Türschwellen-Effekt
Der Türschwellen-Effekt (auch Türrahmen-Effekt, engl. Doorway Effect) beschreibt das Phänomen, sich nach dem Überschreiten einer Türschwelle plötzlich nicht mehr an Dinge erinnern zu können, die man kurz zuvor noch erledigen wollte.[1][2]
Beschreibung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Geht jemand durch eine Tür und betritt einen neuen Raum, so nimmt das menschliche Gehirn dies als eine Grenzüberschreitung wahr und sortiert die Erinnerungen neu mit der Konsequenz, dass die ursprüngliche Handlungsabsicht vergessen wird. Dieses Phänomen ist wissenschaftlich belegt und ist sozusagen eine Mini-Amnesie.
Der Grund dafür ist, dass das Gehirn neue Ereignisse in den Vordergrund stellt, wodurch vorangegangene Erfahrungen als unwichtiger erachtet und somit vergessen werden. Auch eine Gesprächsunterbrechung wird als ein solches neues Ereignis wahrgenommen und lässt die Gedanken des ursprünglich beabsichtigten Gesprächsverlaufs vergessen.
Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass beim Türschwellen-Effekt alte Informationen verdrängt werden um Platz für neue zu schaffen.
Experimentelle Forschung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Psychologe Gabriel Radvansky von der US-amerikanischen University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana erforschte dieses Phänomen und veröffentlichte 2011 im Quarterly Journal of Experimental Psychology Ergebnisse seiner Experimente.
In einem Computerspiel wurden Probanden durch verschiedene Räume geschickt. Dort lagen auf Tischen unterschiedliche Gegenstände, die sie mitnehmen konnten. Allerdings sahen sie die Gegenstände nicht mehr, sobald sie diese in die Hand genommen haben. Immer wieder wurden Probanden gefragt, welches Objekt sich gerade in ihrer Hand befindet. Wenn sie kurz zuvor eine Türschwelle überschritten haben, konnten sie sich schlechter erinnern als zu dem Zeitpunkt, als sie noch in dem Raum waren, den sie gerade verlassen hatten.
Das Experiment wurde sowohl in virtuellen als auch in realen Räumen durchgeführt. Bei beiden Situationen kamen die Forschenden zum selben Ergebnis.
Schlussfolgerungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Ergebnisse der Experimente zeigten Folgendes:
- Das Gehirn speichert Informationen als in sich abgeschlossene Episoden ab. Wenn beim Übertritt von einem Raum zum nächsten eine neue Episode beginnt, wird die vorherige Information aussortiert.
- Die Rückkehr in den jeweils vorigen Raum ist nicht unbedingt mit einer Rückkehr der Erinnerung verbunden. Jedoch ist es durchaus möglich, dass nach einer gewissen Zeit der Entspannung die Erinnerung zurückkommen wird.[3]
Abgrenzung zu neurologischen Erkrankungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Türschwellen-Effekt tritt im Alltag sehr häufig auf, hat jedoch nichts mit kognitivem Abbau oder gar Demenz zu tun. Auch Stressfaktoren spielen hierbei keine Rolle. Es handelt sich vielmehr um eine Beeinträchtigung des Aufmerksamkeitsprozesses und damit um ein natürliches neurologisches Phänomen, das selbst bei Menschen mit herausragenden Gedächtnisleistungen auftreten kann.[4] Umgehen lässt sich der Effekt durch Konzentration auf eine einzige Aufgabe und Vermeidung von Ablenkungen.
Ursprünge in der evolutionären Entwicklung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist der Türschwellen-Effekt ein Relikt aus der evolutionären Vergangenheit. Die Menschen waren gezwungen, jedem Szenario, das sie durchquerten, wie etwa Höhlen, Ebenen und Wälder, ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Es war für sie überlebenswichtig, überall auf lauernde Gefahren vorbereitet zu sein.[5]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jessica McFadyen, Christopher Nolan, Ellen Pinocy, David Buteri, Oliver Baumann: Doorways do not always cause forgetting: a multimodal investigation. BMC Psychol 9, 41 (2021), https://doi.org/10.1186/s40359-021-00536-3
- Gabriel A. Radvansky, Andrea K. Tamplin, Sabine A. Krawietz: Walking through doorways causes forgetting: Environmental integration. Psychonomic bulletin & review, Volume 17(6), pages 900-904 (2010) 10.3758/PBR.17.6.900
- Gabriel A. Radvansky, Sabine A. Krawietz, Andrea K. Tamplin: Walking through doorways causes forgetting: Further explorations. Quarterly Journal of Experimental Psychology, pages 1632-1645 (2011), https://doi.org:/10.1080/17470218.2011.571267
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Warum Türen unsere Erinnerungen löschen aus welt.de vom 17. März 2012, abgerufen am 12. Juni 2023
- Auf dem Weg in die Küche vergessen, was Sie da wollten? Internetportal Schweizer Radio und Fernsehen vom 13. Juli 2023, abgerufen am 12. Juni 2023
- Das Gedächtnis setzt kurz aus, wenn wir durch eine Tür gehen. Stimmt’s? Zeit Online vom 8. Mai 2023, abgerufen am 12. Juni 2023
- „Was wollte ich grad noch mal?“: Das passiert beim „Türschwelleneffekt“ Utopia.de vom 13. Juli 2023, abgerufen am 12. Juni 2023
- Wie Türen als Gedächtniskiller fungieren Ärzte Zeitung vom 15. März 2012, abgerufen am 12. Juni 2023
- Werner Stangl: Tür-Effekt Online-Enzyklopädie aus den Wissenschaften Psychologie und Pädagogik, abgerufen am 12. Juni 2023
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Der Türschwellen-Effekt: Warum wir vieles sofort wieder vergessen National Geographic vom 13. November 2023, The Walt Disney Company Limited, abgerufen am 12. Juni 2024
- ↑ Türschwellen-Effekt: Was wollte ich grad noch machen? RPR1, abgerufen am 12. Juni 2024
- ↑ Türrahmen-Effekt: Deshalb vergisst du Dinge, wenn du durch Türen trittst Internetportal des Senders ProSieben vom 8. August 2023, abgerufen am 12. Juni 2024
- ↑ Türrahmen-Effekt: Darum vergessen Sie plötzlich Dinge Focus Online vom 1. Dezember 2020, abgerufen am 12. Juni 2024
- ↑ Der Türrahmen-Effekt: Warum du plötzlich Dinge vergisst, wenn du einen Raum betrittst aus gedankenwelt.de, abgerufen am 12. Juni 2024