Variophone
Das Variophone ist ein optischer Synthesizer, der 1930 von Evgeny Sholpo (1891–1951)[1] bei Lenfilm Studio Productions in Leningrad entwickelt wurde. Das Musikinstrument entstand während seiner Experimente mit graphischen Klangtechniken, weswegen der Klang auch als ornamental, gezeichnet, papieren und synthetisch bezeichnet wird. Bei seinen Forschungen wurde Sholpo von dem Komponisten Georgi Rimsky-Korsakov unterstützt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Variophone benutzte Pappscheiben in die wellenförmig Öffnungen geschnitten wurden, welche die Schallwellen repräsentierten. Die Scheiben rotierten synchron mit einem sich bewegenden 35mm-Film, während sie auf diesen fotografiert wurden, um so eine durchgehende Tonspur zu erzeugen. Anschließend wurde dieser Filmstreifen für die Wiedergabe mit Hilfe eines Filmprojektors wie ein gewöhnlicher Film abgespielt, dabei jedoch von einer Fotozelle in ein elektrisches Signal umgewandelt. Dieses wurde verstärkt und von einem Lautsprecher wiedergegeben.[2] Die Anordnung arbeitete ähnlich einem musikalischen Aufnahmeprozess.[3]
Obwohl mit der ersten Version des Variophones polyphone Tonspuren von maximal 6 Einzelstimmen durch die Aufnahme mehrerer monophoner Teile und deren Kombination hergestellt werden konnten, enthielten einige Tonspuren Ende der 1930er und 1940er Jahre bis zu zwölf Stimmen, die als winzige parallele Spuren innerhalb des normalen Tonspurbereichs aufgenommen wurden.[4]
Zur gleichen Zeit experimentierten in der Sowjetunion mehrere andere Künstler mit ähnlichen Ideen. Der erste künstliche Soundtrack, der je geschaffen worden ist, wurde 1930 vom Komponisten und Musiktheoretiker Arseni Avraamov geschaffen, der mit einer handgezeichneten Technik zur Erzeugung von Klangeffekten arbeitete.[5] Nikolai Voinov, Ter-Gevondian und Konstantinov entwickelten Tontechniken auf Papier. Boris Yankovsky entwickelte seine Spektralanalyse-, Zerlegungs- und Resynthesetechnik, die den neueren Computermusiktechniken der Kreuzsynthese und dem Phasenvocoder ähnelt. Viele Tonfilme und künstliche Soundtracks für Filme und Zeichentrickfilme wurden mit Hilfe des Variophones produziert, einschließlich der populären Tonfilme, die in den 1930er bis 1940er Jahren.
Ende 1941 bei der Belagerung von Leningrad wurde das Variophone zerstört, als die letzte Rakete explodierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Evgeny Sholpo Direktor des neuen Wissenschaftlichen Forschungslabors für Grafischen Ton am Staatlichen Forschungsinstitut für Tonaufzeichnung in Leningrad.[2]
Die vierte und endgültige Version des Variophones wurde nicht fertiggestellt, trotz vielversprechender Experimente zur musikalischen Intonation und zu den zeitlichen Merkmalen von Live-Musikaufführungen. Das Labor wurde nach Moskau verlegt, und Sholpo wurde von seinem Posten als Direktor abberufen. 1951 starb Evgeny Sholpo nach langer Krankheit, und sein Labor wurde geschlossen.
Ein großer Teil der Dokumentation wurde auf Nitrofilm gebracht, der jedoch später versehentlich zerstört wurde[6]. Die verbliebene Dokumentation für die Variophone wurde in das Akustische Labor des Moskauer Staatlichen Konservatoriums und später in das Theremin-Zentrum verlegt. Im Jahr 2007 wurden mehrere Stunden grafischer Tonspuren, die mit dem Variophone produziert wurden, in einem Moskauer Filmarchiv entdeckt und warten nun auf ihre Veröffentlichung.
Die Entwicklungen von Sholpo mündeten in die Entwicklung von Daphne Orams Oramics und auch in Mursins ANS-Synthesizer.[6]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Variophone im Theremin Center in Moskau (russisch)
- Excerpt from Carburettor Suite von G. Rimsky-Korsakov, mit dem Variophone erzeugt, 1935
- Excerpt from Prelude by Chopin, mit dem Variophone erzeugt, 1935
- Excerpt from Rhapsody by List, mit dem Variophone erzeugt, 1935
- Excerpt from Sterviatniki soundtrack by E.Sholpo and I.Boldirev, 1941
- Beispiele und Bilder zur Erfindung optische Klangsynthese
- Beispiel "early soviet synthesizer" auf dangerous minds, 2015
Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Izvolov Nikolai.From the history of painted sound in USSR. Kinovedcheskie Zapiski, no.53, 2001, p. 292 (in Russian)
- Levin, Thomas. 2003. Tones from out of Nowhere: Rudolf Pfenninger and the Archaeology of Synthetic Sound. Grey Room 12 (Fall 2003): p. 32–79
- Smirnov, Andrei. Sound Out of Paper. Moscow, November, 2007
- Smirnov, Andrei. Boris Yankovsky: Leben im Klangspektrum. Gezeichneter Klang und Klangsynthese in der Sowjetunion der 30er Jahre. pp. 97–120; Tim Boykett/Andrei Smirnov. Notation und visuelle Musik. pp. 121–126. Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik. (C)2010 transcript Verlag, Bielefeld. Aus:Daniel Gethmann (Hg.)[1]
- Smirnov, Andrei. Son produit par la lumiere et le papier. Article in the catalogue of the exhibition "Vois ce que j'entends" at the Centre des Arts Enghien-les-Bains, France. pp. 16–27, ISBN 978-2-916639-17-8
- Andrei Smirnov & Liubov Pchelkina. Les Pionniers Russes de'l ART du SON. Experimentations musicales. Article in the catalogue of the exhibition "LENIN, STALIN and Music", pp. 96–105. Musee de la musique, October 12, 2010 – January 16, 2011. Cite de la musique, Paris. ISBN 978-2-213-65566-6
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Hugh Davies: Evgeny Aleksandrovich Sholpo. Groovemusic Online, abgerufen am 29. September 2020 (englisch).
- ↑ a b The ‘Variophone’ Yevgeny Sholpo. Russia, 1932. In: 120 Years of Electronic Music. 23. September 2013, abgerufen am 29. September 2020 (britisches Englisch).
- ↑ Zeichnung des Variophones. 120 years, 1930, abgerufen im September 2020 (englisch).
- ↑ Andrei Smirnov: Leben-im-Klangspektrum. Klangsynthese in der Sowjetunion der 30er Jahre. In: Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik. Daniel Gethmann, 2009, abgerufen im September 2020.
- ↑ Lena Willikens: Visual Music - Generation Z - An ongoing project by Andrei Smirnov. Heike Sperling, abgerufen im September 2020 (englisch).
- ↑ a b Musik aus Papier und Pappe: eine kurze Geschichte des Variophons und des "gezogenen Klangs". In: Latest IT News. Sudo Null Company, 9. Juli 2018, abgerufen am 29. September 2020.