Wellenstreik
Der Wellenstreik ist eine Art des Streiks, bei der Arbeitsniederlegungen kurzfristig stattfinden, nicht von langer Dauer sind und dem Arbeitgeber vorher nicht angekündigt werden. Nach der geltenden Rechtssprechung ist es das Hauptziel eines Wellenstreiks, mit möglichst wenigen Arbeitnehmern der Arbeitgeberseite ein Höchstmaß an Schäden zuzufügen.
Allgemeines
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Dem Arbeitgeber wird es durch diese Streiktaktik erschwert, geeignete Gegenmaßnahmen zu planen und umzusetzen. Nicht zuletzt geht er bei unvorhersehbarer Wiederaufnahme der Arbeit das Risiko ein, dass Vertretungskräfte Arbeitsplätze besetzen und er gegenüber den vertretenen Arbeitskräften, die zuvor gestreikt haben, in Annahmeverzug (§§ 615, 293 ff. BGB) gerät. Laut Beurteilung des BAG ist der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der Arbeitskampfrisikolehre bis zum Ende einer Schicht nicht verpflichtet, eine angebotene Arbeitskraft nach Beendigung eines Wellenstreiks anzunehmen und zu vergüten. Wenn allerdings der Arbeitgeber rein vorsorglich Ersatzarbeitskräfte beschäftigt, um drohende Arbeitsniederlegungen seiner vermeintlich streikbereiten Belegschaft vorzubeugen, so entbindet ihn das nicht von seiner Lohnzahlungspflicht nach Beendigung des Wellenstreiks.[1]
Da Zeitpunkt, Ort und Dauer eines jeden Streiks von den Gewerkschaften grundsätzlich frei gewählt werden dürfen, ist prinzipiell auch der Wellenstreik rechtmäßig. Dies entspricht auch den vier Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Wellenstreik. Das BAG betrachtet Arbeitskämpfe als freies Wechselspiel von Aktion und Reaktion.[2]
Druckerstreik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Öffentliche Aufmerksamkeit erlangten Wellenstreiks in den 1990er Jahren, als die Mitarbeiter in Druckereien spontan nicht zur Arbeit erschienen, so dass Zeitungen nicht gedruckt werden konnten. Die Arbeitgeber hatten für diesen Fall Ersatzbeschäftigte eingestellt. Deshalb gab es Rechtsstreitigkeiten, wer das Arbeitsentgelt zu tragen habe.[3]
GDL-Streik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im März 2024 erklärte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) unter der Leitung des Bundesvorsitzenden Claus Weselsky im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn die Tarifverhandlungen zum wiederholten Mal für gescheitert und erklärte, sie wolle im weiteren Verlauf Wellenstreiks ohne ausdrückliche vorherige Ankündigung durchführen,[4] damit „die Eisenbahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr“ sei.[5] Den ersten Streik dieser Art kündigte die GDL am 10. März 2024 für den 12./13. März 2024 an.[6] Die Bahn unterlag in zwei Instanzen gegen die GDL mit einem Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz.[5] Die Beeinträchtigungen für die Fahrgäste waren erheblich, zumal im gleichen Zeitraum, jedoch zeitlich versetzt, auch die Beschäftigten der kommunalen Verkehrsbetriebe und an Flughäfen sowie die Flugbegleiter streikten.
Regulierung des Streikrechts in der kritischen Infrastruktur?
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auf Grund der Auswirkungen des GDL-Streiks in 2024 hat die FDP-Fraktion im Bundestag am 3. Juli gesetzliche Regeln für Streiks gefordert, durch die kritische Infrastruktur betroffen ist. Gefordert werden Streikauflagen in den Bereichen Bahn, Flugverkehr, Pflege, Kitas, Feuerwehren und Müllabfuhr. Dort sollen unter anderem Streiks mindestens drei Tage vorher angekündigt und ein Notbetrieb von mindestens 50 % sichergestellt werden. Warnstreiks müssen auf 4 Stunden beschränkt werden. Ein Schlichtungsversuch soll verbindlich werden. Begründet wird der Vorstoß der FDP damit, dass die kritische Infrastruktur anfällig für unverhältnismäßige Streiks sei. Bei Lohnforderungen, die das Überleben betroffener Firmen gefährden, müsse der Staat diese stützen.[7][8]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christian Auktor: Der Wellenstreik im System des Arbeitskampfrechts (= Schriften des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Nr. 88). Nr. 88. Beck, München 2002, ISBN 978-3-406-48867-2 (Zugl.: München, Univ., Diss., 2001).
- Henning Seel: Rechtsfragen beim Wellenstreik unter besonderer Berücksichtigung der Verteilung des Lohnrisikos (= Uni-Press-Hochschulschriften. Nr. 136). Nr. 136. Lit-Verlag, Münster, Hamburg 2003, ISBN 978-3-8258-6538-2 (Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2002).
- Carsten Loscher: Arbeitgeberreaktion auf Wellenstreiks in der Druckindustrie (= Schriftenreihe Arbeitsrechtliche Forschungsergebnisse. Nr. 96). Nr. 96. Kovač, Hamburg 2007, ISBN 978-3-8300-3104-8 (Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 2007).
- Philip Schwartz: Der Wellenstreik (= Schriftenreihe arbeitsrechtliche Forschungsergebnisse. Nr. 142). Nr. 142. Kovač, Hamburg 2010, ISBN 978-3-8300-4999-9 (Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2009).
- Ulrich Preis, Stefan Greiner: 4. Abschnitt: Zur Vertiefung: Rechtmäßigkeit besonderer Arbeitskampfmittel und -taktiken, § 116 Wellenstreik. In: Arbeitsrecht – Kollektivarbeitsrecht. 6. Auflage. Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2023, ISBN 978-3-504-38836-2, S. 356, 1332–1336, doi:10.9785/9783504388362-021 (degruyter.com).
- Marc Spielberger: Die Rechte des Arbeitgebers im Arbeitskampf: Aussperrung, Arbeitskampfrisikolehre und suspendierende Betriebsstilllegung im Arbeitskampf (Studienreihe Arbeitsrechtliche Forschungsergebnisse), Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2009, ISBN 978-3-8300-4078-1
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Wellenstreik im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Max Reinfandt: Arbeitskampf: Wellenstreik aus haufe.de, abgerufen am 4. März 2024
- Lohnzahlung bei Wellenstreik aus haufe.de, abgerufen am 7. März 2024
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Peter Berg: Das Streikrecht von A-Z – Stichworte zum Arbeitskampfrecht, Verdi, Landesbezirk NRW – Ressort 1. Tarif- und Arbeitskampfrecht, Januar 2016, Seite 139.
- ↑ Ulrich Preis, Stefan Greiner: Kollektivarbeitsrecht, 6. Auflage 2024, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln, ISBN 978-3-504-42025-3, § 116 Rz. 1332, Seite 356
- ↑ Interview: Lassen sich die „Wellenstreiks“ der GDL verbieten? In: tagesschau.de. 11. März 2024, abgerufen am 11. März 2024 (Gespräch mit der Arbeitsrechtlerin Lena Rudkowski).
- ↑ Deutsche Bahn: Weiterer Streik der GDL-Lokführer im Personenverkehr ab Donnerstag. In: Der Spiegel. 4. März 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 4. März 2024]).
- ↑ a b GDL darf weiter streiken - Bahn scheitert erneut vor Gericht. In: tagesschau.de. 12. März 2024, abgerufen am 12. März 2024.
- ↑ GDL ruft zu neuem Streik bei der Bahn am Dienstag auf. In: tagesschau.de. 10. März 2024, abgerufen am 11. März 2024.
- ↑ Positionspapier der FDP-Fraktion: Für eine Regulierung des Streikrechts in der kritischen Infrastruktur; abgerufen am 4. Juli 2024.
- ↑ Süddeutsche Zeitung: Man kanns ja mal probieren, 4. Juli 2024, S. 19.