Werner Kaltefleiter
Werner Kaltefleiter (* 21. April 1937 in Hagen; † 17. März 1998 in Kiel) war ein deutscher Politikwissenschaftler und seit 1971 Professor an der Universität Kiel. Er war von 1970 bis 1975 Leiter des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts der Konrad-Adenauer-Stiftung und ab 1983 Gründungsdirektor des Instituts für Sicherheitspolitik; Sein Forschungsinteresse galt neben der Wahlforschung und Medienforschung vor allem den Internationalen Beziehungen, insbesondere der Sicherheitspolitik.
Akademische Stationen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kaltefleiter, als Sohn eines Kantors in Hagen geboren, besuchte das Städtische Gymnasium seiner Heimatstadt und studierte anschließend 1957–1961 an der Universität zu Köln Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft (als Wahlpflichtfach). Kaltefleiters Diplomarbeit (im Fach Volkswirtschaftslehre) entstand bei Alfred Müller-Armack. Kaltefleiter war ein Schüler des Begründers der politikwissenschaftlichen Kölner Schule, Ferdinand A. Hermens. Nach der Diplomprüfung wurde er 1963 bei Hermens in Köln promoviert. Die Dissertation befasste sich mit Funktion und Verantwortung in den europäischen Organisationen. Über die Vereinbarkeit von parlamentarischem Mandat und exekutiver Funktion.1968 wurde er aufgrund seiner Arbeit über Die Funktionen des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Demokratie habilitiert.
1961 vertrat Kaltefleiter eine Assistenzstelle, 1963 wurde er zum Assistenten am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaften und Europäische Fragen der Universität Köln ernannt, 1970 zum Wissenschaftlicher Rat und Professor an der Universität Köln.
1968/1969 hatte er ein Kennedy-Fellow-Stipendium des DAAD an der Harvard University und war dort u. a. Schüler von Carl J. Friedrich und Henry Kissinger.
1971 wurde er ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Politische Wissenschaften an der Universität Kiel.[1][2]
Von 1971 bis zu seinem Tod 1998 lehrte Kaltefleiter in der Nachfolge von Michael Freund als ordentlicher Professor am Institut für Politische Wissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und stand dem Institut viele Jahre als Geschäftsführender Direktor vor. Zudem war er von 1975 bis 1981 Vizepräsident der Kieler Universität und in dieser Zeit hochschulpolitisch sehr einflussreich. Als dem rechtskonservativen Flügel der CDU sehr nahestehend wurde er von Teilen der Kieler Studentenschaft wiederholt scharf angegriffen und erwiderte diese Ablehnung seinerseits aggressiv und nachhaltig.[3] Das Verhältnis zu seinem politisch linksliberal orientierten Kollegen Wilfried Röhrich – ab 1979 Inhaber eines zweiten politikwissenschaftlichen Lehrstuhls an der Kieler Universität – war von Beginn an schlecht und artete zeitweise in einen regelrechten „Krieg“ aus,[4] der darin gipfelte, dass das Studiencurriculum ab dem Wintersemester 1989/90 für längere Zeit nach wissenschaftstheoretischen Richtungen unterteilt wurde (empirisch-strukturell: Kaltefleiter, historisch-dialektisch: Röhrich).[5] Studentische Leistungsnachweise, die bei Röhrich erbracht wurden, erkannte Kaltefleiter nicht an.
Kaltefleiter war zwischen 1970 und 1974 neben seiner Kieler Lehrtätigkeit Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung in Alfter bei Bonn und arbeitete während seiner dortigen Zeit insbesondere zur angewandten Wahl- und Medienforschung. Er starb 1998 im Alter von 60 Jahren. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl wurde Joachim Krause.
Zwischen 1982 und 1988 gehörte er als ein von der schleswig-holsteinischen CDU-Landesregierung entsandtes Mitglied dem ZDF-Fernsehrat an.
Politikwissenschaftliche Orientierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Schüler Müller-Armacks verfocht Kaltefleiter eine marktwirtschaftlich verfasste Wirtschaftsordnung. Damit eng verknüpft war seine Legitimierung der repräsentativen Demokratie; diese sollte das Mehrheitswahlrecht nach britischem Vorbild zur Grundlage haben. Hiermit stand er in der Tradition seines akademischen Lehrers Ferdinand A. Hermens. Diese Forderung brachte ihm von verschiedener Seite permanente Kritik ein. In vielen Presse- und Rundfunkinterviews warnte er bis zu seinem Tod stets vor den Gefahren einer „Ausfransung“ des deutschen Parteiensystems, der allein durch die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes begegnet werden könne. Der in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 herrschenden Verhältniswahl stand er wegen der hälftigen Besetzung des Parlaments nach vorgegebenen Kandidatenlisten der Parteien skeptisch bis ablehnend gegenüber und beendete Vorlesungen zu diesem Thema üblicherweise mit dem Ausspruch „Wir brauchen ein Ende der Listokratie“.
Außen- und sicherheitspolitisch vertrat er im Ost-West-Konflikt einen rein konfrontativen Kurs mit der Sowjetunion. Kaltefleiter war ein Verfechter der europäischen Einigung, warnte aber zusehends vor dem Verlust der Steuerungskapazitäten der EU-Mitgliedsstaaten und damit vor einer überbordenden Brüsseler Bürokratie.
Sein medienpolitischer Ansatz war stark von dem im Jahr 1980 von Elisabeth Noelle-Neumann vorgelegte Buch Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut beeinflusste Kaltefleiter stark. Er trat im Gefolge der Debatte um diese Publikation massiv für die Etablierung eines privat organisierten Rundfunks neben dem öffentlich-rechtlichen ein.
Engagement als Politiker
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kaltefleiter stellte als CDU-Mitglied immer wieder Positionen der Bundespartei in Frage. Belegt ist die Kontroverse zwischen ihm und Teilen von CDU/CSU hinsichtlich der Bewertung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Kaltefleiter wurde in den 1970er Jahren vom Strauß-Flügel der CSU – regelmäßig im CSU-Presseorgan Bayernkurier – angegriffen. Doch referierte Kaltefleiter dann 1991 auf der Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth (nunmehr auf ausdrücklichen Wunsch des damaligen CSU-Parteivorsitzenden Theo Waigel) zum Thema der Entwicklung des deutschen Parteiensystems und zum Standort der CSU im Parteiensystem nach der Wiedervereinigung.
1980 bemühte sich Kaltefleiter um einen Sitz im Bundestag. Als CDU-Direktkandidat im Bundestagswahlkreis Rendsburg-Eckernförde versuchte er, mit einem an US-amerikanische Event-Wahlkämpfe angelehnten Konzept das Direktmandat zu gewinnen. Er unterlag jedoch der damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und späteren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis.[6] Nach 1980 trat er noch als Mitglied des CDU-Landesausschusses Schleswig-Holstein in Erscheinung.[7]
Institut für Sicherheitspolitik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1981 initiierte Kaltefleiter die Gründung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle als ideeller Trägerin des Instituts für Sicherheitspolitik (ISUK, später ISPK) an der Universität Kiel, dessen Gründungsdirektor er wurde. Ziel war laut Kaltefleiter die emotionsfreie Erhellung des Konfliktpotentials in der Welt. Nicht nur das militärische Kräfteverhältnis und die Fragen des Gleichgewichts, der Abrüstung in Ost und West sollen durchleuchtet werden, sondern auch ökonomische Hintergründe, deren Kenntnis zur Vermeidung militärischer Auseinandersetzungen von Bedeutung ist.[8]
Der Kieler AStA protestierte gegen die Gründung des Instituts für Sicherheitspolitik. „Wir sagen allen Bestrebungen den entschiedensten Kampf an, an der Kieler Universität eine Kaderschule für Kalte Krieger zu etablieren.“ Sie forderten ein Institut für Friedenspolitik und standen auch der Befürwortung der Neutronenbomne durch Kaltefleiters kritisch gegenüber.[9]
Postgraduate Summer Course on National Security
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kaltefleiter veranstaltete von 1981 bis 1998 die jährlichen Seminare des „Postgraduate Summer Course on National Security“ in Kiel, an dem renommierte Wissenschaftler, Akteure aus Regierungen und Befreiungsbewegungen sowie Militärangehörige teilnahmen. Die Seminare wurden von Ulrike Schumacher koordiniert. Co-Direktoren waren 1988 die US-Professoren William R. van Cleave und Robert Pfaltzgraff. Die Ergebnisse der Seminararbeit wurden jährlich unter dem Titel Conflicts, Options, Strategies in a threatened World von Kaltefleiter und Ulrike Schumacher veröffentlicht. Wichtige Autoren waren Van Cleave, Pfaltzgraff und Frank Barnett.
Politische Initiativen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Arbeitskreis Parteienfinanzierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zwischen 1991 und 1993 organisierte Kaltefleiter zusammen mit seinem Schüler und Freund Karl-Heinz Naßmacher (Universität Oldenburg) einen Arbeitskreis zur „Neuordnung der Parteienfinanzierung“ in Deutschland. Da das Bundesverfassungsgericht 1992 die seinerzeit bestehende Form des Parteiengesetzes nach mehreren Skandalen um Parteispenden als mit dem Grundgesetz in wesentlichen Teilen unvereinbar verworfen hatte, trafen sich die Schatzmeister von CDU, SPD, CSU, B’90/Die Grünen sowie der FDP unter der Leitung von Kaltefleiter und Naßmacher zur Vorformulierung eines neuen Parteiengesetzes in Bonn, das dann 1994 in Kraft trat.
Pressearbeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Werner Kaltefleiter verfasste regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Handelsblatt, für die Wochenzeitung Welt am Sonntag sowie für die Zeitschrift Impulse.
Ehrungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1984 erhielt Kaltefleiter aus der Hand des damaligen schleswig-holsteinischen Kultusministers Peter Bendixen das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für sein Engagement zur Förderung und Erhalt der Hochschulautonomie in Deutschland.
Bekannte Schüler und Mitarbeiter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Werke (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Funktion und Verantwortung in den europäischen Organisationen. Über die Vereinbarkeit von parlamentarischem Mandat und exekutiver Funktion, Athenäum Verlag, Frankfurt a. M./Köln 1964
- Funktionen der Massenmedien (zusammen mit Rudolf Wildenmann), Athenäum Verlag, Frankfurt a. M. 1965
- Konsens ohne Macht? Eine Analyse der Bundestagswahl vom 19.9.1965. In: Ferdinand A. Hermens: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch 1966. Westdeutscher Verlag, Köln 1966
- Wirtschaft und Politik in Deutschland. Konjunktur als Bestimmungsfaktor des Parteiensystems, Westdeutscher Verlag, Köln 1966 (2. Aufl. 1968)
- Zur Chancengleichheit der Parteien. In: Ferdinand A. Hermens: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch 1968 Teil 2. Westdeutscher Verlag, Köln 1968
- Wirtschaft und Politik in Deutschland (1966, 1968)
- Die Funktionen des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Demokratie. Westdeutscher Verlag, Köln 1970
- Im Wechselspiel der Koalitionen – Analyse der Bundestagswahl 1969. (mit Peter Arend, Paul Kevenhörster, Rüdiger Zülch) In: Ferdinand A. Hermens: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch 1970 Teil 1. Carl Heymanns, Köln 1970
- Zwischen Konsens und Krise – Analyse der Bundestagswahl 1972 (1973)
- Geheimhaltung und Öffentlichkeit in der Außenpolitik (zus. mit P. Krogh, 1974)
- Minoritäten in Ballungsräumen – Ein deutsch-amerikanischer Vergleich (zus. mit M. G. Eisenstadt, Bonn 1975)
- Vorspiel zum Wechsel. Eine Analyse der Bundestagswahl 1976 (1977)
- Weltmacht ohne Politik – Das amerikanische Regierungssystem nach den Wahlen von 1976 (zus. mit Edward Keynes, Berlin 1979)
- Empirische Wahlforschung. Eine Einführung in Theorie und Technik (zus. mit P. Nißen, 1980)
- Parteien im Umbruch. Düsseldorf 1984
- Politik als Angebot und Nachfrage. Politische Willensbildungsprozesse in den Vereinigten Staaten (zus. mit Edward Keynes u. a.), Kiel 1984
- Rüstungskontrolle, ein Irrweg?, Olzog, München 1984 (zus. mit Ulrike Schumacher)
Herausgeber (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch. Ab 1972 gemeinsam mit Ferdinand A. Hermens, Duncker Humblot, Berlin 1972 ff.
- Conflicts, Options, Strategies In A Threatened World (mit Ulrike Schumacher) Papers presented at the International Summer Course on National Security, 1981 ff., Schriften des Instituts für Politische Wissenschaften an der Universität Kiel
- Libertas Optima Rerum. Schriften des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, E.S.Mittler, Herford 1984 ff.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Katia H. Backhaus: Zwei Professoren, zwei Ansätze. Die Kieler Politikwissenschaft auf dem Weg zum Pluralismus (1971–1998). In: Wilhelm Knelangen, Tine Stein (Hg.): Kontinuität und Kontroverse. Die Geschichte der Politikwissenschaft an der Universität Kiel. Klartext Verlag, Essen 2013, ISBN 978-3-8375-0763-8, S. 427–474.
- Edward Keynes (Hrsg.): Willensbildungsprozesse und Demokratie. Werner Kaltefleiter zum Gedenken. Lang, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-631-36442-3.
- Eine ausführliche Liste der Veröffentlichungen von Werner Kaltefleiter enthält die Gedenkschrift von Robert L. Pfaltzgraff und William R. Van Cleave (Hrsg.): Strategy and International Politics. Essays in Memory of Werner Kaltefleiter. Lang, Frankfurt am Main 2001, ISBN 0-8204-4837-0, S. 275–302.
- Edward Keynes/Ulrike Schumacher (Hrsg.): Denken in Ordnungen in der Politik. Lang, Frankfurt/M. 1997, ISBN 3-631-32391-3 (darin u. a.: Werner Kaltefleiter: Einige sehr persönliche Schlussbemerkungen, S. 87–94, Schriftenverzeichnis Werner Kaltefleiter, S. 95–122).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Werner Kaltefleiter - Munzinger Biographie. Abgerufen am 22. Dezember 2024.
- ↑ Professorinnen und Professoren Detailansicht. Abgerufen am 22. Dezember 2024.
- ↑ Diskussion und Opposition zu Werner Kaltefleiter am Beispiel des Instituts für Sicherheitspolitik. In: 60 Jahre Kieler Politikwissenschaft. 5. September 2012, abgerufen am 22. Dezember 2024 (deutsch).
- ↑ Katia Backhaus: Zwei Professoren, zwei Ansätze. S. 452.
- ↑ Vgl. Katia Backhaus: Zwei Professoren, zwei Ansätze. S. 466–470.
- ↑ Dieser Wahlkampf 1980 war durch eine starke Polarisierung – auch innerhalb der CDU – geprägt, ausgelöst durch die Person des Kanzlerkandidaten von CDU und CSU Franz Josef Strauß. Im Gefolge dieser Entwicklung konnte die CDU in Schleswig-Holstein bei der Bundestagswahl 1980 kein einziges Direktmandat erringen. Vgl. Peter Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestags 1980–1984, Nomos, Baden-Baden 1986, S. 70.
- ↑ Sein Nachfolger als Direktkandidat im Bundestagswahlkreis Rendsburg-Eckernförde zur Bundestagswahl 1983 war der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg.
- ↑ Kieler Nachrichten vom 19. November 1982, zitiert nach Politik in Schleswig-Holstein im Spiegel der Presse Nr. 12, 1985 bearbeitet von Bernd Bronstert, Institut für Politische Wissenschaft der Universität Kiel
- ↑ Katia Backhaus, Janet Löschau, Martin Holl: Diskussion und Opposition zu Werner Kaltefleiter am Beispiel des Instituts für Sicherheitspolitik. In: 60 Jahre Kieler Politikwissenschaft. 5. September 2012, abgerufen am 22. Dezember 2024 (deutsch).
Personendaten | |
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NAME | Kaltefleiter, Werner |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politologe, Wahlforscher und Politiker (CDU) |
GEBURTSDATUM | 21. April 1937 |
GEBURTSORT | Hagen |
STERBEDATUM | 17. März 1998 |
STERBEORT | Kiel |