Wikipedia:Bücher/Unsere Türken A-K/Einleitung
Für Thilo Sarrazin
Die unsachliche und diskriminierende Diskussion, die die von vielen verurteilten, von vielen aber auch dankbar aufgenommenen Äußerungen Thilo Sarrazins um eine türkische Einwanderergesellschaft aus „Obst- und Gemüsehändlern“ und „Kopftuchmädchen“ im Oktober 2009 losgetreten hat, hat dieses Personenlexikon, von dem nun die noch unvollständig bearbeitete Erstfassung des ersten Bandes vorliegt, mit dem saloppen Titel „Unsere Türken“ (der Untertitel wird dann wissenschaftlicher) inspiriert, aber auch das rasche Erscheinen notwendig gemacht. Aus Letzterem resultierende Mängel werden erst nach und nach behoben werden können. Hierbei bauen wir auch auf ihre Mithilfe.
Die zweibändige Publikation ist zwar als Nachschlagewerk konzipiert, doch wird es dem Leser auch ein aufregendes Lesebuch sein können. In Band A-K sind so einige vielleicht wenig bekannte Fakten zu erfahren, wie zum Beispiel
- dass eine Tochter aus einer Berliner Gastarbeiterfamilie die jüngste Professorin war, die jemals in Deutschland einen Lehrstuhl erhielt,
- dass neben zahllosen Profifußballern türkischer Abstammung im deutschsprachigen Raum längst auch junge Fußballerinnen mit türkischem Hintergrund (in der Regel keine „Kopftuchmädchen“) höchst erfolgreich sind oder auch,
- dass Österreich einen Schachweltmeister türkischer Abstammung hervorgebracht hat,
- ein Sohn aus der Türkei nach Deutschland eingewanderter Eltern und ehemaliger Türsteher 2006 für eine Schiller-Inszenierung in Wien bei der Nestroy-Verleihung berücksichtigt wurde und
- dass ein Deutschtürke 1986 die Biotechnologie durch ein maßgeblich von ihm entwickeltes Verfahren revolutionierte.
Kurz also: dass Menschen türkischer Herkunft und ihre Nachfahren im deutschsprachigen Raum bis heute nicht nur in der Arbeitswelt, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft, sei es Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Sport oder Kultur Großes, ja Enzyklopädiewürdiges geleistet haben, was sich in der deutschsprachigen Wikipedia und diesem eben aus ihr destillierten Nachschlagewerk widerspiegelt. Und jene Enzyklopädiewürdigen (Band 1 beinhaltet bereits über 400 Biografien) sind letztendlich nur die Spitze des Eisbergs, wenn wir uns einmal genau in unserer Gesellschaft umsehen, in der türkischstämmige Polizisten oder Krankenpfleger längst selbstverständlich sind - ebenso wie etwa der Arzt, Rechtsanwalt oder Vorstandsvorsitzende mit türkischem Migrationshintergrund. Von der Mehrheitsgesellschaft entweder als Deutsche oder Ausnahmetürken (letzteres ist wohl in erster Linie einer jahrelang unausgewogenen Berichterstattung in deutschen Medien und subjektiver Wahrnehmung zu verdanken) empfunden, trugen sie in der Vergangenheit aber leider nur wenig zum in der deutschen Öffentlichkeit gefühlten Grad der Integrationsbereitschaft „ihrer“ Türken bei.
Dabei soll das Werk keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass es ebenso wie in der deutschen Mehrheitsgesellschaft auch Problemfamilien unter ursprünglich aus der Türkei eingewanderten Familien gibt, sicherlich auch mit spezifischen Problemen, die mit mangelnder Integration zusammenhängen. Doch ist es sein Anliegen zu helfen, den Blick nicht immer nur auf diese Probleme zu lenken, um von einem aufgeregten endlich zu einem sachlichen Ton in der Debatte zu kommen. Solange nämlich eine Gesellschaft die Erfolge seiner Einwanderer aus welchen Gründen auch immer nicht angemessen (aner)kennt, wird dieser wohl kaum möglich sein.