Sphaerotilus natans
Sphaerotilus natans | ||||||||||||
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Sphaerotilus-natans in einem abwasserbelasteten Fließgewässer | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Sphaerotilus natans | ||||||||||||
Kützing, 1833 |
Sphaerotilus natans ist eine Bakterium-Art aus der Gattung Sphaerotilus. Es sind stäbchenförmige Bakterien, die als Besonderheit dünnwandige Röhren bilden, in denen sie sich hintereinander angeordnet befinden. Sie kommen in langsam fließenden Gewässern, Gräben und Teichen vor, die einen hohen Gehalt an biologisch abbaubaren Stoffen aufweisen. Weil Massen dieser Bakterien durch ihre Anordnung in langen Röhren makroskopisch wie ein Pilzmycel aussehen und in Verbindung mit Abwasser vorkommen, wird diese Bakterienart auch Abwasserpilz genannt. Allerdings werden auch Lebensgemeinschaften verschiedener fadenbildender Bakterien als Abwasserpilz bezeichnet, in denen S. natans ein wesentlicher Bestandteil ist.
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gerade, stäbchenförmige (etwa zylindrische) Zellen, Durchmesser 1,2–2,5 µm, Länge 1–10 µm, gramnegativ, zeitweise jeweils an einem Zellende subpolar ein Flagellenbündel (polytrich, monopolar begeißelt). Die Bakterien schwimmen frei („Schwärmer“), meistens jedoch bilden sie Längsreihen (einreihige Zellketten), die sich in einer von ihnen abgeschiedenen dünnwandigen Röhre aus biologischem Material befinden.[1][2] Diese Röhren, auch als Scheiden (ähnlich Hüllen für Blankwaffen) bezeichnet, bestehen aus Biopolymeren, die verflochtene Fibrillen bilden, und sind außen glatt.[2] Sie bestehen aus 36–54 % Kohlenhydraten, 12–28 % Proteinen und 1–5 % Lipiden.[2] Die Zellen sind nicht mit den Röhren fest verbunden und können sich in ihnen fortbewegen. Die Scheiden können mit einem Ende an Feststoffoberflächen festgeheftet sein.[1][2] Außerhalb der Scheiden wird manchmal Schleim abgelagert.[2] Bei hohen Konzentrationen bioorganischer Stoffe im Medium kann es zu Wachstum und Vermehrung ohne Scheiden kommen.[2] Als Reservestoff wird Polyhydroxybuttersäure gebildet und in Form von Granula in den Zellen abgelagert.[1][2] Der GC-Gehalt der DNA beträgt 68–71 Mol-%.[2] Ruhestadien sind nicht bekannt.[1]
Stoffwechsel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Energiestoffwechsel ist strikt aerob, oxidativ, chemoorganoheterotroph.[1][2] Verwertet werden mehrere verschiedene bioorganische Stoffe (unter anderen Polysaccharide, einfache Kohlenhydrate, einige Alkohole, Aminosäuren, Buttersäure und andere organische Säuren).[1][2] Glucose wird über den Phosphogluconatweg und Citratzyklus abgebaut.[2] Als Stickstoffquellen werden Aminosäuren sowie Ammonium- und Nitrat-Ionen genutzt.[1] Vitamin B12 wird benötigt.[1][2] Auch bei geringen Sauerstoffkonzentrationen im Medium wächst S. natans gut.[1][2]
Vorkommen, Ökologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]S. natans kommt in langsam fließenden Gewässern, Gräben und Teichen vor, die einen hohen Gehalt an bioorganischen Stoffen aufweisen, besonders in Siedlungsabwässern, landwirtschaftlichen Abwässern, Abwässern von Fabriken, in denen Papier oder landwirtschaftliche Produkte (Kartoffeln, Milch u. a.) hergestellt bzw. verarbeitet werden, sowie deren Reinigungsanlagen und in Gewässern, die mit solchen Abwässern belastet sind.[2] Der pH-Bereich des Wachstums ist 5,4–9,0, das pH-Optimum liegt bei 6,5–7,6, der Temperaturbereich des Wachstums ist 10–40 °C, das Temperaturoptimum liegt bei 20–30 °C,[1][2] Salztoleranz des Wachstums bis 3–7 g/L Natriumchlorid (NaCl).[2]
Die Umhüllung der Bakterienzellen durch Scheiden hat den Vorteil, dass auf diese Weise Filamente gebildet werden, ohne dass dafür eine Zellverlängerung oder die Bildung mehrzelliger Zellfäden erforderlich ist. Filamente bewirken eine lockere, oberflächenreiche Aggregation, die den Stoffaustausch mit dem umgebenden Medium begünstigt. Gleichzeitig werden die Bakterien durch die Scheiden vor bakterienfressenden Lebewesen (besonders Protozoen) und vor Bakteriophagen geschützt. Die Anheftung an Feststoffoberflächen bietet in Fließgewässern den Vorteil, dass ständig neue Nährstoffe herangeführt werden und Stoffwechselprodukte weggeschwemmt werden.[2]
Technische Bedeutung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Abwasserreinigungsanlagen verursacht Sphaerotilus natans durch die Bildung von Massen langer, fädiger Scheiden zusammen mit anderen fadenbildenden Bakterien (beispielsweise Haliscomenobacter) den sogenannten Blähschlamm, eine Mikroorganismenmasse, die im wässrigen Medium schwebt und nicht oder nur extrem langsam sedimentiert.[2] Die technisch erforderliche Abtrennung der Mikroorganismen wird dadurch verhindert und der Betrieb der Abwasserreinigungsanlagen gestört. Auch kommt es durch die Blähschlammbildung zu Verstopfungen von Anlagen in Gewässern.
Diese Schädigung unterhalb einer Zuckerfabrik spielt im Roman Pfisters Mühle („Abwasserroman“) von Wilhelm Raabe eine wesentliche Rolle. Das Bakterium wird dabei zwar nicht mit seinem Namen genannt, jedoch werden die typischen zottigen Bakterienmassen im Gewässer und an einem Mühlrad beschrieben. Der Erzählung liegt ein realer Fall von Gewässerverunreinigung durch Abwässer der Zuckerfabrik Rautheim bei Braunschweig zugrunde[3], an dem der Botaniker und Mikrobiologe Ferdinand Cohn als Gutachter beteiligt war.[4][5]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d e f g h i j John G. Holt, Noel R. Krieg, Peter H. A. Sneath, James T. Staley, Stanley T. Williams: Bergey's Manual of determinative bacteriology. 9. Aufl. Williams and Wilkins, Baltimore u. a. O. 1994, ISBN 0-683-00603-7, S. 480–482.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r Stefan Spring: The genera Leptothrix and Sphaerotilus. In: Martin Dworkin, Stanley Falkow, Eugene Rosenberg, Karl-Heinz Schleifer, Erko Stackebrandt (Hrsg.): The Prokaryotes. 3. Auflage, Bd. 5, S. 758–777. Springer, New York u. a. O. 2006, ISBN 978-0-387-25495-1.
- ↑ Horst Denkler: Nachwort. In: Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle – Ein Sommerferienheft. Reclams Universal-Bibliothek 9988, Reclam, Ditzingen 1996, ISBN 978-3-15-009988-9, S. 233–235.
- ↑ Horst Denkler: Nachwort. In: Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle – Ein Sommerferienheft. Reclams Universal-Bibliothek 9988, Reclam, Ditzingen 1996, ISBN 978-3-15-009988-9, S. 228.
- ↑ Bemerkung zu S. 94, Zeile 29 im Anhang zu Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle – Ein Sommerferienheft. Reclams Universal-Bibliothek 9988, Reclam, Ditzingen 1996, ISBN 978-3-15-009988-9.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- F. T. Kützing: Beitrag zur Kenntnis über die Entstehung und Metamorphose der niedern vegetabilischen Organismen, nebst einer systematischen Zusammenstellung der hierher gehörigen niedern Algenformen. In: Linnaea. Bd. 8, 1833, S. 335–387.
- E. G. Mulder, W. L. van Veen: Investigations on the Sphaerotilus-Leptothrix group. In: Antonie van Leeuwenhoek Journal of Microbiology and Serology. Bd. 29, 1963, S. 121–153.
- Véronique Pellegrin, Stefan Juretschko, Michael Wagner, Gilles Cottenceau1: Morphological and biochemical properties of a Sphaerotilus sp. isolated from paper mill slimes. In: Applied and Environmental Microbiology. Bd. 65, Heft 1, 1999, S. 156–162.
- Stefan Spring: The genera Leptothrix and Sphaerotilus. In: Martin Dworkin, Stanley Falkow, Eugene Rosenberg, Karl-Heinz Schleifer, Erko Stackebrandt (Hrsg.): The Prokaryotes. 3. Auflage, Bd. 5, S. 758–777. Springer, New York u. a. O. 2006, ISBN 978-0-387-25495-1.
- George M. Garrity, Julia A. Bell, Timothy G. Lilburn: Taxonomic Outline of the Prokaryotes. Bergey's Manual of Systematic Bacteriology. Second Edition, Release 5.0, Springer-Verlag, New York, 2004. doi:10.1007/bergeysoutline200310 (zurzeit nicht erreichbar) PDF.
- Wilhelm Raabe: Pfisters Mühle – Ein Sommerferienheft. Erzählung, Roman. Erstveröffentlichung in: Die Grenzboten – Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst. Leipzig 1884. Moderne Ausgabe u. a.: Reclams Universal-Bibliothek 9988, Reclam, Ditzingen 1996, ISBN 978-3-15-009988-9.