St. Jürgen (Gettorf)

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Turm von St. Jürgen
Innenraum

St. Jürgen in Gettorf war im Mittelalter eine Wallfahrtskirche. Heute gehört sie zur evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland.

An der Stelle der heutigen Kirche befand sich vermutlich bereits vor der Christianisierung des Dänischen Wohlds eine Kultstätte. Um 1250 wurde ein Langschiff, das heutige Mittelschiff, mit Chor errichtet. Um 1300 wurde der heutige Chor mit Kreuzrippengewölbe etwas versetzt angefügt. Zu dieser Zeit war die Kirche dem heiligen Nikolaus von Myra und der Gottesmutter Maria geweiht. Neben der Kirche befand sich eine dem Georg geweihte Kapelle, die zahlreiche Pilger anzog und der Kirche große Einnahmen bescherte. Das Patrozinium ging später auf die große Kirche über.

Zur Versorgung der Pilger und wohl auch zur Unterbringung des zumeist aus Naturalien bestehenden Kirchenzehnten wurde im 15. Jahrhundert ein Speicher aus Feldsteinen westlich an die Kirche angebaut. Die Reste dieses Speichers, auf dessen Fundament 1491–94 der 64 m hohe Turm errichtet wurde, sind noch an der Kirchenmauer zu erkennen. 1520 wurde an der Südwand die Marienkapelle angebaut.

Nur wenige Jahre später hielt 1523 die Reformation in Gettorf Einzug, als in der St. Jürgen-Kirche die erste lutherische Predigt gehalten wurde. 1619 wurde die alte Wallfahrtskapelle niedergebrochen, die Materialien, z. B. das Kupfer, mit dem das Dach gedeckt war, wurden zum Ausbau der Kirche verwendet. An der Stelle der Kapelle wurde ein Armenhaus errichtet.[1]

Im Dreißigjährigen Krieg wurden die Kupferplatten, mit denen der Turm gedeckt war, entwendet und durch Holzschindeln ersetzt. Kurz danach wurde 1643 mit der Gruft des Detlef von Ahlefeldt, dessen Familie seit 1460 das Kirchenpatronat innehatte, an der Nordwand der letzte Anbau an die Kirche vorgenommen.

1814 brannte der Turm ab und wurde wieder aufgebaut. Während der Schleswig-Holsteinischen Erhebung diente er als Aussichtspunkt, von dem aus vor dem Gefecht bei Eckernförde am 5. April 1849 das Einlaufen der dänischen Schiffe beobachtet wurde.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erhielt die Kirche die heutigen Emporen. Auch die Fenster wurden vergrößert. 1906 wurde die spätgotische Ausmalung der Gewölbe erneuert und ergänzt. 1913 brannte der Turm erneut und wurde renoviert. 2012 konnte mit Hilfe des Kirchbauvereins der Turm renoviert werden.[2]

Bronzetaufe von 1424

Das älteste Ausstattungsstück ist das Bronzetaufbecken, die der Kirche 1424 von einem Wulf von Ahlefeldt geschenkt wurde.[3] Die Fünte wird von vier Jünglingen auf einem Standring getragen und zeigt als Reliefs Mariä Verkündigung, die Anbetung des Jesuskindes, die Flucht nach Ägypten, die Taufe Jesu und die Krönung Mariens. Über dem Taufbecken hängt ein barocker Taufdeckel.

Altar

Zum Inventar gehört ferner ein spätgotischer Schnitzaltar von 1521 (Eiche, Maße des Mittelschreins: 202 × 144 × 27,5 cm).[4] Im Mittelschrein zeigt er eine Rosenkranzmadonna. Die Reliefs der Seitenflügel stellen Szenen rund um die Geburt Christi dar. In der Predella stehen mit Lk 1,46-47 lt Verse aus dem Magnificat. Das Retabel wurde vermutlich für die Marienkapelle, einen Anbau an der Südseite der Kirche, geschaffen und stammt aus demselben Werkstattumkreis, dem auch der Rosenkranzaltar aus dem Heiligen-Geist-Hospital in Lübeck (um 1525, als Dauerleihgabe im St. Annen-Museum, Inv. Nr. 1989/A1), das Laurentiusretabel der Bruderschaft der Bauernknechte aus der Burgkirche (1522, heute St. Annen-Museum, Inv. Nr. 2), das Jakobusretabel in Breckerfeld und eine Marienkrönung aus einem verloren gegangenen Retabel der Lübecker Jakobikirche (um 1515, ebenfalls St. Annen-Museum, Inv. Nr. 10) zugerechnet werden.[5][6][7] Gerade Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen dem Gettorfer Werk und dem ikonographisch vergleichbaren Rosenkranzaltar im Heilig-Geist-Hospital werden diskutiert, da für letzteren begründet Einflüsse aus Hildesheim und sogar Mecheln vermutet werden.[8] Außerdem sind sowohl in Fragen der künstlerischen Herkunft als auch der Qualität der Schnitzarbeiten unterschiedliche Hände bei der Retabelfertigung zu scheiden.

Kanzel von Hans Gudewerdt dem Älteren

Die Kanzel des Holzschnitzers Hans Gudewerdt des Älteren samt Aufgang und Schalldeckel stammt von 1598. Der achtseitige Korb ist durch Apostelfiguren an den Ecken gegliedert. Die von Rundbögen gefassten Reliefs mit niederdeutscher Unterschrift erzählen bildhaft Schöpfung, Leben Christi und Weltgericht. Auf dem Treppengeländer ist der Darstellung des letzten Abendmahls das Gleichnis vom armen Lazarus entgegengestellt und der Anbetung durch die Könige die Opferung Isaaks.

Die Emporen schmücken spätbarocke Darstellungen von Christus und den Aposteln. An der Wand hängt ein spätbarockes Triumphkreuz.

In das hölzerne Gehäuse eines Marienleuchters (um 1500) im Mittelschiff wurde anstelle einer verlorenen mittelalterlichen Marienstatue eine doppelseitige Figur von Jörg Plickat eingefügt.

Prospekt der Marcussen-Orgel von 1866 mit Rückpositiv von 1974

Schon um 1490 hatte die Kirche eine Orgel, die 1515 erneuert wurde.[9] 1624 lieferte der Orgelbauer Lorenz Wittrock aus Heiligenhafen ein neues Instrument,[10] das Balthasar von Ahlefeldt 1728 umbauen und erneuern ließ.

Die heutige Orgel mit ihrem imposanten Prospekt wurde im Jahre 1866 von der Orgelbaufirma Marcussen & Søn (Apenrade/Nordschleswig, damals gerade preußisch geworden, seit 1920 wieder dänisch) als Opus 63 errichtet. Die ursprüngliche Disposition lautete:[11]

I Hauptwerk C–f3
1. Bordun 16′
2. Prinzipal 8′
3. Viola di Gamba 8′
4. Doppelflöte 8′
5. Oktave 4′
6. Flöte 4′
7. Quinte 223
8. Oktave 2′
9. Mixtur III
10. Trompete 8′
II Oberwerk (schwellbar) C–f3
11. Gedackt 16′
12. Geigenprinzipal 8′
13. Salicional 8′
14. Gedackt 8′
15. Gambe 4′
16. Gemshorn 4′
17. Fagott-Oboe 8′
Pedalwerk C–d1
18. Subbass 16′
19. Prinzipal 8′
20. Gedackt 8′
21. Violoncello 8′
22. Oktav 4′
23. Posaune 16′

1948/49 wurde die Orgel durch Emanuel Kemper & Sohn, Lübeck, in neobarockem Sinne umgestaltet, in Musik und Kirche ist von einem „völligen Umbau“ die Rede.[12] Die Streicher wurden sämtlich entfernt, ins Hauptwerk kam statt Viola di Gamba 8′ eine Rauschpfeife II und ins Pedal anstelle des Violoncello 8′ eine Bauernflöte 2′. Die Register des Oberwerks wurden fast gänzlich ausgetauscht (anstelle von Nr. 11–13 und 15f. neu: Prinzipal 4′, Blockflöte 4′, Waldflöte 2′, Terzian II, Scharf V).[13] 1974 wurde durch Klaus Becker, Kupfermühle, ein Rückpositiv angebaut, in das die Register des bisherigen Oberwerks teilweise übernommen wurden. Heute hat das Instrument 24 Register auf zwei Manualen und Pedal, mit folgender Disposition:[14]

I Hauptwerk C–f3
1. Bordun 16′
2. Prestant 8′
3. Doppelflöte 8′
4. Oktave 4′
5. Flöte 4′
6. Quinte 223
7. Oktave 2′
8. Terz 135
9. Mixtur IV
10. Trompete 8′
II Rückpositiv C–f3
11. Gedackt 8′
12. Principal 4′
13. Blockflöte 4′
14. Waldflöte 2′
15. Sexta 135
16. Nasat 113
17. Scharf III
18. Dulcian 8′
Tremulant
Pedalwerk C–d1
19. Subbass 16′
20. Prinzipal 8′
21. Gedackt 8′
22. Choralbass 4′
23. Bauernflöte 2′
24. Posaune 16′
  • Neues staatsbürgerliches Magazin mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, 1832, Band 1, S.666ff Die Gettorfer Kirche.
  • Kurt Hector: Die Kirche und das Kirchspiel Gettorf im ausgehenden Mittelalter. In: Jahrbuch der Heimatgemeinschaft Eckernförde 19 (1961), S. 7ff.
  • Hartmut Beseler: Kunsttopographie Schleswig-Holstein, Neumünster 1974, S. 197–198.
  • Claus Rautenberg: Untersuchungen zur Baugeschichte der St. Jürgen Kirche zu Gettorf. In: Jahrbuch der Heimatgemeinschaft Eckernförde 32 (1974), S. 106ff.
  • Claus Rauterberg: Die St.-Jürgen-Kirche in Gettorf und die Kirche „Zum guten Hirten“ in Schinkel (Große Baudenkmäler, Heft 529). München/Berlin 1998.
  • Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg, Schleswig-Holstein. 3. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Deutscher Kunstverlag, München 2009, ISBN 978-3-422-03120-3, S. 313–314.
Commons: St. Jürgen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Hans Nicolai Andreas Jensen: Versuch einer kirchlichen Statistik des Herzogthums Schleswig: Enthaltend Femern, die unmittelbar unter dem Schleswigschen Generalsuperintendenten, so wie die unter den Bischöfen von Ripen und von Alsen stehenden Kirchen: nebst Zusätzen und Registern Band 4; Kastrup 1842; S. 1358–60
  2. Kirchbauverein (Memento des Originals vom 18. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/stjuergen.de
  3. Jensen: Versuch einer kirchlichen Statistik des Herzogthums Schleswig Band 4, S. 1335
  4. Ulrike Nürnberger, Uta Lemaitre, Ursula Lins: Rosenkranzretabel. In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein. Bd. IV.1: Die Kirchen im Landesteil Schleswig. Aventoft bis Nordhackstedt. Ludwig, Kiel 2019, S. 183–190.
  5. Dehio-Handbuch, S. 540
  6. Jan Friedrich Richter: Claus Berg. Retabelproduktion des ausgehenden Spätmittelalters im Ostseeraum. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2007, S. 371.
  7. Richter 2007, S. 371 zählt ebenfalls das Rochusretabel in der Rostocker Marienkirche zur Werkgruppe. Dieses wurde aber zuletzt von Julia von Ditfurth: Meisterwerk der Schnitzkunst. Das Rochusretabel in der Rostocker Marienkirche. Ludwig, Kiel 2017 kassiert und einem eigenen Meister zugeschrieben.
  8. Flügelretabel mit der Gottesmutter im Rosenkranz (sog. Rosenkranzaltar). In: Uwe Albrecht (Hrsg.): Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein. Bd. I: Hansestadt Lübeck. Sankt Annen-Museum. Ludwig, Kiel 2005, S. 474–482.
  9. Heinrich Maybaum: Orgel-Chronik der Kirchenpropstei Hütten. Eckernförde 1913, S. 12.
  10. Willers Jessen, Christian Kock: Heimatbuch des Kreises Eckernförde. Eckernförde 1928, S. 224.
  11. Heinrich Maybaum: Orgel-Chronik der Kirchenpropstei Hütten. Eckernförde 1913, S. 12f.
  12. Musik und Kirche 4/1949, S. 127.
  13. Orgel in Gettorf auf organindex.de, abgerufen am 20. August 2022.
  14. Orgel in Gettorf auf orgel-information.de, abgerufen am 11. Februar 2020.

Koordinaten: 54° 24′ 32,3″ N, 9° 58′ 25,4″ O