Vertragshilfegesetz

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Basisdaten
Titel: Gesetz über die richterliche Vertragshilfe
Kurztitel: Vertragshilfegesetz
Abkürzung: VHG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Verwaltungsrecht
Erlassen am: 26. März 1952
Inkrafttreten am: 26. März 1952
BGBl. 1952 I, S. 198
Letzte Änderung durch: 5. Oktober 1994
Art. 34 BGBl. 1994 I, S. 2911
Außerkrafttreten: 27. Juni 2000
BGBl. 2000 I, S. 908
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Gesetz über die richterliche Vertragshilfe, kurz Vertragshilfegesetz, war ein deutsches Bundesgesetz. Es wurde infolge der Nachkriegsverhältnisse zum Schutz von Schuldnern und zur Vermeidung von Unternehmenszusammenbrüchen am 26. März 1952 erlassen. Seine Aufhebung erfolgte am 27. Juni 2000.

Entstehungsgeschichte

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Da durch Kriege und Nachkriegsverhältnisse vielfach Schuldner ohne ihr Verschulden nicht in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, gewährte der deutsche Gesetzgeber schon nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Gesetz zum Schutze gegen die Folgen der Verkehrserschwerung vom 3. März 1919 gewisse Verlängerungen von Zahlungsfristen im Wege der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ebenfalls eine Vertragshilferegelung stellte das Schutzgesetz für die durch die Abtretung der ehemals preußischen Teilgebiete Polens betroffenen Schuldner vom 27. Juni 1922 dar.[1][2][3]

Von grundlegender Bedeutung war die Vertragshilfeverordnung (VHV) vom 30. November 1939, der bis September 1944 weitere sogenannte Kriegsvertragshilfeverordnungen folgten. Diese Rechtsnormen sollten eine wesentliche Voraussetzung für das Durchhaltevermögen der deutschen Wirtschaft während des Zweiten Weltkriegs schaffen. War ein Schuldner durch den Krieg in wirtschaftliche Not geraten, konnte richterlich nicht nur eine Stundung, Prolongation oder Herabsetzung der Schuld herbeigeführt werden, sondern auch eine Aufhebung eines gegenseitigen Vertrages.[4][1][5]

Letztlich übernahm im Krieg damit der deutsche Staat die volle Haftung für alle unmittelbaren und mittelbaren Schäden, die durch Kriegshandlungen verursacht waren.[6] Nach dem Zweiten Weltkrieg führten in Westdeutschland zunächst einzelne Länder richterliche Vertragshilfen fort, fixiert beispielsweise im Bayerischen Vertragshilfegesetz vom 25. April 1946, im Bremischen Vertragshilfegesetz vom 13. Juli 1946, im Hessischen Vertragshilfegesetz vom 24. August 1946 oder im Württemberg-Badischen Vertragshilfegesetz vom 3. März 1949. Auch das westdeutsche Umstellungsgesetz vom 20. Juni 1948 beinhaltete bereits ein Vertragshilfeverfahren.[1]

Das Gesetz über die richterliche Vertragshilfe (VHG) vom 26. März 1952 übernahm im Wesentlichen die Normen der Vertragshilfeverordnungen von 1939 und 1940. Die modifizierten Neuregelungen ermöglichten eine bundeseinheitliche Abhilfe für Härtefälle auf Antrag durch richterliche Stundung oder Herabsetzung von Verbindlichkeiten. Eine völlige Vertragsauflösung konnte nach dem VHG nicht (mehr) verfügt werden. Neben einer einheitlichen Regelung wollte der Gesetzgeber mit dem neuen Vertragshilfegesetz einen Schlussstrich unter die Entwicklung privater Rechtsverhältnisse setzen, die Schuldner auf Grund der Kriegsereignisse oder Kriegsfolgen erlitten hatten. Daher wurde der Anwendungsbereich auf Verbindlichkeiten beschränkt, die vor dem 21. Juni 1949, dem Stichtag der Währungsreform, begründet worden waren.[7]

Die Verfahren bezweckten eine Insolvenzverhütung, aber keinesfalls eine „richterliche“ Sanierung.[8] Dennoch nahm durch das Vertragshilfegesetz der Staat wie in vielen anderen Fällen das Recht in Anspruch, von sich aus, wenn auch hier auf Antrag einer Vertragsseite (Schuldner), gestaltend in einen laufenden Vertrag einzugreifen.[9] Dabei sollte der Vertragshilferichter wie bereits in der NS-Zeit weniger durch Regeln gebunden sein, sondern vielmehr als Problemlöser und flexibler Mediator eingreifen. Im Grundsatz blieb es damit bei der Wirksamkeit privater Verträge, die vor und während des Krieges geschlossen waren.[10][6]

Gerichtliche Gebühren und Auslagen für die Vertragshilfeentscheidung wurden nicht erhoben.[11] Ein Antrag auf Vertragshilfe war für einzelne Verbindlichkeiten oder für sämtliche Verbindlichkeiten möglich. Das Gericht konnte jedoch von sich das Verfahren auf einzelne Verbindlichkeiten, für welche kein Antrag vorlag, ausdehnen, aber auch einzelne Verbindlichkeiten von der Vertragshilfe ausnehmen. Die richterlichen Entscheidungen gingen im Endeffekt immer zu Lasten der Gläubiger.[6] Die formelle Aufhebung des Vertragshilfegesetzes erfolgte durch Art. 9 Nr. 1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge vom 27. Juni 2000.[8]

  • Erwin Saage: Vertragshilfegesetz: Gesetz über die richterliche Vertragshilfe vom 26. März 1952. Vahlen, 1952.
  • Walter Erman, Heinz Goerke: Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz (teilkommentiert), Verschollenheitsgesetz (materielle Vorschriften), Vertragshilfegesetz, Wohnungseigentumsgesetz, Schiffsrechtegesetz, Ehegesetz, Testamentsgesetz, unter Einarbeitung weiterer einschlägiger Bestimmungen. Aschendorff, 1964.

Einzelnachweise

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  1. a b c Konrad Huber: Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz. Duncker & Humblot, 1963, S. 38, Fußnote 26.
  2. Gesetz zum Schutze gegen die Folgen der Verkehrserschwerung vom 3. März 1919 ALEX – Historische Rechts- und Gesetzestexte Online, abgerufen am 30. April 2022.
  3. Schutzgesetz für die durch die Abtretung der ehemals preußischen Teilgebiete Polens betroffenen Schuldner vom 27. Juni 1922 ALEX, abgerufen am 30. April 2022.
  4. Gerhard Kegel, Hans Rupp, Konrad Zweigert: Die Einwirkung des Krieges auf Verträge in der Rechtsprechung Deutschlands, Frankreichs, Englands und der Vereinigten Staaten von Amerika. Walter de Gruyter, 2019, S. 152 f.
  5. Vertragshilfeverordnung vom 30. November 1939 ALEX, abgerufen am 30. April 2022.
  6. a b c Dominik A. Thompson: Krieg ohne Schaden: Vertragsstreitigkeiten und Haftpflichtprozesse im Kontext von Kriegswirtschaft und Amtshaftungskonjunktur ausgehend von der Rechtsprechung des Landgerichts Bonn während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945). Mohr Siebeck, 2016, S. 92–102 f.
  7. Walter Doralt: Langzeitverträge. Mohr Siebeck, 2018, S. 369–370.
  8. a b Stephan Madaus: Der Insolvenzplan: von seiner dogmatischen Deutung als Vertrag und seiner Fortentwicklung in eine Bestätigungsinsolvenz. Mohr Siebeck, 2011, S. 80.
  9. Manfred Klussmann: Zulassigkeit und Grenzen von nachträglichen Eingriffen des Gesetzgebers in laufende Vertrage. Duncker & Humblot, 1970, S. 32.
  10. Ralf Köbler: Die „clausula rebus sic stantibus“ als allgemeiner Rechtsgrundsatz. Mohr Siebeck, 1991, S. 140.
  11. Antiphon Verlag (Hrsg.): Gesetz zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden. Antiphon Verlag, 2018, S. 27.