Urs Dietschi (Politiker, 1901)

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Urs Dietschi 1963 in Stuttgart

Urs Dietschi (* 18. November 1901 in Olten; † 29. Juli 1982 in Solothurn) war ein Schweizer Politiker (FDP).

Leben und politische Laufbahn

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Dietschi wuchs in Olten als Sohn des Stadtammanns Hugo Dietschi auf. Familientradition und eine sorgfältige Ausbildung legten den Grundstein für eine humanistische Grundhaltung und kulturelle und soziale Offenheit. Das Studium der Rechte in Heidelberg, Berlin und Bern schloss er mit dem Doktorat ab.

Dietschi war 1929 Mitbegründer der Jungliberalen Bewegung, einer Bewegung, die den Liberalismus im Geiste des freiheitsliebenden 19. Jahrhunderts[1] erneuern wollte. Von 1941 bis 1945 war er ihr Landesobmann. Er vertrat die Idee eines «neuen Bundes», der die drei Stände Bürgertum, Arbeiterschaft und Bauernschaft, aber auch die Sprach- und Kulturregionen der Schweiz wieder einigen sollte. Seit dem Jahre 1933 forderte die jungliberale Bewegung eine Totalrevision der Bundesverfassung; 1934 lancierte jedoch die konkurrierende «Tatgemeinschaft», eine Sammlung von Frontisten und der Jugendpartei der Katholisch-Konservativen, eine Volksinitiative zur Totalrevision (siehe Fronteninitiative). Diese Gruppierung vertrat korporative Forderungen. Die jungliberale Bewegung grenzte sich davon ab[2]; sie forderte eine stärkere Berücksichtigung der Verbände und einen «Wirtschaftsrat». Ehefrau Emmy Dietschi sagt dazu: «Störend für den Wirtschaftsfreisinn war, dass die Jungliberalen nicht so absolut wirtschaftsfreundlich, viel stärker sozial eingestellt waren. […] Das haben natürlich ein Hermann Obrecht oder Ernst Dübi gar nicht goutiert… Sie hätten die Jungliberalen am liebsten gar nicht gehabt.»[3] Von-Roll- und Arbeitgeber-Direktor Ernst Dübi anderseits dazu: «Elastizität und Dehnung sind zu bedeutenden Charaktereigenschaften geworden.»[4] Der Historiker Walter Wolf schreibt zu diesem Thema: «Die Jungliberalen glaubten zeitweise, der Liberalismus sei überholt.»[5]

Vom 6. Dezember 1943 bis zum 6. Dezember 1959 war Dietschi Nationalrat für den Kanton Solothurn.[6] Auch nach seiner Wahl in den Solothurner Regierungsrat 1937 hielt Dietschi den Jungliberalen die Treue. Er war während der Kriegsjahre ihr Präsident.

Nach dem Krieg wechselte Dietschi zur Mutterpartei, der FDP, und politisierte liberal. Sein soziales und kulturelles Engagement und seine differenzierte Politik wurden vom wirtschaftlich orientierten Flügel seiner Partei oft nicht verstanden. Er vertrat früh die Forderung nach dem Frauenstimmrecht, wobei er in einem Nationalrats-Postulat beschwichtigend festhielt: «… Ich bin dafür und dagegen zugleich … Der Frau würden auch Lasten auferlegt, unter denen sie als sensibles Wesen leiden könnte …» Er plädierte dafür, dass Frauen in ausserparlamentarischen Kommissionen Einsitz nehmen dürften. Er setzte sich, insbesondere 1952–1971 als Präsident der Eidgenössischen Kommission für Natur- und Heimatschutz, erfolgreich für die Anliegen des Natur- und Heimatschutzes ein. Als aufgeklärter Christkatholik engagierte er sich für konfessionelle Toleranz; so war er mitbeteiligt an der Wiederherstellung des Klosters Mariastein.

Sein Nachlass wurde von seiner Gattin in den 1990er Jahren der Zentralbibliothek Solothurn übergeben und in den 2000er Jahren vollständig von Ruedi Graf erschlossen. Der Nachlass ist eine wichtige Quelle zur Geschichte des Kantons Solothurn im 20. Jahrhundert und zur Geschichte der jungliberalen Bewegung.

  • Ruedi Graf: Eine ganz persönliche Geschichte. Gespräche mit Emmy Dietschi über ihr Leben mit Regierungsrat Urs Dietschi. Zentralbibliothek, Solothurn 2005, ISBN 978-3-033-00321-7 (= Veröffentlichungen der Zentralbibliothek Solothurn. 29).
  • Ruedi Graf: Der Nachlass Dietschi – eine Sonde zur Schweizergeschichte zwischen 1930 bis 1965. In: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte. Band 77, 2004, S. 71–221 (doi:10.5169/seals-325232).
  • Ruedi Graf: Zentralbibliothek Solothurn: Nachlass[verzeichnis] Dr. Urs Dietschi (1901–1982), solothurnischer Regierungsrat und Nationalrat, in der Zentralbibliothek Solothurn (PDF).
  • Urs Dietschi: Töpfer-Vortrag «Solothurner Geist».
  • Kurt Humbel: Treu und Glauben. Entstehung und Geschichte des Friedensabkommens in der schweizerischen Maschinen- und Metallindustrie. Zürich: Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen- und Metallindustrieller: Partnerschaftsfonds der Maschinen- und Metallindustrie; Bern: Bubenberg-Druck- und Verlags-AG, 1987.
  • Walter Wolf: Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegungen in der deutschen Schweiz, 1930–1945. Flamberg-Verlag, Zürich 1969.
  • Karl H. Flatt: Regierungsrat Urs Dietschi (1901–1982) zum Gedenken. In: Jahrbuch für solothurnische Geschichte. Band 56, 1983 S. 217–220 (PDF).

Einzelnachweise

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  1. Ruedi Graf: Der Nachlass Dietschi – eine Sonde zur Schweizergeschichte zwischen 1930 bis 1965. In: Jahrbuch für solothurnische Geschichte. Band 77, 2004, S. 188.
  2. Ruedi Graf: Der Nachlass Dietschi – eine Sonde zur Schweizergeschichte zwischen 1930 bis 1965. In: Jahrbuch für solothurnische Geschichte. Band 77, 2004, S. 191.
  3. Ruedi Graf: Emmy Dietschi – Eine ganz persönliche Geschichte, 2005, S. 25
  4. Ernst Dübi an der Generalversammlung des ASM, Arbeitgeberverbandes Schweizer Maschinenindustrieller (heute Swissmem) vom 28. September 1941, Referat «Betrachtungen zur Lage unseres Landes». In: Kurt Humbel: Das Friedensabkommen in der Maschinenindustrie, Dokumente zur Vertragspolitik 1899 bis 1987. 1987.
  5. Walter Wolf: Faschismus in der Schweiz 1930 bis 1945. 1969.
  6. Kurzbiografie auf parlament.ch. Abgerufen am 10. Oktober 2013.