Treffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Länder
Die Treffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Länder sind ein- bis zweitägige informelle Zusammenkünfte der Staatsoberhäupter jener europäischen Länder, welche Deutsch auf gesamtstaatlicher Ebene als eine ihrer Amtssprachen führen. Der Gipfel findet seit 2004 alljährlich im Sommer oder Herbst statt. Der Konferenzort wechselt turnusmäßig zwischen den Teilnehmerländern.
Bezeichnung und Konzept
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Treffen haben bisher keinen offiziell festgesetzten Titel. Neben „Treffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Länder“ wurden von den Teilnehmern sowie von der Presse auch „Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter“, „Gipfel der deutschsprachigen Staatschefs“, „Treffen der deutschsprachigen Länder/Staaten“ oder andere Formulierungen verwendet.[1]
Bei den Gipfeln der deutschsprachigen Länder handelt es sich ausdrücklich nicht um eine formalisierte Sprachorganisation wie etwa die Frankophonie, sondern um informelle, doch regelmäßige, ein- bis zweitägige Arbeitstreffen auf Einladung eines Staatsoberhaupts. Die teilnehmenden Repräsentanten werden in der Regel von ihren Ehepartnern oder Lebensgefährten begleitet, welche, ähnlich wie auf den G7-Gipfeln, parallel zum Treffen ein sog. „Damenprogramm“ verfolgen. Neben einem Kulturprogramm werden auch politische Themen besprochen, ohne jedoch bindende Erklärungen zu verabschieden. Aufgrund der quantitativen Dominanz Deutschlands (es stellt fast 75 % der etwa 112 Millionen Einwohner der sechs Länder, welche auf den Treffen repräsentiert werden) wurde von Beginn an Wert auf einen gleichberechtigten sowie nicht bindenden Austausch gelegt. Zum Ausdruck gebracht wird dies unter anderem durch den Verzicht auf wirtschaftliche Vertreter und die Beschränkung auf repräsentative Teilnehmer (Staats- anstelle von Regierungschefs).[2]
Geschichte und Kontroverse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Politische Arbeitstreffen bestimmter Regierungsminister der deutschsprachigen Länder gab es bereits vor 2004 je nach Bedarf, jedoch keine medienwirksamen Zusammenkünfte auf höchster Ebene. Der Vorschlag eines solchen Treffens kam 2004 vom österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer, nachdem sein Schweizer Kollege Joseph Deiss den Wunsch nach mehr Austausch mit der Europäischen Union im Rahmen der deutschsprachigen Staaten geäußert hatte („Bodensee-Format“). Nach einer ersten Zusammenkunft in St. Gallen vereinbarte man Folgetreffen sowie die Einladung des liechtensteinischen Erbprinzen Alois für das nächste Jahr.[3] Seit 2014 nehmen neben den Staatsoberhäuptern Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Liechtensteins auch die Belgiens und Luxemburgs teil.
Während der Vorsitzende der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Karl-Heinz Lambertz, die Teilnahme des nur wenig Deutsch sprechenden Königs Philippe an den Treffen als historische Anerkennung der Vielsprachigkeit Belgiens ansah, gab es in Luxemburg auch kritische Stimmen. Da Vertreter Luxemburgs ihr Land zuvor als luxemburgischsprachiges und nicht deutsch- oder französischsprachiges Land einordneten, führte die Teilnahme Großherzog Henris an den Treffen zunächst zu einer gewissen Kontroverse, mit positiven wie auch negativen Stimmen in der luxemburgischen Presse sowie der grundsätzlichen Frage, wie der Begriff „deutschsprachig“ zu definieren sei. Nach ausdrücklicher Befürwortung der Teilnahme durch die luxemburgischen Premier- und Außenminister sowie wegen des inoffiziellen Charakters und der eher geringen politischen Bedeutung der Treffen klang die Kritik jedoch ab. Aufgrund einer angeblich ähnlichen geografischen Ausdehnung sowie als historischer Seitenhieb auf die gefühlte Dominanz Deutschlands wurde das Treffen auch als „Deutscher Bund“ bezeichnet.[3][4]
Die Abwesenheit von Vertretern solcher Gebiete mit ähnlich vielen oder gar noch mehr Deutschsprachigen als Liechtenstein oder Belgien, namentlich Südtirols (Region Trentino-Südtirol, Italien) und Polens, wurde auch in Frage gestellt und unter anderem mit historisch bedingter politischer Brisanz erklärt.[2] Darüber hinaus ist in Italien im Gegensatz zu Belgien Deutsch nur in Trentino-Südtirol Amtssprache, nicht aber auf nationaler Ebene. Da es sich bei dieser Region nicht um einen souveränen Staat handelt, hat sie kein repräsentatives Staatsoberhaupt, welches entsprechend dem Konzept der Treffen teilnehmen könnte. Bei allen anderen Ländern mit anerkannten deutschsprachigen Minderheiten, z. B. Ungarn, Rumänien, Polen, Namibia oder Dänemark, ist der Sachverhalt ähnlich.
Liste der Treffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Länder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jahr | Datum | Gastgeber | Tagungsort | Teilnehmer | Themenschwerpunkt(e) |
---|---|---|---|---|---|
2004 | 20. November | Bundespräsident Joseph Deiss | St. Gallen | „Beziehung der Schweiz zur Europäischen Union, Strukturreformen des Sozialstaats, Irak und Naher Osten“[3] | |
2005 | 24. Oktober | Bundespräsident Heinz Fischer | Salzburg | ||
2006 | 6. November | Bundespräsident Horst Köhler | Meersburg | ||
2007 | 29. Oktober | Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein | Vaduz | ||
2008 | 25. November | Bundespräsident Pascal Couchepin | Rapperswil | ||
2009 | 28. Oktober | Bundespräsident Heinz Fischer | Eisenstadt | [5] | |
2010 | 1. November | Bundespräsident Christian Wulff | Lübeck | „Integration und Förderung der deutschen Sprache“[6] | |
2011 | 26. September | Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein | Vaduz | „Bildung“[3] | |
2012 | 11. Juni | Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf | Chur | ||
2013 | 9. September | Bundespräsident Heinz Fischer | Innsbruck | ||
2014 | 18. September | Bundespräsident Joachim Gauck | Bad Doberan, Rostock | „Die friedliche Revolution vor 25 Jahren und der demografische Wandel“[7] | |
2015 | 17. September | Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein | Vaduz | „Digitaler Wandel auf dem Arbeitsmarkt“[8] | |
2016 | 8. September | König Philippe | Brüssel, Eupen | „Jugendarbeitslosigkeit, Beschäftigung und Bildung“[9] | |
2017 | 27. September | Großherzog Henri von Nassau | Luxemburg | „Einwanderung und Integration“[10] | |
2018 | 5./6. September | Bundespräsident Alain Berset | Sils im Engadin | „Kulturelle Teilhabe“[11] | |
2019 | 3./4. Juni | Bundespräsident Alexander Van der Bellen | Linz | „Demokratie und digitale Gesellschaft, EU nach den Europawahlen und die Klimakrise“[12] | |
2020 | Entfiel aufgrund der COVID-19-Pandemie | ||||
2021 | 28. Juni | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier | Potsdam | „Gesellschaftlicher Zusammenhalt nach der Corona-Pandemie und Klimawandel“[13] | |
2022 | 12./13. September | Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein | Vaduz, Schaan | „Philanthropie und Gemeinwesen – Rahmenbedingungen für ein effizientes Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Philanthropen“[14] | |
2023 | 11./12. September | König Philippe | Brüssel, Eupen | „Neue Impulse für Europas Weltraumexploration“ und „Kreislaufwirtschaft“[15] | |
2024 | 16./17. September | Großherzog Henri von Nassau | Colmar-Berg, Esch an der Alzette | „Desinformation als Herausforderung für Demokratie und Wissenschaft“[16] |
Vertreter der Staaten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Staat | Amt | Amtsinhaber | Amtsantritt | Gewählt? | |
---|---|---|---|---|---|
Schweiz | Bundespräsidentin | Viola Amherd | 1. Januar 2024 | Ja | |
Deutschland | Bundespräsident | Frank-Walter Steinmeier | 19. März 2017 | Ja | |
Österreich | Bundespräsident | Alexander Van der Bellen | 26. Januar 2017 | Ja | |
Belgien | König | Philippe von Belgien | 21. Juli 2013 | Nein | |
Liechtenstein | Erbprinz | Alois von und zu Liechtenstein | 15. August 2004 | Nein | |
Luxemburg | Großherzog | Henri von Nassau | 7. Oktober 2000 | Nein |
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Staatsoberhäupter-Treffen in Linz: „Respekt“ für Van der Bellen. www.nachrichten.at, 4. Juni 2019.
- ↑ a b Zu viel Germanofonie schadet dem Geschäft. Neue Zürcher Zeitung, 24. Oktober 2014.
- ↑ a b c d Beim Deutschen Bund in Eupen. d’Lëtzebuerger Land, 2. September 2016.
- ↑ Polémique autour de la présence du Grand-Duc à un sommet germanophone. Le Quotidien, 7. September 2016.
- ↑ Erbprinzenpaar nimmt am Treffen der deuschsprachigen Staatsoberhäupter in Eisenstadt teil. PressePortal, 28. Oktober 2009.
- ↑ Treffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Länder. Der Bundespräsident, 1. November 2010.
- ↑ Michaela Kreyenfeld hält Vortrag bei Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter. Max-Planck-Institut für demografische Forschung, 19. September 2014.
- ↑ Treffen der deutschsprachigen Staaten in Vaduz. BRF.be, 17. September 2015.
- ↑ Fotoalbum: Gipfeltreffen der deutschsprachigen Staaten in Eupen. BRF.be, 8. September 2016.
- ↑ Staatsoberhäupter aus sechs Ländern treffen sich in Luxemburg. www.volksfreund.de, 27. September 2017.
- ↑ Sechsertreffen der Staatsoberhäupter der deutschsprachigen Länder findet dieses Jahr am 5. und 6. September in der Schweiz statt. Generalsekretariat EDI, 10. August 2018.
- ↑ Staatschefs tagen kommende Woche in Linz. OÖNachrichten, 31. Mai 2019.
- ↑ Treffen deutschsprachiger Staatsoberhäupter. Der Bundespräsident, 28. Juni 2021.
- ↑ Bundespräsident Ignazio Cassis am Sechsertreffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter im Fürstentum Liechtenstein. Eidgenössisches Departement für Auswärtige Angelegenheiten, 13. September 2022, abgerufen am 14. September 2022.
- ↑ Teilnahme am Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter von Belgien, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich und der Schweiz. In: bundespraesident.de. Bundespräsidialamt, abgerufen am 31. August 2023.
- ↑ Teilnahme am Treffen der deutschsprachigen Staatsoberhäupter. In: bundespraesident.de. Abgerufen am 5. September 2024.