Taliban (kriminelle Vereinigung)
Die Taliban sind eine kenianische kriminelle Vereinigung, die außer dem Namen keinerlei Verbindung zu den afghanischen Taliban haben. Sie gehören dem Stamm der Luo an[1] und fühlen sich dem Luo-Führer und mehrfachen kenianischen Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga verpflichtet.[2][3] Ihr Führer ist Joash Oluande, ein wiedergeborener Christ.[4] Sie rekrutieren sich vornehmlich aus Mathare, Huruma, Baba Dogo, Kariobangi North und Kariobangi South quarters, Slums in Nairobi.[5] Ihr Hauptgegner sind die Mungiki vom Stamm der Kikuyu.[4]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Taliban entstanden als Ableger der Baghdad Boys, der ursprünglichen Gruppierung, die die Antwort der Luo-Stämme auf die Mungiki war. Die Baghdad Boys von Kisumu entstanden Anfang der 1990er Jahre etwa zur Zeit des 2. Golfkriegs, was Rückschlüsse auf die Wahl des Namens gibt. Sie wurden bei den ersten kenianischen Parlamentswahlen nach Einführung des Mehrparteiensystems[6] 1992 und 1997 häufig als Miliz eingesetzt.[7] Die Gruppe, die zuletzt in den Nairobier Slums Mathare und Ruaraka aktiv war,[8] löste sich später in mehrere Fraktionen auf, wobei die Taliban die größte und einflussreichste war. Weitere Splittergruppen sind ChinaSquadNyalenda Base, Chief Squad, Nyamasaria Massive, Kenda Kenda, Kondele Bagdad for Peace, Karamojong Boys, Saba Saba, Artur Margaryan, Kebago und American Marines.[9]
Die Taliban spalteten sich etwa 2001 in den Eastlands Slums in Nairobi von den Bagdad Boys ab, weil sich Luos zunehmend von Mungikis ausgebeutet und bedroht fühlten.[10] Der Name Taliban ist eine Anspielung der Luo auf die Art und Weise, wie die Menschen in Afghanistan gegen die amerikanische Besatzung Widerstand geleistet haben, indem sie Steine warfen. Dies ist eine Gemeinsamkeit, da Luo-Männer gerne mit Steinen als Waffe kämpfen.[11]
Die Taliban begannen als Kamjeshi. In der keniaischen Jugendsprache Sheng bezeichnet dieser Begriff Gruppen von jungen Männern, die an Bushaltestellen und öffentlichen Verkehrsmitteln gegen eine Gebühr für Sicherheit sorgen. Die Taliban hatten von Anfang an politische Zugehörigkeiten, aber ihre politischen Bindungen und ihr ethnisches Profil wurden in der Auseinandersetzung mit Mungiki um die Kontrolle der Verkehrswege noch deutlicher.[12]
Bereits 2002 wurden die Taliban, zusammen mit den Mungiki, polizeilich verboten. Auslöser war ein Kampf im Nairobier Slum Kariobangi an dem 300 Mitgliedern beider Gangs beteiligt waren. Im Laufe dieser Auseinandersetzung kamen 21 Jugendliche beider Seiten durch Äxte und Macheten zu Tode.[13] Auslöser waren Streitigkeiten im Bezug auf die Vormacht im Kampf um Schutzgelder im Nahverkehr und die Kontrolle der Matatus.[10]
Im Jahr 2006 kam es erneut zu massiven Konflikten zwischen Mungiki und Taliban, als die Mungiki in einem Slum eine höhere Abgabe auf Changaa eintreiben wollten,[14] ein Bereich in dem auch die Taliban aktiv sind.[15] Die Brauer und Brenner riefen die Taliban zur Hilfe, Gewaltexzesse folgten[14][16], bei denen die Taliban auch von den Baghdad Boys, Sakina youth und Dallas youth unterstützt wurden.[10]
Im Jahr 2007 bekam die Konfrontation zwischen beiden Gruppen immer mehr politische Dimensionen, da die Taliban mit dem Orange Democratic Movement von Raila Odinga verbündet waren und Mungiki der Party of National Unity von Mwai Kibaki verbunden waren.[10]
In den Parlamentswahlen 2007 traten die Taliban als Bürgerwehr gegen die ethnische Säuberung der Kikuyu auf,[17] in der 1.500 Menschen ermordet wurden,[18] davon 20 Menschen durch die Mungiki enthauptet.[19] Letztendlich ging es aber für die Taliban darum, Mungiki-Gebiete in Mathare zu übernehmen. So konnten zum Beispiel illegale Changaa-Brauereien in Bodeni, ehemals Munigik-Gebiet, übernommen werden.[12]
Auch in der Wahlperiode 2017/2018 kamen bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der beiden Lager und der Polizei zwischen 1000 und 1.500 Menschen zu Tode.[20][21] Ein ähnliches, wenn auch abgeschwächtes, Bild zeigte sich bei den Präsidentschaftswahlen im August 2022.[18][22][23]
Einnahmequellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Haupteinnahmequellen der Taliban sind der Changaa-Handel, Schutzgelderpressung, besonders bei Betreibern des öffentlichen Nahverkehrs, hier speziell Matatus,[5][1] der Verkauf von gestohlenem Strom,[4] Mobilisierung der Menschen zur Teilnahme an politischen Versammlungen, Beilegung von Streitigkeiten, Bereitstellung von Wasser, bewaffneter Raubüberfall, Drogenhandel, Fahrzeugdiebstahl und -handel, Entführung zur Erpressung von Lösegeld, Geldwäsche, Diebstahl von Antiquitäten, Viehdiebstahl, Geldeintreibung für Vermieter,[24] Gebühren für Toilettenbenutzung,[25] die Kontrolle städtischer Müllkippen,[26] und informelle Sicherheitsdienste.[27] Frauen werden für Spionage und die Aufbewahrung gestohlener Beute, für den Drogenhandel und für sexuelle Dienstleistungen beschäftigt.[24]
Selbstverständnis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Taliban bilden Allianzen mit Gangs (People's Liberation Army und the Group of 41)[5] des Kalendjin Stammes[15] zu dem der 2022 gewählte Staatspräsident Wiliam Ruto gehört.[28]
Die Taliban sehen sie selbst im Dienst der Luo-Bevölkerung, um Gerechtigkeit auszuüben und bei Übergriffen der Mungiki zu schützen.[10][15] Sie sind berüchtigt für ihre öffentlichen Hinrichtungen, bei denen der Schuldige gesteinigt wird, bis er nicht mehr laufen kann, um ihn dann bei lebendigem Leibe zu verbrennen.[4]
Zu den Waffen der Taliban gehören Steinschleudern und Macheten.[5]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Simone Haysom, Ken Opala: THE POLITICS OF CRIME Kenya’s gang phenomenon. In: globalinitiative.net. Global Initiative against Tranational Crime, 1. November 2020, abgerufen am 11. September 2023 (englisch).
- ↑ Katharine Houreld: Desperate Kenyans turn to gangs for protection from ethnic violence. In: The South Coast Today. 1. Februar 2008, abgerufen am 10. September 2023 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Naomi van Stapele: MAISHA BORA, KWA NANI? A COOL LIFE, FOR WHOM? MEDIATIONS OF MASCULINITY, ETHNICITY, AND VIOLENCE IN A NAIROBI SLUM. In: Lidwien Kapteijns, Annemiek Richters (Hrsg.): e: Africa-Europe Group for Interdisciplinary Studies. 1. Auflage. Nr. 5. Koninklijke Brill N.V., Leiden 2010, ISBN 978-90-04-18541-8, S. 107.
- ↑ a b c d Paige Aarhus: The Mungiki, the Taliban, and Me. In: Vice. 9. Januar 2012, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ a b c d Armed and dangerous. In: The New Humanitarian. 22. Februar 2008, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ Police target illegal gangs after Kariobangi. The New Humanitarian, 14. März 2002, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ Purity Akoth: Unmasking the Baghdad boys of Kisumu. In: Internews in Kenya. 12. September 2012, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ Hudson Gumbihi: Gangs take over Nairobi leaving trails of fear and death. In: The Standard. 29. März 2017, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ 7 Most Dangerous Militia in Kenya's History. In: Owaahh. 14. Mai 2013, abgerufen am 10. September 2023 (amerikanisches Englisch).
- ↑ a b c d e Mutahi Ngunyi, Musambayi Katumanga,: From Monopoly to Oligopoly of Violence: Exploration of a Four-Point Hypothesis Regarding Organised and Organic Militia in Kenya. In: undp.org. United Nations Development Programme, 2014, abgerufen am 11. September 2023 (englisch).
- ↑ Naomi van Stapele: ‘We are not Kenyans’: extra-judicial killings, manhood and citizenship in Mathare, a Nairobi ghetto. In: King's College London (Hrsg.): Conflict, Security & Development. 1. Auflage. Nr. 16:4. Routledge, London 2016, ISBN 978-0-85745-177-4, S. 320.
- ↑ a b Naomi van Stapele: Respectable 'illegality': Gangs, masculinities and belonging in a Nairobi ghetto. In: uva.nl. University of Amsterdam, 2015, abgerufen am 11. September 2023 (englisch).
- ↑ Police target illegal gangs after Kariobangi. The New Humanitarian, 14. März 2002, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ a b Peter Mühlbauer: Neuheidnische Moslems gegen christliche Taliban. In: Telepolis. 6. Juli 2007, abgerufen am 10. September 2023.
- ↑ a b c Andrew Ehrenkranz, Scott Johnson: Gangs of Nairobi. In: The Daily Star. 15. Januar 2008, abgerufen am 10. September 2023 (en-kn).
- ↑ Jeffrey Gettleman: Chased by Gang Violence, Residents Flee Kenyan Slum. In: The New York Times. 10. November 2006, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 10. September 2023]).
- ↑ Barry Moody: Bloody gang violence raises alarm in Kenya. Reuters, 8. Juni 2007, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ a b Ken Opala: Criminal gangs and elections in Kenya. In: ENACTAfrica.org. 30. März 2023, abgerufen am 11. September 2023 (englisch).
- ↑ Gwen Thompkins: Brutal Gangs Terrorize Slum Residents in Kenya. NPR, 17. Juli 2007, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ Kenya: Fresh Evidence of Election-Period Abuses. In: Human Rights Watch. 25. Februar 2018, abgerufen am 11. September 2023 (englisch).
- ↑ Election leaves western Kenya angry and bitter. In: The New Humanitarian. 26. Oktober 2017, abgerufen am 11. September 2023 (englisch).
- ↑ Ken Opala: Muted violence in Kenya’s 2022 elections masked seething dissent. ENACTAFRICA, 24. April 2023, abgerufen am 12. September 2023 (englisch).
- ↑ Growing number of political gangs in Kenya spark election concerns. In: Institue for Strategic Dialouge. 29. März 2022, abgerufen am 12. September 2023 (britisches Englisch).
- ↑ a b Cyrus Ombati: Ransom gangs hit Nairobi, says National Crime Research Centre report. In: The Standard. 9. April 2014, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ Bandekrig i Nairobi. In: Globalnyt. 8. November 2006, abgerufen am 11. September 2023 (dänisch).
- ↑ Kanyiva Muindi; Blessing Mberu, Isabella Aboderin, Tilahun Haregu, Dickson Amugsi: Conflict and Crime in municipal solid waste management: evidence from Mombasa and Nairobi, Kenya Working Paper #13. African Population and Health Research Centre (APHRC), 1. Dezember 2016, abgerufen am 12. September 2023 (englisch).
- ↑ The city under siege? How criminal gangs have spread out in Nairobi as polls nears. In: Shahidi News. 14. April 2021, abgerufen am 10. September 2023 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Evelyne Musambi: William Ruto's rise from chicken seller to Kenya's president. In: BBC. 13. September 2022, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).