Urämietoxin
Unter Urämietoxinen versteht man körpereigene, meist stickstoffhaltige Substanzen, die unter anderem für die Symptome der Urämie und der Nephropathie verantwortlich sind (Urämiegifte).[1][2]
Ein Toxin (von altgriechisch τοξικόν toxikón, deutsch ‚Gift‘) ist ein oft organisches Gift, das von einem Lebewesen (natürlich) synthetisiert wird. Alle unnatürlichen Gifte zählen also nicht zu den Toxinen. Die beim Menschen wirksamen Gifte werden in Toxine und andere Gifte eingeteilt. Der Oberbegriff für medizinisch wirksame Giftstoffe lautet Toxikum. Das Adjektiv toxirenal bedeutet durch Nierengifte entstehend. Unter einer Toxikose versteht man die Vergiftung nur durch Stoffwechselprodukte des eigenen Körpers.[3] Ein Toxon ist ein Bestandteil des Diphtheriegiftes, der Lähmungen und auch Nierenschäden verursacht. Die Toxizität oder Giftigkeit der einzelnen Urämiegifte hängt von ihrer Konzentration im Gewebe ab.
Urämietoxine verursachen eine Niereninsuffizienz. Nicht jede Niereninsuffizienz beruht auf einer Nierenkrankheit. Nephrotoxine verursachen dagegen definitionsgemäß immer eine Nierenkrankheit, mit oder ohne Niereninsuffizienz. Urämietoxine verursachen auch eine Herzinsuffizienz und die sogenannte urämische Enzephalopathie.[4]
Pathophysiologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Normalerweise werden die harnpflichtigen Stoffe über die Niere ausgeschieden. Die Konzentration dieser Stoffe kann im Blut ansteigen, wenn es zu einem Absinken der glomerulären Filtrationsrate z. B. beim akuten Nierenversagen beziehungsweise beim chronischen Nierenversagen oder aber zu einem Ansteigen der tubulären Rückresorption kommt.[5]
Die Urämietoxine mit niedriger oder mittlerer molarer Masse lassen sich teilweise durch die Dialyse entfernen. Damit einhergehend ist dann eine Verbesserung der Symptome der Urämie. Bei den persistierenden Symptomen der Urämie werden dafür die hohe Proteinbindung und die daraus folgende niedrige renale Clearance der Urämietoxine verantwortlich gemacht.
Toxine mit niedriger oder mittlerer molarer Masse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Folgenden ist eine Auswahl der Urämietoxine[6] mit der entsprechenden Wirkung aufgelistet:[7]
- Harnstoff
- Endprodukt des Harnstoffzyklus, Marker für die Ausprägung der Niereninsuffizienz, als Urämietoxin hemmt es den NaK2Cl-Cotransport in den Erythrozyten
- Kreatinin
- in hoher Konzentration führt es zur Hämolyse
- Harnsäure
- bei vermutetem protektiven Faktor ist die Schädigung bei Urämie niedrig
- hitzestabiles saures Peptid
- Molare Masse von 1000 bis 2000 Da, verantwortlich für die Insulinresistenz bei Urämie
- Pseudouridin
- Hemmung der Aufnahme der Glucose bei Urämie
- Hippursäure
- Hemmung der Aufnahme der Glucose bei Urämie
- Calcitrioltoxin
- hemmt die Synthese des Calcitriol, bindet spezifisch an den Calcitriolrezeptor und führt zur Calcitrioloresistenz.
- Cyanat
- durch Carbamylierung reagiert es mit den Aminogruppen von Lysinresten
- AGE
- Kondensationsprodukte primärer Amine mit Aldosen. Sie setzen Zytokine frei, verstärken die Blutgerinnung und sind verantwortlich für die vaskulären Spätkomplikationen z. B. bei Diabetes mellitus. Sie sind mit der β2-Mikroglobulin-Amyloidose assoziiert.
- Indoxylsulfat
- Es führt durch Sklerosierung der Glomerula zur Progression der Niereninsuffizienz. Hemmung der Erythropoese und der Transportmechanismen der Hepatozyten (z. B. Multispecific Organic Anion Transporter (MOAT) für den Gallentransport). Es ist auch für den Juckreiz bei Urämie verantwortlich.
- Homocystein
- atherogenes Urämietoxin
- Spermin
- Hemmer der Erythropoese
- Methylguanidin
- wird als ein Faktor der urämischen Polyneuropathie betrachtet. Ebenfalls Hämolyse, Hemmung der Pankreassekretion, Hemmung der Eisenaufnahme bei Knochenmarkszellen, Hemmung der DNA-Synthese in den Lymphozyten.
- Guanidinsuccinat
- Thrombozytopathie, urämische Polyneuropathie
- Stickstoffmonoxid
- Thrombozytopathie
- para-Kresol
- Hemmung der Phagozytose der Granulozyten
- Parathormon
- Hemmt Insulinsekretion und Erythropoese. Steht mit Knochenmarksfibrose in Zusammenhang. Durch die verstärkte Calciumaufnahme und -anlagerung im gesamten Organismus führt es zu vielfältigen Störungen.
- β2-Mikroglobulin
- Dialyse-assoziierte Amyloidose
- Malnutritionsfaktor
- Physiologisch im Harn ausgeschieden, im Tierversuch hemmt es die Nahrungsaufnahme.
Hochmolekulare Stoffe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ribonuklease wird zu den hochmolekularen Urämietoxinen gezählt. Es kann die Dialysemembran nicht passieren.
Diagnose
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aus Kosten- und Zeitgründen werden in der routinemäßigen Laboratoriumsmedizin meist nur die Plasmakonzentrationen von Harnstoff und Kreatinin bestimmt.
Therapie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die effektivste Senkung der Urämietoxine besteht in einer Verbesserung der Nierenfunktion beziehungsweise in einer ausreichenden Dialysebehandlung.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Rasislav Dzúrik, Viera Spustová: Urämietoxine. In: Horst Brass, Thomas Philipp, Walter Schulz (Hrsg.): Manuale nephrologicum. Loseblattsammlung, Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, Deisenhofen 1997, ISBN 3-87185-222-8, Band 2, Kapitel IX (Urämie), Unterkapitel 1 (Urämietoxine), S. 1–8.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Franz Volhard: Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen, in: Gustav von Bergmann, Rudolf Staehelin (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin, 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1931, Band 6, S. 548 und 776.
- ↑ Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf (Hrsg.): Nephrologie, 6. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 422.
- ↑ Wilhelm Dultz: DGB Fremdwörter-Lexikon, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien 1965, 491.
- ↑ Ulrich Thomae: Folgen der Niereninsuffizienz. In: Niereninsuffizienz. Reihe Herz Kreislauf – Aktuelles Wissen Hoechst, Hoechst Aktiengesellschaft 1989, S. 22 und 106 f.
- ↑ Tinsley Randolph Harrison: Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-88624-560-4, S. 2227 f.
- ↑ Helmut Geiger, Dietger Jonas, Tomas Lenz, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Nierenerkrankungen, Schattauer Verlag, Stuttgart, New York 2003, ISBN 3-7945-2177-3, S. 31 f.
- ↑ Hanns-Wolf Baenkler et al.: Innere Medizin, Herausgeber: MLP AG, Thieme Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-13-128751-9.