Sprachplanung

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Sprachplanung ist die bewusste, absichtsvolle und systematische Beeinflussung von Funktion, Struktur oder Aneignung von Sprachen oder Sprachvarietäten innerhalb einer Sprachgemeinschaft, meist als Bestandteil der Sprachpolitik einer Regierung oder politischen Gruppierung.[1] Diese ideologisch und pragmatisch bestimmten politischen Faktoren sind oft stärker sprachprägend als die linguistischen Faktoren der Sprachentwicklung.[2]

Motive und Ideologie

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Sprachplanung wird häufig in ihrer Bedeutung für die nationale Identität und Integrität, ihre Erzeugung, Erhaltung oder Verstärkung gesehen,[3] dabei wird Sprachplanung manchmal mit „Nationsplanung“ gleichgesetzt.[4] Ein moderneres Beispiel für die erfolgreiche Verbindung ist Kroatien,[5] für die sprachpolitischen Anstrengungen auf dem Weg zur Nation die Verfechter eines Kurdenstaates.[6]

Bei der Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert spielte die Sprache oft die Hauptrolle für das nationale Selbstverständnis und die Abgrenzung von anderen Ländern (in den skandinavischen Ländern auch durch orthografische Eigenheiten),[7] vor allem in überstaatlichen Kulturnationen wie Deutschland.

Nach Cobarrubias unterliegt jeder Sprachplanung im Bereich der Statusplanung einer ideologischen Orientierung:[8] Er unterscheidet Assimilierung, Sprachen-Pluralismus, Internationalisierung und Regionalisierung, lässt aber weitere Orientierungen offen. Für die Art der Orientierung spiele die politische und kulturelle Elite die Hauptrolle.[9] Neben oder innerhalb ideologischer Faktoren lassen sich auch pragmatische Faktoren bestimmen, wie die Verbesserung und Erleichterung der Kommunikation oder der Spracherlernung.

Die Maßnahmen der Sprachplanung kann man mit Einar Haugen und anderen Linguisten nach Auftraggebern und Akteuren, ihrer Legitimationsgrundlage, der Bestimmung des Problems, der Zielsetzung, den Arbeitsfeldern und den Nutznießern der Maßnahmen unterscheiden.[10]

Auftraggeber und Akteure

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Sprachplanung wird oft der Sprachpolitik einer Regierung zugeordnet, sie wird aber auch von NGOs und Individuen betrieben. Akteure sind neben den Politikern und Sprachwissenschaftlern meist Regierungsbeamte, Journalisten und Lehrer.

Ziele der Sprachplanung sind unter anderem[11]

  • die wirtschaftliche Förderung von Minderheiten durch Verbesserung ihrer Kommunikationsmöglichkeiten. Sie wird aber auch kritisch als Mittel zu ihrer politischen Beherrschung betrachtet.[12][13]
  • Verschriftlichung einer schriftlosen Sprache: Bantusprachen
  • Schaffung einer Standardvarietät: Friesisch, Norwegisch (Nynorsk und Bokmål)
  • Ausbau von Dialekten zu eigenständigen Sprachen: Bosnisch (kontrovers)
  • Ausbau bzw. Modernisierung einer Sprache zu wissenschaftlichen Zwecken
  • Spracherhalt: Rumantsch Grischun, Ladin Dolomitan
  • Rettung vom Aussterben bedrohter Sprachen: australische Sprachen
  • Sprachwiederbelebung und Neugestaltung: Ivrit
  • Wiederherstellung und Betonung des besonderen Charakters einer Sprache: Kroatisch (Archaismen, Regionalismen)
  • Entwicklung und Verbreitung einer Plansprache (wie Esperanto)
  • Einführung neuer Amtssprachen oder Schulsprachen: Hindi
  • Zurückdrängung bisheriger Sprachen oder Verkehrssprachen: Französisch in Algerien
  • Sprachreform,[14] etwa eine Rechtschreibreform zur Vereinfachung des Gebrauchs, aber auch Rechtschreibung und Grammatik
  • Sprachreinigung (Purismus), um fremde Einflüsse und innere Veränderungsprozesse zu verhindern
  • Sprachverbreitung: Versuch, die Zahl der Sprecher auf Kosten einer anderen zu erhöhen
  • Lexikalische Modernisierung, etwa durch Aufnahme von Neologismen in den Wortschatz, Beispiel Post- und Bahnvokabular, in Deutschland durch Verwaltungsbeamte geschaffen und per Verwaltungsakt durchgesetzt
  • Standardisierung von Fachausdrücken

Planungsdimensionen

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Nach Heinz Kloss unterscheidet man zwischen Korpusplanung und Statusplanung. Robert L. Cooper fügte 1989 noch den Aspekt der Anwendungsplanung hinzu.

  • bezieht sich auf die Struktur, Rechtschreibung, Aussprache und den Wortschatz der Sprache. Dazu kann auch die Festlegung einer Schrift für schriftlose Sprachen gehören.[15] Standardisierung von Sprachen kann als Teil der Korpusplanung aufgefasst werden.
  • Statusplanung soll die Rolle der Sprache in einer Gesellschaft fördern, für die Verwendung etwa als Unterrichtssprache sorgen. Dies schließt neben den sprachwissenschaftlichen vor allem soziologische und politikwissenschaftliche Aspekte ein.[16] Der Status betrifft auch das Prestige der geförderten Sprache gegenüber anderen stigmatisierten oder abgewerteten Sprachformen.[17] Die Statuszuweisung erfolgt nach vier Kriterien, die 1968 von Heinz Kloss und William Stewart beschrieben wurden: Ursprung, Standardisierung, rechtlicher Status und Vitalität.
    • Ursprung der Sprache – ursprünglich oder von außen eingeführt
    • Grad der Standardisierung
    • Rechtlicher Status
      • einzige Amtssprache (Französisch in Frankreich)
      • eine der gleichberechtigten Amtssprachen (Englisch und Afrikaans in Südafrika)
      • regionale Amtssprache (Baskisch, Galicisch, Katalanisch im heutigen Spanien, Igbo in Nigeria)
      • für besondere Zwecke und bei besonderen Gelegenheiten geförderte Sprache, die aber nicht Amtssprache ist (Spanisch in New Mexico)
      • tolerierte Sprache, anerkannt, aber unbeachtet (Indianersprachen in den USA)
      • Verbotene, abgelehnte oder eingeschränkte Sprache (Baskisch, Galicisch, Katalanisch zur Zeit der Franco-Herrschaft)
    • Vitalität im Sinne des Anteils aktiver Sprecher an der Gesamtbevölkerung.[12] Kloss und Stewart unterscheiden dabei 5 Vitalitätsklassen.

William Stewart stellt 10 Bereiche der Anwendung dar:[18]

  1. amtlich, manchmal in der Verfassung festgeschrieben
  2. regional beschränkt, wie Französisch in Quebec
  3. grenzüberschreitend, in mehreren Ländern gebraucht (Deutsch)
  4. international für bestimmte kommunikative Zwecke benutzt, wie Englisch, früher Französisch als diplomatische und internationale Sprache
  5. hauptstädtisch, wie etwa Niederländisch und Französisch in Brüssel
  6. gruppenbezogen je nach Ethnie oder Kultur (Hebräisch, Jiddisch)
  7. im Bildungssystem als Unterrichtssprache üblich (Urdu in Westpakistan und Bengalisch in Ostpakistan)
  8. als Schulfach eingeführt (Latein)
  9. literarisch oder wissenschaftlich gebraucht
  10. religiös für rituelle Zwecke, wie Arabisch für das Lesen des Qur'an

Robert Cooper ergänzte drei Unterarten der offiziellen Funktion: rechtlich vorgeschriebene Sprache, Sprache der alltäglichen politischen Arbeit und symbolische Sprachformen, die den Staat repräsentieren.[19] Außerdem unterscheidet er zwei funktionelle Bereiche:

  1. massenmedial gebrauchte Sprache
  2. Sprache am Arbeitsplatz

Anwendungsplanung

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  • Anwendungsplanung oder Spracherwerbsplanung soll sicherstellen, dass die Anwender der Sprache diese auch akzeptieren und positiv bewerten.[20]

Konfuzius hielt die Sprachplanung für die wichtigste politische Aufgabe einer Regierung. Als er gefragt wurde, was seine erste Maßnahme als Herrscher wäre, antwortete er, er würde als erstes die Bedeutung der Wörter richtigstellen.[21][22]

Karolingische Bildungsreform

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Ein Beispiel aus dem Frühmittelalter ist die gesteuerte Beeinflussung von Wortschatz und Syntax des Althochdeutschen in der karolingischen Bildungsreform, die aufgrund kaiserlicher Kapitularien hauptsächlich in den Reichsklöstern durch Ausbildung der Prediger und Kleriker umgesetzt wurden, die zur kulturellen und politischen Elite des politischen Verbands des HRR wurden. Ziel war vor allem die einheitliche und klare Vermittlung der Grundlagen des christlichen Glaubens und des christlichen Staatsverständnisses zur Abwehr gegensätzlicher religiöser und politischer Kräfte. Mittel waren die Überarbeitung von kulturell grundlegenden Texten und eine neue Kultur des Lesens.[23]

Sprachen in Entwicklungs- und Schwellenländern

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Beispiele für erfolgreiche Sprachplanung und Standardisierung sind Sprachen der Dritten Welt wie Swahili und Indonesisch.[24]

Neusprech ist ein fiktives Beispiel einer aus ideologischen Motiven umgestalteten Sprachform zur Kontrolle von Kommunikation und Denken. Sie ist Teil eines totalitären Herrschaftssystems, das von George Orwell in seinem Roman 1984 dargestellt wird.

Fachzeitschriften

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  • Current Issues in Language Planning (Routledge) Home page
  • Language Policy (Springer) Home page
  • Language Problems and Language Planning. Home page

Einzelnachweise

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  1. Kaplan B., Robert, and Richard B. Baldauf Jr. Language Planning from Practice to Theory. Clevedon: Multilingual Matters ltd., 1997
  2. Florian Coulmas: Sprache und Staat: Studien zu Sprachplanung und Sprachpolitik. Walter de Gruyter, 1985, ISBN 978-3-11-010436-3, S. 15 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  3. https://link.springer.com/chapter/10.1057%2F9780230597037_3
  4. Tessa Carroll: Language Planning and Language Change in Japan. Psychology Press, 2001, ISBN 978-0-7007-1383-7 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  5. K. Langston, A. Peti-Stantic: Language Planning and National Identity in Croatia. Springer, 2014, ISBN 978-1-137-39060-8 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  6. Nation State building or language planning | Kurdish Academy of Language. Abgerufen am 26. Februar 2017 (englisch).
  7. Ernst H. Jahr: Language Conflict and Language Planning. Walter de Gruyter, 1993, ISBN 978-3-11-088658-0 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  8. Juan Cobarrubias: Progress in Language Planning: International Perspectives. Walter de Gruyter, 1983, ISBN 978-90-279-3358-4, S. 63 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  9. Juan Cobarrubias: Progress in Language Planning: International Perspectives. Walter de Gruyter, 1983, ISBN 978-90-279-3358-4, S. 62 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  10. D. Alan Cruse: Lexicology: an international handbook on the nature and structure of words and vocabularies. Walter de Gruyter, 2005, ISBN 978-3-11-017147-1 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  11. Helmut Glück: Metzler Lexikon Sprache. Springer-Verlag, 2016, ISBN 978-3-476-00088-0 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  12. a b Cobarrubias, Juan. "Ethical Issues in Status Planning." Progress in Language Planning: International Perspectives. Eds. Juan Cobarrubias and Joshua Fishman. New York: Mouton Publishers, 1983.
  13. Moshe Nahir: Language Planning Goals: A Classification. In: Christina Bratt Paulston and G. Richard Tucker: Sociolinguistics: The Essential Readings. Oxford, Blackwell, 2003.
  14. Tessa Carroll: Language Planning and Language Change in Japan. Psychology Press, 2001, ISBN 978-0-7007-1383-7, S. 14 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  15. Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft (= Kröners Taschenausgabe. Band 452). 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1990, ISBN 3-520-45202-2, S. 712.
  16. Ulrich Ammon: Sprachplanung. In: Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart / Weimar: 1993, S. 583.
  17. Edwards, John. "Language, Prestige, and Stigma," in Contact Linguistics. Ed. Hans Goebel. New York: de Gruyter, 1996.
  18. William A. Stewart: Sociolinguistic Typology of Multilingualism. In: Readings in the Sociology of Language. Hrsg. von Joshua Fishman. Mouton Publishers, The Hague 1968.
  19. Robert L. Cooper: Language Planning and Social Change. Cambridge University Press, New York 1989.
  20. D. Alan Cruse: Lexikologie / Lexicology. 2. Halbband. Walter de Gruyter, 2005, ISBN 978-3-11-019424-1, S. 1881 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  21. D. Alan Cruse: Lexikologie / Lexicology. 2. Halbband. Walter de Gruyter, 2005, ISBN 978-3-11-019424-1, S. 1882 (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  22. Zeno: Kong Fu Zi (Konfuzius), Lunyu - Gespräche, Buch XIII, 3. Staatsregierung, 3. Richtigstellung der Begriffe. Abgerufen am 26. Februar 2017.
  23. Birgit Auernheimer: Die Sprachplanung der karolingischen Bildungsreform im Spiegel von Heiligenviten: vergleichende syntaktische Untersuchungen von Heiligenviten in verschiedenen Fassungen, v. a. [i. e. u. a.] der Vita Corbiniani, auf der Basis eines valenzgrammatischen Modells. Walter de Gruyter, 2003, ISBN 978-3-598-73013-9, S. 13, 107, 113 u. a. (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).
  24. Helma Pasch: Standardisierung internationaler afrikanischer Verkehrssprachen. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-663-05317-0, S. 15 f. (google.de [abgerufen am 26. Februar 2017]).