2009 Ausstellung über NS-Zeit. In: DB Welt, Januar 2009, S. 5.
- ↑ a b Wir Bahner brauchen keine neue Ausstellung, wir haben eine.
- ↑ auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. (PDF; 61 kB; 4 Seiten) Deutscher Bundestag, Drucksache 16/7875, 11. Februar 2008