Der geplünderte Staat

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Der geplünderte Staat oder was gegen den freien Markt spricht (englischer Titel: The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too) ist ein Buch des Ökonomen James K. Galbraith, das 2008 erstmals veröffentlicht wurde. Die deutsche Übersetzung erschien 2010. Hauptthese ist, dass der Staat in den USA sich vom einem Industriestaat zu einer global finanzgeführten, militärzentrierten Konzernrepublik entwickelt hat, der von der Wirtschafts- und Finanzelite ("Raubtiere") manipuliert, instrumentalisiert und "geplündert" wird, um ihren privaten Profiten zu dienen, während der Rest der Bevölkerung die Kosten trägt.

Galbraith lehrte zum Zeitpunkt der Entstehung des Buches Wirtschaftswissenschaften an der University of Texas in Austin. 1989 hatte er Created Unequal: The Crisis in American Pay (deutsch: Ungleich erschaffen: die Krise der amerikanischen Löhne) veröffentlicht. Im April 2006 besuchte der Autor seinen Vater, John Kenneth Galbraith, der eine erfolgreiche Karriere als Ökonom, Beamter und Botschafter hinter sich hatte. In diesem letzten Treffen vor seinem Tod schlug ihm sein Vater vor, ein Buch über "unternehmerische Ausplünderung" (corporate predation) zu schreiben.[1]

Das Buch wurde nach der Verwüstung von New Orleans durch den Hurrikan Katrina geschrieben, aber noch vor dem Finanzcrash von 2008. Galbraith bezog beide Ereignisse auf die in dem Buch beschriebenen Sachverhalte. Für ihn zeigte die Katrina-Katastrophe ein entscheidendes Versagen des politischen Systems, da die politische Abwehrhaltung gegenüber dem öffentlichen Sektor zur Verschlechterung (oder zum Ausverkauf) der öffentlichen Rettungsdienste geführt habe. In dem Vorwort für die Taschenbuchausgabe, die nach dem Crash von 2008 erschien, machte Galbraith die Deregulierung für die anhaltende Krise verantwortlich, die im Namen der vorgeblich freien Märkte die Herstellung der Ordnung (to police) den "Finanzräubern" (financial predators) selbst überlassen habe.

Entstehung des Konzepts

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In einem Interview mit Lynn Pommes von Global Political Economy beschreibt Galbraith die USA auch 2022 als "Konzernrepublik, in der die Finanzwelt die Oberhand gewonnen und demokratische Institutionen kooptiert hat, um ihre engen Interessen durchzusetzen." Sein Vater habe in der Trilogie American Capitalism, The Affluent Society und The New Industrial State die Funktionsweise der modernen Industriegesellschaft vom New Deal bis in die 1970er Jahre cfargestellt und ihre Unterschiede zum Konkurrenzkapitalismus von Kleinunternehmern des 18. Jahrhunderts deutlich gemacht. Steuernde Kraft der Großorganisationen sei die "Technostruktur", die Gruppe der Fachleute.

Sie waren diejenigen, von denen die Organisation abhing. Dass der Top-Manager, die Person, der CEO, der sogenannte Unternehmer jemand ist, der im Allgemeinen ersetzt werden kann. Der Vorstand hat eigentlich gar nichts getan. Es war ein symbolischer Körper. Die Aktionäre spielten keine Rolle.

Das Ende des Traums der billigen Ressourcen und des ewigen Wachstums, Bretton Woods und die erste Energiekrise führten in den 80er Jahren zur Deindustrialisierung zugunsten besser angepasster Volkswirtschaften wie Japan, Deutschland, Südkorea und China, die auch weiterhin nach dem ursprünglichen Modell des Industriestaates erfolgreich agierten. Die sich nach dem industriellen Niedergang neu entwickelnde Wirtschaft der USA sei von der globalen Finanzwelt dominiert worden. Die wichtigsten Industrien seien neben dem Technologiesektor (Luft- und Raumfahrt) Informationstechnologie, Rüstung und Unterhaltungsindustrie geworden. Die chinesische Wirtschaft sei demgegenüber, orientiert an den Werken seines Vaters, dessen Vorstellungen zur Preispolitik gefolgt.[2]

Das Buch besteht aus drei Teilen mit insgesamt vierzehn Kapiteln.

Im ersten Teil, Geplatzte Illusionen ,entlarvt Galbraith die angeblich freien Märkte als kulturellen Mythos, der sogar von seinen Befürwortern nicht wirklich geglaubt würde. Galbraith stellt das Dogma infrage, dass freie Märkte immer die wirtschaftlich besten Ergebnisse hervorbringen, eine Hypothese, auf die das Narrativ der gesamten US-Wirtschaftsgeschichte und -politik gegründet ist.[3] Dieses Narrativ führt den Wohlstand der USA auf die Leistung der Unternehmer zurück, die sich von der Regulierung befreit haben. Im Gegensatz dazu sieht Galbraith den Wohlstand als Ergebnis der öffentlichen Institutionen, die im Rahmen des New Deal geschaffen wurden, einschließlich der Sozialversicherung und Medicare.

Das Buch kritisiert amerikanische Konservative, die eine Politik der schlanken Regierung befürworten, während sie in der Praxis tatsächlich die Staatsausgaben zugunsten der Konzerne ausweiten. Die angeblichen "Freihandelsabkommen" untergraben den freien und fairen Handel, soweit es um die Gleichberechtigung von konkurrierenden Ländern geht. Die konservative Elite regiert den Staat "nicht für irgendein ideologisches Projekt ... sondern einfach auf eine Weise, die ihnen, einzeln und als Gruppe, das meiste Geld einbringt".[4] Er kritisiert die amerikanischen Liberalen dafür, dass sie unhinterfragt falsch interpretierte marktwirtschaftliche Prinzipien wie "ausgeglichene Haushalte" und "staatliche Nichteinmischung" übernehmen. Galbraith gibt als sein Ziel an, "den liberalen Geist zu befreien".[5] Liberale sollen sich von dieser Vereinnahmung des Staates durch die Wirtschaft und einer Wirtschaftsform der Bereicherung auf Kosten anderer befreien und auf liberale Grundsätze besinnen.

Galbraith hält jedoch Bezeichnungen wie "konservativ" oder "liberal" nicht für hilfreich, ebenso wie die vermeintliche Spannung zwischen den Politikkonzepten von small government und big government. Die Forderung nach dem schlanken Staat ist oft ein Vorwand, um staatliche Strukturen abzubauen, die sozialen Ausgleich schaffen könnten. Gleichzeitig werden staatliche Investitionen in anderen Bereichen, wie im Militär oder in der Unternehmenssubventionierung stark ausgeweitet.

Der zweite Teil erklärt die Funktionsweise des "Raubtierstaates". Wirtschaftliche Ungleichheit ist keine unerwünschte Nebenwirkung der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern Bedingung und Folge von Privatinteressen, die sich einen möglichst großen Anteil des gesellschaftlichen Reichtums zueignen wollen. Der Raubtierstaat plündert öffentliche Ressourcen für die Profite der Konzerne mithilfe eigentlich gemeinwohlorientierter Einrichtungen wie Sozial-, besonders Krankenversicherungen oder dem No Child Left Behind-Programm.

Er sieht den Wettstreit zwischen den Superreichen und dem Rest der Gesellschaft. Die "Räuber" verlangen die Privatisierung, wenn es der Wirtschaft gut geht, damit sie Vermögenswerte erwerben können, aber in schwierigen Zeiten stellen sich die Räuber als zu groß zum Scheitern dar und nutzen ihre politische Macht, um Schutz vom Staat zu erhalten und ihre Schulden auf Kosten der Steuerzahler auf Kosten zukünftiger Generationen zu sozialisieren.[6] Konservative Akteure hätten längst akzeptiert, dass die moderne Wirtschaft untrennbar mit dem Staat verbunden ist, und ihre Politik dahingehend angepasst, staatliche Strukturen zu ihren Gunsten auszunutzen, anstatt sie abzulehnen.[7]

Das dritte Kapitel enthält einige Empfehlungen: Die Vorteile des privaten Unternehmertums sollen genutzt werden, ohne den Wirtschaftseliten übermäßige Macht zu geben. Galbraith fordert einen neuen New Deal mit klarer und konsequenter staatlichen Planung und Regulierung. Wachstum sollte auch durch Staatsdefizite finanziert werden können.

In einer Rezension des Buches für das Journal of Economic Issues beschreibt L. Randall Wray es als "politische Ökonomie vom Feinsten [...] ebenso verdient den Status eines Klassikers" wie John Kenneth Galbraiths "The New Industrial State" und Thorstein Veblens "The Theory of the Leisure Class", von denen man sagen kann, dass sie beide aktualisiert werden. Wray lobt sowohl den Prosastil als auch die Argumente selbst, die "unanfechtbar erscheinen".[8]

In der New York Times lobt Roger Lowenstein den Stil des Buches, bestreitet aber viele Argumente des Autors. Er schreibt: "Der Enthusiasmus, mit dem [Galbraith] immer wieder müde Konventionen in Frage stellt, ist erfrischend", aber "seine Prosa ist absolutistisch in dem Maße, in dem seine Behauptungen unbeweisbar sind", und schließt mit den Worten: "Es ist keine brillante Ökonomie, aber geben Sie ihm sein Recht: Er hat scharfe Fragen über ein System in der Krise aufgeworfen."[9]

In der Shanghai Daily schreibt Wan Lixin, dass es den meisten Büchern über Wirtschaft und Management an echten Einsichten mangelt, macht aber eine Ausnahme für The Predator State, das "weder Antworten noch echte Lösungen bietet, [aber] das Potenzial hat, einem zu helfen, selbst zu denken". Insbesondere lobt Lixin Galbraith für seine Beobachtung, dass Standard-Wirtschaftskonzepte wie das BIP-Wachstum die Interessen künftiger Generationen nicht berücksichtigen und dass freie Märkte daher nicht gut für zukünftige Ereignisse planen.[10]

Eine Rezension in Publishers Weekly beschreibt das Buch als "sehr lesenswert" und reich an anregenden Ideen, aber "manchmal zerstreut", mit Schlussfolgerungen, die manchmal unklar oder widersprüchlich sind.[11]

USA Today zählte "The Predator State" zu den besten Wirtschaftsbüchern des Jahres 2008.[12]

Das Buch wurde in den Jahren 2008 und 2009 in mehreren Auflagen vom Simon & Schuster-Imprint Free Press gedruckt. Das Buch ist in chinesischer Sprache bei einem Verlag in Peking erschienen. Eine Hörbuchversion, gelesen von William Hughes, wurde 2009 veröffentlicht und eine E-Book-Ausgabe wurde 2014 veröffentlicht.[13]

Überall wurden Regulierungsfunktionen an Lobbyisten übertragen. Überall, wo man hinschaut, bringen öffentliche Entscheidungen bestimmten Privatpersonen Gewinne ein. Überall wird die öffentliche Entscheidung vom Vertreter einer privaten Partei getroffen, um einen privaten Gewinn zu erzielen. Dies ist kein Zufall: Es ist ein System. (S. 147)[14]

  • Webseite des Buches: The Predator State. Archiviert vom Original am 5. August 2018; abgerufen am 5. März 2019 (englisch).
  • Textauszug in The Texas Observer, veröffentlicht am 5. September 2008
  • James K. Galbraith: The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too. Free Press, 2008. ISBN 978-1-4165-7621-1.
    • deutsch: Der geplünderte Staat oder was gegen den freien Markt spricht. Rotpunktverlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-85869-417-1
  • Benjamin M. Friedman: Eine Herausforderung für den freien Markt" New York Review of Books, 6. November 2008.

Einzelnachweise

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  1. James K. Galbraith: The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too. Free Press, 2008. ISBN 978-1-4165-7621-1. S. 208.
  2. James K. Galbraith: Capitalism’s Great Reckoning. Abgerufen am 3. Januar 2025 (englisch).
  3. Pedro Nicolaci Da Costa: Galbraith takes on the predator. Reuters, 254. Juli 2008.
  4. Steven A. Ramirez: Subprime Bailouts and the Predator State. Rochester, NY: Social Science Research Network, 2009.
  5. Alan Cooperman: Undressing the Body Politic. The Washington Post. 14. September 2008
  6. John Sakowicz: "Books & Literature | THE PREDATOR STATE by James Galbraith". Metro newspapers. September 2008
  7. James R. Tallon Jr: Book Review – The Predator State. 19. November 2008, abgerufen am 3. Januar 2025 (amerikanisches Englisch).
  8. L. Randall Wray: "The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too". Journal of Economic Issues, 2002. Nr. 42 (3). S. 872–874.
  9. Lowenstein, Roger (2008-09-26). "Book Review | 'The Predator State,' by James K. Galbraith". The New York Times. ISSN 0362-4331. Retrieved 2016-02-09.
  10. Wixin, Lan: "Predatory free markets make world a risky place". www.shanghaidaily.com. 11 April 2009.
  11. Nonfiction Book Review: The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should, Too". PublishersWeekly.com. 19. Mai 2008.
  12. H. Rawlins: "Year's best: These books meant business in 2008". usatoday.com. 26 Dezember 2008
  13. Medienarten und Ausgaben. Abgerufen am 2. Januar 2025.
  14. James K. Galbraith: The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too. Simon and Schuster, 2008, ISBN 978-1-4165-6684-7, S. 109 (google.de [abgerufen am 3. Januar 2025]): „Everywhere you look, regulatory functions have been turned over to lobbyists. Everywhere you look, public decisions yield gains to specific private persons. Everywhere you look, the public decision is made by the agent of a private party for the purpose of delivering private gain. This is not an accident: it is a system. (p.147)“