Thomas Hardy

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Thomas Hardy (um ca. 1910–15)Signatur Thomas Hardys
Hardys Geburtshaus
Denkmal von Thomas Hardy in Dorchester

Thomas Hardy (* 2. Juni 1840 in Higher Bockhampton bei Dorchester, Dorset; † 11. Januar 1928 in Dorchester, Dorset) war ein britischer Schriftsteller, der als einer der bedeutendsten Autoren des viktorianischen Englands gelten kann. Als Romancier erlangte er Bekanntheit mit Werken wie Tess von den d’Urbervilles, Am grünen Rand der Welt, Jude the Obscure und Der Bürgermeister von Casterbridge, die neben poetischen Landschaftsbeschreibungen auch die Probleme und Nöte der Landbevölkerung in seiner Heimat, dem Südwesten Englands, schildern. Nach der Jahrhundertwende trat Hardy hauptsächlich als Lyriker in Erscheinung und beeinflusste zahlreiche spätere Dichter.[1]

Der Sohn eines Baumeisters ging nach der Architektenlehre nach London. 1867 kehrte er nach Dorset zurück und begann, neben seiner Arbeit als Kirchenrestaurator, zu schreiben. Sein erster Roman trug den Titel The Poor Man and the Lady und wurde nie veröffentlicht; erhalten ist daraus nur das Fragment An Indescretion in the Life of an Heiress, der Rest des Manuskripts soll zerstört worden sein. Hardy selbst bezeichnete den verlorenen ersten Roman später als seinen liebsten.[2]

1871 erschien Desperate Remedies, ein „sensation novel“ noch ganz in der Manier von Wilkie Collins’ Roman Die Frau in Weiß. Desperate Remedies war der erste von Hardys berühmten „Wessex“-Romanen, die in der fiktiven Region Wessex angesiedelt sind, welche nach seiner heimatlichen Umgebung modelliert ist. Der Name „Wessex“ leitet sich von dem gleichnamigen mittelalterlichen Königreich ab.[3] Von 1878 bis 1881 lebte er wieder in London, ab 1883 wieder in Dorchester.

Hardy hinterließ ein umfangreiches Werk, darunter 14 Romane, viele Kurzgeschichten mit sehr unterschiedlichem Umfang und fast 1000 Gedichte. Der Romanschriftsteller Hardy interessierte sich stärker für den Menschen als solchen als für individuelle Charaktere; dennoch steht im Zentrum seiner Werke oft der Kampf von Einzelnen gegen unheilvolle Kräfte, die teils schicksalhaft, teils menschengemacht sind. Besonders radikal sind in dieser Hinsicht seine beiden späten Romane Tess of the d’Urbervilles und Jude the Obscure, die die Religiosität und Sexualmoral der Zeit offen infrage stellten und bei Verlegern und vielen Lesern auf Ablehnung stießen. Hardy behandelte seine Figuren dabei teilweise als Vehikel, um seine eigene Sicht des Lebens darzustellen.[4]

Die Veröffentlichung von Jude the Obscure verursachte erneut einen Skandal, weswegen sich Hardy entschied, fortan keine neuen Romane mehr zu publizieren. Er schloss nur noch die Überarbeitung seines 1892 erschienenen, stark autobiografisch grundierten Fortsetzungsromans The Pursuit of the Well-Beloved ab, die 1897 unter dem Titel The Well-Beloved herauskam. The Well-Beloved erzählt, entfernt mit dem Pygmalion-Mythos verwandt, die Geschichte eines Bildhauers, der sich als Zwanzigjähriger in eine junge Mutter, mit vierzig in deren Tochter und als Sechzigjähriger wiederum in deren Tochter verliebt. Es gibt Kritiker wie den Schriftsteller John Fowles, die das Buch trotz kleinerer Schwächen für sein bestes, zudem autobiografisch aufschlussreichstes halten.[6] Nach 1897 schrieb Hardy nur noch Gedichte. 1916 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.

Hardy war zweimal verheiratet. Seine erste Frau Emma Lavinia Gifford, die er am 17. Februar 1874 geheiratet hatte, verstarb am 27. November 1912. Nach anderthalb Jahren der Witwerschaft heiratete er am 10. Februar 1914 seine 39 Jahre jüngere Sekretärin Florence Emily Dugdale. Mit seiner zweiten Frau blieb er bis zu seinem Tod zusammen. Sein Herz wurde auf dem Kirchhof von Stinsford, Dorset, beigesetzt; der übrige Körper eingeäschert und in der Westminster Abbey beigesetzt.

1928 und 1930 veröffentlichte Hardys Witwe Florence die Biographie The Life of Thomas Hardy. Darin wird Hardys Leben und Denken detailreich und in schmeichelhaftem Licht in der dritten Person erzählt. Wie sich später herausstellte, war Hardy allerdings selbst der heimliche Urheber dieser Biografie. Seine Frau tippte lediglich die Manuskripte ab, die er anschließend verbrannte. Am Anfang der verkappten Autobiografie wird dabei explizit gesagt, Hardy selbst habe es trotz vieler Nachfragen nicht für nötig gehalten, sein eigenes Leben niederzuschreiben, da er dafür nicht genügend Bewunderung für sich selbst habe.[5][6] Sein letzter Roman, The Well-Beloved, könnte umso mehr in fiktionalisierter Form verborgene Hinweise auf sein Leben, seinen eigenen Kunstbegriff und seine Beziehung zu Frauen enthalten.[7]

Hardys Geburtshaus „Hardy’s Cottage“ in Higher Bockhampton, in dem er bis zum 35. Lebensjahr wohnte, und das spätere Wohnhaus „Max Gate“ in Dorchester sind im Besitz des National Trust.

Das Spektrum der Werke Hardys reicht von der realistischen und detailreichen Schilderung des Landlebens bis hin zur Darstellung des Unerwarteten, Außergewöhnlichen, Verdächtigen, vom Tragischen bis zum Humorvollen. Dabei versucht er, Sentimentalitäten zu vermeiden. Oft bedient er sich des Tons der mündlichen Erzählung, beispielsweise in A Tradition of Eighteen Hundred and Four (in Wessex Tales). In The Convergence of the Twain (1912) verarbeitete den Zusammenstoß der Titanic mit einem Eisberg, einem Unglück, durch das zwei seiner Freunde umgekommen sind.

Erzählungen
  • Wessex Tales. London 1889.
    • Deutsch: Meistererzählungen. Manesse Verlag, Zürich 1998, ISBN 3-7175-1758-9 (EA unter dem Titel Die drei Fremden, übersetzt von Rainer Zerbst)
  • A Group of Noble Dames. London 1891 (10 Erzählungen)
    • Deutsch: Ein Kranz edler Frauen. Schünemann, Bremen 1935.
  • Life’s Little Ironies. A set of tales with some colloquial scetches entitled „A few crusted characters“. London 1894.
    • Bosheiten des Schicksals. DVA, Stuttgart 1904 (übersetzt von Leopold Rosenzweig)
  • A Changed Man and Other Tales. Sutton, Gloucester 1987, ISBN 0-86299-149-8 (7 Erzählungen, EA London 1913)
Gedichte
Romane
  • The Poor Man and the Lady. London 1867 (nur fragmentarisch überliefert)
  • Desperate Remedies. Penguin Books, London 1998, ISBN 0-14-043523-9 (EA London 1871, anonym veröffentlicht)
  • Under the Greenwood Tree. Collins, London 1970 (EA London 1872, anonym veröffentlicht)
    • Deutsch: Die Liebe der Fancy Day. Laatzen, Hamburg 1949 (übersetzt von Reni Rüter)
  • A Pair of Blue Eyes. Penguin Books, London 1998, ISBN 0-14-043529-8 (EA London 1873)
    • Deutsch: Blaue Augen. Ars-Vivendi-Verlag, Cadolzburg 1994, ISBN 3-927482-89-7 (übersetzt von Andreas Lorenczuk)
  • Far from the Madding Crowd. University Press, Oxford 2002, ISBN 0-19-280149-X (EA London 1874)
  • The Hand of Ethelberta. Tauchnitz, Leipzig 1876 (2 Bände, englisch)
  • The Return of the Native. University Press, Oxford 2008, ISBN 978-0-19-953704-4 (EA Oxford 1878)
    • Deutsch: Die Heimkehr. Bertelsmann, Gütersloh 1949 (übersetzt von Jan de Vries, gekürzt)
    • Deutsch: Die Rückkehr. Manesse, Zürich 1955 (übersetzt von Elisabeth Schnack)
    • Deutsch: Clyms Heimkehr. Reclam, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-15-019174-3 (übersetzt von Dietlinde Giloi)
    • Deutsch: Auf verschlungenen Pfaden. Dtv, München 2015, ISBN 978-3-423-14402-5 (übersetzt von Helga Schulz)
  • The Trumpet-Major. Tauchnitz, Leipzig 1890 (2 Bände, englisch)
    • Deutsch: John Loveday, der Stabstrompeter. Maness, Zürich 1995, ISBN 3-7175-1878-X (übersetzt von Irma Wehrli)
  • A Laodicean or The castle of the De Stancys. A story of Today. Tauchnitz, Leipzig 1882 (2 Bände, englisch)
  • Two on a Tower. Tauchnitz, Leipzig 1883 (2 Bände, englisch)
  • The Mayor of Casterbridge. A story of a man of character. Penguin, London 1994, ISBN 0-14-062029-X (EA London 1886)
    • Deutsch: Der Bürgermeister von Casterbridge. Leben und Tod eines Mannes von Charakter. Reclam, Stuttgart 1985, ISBN 3-15-028071-0 (übersetzt von Eva-Maria König)
  • The Woodlanders. Penguin Books, London 1998, ISBN 0-14-043547-6 (EA London 1887)
    • Deutsch: Die Woodlanders. Manesse, Zürich 1992, ISBN 3-7175-1816-X (übersetzt von Andrea Ott)
  • Tess of the d’Urbervilles. A pure woman. The Folio Society, London 2018 (EA London 1891)
  • Jude the Obscure. Tauchnitz, Leipzig 1895 (2 Bände, englisch)
    • Deutsch: Juda, der Unberühmte. DVA, Stuttgart 1897 (übersetzt von A. Berger, gekürzt)
    • Deutsch: Herzen in Aufruhr. Aufbau-Verlag, Berlin 1956 (übersetzt von Eva Schumann)
    • Deutsch: Im Dunkeln. Greno, Nördlingen 1988, ISBN 3-89190-440-1 (übersetzt von Eva Schumann)
    • Deutsch: Jude Fawley, der Unbekannte. Hanser, München 2018, ISBN 978-3-446-25828-0 (übersetzt von Alexander Pechmann)
  • The Well-Beloved. A sketch of a temperament. OUP, London 1995, ISBN 0-19-283560-2 (EA London ab 1897 als Feuilletonroman unter dem Titel The Pursuit of the Well-Beloved)
Werkausgaben
  • Samuel Hynes (Hrsg.): The complete poetical works. Clarendon Press, Oxford 1985, ISBN 0-19-812784-7 (5 Bände)
  • The works. Macmillan, London 1920 (37 Bände)
Aufsätze
  • Ken Ireland: Thomas Hardy, Time and narrative. In: Journal of literary semantics. Band 45 (2016), Heft 1, Seiten 91–96, ISSN 0341-7638
  • Stephan Kohl: Thomas Hardy: “Jude the Obscure”. In: Martha Kleinhans, Klaus Stierstorfer (Hrsg.): Lektüren für das 21. Jahrhundert. Schlüsseltexte europäischer Literatur: England, Frankreich, Irland, Italien, Portugal, Rußland. Königshausen & Neumann, Würzburg 2001, ISBN 3-8260-1944-X, S. 79–91.
  • Stephan Kohl: Die Grenzen des Sichtbaren: Thomas Hardys Realismus. In: Uwe Dethloff (Hrsg.): Europäische Realismen: Facetten – Konvergenzen – Differenzen. Internationales Symposium der Fachrichtung Romanistik an der Universität des Saarlandes 21.–23. Oktober 1999. Röhrig, St. Ingbert 2001, S. 169–183. (Reihe: Annales Universitatis Saraviensis, 18)
  • Arne Merilai: The double-tongued author. Re-reading Sophocles, Thomas Hardy, and Eduard Vilde. In: Interlitteraria, Band 23 (2018), Heft 2, Seiten 321–339, ISSN 1406-0701
  • G. L. Pane: The unreal path to a real place. Six strategies of representation in the novels of Thomas Hardy. In: Style. Band 51 (2017), Heft 1, Seiten 52–75, ISSN 0039-4238
  • Eckart Voigts-Virchow: Thomas Hardy: For Conscience’ Sake. In: Raimund Borgmeier (Hrsg.): Interpretationen. Englische Short-Storys von Thomas Hardy bis Graham Swift (= Universal-Bibliothek. Nr. 17509). Reclam, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-017509-7, S. 21–29.
Bücher
  • Paula Byrne: Hardy women$dmother, sisters, wives, muses, London ; Dublin : William Collins, an imprint of Harper Collins Publishers, 2024, ISBN 978-0-00-832225-0
  • Robert C. Evans (Hrsg.): Thomas Hardy. Salem PRess, Ipswich, Mass. 2021, ISBN 978-1-63700-002-1.
  • John Fowles und Jo Draper: Thomas Hardy’s England. Jonathan Cape, London 1984, ISBN 0-224-02974-6 (authentische Zeit-Fotos von Hermann Lea)
  • Stefan Horlacher: Masculinities. Konzeptionen von Männlichkeit im Werk von Thomas Hardy und D. H. Lawrence. Narr, Tübingen 2006, ISBN 3-8233-6170-8.
  • Karin Köhler: Thomas Hardy and the Victorian Communication. Letters, Telegrams and Postal System. Palgrave Macmillan, London 2016, ISBN 978-3-319-29101-7.
  • Jane Thomas: Thomas Hardy and Desire. Conceptions of the Self. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2013, ISBN 978-1-137-30506-0.
  • Jane Thomas: Thomas Hardy, Femininity and Dissent. Reassessing the „Minor“ Novels. St. Martin’s Press, New York 1999, ISBN 0-312-22049-9.
Commons: Thomas Hardy – Sammlung von Bildern und Audiodateien
Wikisource: Thomas Hardy – Quellen und Volltexte (englisch)

Einzelnachweise

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  1. Academy of American Poets: Thomas Hardy. Abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).
  2. Peter Widdowson: Thomas Hardy. Northcote House, Plymouth (1966), S. 26
  3. Map of Thomas Hardy’s Wessex. In: British Library. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 17. Juni 2017; abgerufen am 18. Januar 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bl.uk
  4. Edward Albert: History of English Literature, Oxford University Press (1979/2000), S. 436f.
  5. Peter Widdowson: Thomas Hardy: Northcote House, Plymouth (1966), S. 6
  6. Michael Millgate: Thomas Hardy: the biographical sources. In: Dale Kramer (Hrsg.): The Cambridge Companion to Thomas Hardy. Cambridge University Press: Cambridge (1999), S. 2
  7. John Fowles: Hardy and the Hag. In: Wormholes – Essays and Occasional Writings. Vintage, London 1999, ISBN 0-09-927272-5, S. 159–177