Victor Weisskopf
Victor Frederick Weisskopf (* 19. September 1908 in Wien, Österreich-Ungarn; † 22. April 2002 in Newton, Massachusetts) war ein österreichisch-US-amerikanischer Physiker.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Victor Weisskopf wuchs in Wien und war ein Großneffe des Zeitungsherausgebers und Humanisten Carl Colbert.[1] Er studierte nach der Matura am Gymnasium Stubenbastei Physik, zuerst in Wien, dann von 1928 bis 1931 an der Universität Göttingen unter Max Born. Hier schrieb er mit Eugene Wigner einen Aufsatz über die Quantentheorie der Linienbreite von Atomspektren.[2] 1931–1932 war er nacheinander in Leipzig bei Werner Heisenberg, in Berlin bei Erwin Schrödinger, in Kopenhagen bei Niels Bohr und in Cambridge bei Paul Dirac, bis er 1933 für zwei Jahre Assistent von Wolfgang Pauli in Zürich wurde. Hier und ab 1936 bei Niels Bohr stellte er wichtige frühe Untersuchungen zur Quantenelektrodynamik (QED) an.[3] Weisskopf musste 1937 wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA auswandern.
Während des Zweiten Weltkrieges beteiligte er sich auf Anfrage Robert Oppenheimers am US-Atombombenprogramm (Manhattan-Projekt). Er stand dabei im Zwiespalt zwischen der Entwicklung einer Massenvernichtungswaffe einerseits und der Angst vor einem Zuvorkommen in der Entwicklung der Atombombe durch Deutschland andererseits. Seine Skrupel machten ihn im Jahr 1944 zum Mitbegründer der Federation of Atomic Scientists und er sprach sich für eine zivile Nutzung der Kernenergie aus. Am 16. Juli 1945 war er Zeuge des ersten Atombombentests. Dieser prägte ihn nachhaltig und er beschloss, sich nicht mehr an der Entwicklung von Waffen zu beteiligen.
Nach dem Krieg wurde er Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), für das er bis zu seinem Tod arbeitete.
Mit James Bruce French (1921–2002) stellte er Ende der 1940er Jahre eine korrekte Berechnung der Lamb-Verschiebung an,[4] damals der erste exakte Prüfstein der Quantenelektrodynamik. Er ist für seine vielen Beiträge zur theoretischen Kernphysik bekannt, insbesondere von Kernreaktionen, häufig in Zusammenarbeit mit Herman Feshbach.[5] Sein Lehrbuch mit John Blatt galt lange Zeit als Standardwerk der theoretischen Kernphysik. In den 70er Jahren war er an der Entwicklung des „MIT-Bag“-Modells von in Hadronen gebundenen Quarks beteiligt.[6]
Weisskopf war für seine große physikalische Intuition bekannt, die er auch in einigen pädagogischen Aufsätzen und Büchern demonstriert.[7]
In den Jahren 1961–1965 war Weisskopf als Direktor des Europäischen Forschungszentrums CERN in Genf tätig.
Auszeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1956: Max-Planck-Medaille
- 1972: Prix mondial Cino Del Duca
- 1976: Oersted Medal
- 1977 Marian-Smoluchowski-Medaille.
- 1978: Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste
- 1981: Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst
- 1983: Ehrenmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.
- 1984: Albert-Einstein-Medaille
- 1990: Ludwig-Wittgenstein-Preis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.
- 2000: Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich[8]
Mitgliedschaft
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1948 wurde Weisskopf in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.[9] Seit 1952 war er Mitglied der National Academy of Sciences und seit 1966 der American Philosophical Society.[10] 1962 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[11] 1974 wurde er zum Mitglied der Leopoldina gewählt.[12] 1975 wurde er Fellow der American Association for the Advancement of Science.
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- mit John M. Blatt: Theoretical nuclear physics. Wiley u. a., New York NY 1952.
- Knowledge and Wonder. The Natural World as Man knows it. (= Science Study Series. S 31, ZDB-ID 919775-8). Anchor, Garden City NY 1962, (In deutscher Sprache: Das Wunder des Wissens. Von der Universalität der Naturwissenschaften (= Natur und Wissen. W 30/31, ZDB-ID 599889-x). Desch, München u. a. 1964), (populär).
- Physics in the Twentieth Century. Selected Essays. MIT Press, Cambridge MA u. a. 1972, ISBN 0-262-23056-9.
- mit Kurt Gottfried: Concepts in particle physics. 2 Bände. Clarendon Press u. a., Oxford 1984–1986, ISBN 0-19-503392-2 (Band 1), ISBN 0-19-503393-0 (Band 2).
- The Joy of Insight. Passions of a Physicist. Basic Books, New York NY u. a. 1991, ISBN 0-465-03678-3 (In deutscher Sprache: Mein Leben. Ein Physiker, Zeitzeuge und Humanist erinnert sich an unser Jahrhundert. Scherz, Bern u. a. 1991, ISBN 3-502-18840-8).[13]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2. München : Saur, 1983, ISBN 3-598-10089-2, S. 1231.
- Christian Forstner: Weisskopf, Victor. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 27, Duncker & Humblot, Berlin 2020, ISBN 978-3-428-11208-1, S. 704– 706 (Digitalisat).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Victor Weisskopf im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biografie National Academy of Sciences
- Gottfried, Jackson Mozart and Quantum Mechanics: an appreciation of Victor Weisskopf, Physics Today 2003, PDF; 306 kB
- Victor Frederick Weisskopf – Publications. In: The Academic Genealogy of Physics. (englisch, umfangreiche, aber nicht komplette Liste der Veröffentlichungen von Weisskopf (mit DOI)).
- Victor Weisskopf. In: Physics History Network. AIP (Biographische Daten und Links).
- Thomas S. Kuhn und John L. Heilbron: Interview mit V. Weisskopf. In: Oral History Interviews. AIP, 10. Juli 1963 .
- Audiointerviews und Vorträge mit Victor Weisskopf im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Alexander Emanuely: Das Beispiel Colbert. Fin de siècle und Republik. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2020, S. 164.
- ↑ Berechnung der natürlichen Linienbreite auf Grund der Diracschen Lichttheorie. In: Zeitschrift für Physik. Band 63, Nr. 1/2, 1930, S. 54–73, doi:10.1007/BF01336768.
- ↑ Über die Selbstenergie des Elektrons. In: Zeitschrift für Physik. Band 89, Nr. 1/2, 1934, S. 27–39, doi:10.1007/BF01333228, (Korrektur: Berichtigung zu der Arbeit: Über die Selbstenergie des Elektrons. In: Zeitschrift für Physik. Band 90, Nr. 11/12, S. 817–818, doi:10.1007/BF01340744); On the self energy and the electromagnetic field of the electron. In: Physical Review. Band 56, Nr. 1, 1939, S. 72–85, doi:10.1103/PhysRev.56.72.
- ↑ The electromagnetic shift of energy levels. In: Physical Review. Band 75, Nr. 8, 1949, 1240–1248, doi:10.1103/PhysRev.75.1240. Die Rechnung wurde bereits 1948 ausgeführt in der QED Formulierung der 30er Jahre. Wie Weisskopf später bedauernd feststellte, verzögerte er aber die Publikation, weil er die Arbeiten von Feynman und Schwinger, die den Effekt mit ihren neuen QED-Methoden berechneten, abgleichen wollte. Norman Kroll und Willis Lamb kamen ihm dann mit demselben Ergebnis noch zuvor.
- ↑ z. B. optisches Modell in Feshbach, C. E. Porter, Weisskopf Model for nuclear reactions with neutrons. In: Physical Review. Band 96, Nr. 2, 1954, S. 448–464, doi:10.1103/PhysRev.96.448.
- ↑ mit Alan Chodos, Robert L. Jaffe, Kenneth Johnson, Charles B. Thorn: New extended model of hadrons. In: Physical Review. D. Band 9, Nr. 12, 1974, S. 3471–3495, doi:10.1103/PhysRevD.9.3471.
- ↑ Zum Beispiel sein Buch mit Gottfried, das aus Cern lectures entstand oder die Aufsatzreihe "In search for simplicity" im American Journal of Physics 1985/1986. In einem dieser Aufsätze berechnet er z. B. die maximale Höhe von Bergen aus elementaren physikalischen Konstanten.
- ↑ Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,6 MB)
- ↑ Members of the American Academy. Listed by election year, 1900–1949 (PDF). Abgerufen am 11. Oktober 2015.
- ↑ Member History: Victor F. Weisskopf. American Philosophical Society, abgerufen am 15. November 2018.
- ↑ Herbert Walther: Victor Frederick Weisskopf (Nachruf). In: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 2002, S. 336–338 (online [PDF; abgerufen am 16. Mai 2017]).
- ↑ Mitgliedseintrag von Victor F. Weisskopf bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 11. Juni 2016.
- ↑ Ernst Peter Fischer: Mozart und die Quantenmechanik gehören zusammen – als Bildung. In: Die Welt. 9. Januar 2006.
Personendaten | |
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NAME | Weisskopf, Victor |
ALTERNATIVNAMEN | Weisskopf, Victor Frederick (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | österreichisch-US-amerikanischer Physiker |
GEBURTSDATUM | 19. September 1908 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 22. April 2002 |
STERBEORT | Newton (Massachusetts) |
- Physiker (20. Jahrhundert)
- Kernphysiker
- Person (Manhattan-Projekt)
- Hochschullehrer (Massachusetts Institute of Technology)
- Hochschullehrer (ETH Zürich)
- Mitglied der Académie des sciences
- Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften
- Träger des österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst
- Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich
- Träger des Pour le Mérite (Friedensklasse)
- Träger der National Medal of Science
- Ludwig-Wittgenstein-Preisträger
- Mitglied der Leopoldina (20. Jahrhundert)
- Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR
- Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
- Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften
- Mitglied der National Academy of Sciences
- Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
- Mitglied der American Philosophical Society
- Fellow der American Physical Society
- Fellow der American Association for the Advancement of Science
- Person (CERN)
- Träger der Max-Planck-Medaille
- Österreichischer Emigrant zur Zeit des Nationalsozialismus
- Person (Cisleithanien)
- Österreicher
- US-Amerikaner
- Geboren 1908
- Gestorben 2002
- Mann