Typometrie (Typografie)
Die Typometrie beschreibt in der Typografie die geometrische Gestalt und die relativen Größenverhältnisse (Proportionen) von Schriftzeichen (Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen).[1] Die Typometrie gehört zur Mikrotypografie, auch „Detailtypografie“ genannt.[2]
Buchstaben wurden schon in der Antike nach geometrischen Prinzipien konstruiert. In der Renaissance begann die systematische Beschreibung der geometrischen Konstruktion von Buchstaben. Die Bezeichnung Typometrie wurde im Jahr 2003 von dem Typografen Wolfgang Beinert eingeführt.[1]
Beispiel: Großbuchstaben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Buchstaben, die nur geometrisch-linear konstruiert werden, wirken statisch und manche zu klein. Je nach Strichstärke und Schreibwerkzeug können die Querstriche und Bögen optisch ausgeglichen werden:[3]
- beim A den Querstrich tiefer als in der Mitte zeichnen, beim E, F und H den Mittelstrich etwas höher
- beim B, R und S den oberen Bogen etwas kleiner
- beim C, G, O, Q und U die Bögen leicht über die Grund- und Oberlinie
- beim A, M, V und W die Spitzen etwas über die Grund- oder Oberlinie
Historische Entwicklung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Antike Majuskeln
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die römischen Majuskeln (im „Zweiliniensystem“ mit Grund- und Oberlinie) bestehen geometrisch aus Geraden und Rundungen bzw. aus den Grundformen Quadrat, Dreieck, Kreis und Halbkreis.
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Römische Lapidarschrift: Capitalis monumentalis
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Schriftbeispiel für die Capitalis quadrata
Renaissance
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Felice Feliciano
Angeregt von der Epigraphik der Römer und ihrer Capitalis monumentalis auf der Trajans-Säule entstanden seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erste systematische Anleitungen zur geometrisch exakten Konstruktion von Buchstaben. Die Kalligraphen orientierten sich am Vorbild der griechisch-römischen Majuskeln und oft auch an der proportio divina, der „göttlichen Proportion“ (Goldener Schnitt). Die erste Abhandlung zur typometrischen Konstruktion der römischen Kapitale ist das Alphabetum Romanum, ein Manuskript des italienischen Kalligraphen Felice Feliciano (Verona 1463, im Codex Vaticanus 6852[4]).[1]
Luca Pacioli
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts konstruierte der italienische Mathematiker Luca Pacioli die Formen der Antiqua-Großbuchstaben durch Zeichnen von Linien und Kreisen.[5] Sein Werk Divina Proportione (1509)[6] enthält geometrische Darstellungen aller lateinischen Großbuchstaben. Er kann daher als Pionier der „mathematischen Typografie“ angesehen werden.[7] Pacioli strebte danach, die lateinischen Buchstaben römischer Inschriften und Grabsteine möglichst originalgetreu zu zeichnen.
Francesco Torniello
Francesco Torniello war ein Mailänder Typograf, der 1517 ein Werk mit dem Titel Opera del modo de fare le littere maiuscole antique[8] veröffentlichte, das ein Alphabet für lateinische Majuskeln vorstellte – zusammen mit geometrischen Hinweisen, wie die Buchstaben „mit Hilfe von Zirkeln für Kurven und einem Lineal“ (col circino in curvo e libella recta) konstruiert werden können. Francesco Torniello erstellte in seinem Werk ein 18×18-Raster, das als Koordinatensystem diente. Zur Konstruktion des Buchstabens A schrieb er:
„Der Buchstabe A wird vom Quadrat geformt. Die Dicke des rechten Beins sollte ein Neuntel der Vertikalen betragen; es sollte außerhalb des Quadrats beginnen, wo es den Kreis berührt, der durch die oben liegende Horizontale einen halben Punkt links vom Mittelpunkt durchgeht, und in der unten liegenden Ecke des Quadrats endet mit den Kreisen, wie Du sie eingezeichnet siehst. Alle äußeren Kreise haben einen Radius von einem Punkt und die inneren einen Radius von einem halben Punkt, gemessen von dem Mittelpunkt eines Kreises bis zu seinem Umfang. Das linke Bein sollte die halbe Dicke des rechten haben und die Innenlinie sollte einen Startpunkt haben, der mit der Mitte der oberen Linie des Quadrats zusammentrifft, und einen halben Punkt vor der Grundlinie enden, einen Punkt innerhalb der linken Vertikalen des Quadrats. Die Querlinie sollte ein Drittel der Dicke des rechten Beines aufweisen, wobei die obere Linie mit der Horizontalen in der Mitte des Quadrats zusammentreffen sollte.“[9]
Albrecht Dürer
Während in Italien das Können bei den Formen der altrömischen („kapitalen“) Buchstaben wuchs, versuchte in Deutschland Albrecht Dürer dies bei der gotischen Schrift (Textura) – mit einheitlichen geometrischen Formen (kleinen Quadraten) – nachzuahmen.[5] Die geometrischen Konstruktionen von Buchstaben von Albrecht Dürer erschienen 1525 in der »Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt in Linien, ebenen und gantzen corporen«.
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Konstruktionen von Albrecht Dürer, A bis D
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Konstruktionen E bis L
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Konstruktionen M bis P
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Konstruktionen Q bis V
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Konstruktionen X, Y, Z
Weitere Typografen
Etwa zur selben Zeit wie Dürers Anleitung entstanden ähnliche Werke von Giovanni Battista Verini in Italien und von Geoffroy Tory in Frankreich.
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Der Buchstabe A
aus Verinis Werk Luminario, 1526 -
Der Buchstabe A aus Geoffroy Torys Werk Champ Fleury, 1529
Gegenwart
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit der Personal Computer (ab 1995) und das Desktop Publishing (DTP) weitgehend den Bleisatz sowie den Fotosatz verdrängte, wird die Typometrie von Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen fast nur noch mit Schrift-Editor-Programmen entworfen und generiert (z. B. mit Metafont, Fontographer oder FontForge). Um heute digitale Buchstaben (Fonts) herzustellen, sind keine kalligrafischen Fähigkeiten mehr nötig, aber „anatomische“ Kenntnisse des einzelnen Buchstabens mit seinem „Grundgerüst und Extremitäten“[10].
Das Raster von Pierre Fournier erinnert an die PC-Schriftanfänge mit Pixelgrafiken. Bei Rastergrafiken bestehen die Buchstaben aus einzelnen Pixeln, wie bei den Bitmaps in einfachen Grafikprogrammen. Die Schrifteditor-Programme erzeugen oder verändern die Buchstaben mit einer Vektorgrafik. Mit einer Vektorgrafik wird ein Buchstabe aus Linien, Polygonen (Vielecken), Kreisen oder Kurven (Splines oder Bézierkurven) zusammengesetzt.
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Raster und Konstruktion des M von P. Fournier
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Rastergrafik mit Pixeln. rechts: Vektorgrafik mit Koordinaten.
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Vergleich: Outline- und Rastergrafik-Schriftart
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Schrift Editor (Software): z. B. FontForge
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Bézier-Kurve 3. Grades und ihr Polygon
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Albert Kapr: Schriftkunst. Geschichte, Anatomie und Schönheit der lateinischen Buchstaben. Verlag der Kunst, Dresden 1971.
- Hans Kühne: Schriftschule. Kallmeyer, Wolfenbüttel 1978.
- Joep Pohlen: Letterfontäne – Über Buchstaben. Taschen-Verlag, Köln 2011.
- Meyers Konversations-Lexikon Band 14: Schreibkunst. Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien 1885 (4. Auflage).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Typometrie im Typolexikon von Wolfgang Beinert
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Typometrie im Typolexikon von Wolfgang Beinert.
- ↑ Mikrotypografie im Typolexikon von Wolfgang Beinert.
- ↑ José M. Parramón: Das Handbuch der Schriften. Edition Michael Fischer, Stuttgart 1985, S. 24–32.
- ↑ Biblioteca apostolica vaticana: Manuscript – Cod. Vat. 6852
- ↑ a b Meyers Konversations-Lexikon (Band 14): Schreibkunst, Seite 626 f.
- ↑ Luca Pacioli: De Divina Proportione. Antonio Capella, Venedig 1509.
- ↑ Giovanni Mardersteig: The Alphabet of Francesco Torniello da Novara. Officina Bodoni, Verona 1971.
- ↑ Francesco Torniello da Novara: Opera del modo de fare le littere maiuscole antique. Gotardo da Ponte, Milano 1517.
- ↑ Hugo Kastner: Das Alphabet – Die Geschichte der Schrift. Marixverlag, Schweinfurt 2012. Abschnitt Aleph
- ↑ Claas Kalwa: Schriftgestaltung – Schrift-Anatomie