Udo Di Fabio

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Udo di Fabio)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Udo Di Fabio auf der Frankfurter Buchmesse 2018

Udo Di Fabio (* 26. März 1954 in Walsum) ist ein deutscher Jurist und Hochschullehrer. Von 1999 bis Dezember 2011 war er Richter des Bundesverfassungsgerichts.[1] Er ist Professor und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) an der Universität Bonn und Gründungsdirektor des Forschungskollegs normative Gesellschaftsgrundlagen (FnG).

Di Fabio ist Nachkomme italienischer Einwanderer. Er war von 1970 bis 1980 als Verwaltungsbeamter im mittleren Dienst in Dinslaken tätig. Parallel absolvierte Di Fabio über den zweiten Bildungsweg das Abitur. Anschließend studierte er Rechtswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Sozialwissenschaften an der Universität-Gesamthochschule Duisburg.[2] 1985 absolvierte er das Zweite juristische Staatsexamen. Von 1985 bis 1986 war er Richter am Sozialgericht Duisburg. 1987 wurde er an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit einer Arbeit über Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren zum Doktor der Rechte und 1990 in Duisburg mit einer Arbeit zum Thema Offener Diskurs und geschlossene Systeme im Fach Sozialwissenschaften promoviert.

Von 1986 bis 1990 war Di Fabio wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn, von 1990 bis 1993 am selben Institut wissenschaftlicher Assistent. Im Jahr 1993 habilitierte Di Fabio in Bonn mit einer Arbeit über Risikoentscheidungen im Rechtsstaat. Im Mai 1993 folgte er dem Ruf der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, im November dem auf eine Professur an die Universität Trier. 1997 übernahm er eine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2003 eine an der Universität Bonn, wo er seitdem am Institut für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) lehrt.

Im Jahr 1999 wurde Di Fabio auf Vorschlag der CDU vom Bundesrat in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt und gehörte dem Gericht vom 16. Dezember 1999 bis zum 19. Dezember 2011 an. Er war der Nachfolger Paul Kirchhofs, ihm folgte Peter Müller. Sein Dezernat umfasste vor allem das Völkerrecht, das Europarecht und das Parlamentsrecht. In diesen Bereichen bereitete er als Berichterstatter wichtige Urteile seines Senats vor,[3] darunter die Entscheidungen zur Bundestagsauflösung 2005 und zum Lissabon-Vertrag 2009.

Di Fabio ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift Archiv des öffentlichen Rechts. Seit 2007 ist er Kuratoriumsmitglied der Bürgerstiftung Rheinviertel sowie des Bonner Rechtsjournals.[4] Er ist Mitglied der Kuratorien der Stiftung Ordnungspolitik und ihres Centrums für Europäische Politik sowie der u. a. von Roman Herzog gegründeten Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung in Freiburg im Breisgau. 2014 wurde er zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017 gewählt.[5] Di Fabio ist zudem Gründungsmitglied des 2013 ins Leben gerufenen Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Familienunternehmen.[6]

Di Fabio ist römisch-katholisch.[5] Er ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt mit seiner Familie in Bonn.

Werk und Wirken

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Umstritten war sein 2005 erschienenes Buch Die Kultur der Freiheit, vor allem wegen seiner Position zur Familie mit Kindern als gesellschaftliches Leitbild. Während die einen darin einen konservativen Rückschritt in die Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland sahen oder Di Fabios Etikettierung der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts als eine nicht-atlantische bzw. „nichtwestliche Kultur“[7] kritisierten, sahen andere Rezensenten in der Stellungnahme Di Fabios ein auf dem Autonomieverständnis der Moderne beruhendes Konzept, welches Kinder und Familie als Freiheitsgewinn auffasst.

2009 erregte Di Fabio durch einen Beitrag für den Festakt anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens des Solinger Tageblatts Aufmerksamkeit, in dem er forderte, die weitreichende Anonymisierung im Netz zu beenden, so dass Urheber von öffentlichen Informationsquellen im Internet für deren Konsumenten identifizierbar sein müssten.[8]

Nach dem Ende seiner zwölfjährigen Zeit als Verfassungsrichter im Dezember 2011 übernahm Di Fabio den Mercator-Lehrstuhl an der Universität Duisburg-Essen.[9]

Di Fabio untersuchte im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen die juristischen Grenzen einer Wirtschafts- und Währungsunion.[10] Die FAZ berichtete zu Di Fabios Gutachten am 2. Juni 2013:

„Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) das Verbot der Staatsfinanzierung verletzt, muss das Bundesverfassungsgericht im äußersten Fall Bundesregierung und Bundestag zum Austritt aus der Währungsunion verpflichten. […] Das Karlsruher Gericht besitze zwar „keinen prozessualen Hebel“, um der EZB Vorgaben zu machen […]. Daher müsse es den Fall aber auch nicht dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, sondern dürfe bei ersichtlichen Kompetenzüberschreitungen selbst entscheiden. Dann könnten die Karlsruher Richter den Verstoß immerhin „deklaratorisch feststellen“.“[11]

Di Fabio schrieb das Vorwort zu einem Mitte 2013 erschienenen Buch des Historikers Dominik Geppert mit dem Titel Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro.[12]

Im September 2015 veröffentlichte Di Fabio ein Buch mit dem Titel Schwankender Westen: Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss.[13]

Im April 2020 wurde Di Fabio Mitglied des von Ministerpräsident Armin Laschet einberufenen 12-köpfigen „Expertenrats Corona“. Das Gremium aus zwölf renommierten Experten aus unterschiedlichen Disziplinen sollte gemeinsam mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Strategien für die Zeit nach der Corona-Krise erarbeiten.[14]

Seit November 2020 betreibt er im „Forschungskolleg normative Gesellschaftsgrundlagen“ den Podcast Auf den Grund, in dem er mit Vertretern anderer wissenschaftlicher Disziplinen über aktuelle politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen diskutiert.[15]

Gutachten zur Migrationskrise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Januar 2016 wurde das Rechtsgutachten Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem veröffentlicht, das Di Fabio im Auftrag der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung erstellte.[16] Mit Bezug auf die Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 schrieb er darin unter anderem:[17][18]

„Der Bund ist aus verfassungsrechtlichen Gründen […] verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist […] Das Grundgesetz garantiert nicht den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder rechtliche Einreiseerlaubnis. Eine solche unbegrenzte Rechtspflicht besteht auch weder europarechtlich noch völkerrechtlich.“

Das Gutachten fand politische und mediale Beachtung, da es das Nicht-Schließen der Grenzen, welches 2015 dann doch teilweise erfolgte, durch die deutsche Bundesregierung während der Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 nicht deckte. Damit räumte Di Fabios Gutachten dem Freistaat Erfolgsaussichten im Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung ein, der erreichen wollte, dass an den bayerischen Außengrenzen „wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen“ wären.[19] Mehrfach wurde dieser Auffassung jedoch juristisch widersprochen.[20][21]

Auszeichnungen/Ehrungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Verleihung des Europäischen Handwerkspreises an Udo Di Fabio (2. von links)

Gutachten (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schriften (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Commons: Udo Di Fabio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Direktor. 13. November 2023, abgerufen am 29. Februar 2024 (englisch).
  2. Udo Di Fabio. In: Homepage der Universität Bonn, Fachbereich Rechtswissenschaft. Abgerufen am 25. Juli 2023.
  3. Richterwechsel am Bundesverfassungsgericht – Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio scheidet aus dem Amt. BVerfG, Pressemitteilung Nr. 81/2011 vom 16. Dezember 2011; darin: Auflistung wichtiger Urteile, die Di Fabio als Berichterstatter vorbereitete.
  4. Universität Bonn, Bonner Rechtsjournal: Kuratorium.
  5. a b Ehemaliger Verfassungsrichter Udo Di Fabio wird neuer Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates „Luther 2017“. Ekd.de, Meldung vom 20. Februar 2014, abgerufen im Mai 2019.
  6. Stiftung Familienunternehmen: Wissenschaftlicher Beirat
  7. Seid fruchtbar und belehret euch. In: FAZ.net. 25. Juli 2005, abgerufen am 12. Dezember 2014.
  8. Leuchtturm im offenen Meer der Information, Solinger Tageblatt am 25. August 2009.
  9. Verfassungsrichter als Professor, RP Online, 27. Oktober 2011, abgerufen am 17. November 2011.
  10. „Die Zukunft einer stabilen Wirtschafts- und Währungsunion – Verfassungs- sowie eurooparechtliche Grenzen und Möglichkeiten“,www.familienunternehmen.de (PDF, 1,1 MB) ISBN 978-3-942467-22-3
  11. Joachim Jahn: „Notfalls ist Deutschland zum Euro-Austritt verpflichtet“. FAZ.net, 2. Juni 2013, abgerufen am 8. Februar 2018.
  12. Europa Verlag, Berlin (August 2013), ISBN 978-3-944305-18-9
  13. Hans-Peter Schwarz: Alles auch eine Frage der Grenzen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 30. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  14. Ministerpräsident Armin Laschet beruft „Expertenrat Corona“ | Das Landesportal Wir in NRW. 1. April 2020, abgerufen am 19. Mai 2020.
  15. „Auf den Grund!“ auf Apple Podcasts. Abgerufen am 11. November 2020 (deutsch).
  16. Udo Di Fabio: Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem. (PDF; 813kb) Bayerische Staatsregierung, 8. Januar 2016, abgerufen am 21. Januar 2016.
  17. Wolfram Weimer: Person der Woche: Udo di Fabio – Der Richter der Kanzlerin. n-tv, 12. Januar 2016.
  18. Pflicht vernachlässigt: Gutachter wirft Regierung Verfassungsbruch bei Grenzsicherung vor. Focus online, 11. Januar 2016.
  19. Reinhard Müller: Gutachten Udo Di Fabios zur Grenzsicherung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 13. Januar 2016, S. 2, abgerufen am 16. Januar 2016.
  20. Das Ende des Staates? In: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht e. V. 26. Januar 2016 (juwiss.de [abgerufen am 2. Dezember 2016]).
  21. Dem Freistaat zum Gefallen: über Udo Di Fabios Gutachten zur staatsrechtlichen Beurteilung der Flüchtlingskrise. Verfassungsblog, 16. Januar 2016, abgerufen am 8. Februar 2018.
  22. Bekanntgabe von Verleihungen des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In: Bundesanzeiger. Jg. 64, Nr. 9, 17. Januar 2012.
  23. 4. Gastprofessur an Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio. (Memento vom 11. Februar 2015 im Internet Archive) Website der Universität Koblenz-Landau, zuletzt verändert am 18. Juli 2012; abgerufen am 11. Februar 2015.
  24. Verleihung der Frank-Loeb-Gastprofessur an Udo di Fabio, auf metropolnews.info, abgerufen am 7. Mai 2019
  25. Dazu: Dem Freistaat zum Gefallen: über Udo Di Fabios Gutachten zur staatsrechtlichen Beurteilung der Flüchtlingskrise. Gegenansicht von Jürgen Bast, Christoph Möllers vom 16. Januar 2016.
  26. Siehe auch: Robert Chr. van Ooyen: Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem? Wo Gutachter Di Fabio recht haben könnte – und wo nicht. In: Recht und Politik, 2/2016, S. 80–85.