Wikipedia:Zedler-Preis/Zedler-Medaille 2008/Prostitution
"Ich höre immer Bordell! Und wenn schon! Nirgends fühle ich mich besser zu Hause Ich schlage mein Zelt im Bordell auf." (Henri de Toulouse-Lautrec)
Ursprünge Der Begriff "Prostitution" ist auf das lateinische Verb "prostituere", zu deutsch - vorn hinstellen, zur Unzucht öffentlich preisgeben, sich bloßstellen zurückzuführen. Es bedeutet eine gelegentliche oder gewerbsmäßige Anbietung des eigenen Körpers an beliebige Personen, zu deren sexuellen Befriedigung. Diese Selbstpreisgabe erfolgt gegen Entlohnung, in Form von Geld oder anderen materiellen Werten, oder sie findet aus sakralen Gründen statt. Im allgemeinen unterscheidet man männliche und weibliche, hetero- und homosexuelle sowie transvestitische Prostitution. Die ersten Anfänge der Prostitution lassen sich seit Einführung des Geldes, des Brautpreises, der Aussteuer, bereits bei den Naturvölkern feststellen. Die Töchter von Besitzlosen erwerben mittels Prostitution ein Entgelt, wodurch sie sich eine Mitgift oder diverse Aussteuer beschaffen können (z.B. auf den Karolinen, bei dem nomadischen Araberstamm der Nail in Algerien). Diese Prostitution ist nicht mit einem sozialen Makel verbunden. Als weitere, von früher her, bekannte Formen der Prostitution gelten die Gast- und Tempelprostitution (sakrale Prostitution). Bei der Gastprostitution ist die Frau, als Eigentum des Mannes verpflichtet, sich dem Gast ihres Mannes zur Verfügung zu stellen. Die Tempelprostitution ist seit dem 14. Jahrhundert vor Christus in den frühen Hochkulturen Kleinasiens und Nordafrikas vorfindbar. Alle jungen Frauen unterwerfen sich dem Priester oder einem Fremden, der eine Gottheit zu vertreten scheint. Dieser Handlungsakt ist einmalig und gilt als eine opfernde, heilige Hingabe, die der Fruchtbarkeit dienlich sein soll. Dauernde Tempelprostitution von Sklavinnen ist von Korinth nachweisbar. Neben dieser Form der Prostitution existiert in den größeren Städten und Häfen eine gewerbsmäßige Prostitution (unheilige Prostitution). Die niedere Schicht der Dirnen, meist Sklavinnen, jedoch auch aus der Sklaverei befreite Frauen, sind hauptsächlich in Bordellen (in sogenannten Lupanarien im Antiken Rom) kaserniert und stehen meist ärmeren Bürgern zur Verfügung. In Griechenland, vor allem in Athen, seit dem 7. Jahrhundert vor Christus bekannt, in Rom sind zur Kaiserzeit 46 Lupanarien zu verzeichnen. Neben diesen, den niederen Schichten zur Verfügung stehenden Prostituierten (in Rom Dikteriaden genannt), gibt es zur Zeit der Antike ebenso die Flötenspielerinnen (in Rom als Auletriden bekannt), sowie die Gefährtinnen (in Athen, Griechenland als Hetären bezeichnet), die zum Teil gebildet sind und ihre anspruchsvolleren Kunden auch mit Musik und Tanz unterhalten können. Sie sind vielfach Geliebte bedeutender Männer, so dass sie dadurch recht großen Einfluss genießen. Sowohl die Auletriden als auch die Hetären sind meist Freie, in Rom allerdings müssen sie sich in ein Register eintragen lassen, sobald sie der Prostitution nachgehen. Die Ausübung der Prostitution wird in Griechenland als auch in Rom bis in die späte Kaiserzeit keineswegs moralisch verurteilt, wobei aber die gewerbsmäßige Unzucht unter Männern (z.B. Päderastie) in der Antike als schimpflich gilt. Mit der Ausbreitung des Christentums im frühen Mittelalter und dem zunehmenden Einfluss der christlichen Lehre, mit ihrer asketischen Abwertung der körperlichen Liebe, wird Prostitution zunächst bekämpft und eingeschränkt. Dies führt zur Diffamierung und Verfolgung der Prostituierten, die zeitweilig mit dem
Tode bestraft werden. Erst im späten Mittelalter gibt's mehr Toleranz und die
Sexarbeit gewinnt mehr und mehr an Boden. Mit der Entwicklung der Städte und
Ausbildung des Heer- und Geldwesens wird die Prostitution kommerzialisiert. Etwa
seit dem Ende des 13. Jahrhunderts unterliegt sie einer Reglementierung, die zu
einer zunftmäßigen Erfassung der Prostituierten führt (zu Beginn des 15.
Jahrhunderts). Sie werden in sogenannten Freudenhäusern (auch Frauenhäuser,
Gemeine Häuser, später auch Bordells, Puffs genannt) institutionalisiert und
dadurch in die ständische Gesellschaftsordnung einbezogen. In der Zeit der
Kreuzzüge wächst die Zahl der Sexhäuser rapide an, so dass ihren Besitzern, den
Landesherren, den Städten sowie vor allem den Kirchenvätern viel Kapital
zufließt. Ähnlich der klassischen Antike, existieren im abendländischen
Mittelalter ebenso luxuriöse und gemeine Formen von Freudenhäusern. Die
aristokratischen Kreise und die bürgerliche Oberschicht verkehren seit etwa der
Renaissance (14. Jahrhundert) in Edelbordells, deren Bewohnerinnen die so
genannten Mätressen, gelegentlich großen politischen und gesellschaftlichen
Einfluss besitzen, im Gegensatz zu den "Hübschlerinnen" der gemeinen Häuser, die
für die ärmere Bevölkerung gedacht sind. Im "galanten" 18. Jahrhundert erlebt
die Prostitution in reglementierten Sexhäusern und auch auf der Straße ihre
Blüte ("Hirschpark" Ludwigs XV., Entstehung zahlreicher exclusiver Bordells
besonders in Paris und London). Mit der industriellen Revolution im 19.
Jahrhundert erfährt sie zudem eine breite Ausweitung. Die Tendenz des Zeitalters
zur Sachlichkeit wirkt bis in die Kreise der Prostituierten hinein, so dass
89-90% der Prostituierten ihrem Gewerbe frei nachgehen, und die Reglementierung
an Wirkungskraft einbüßt. Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg tragen
entscheidend zur Ausbreitung der Prostitution bei, die vermutlich durch die
Massenheere und die Besatzungstruppen bedingt ist. Ebenso der Hunger, der
Frauenüberschuss und die Flüchtlingsströme treiben viele in die Prostitution, so
dass sich ebenso männliche Jugendliche prostitutieren ("Strichjungen"). Heute
beschränkt sich die Prostitution nicht nur auf die, für sie vorgesehenen
Einrichtungen (Bordelle, Eros Center etc.), sondern findet ihren Niederschlag
bereits in ganzen Straßenzügen (z.B. Reeperbahn in Hamburg, Potsdamer Straße,
Straßen um den Ku-Damm herum in Berlin, Linien-, Münsterstraße in Dortmund,
Bahnhofsviertel in Frankfurt etc.). Der Zuhälter gewinnt als Ausbeuter der
Prostituierten immer mehr an Bedeutung und vereinigt in sich selbst den früheren
Bordellwirt, den Kuppler und den Mädchenhändler. Er gilt als "Beschützer", als
"Freund", als "Geliebter" der Prostituierten, so dass sie ihm völlig
ausgeliefert wird. Aufgrund der Ausbreitung von "Aids", als auch infolge der
konjunkturellen Rezession ist eine leicht rückläufige Tendenz des
Bordellzuwachses zu verzeichnen, trotz steigender Zahlen prostitutionswilliger
Frauen. Insbesondere große Ballungsräume sind von diesem Trend betroffen. Um die
desolate ökonomische Situation zu entschärfen, werden fiktive Massagesalons,
Kosmetikstudios, Saunas eröffnet, die als nicht offizielle Bordells fungieren.
Die hohe Arbeitslosigkeit, die finanziellen Engpässe, die ökonomische und
psychische Not bedingen eine Situation, die die den Kunden immer weniger Geld
lässt. Daher gibt's immer mehr Sexshops, Sexlokale, Sexfilm-Kabinen, so genannte
"Schnellpuffs" mit geringerem Preisindex. In "Schnellpuffs", wie sie im Jargon
genannt werden, kann die männliche Kundschaft ein Mädchen eine viertel Stunde
lang für durchschnittlich 50 Euro beanspruchen. Und es geht noch runter. Diese
Lokalitäten sind auch tagsüber zugänglich, für Männer, die in ihren
Arbeitspausen schnell eine Befriedigung suchen, für Arbeitslose und Rentner, die
die Preise der Nacht nicht bezahlen können.
Soziologischer Aspekt
Die Tatsache der Prostitution lässt sich nicht verleugnen und eindämmen, solange
die gesellschaftlichen Lebensbedingungen, die ökonomisch-sozialen Gegensätze so
krass sind. Die Prostitution floriert auch, weil wir sexuell verklemmt sind und
unsere Bedürfnisse nicht offen aussprechen. Negative und heuchlerisch
aufgeblähte Maßnahmen ändern die Situation in keinster Weise.
Die Sittenkodexe müssen überdacht werden, um nicht ständig der freien Sexualität
Hindernisse und Barrieren in den Weg zu legen. Diese nämlich beschwören die
Prostitution geradezu herauf, die die unterdrückten sexuellen Bedürfnisse
stillt, um letztendlich eine gefährliche zerstörerische Explosion zu verhindern.
Die Erziehung zur natürlichen Einstellung zur Sexualität sowie die Verminderung
der Armut ist sicherlich eine der wichtigsten Aspekte, die Prostitution in den
nächsten Jahrhunderten überflüssig zu machen.
Dass die patriarchalische Gesellschaftsordnung samt der ihr innewohnenden
abnormen Reduzierung des Menschen, vor allem der Frau, auf das Niveau eines
Produktes, einer Handelsware, das sich den Angebots- und Nachfrage-Mechanismen
unterzuordnen hat, und weitere derartige makabre Funktionalisierungen nicht
unmittelbar zum Schwinden gebracht werden können, liegt auf der Hand. Denn es
sind systemimmanente Phänomene. Die vielfach gepriesene Behebung der
Prostitution vermittels von Arbeitshäusern, Frauenheimen und Magadalenenasylen,
ist nicht mehr gefragt, da die Prostituierten heutzutage wie ehedem gerade die
Prostitution als Alternative zu den gewöhnlichen Beschäftigungsmöglichkeiten
wählen, um auf diesem Wege eine Verbesserung ihrer finaziellen Situation zu
ermöglichen. Es ist unrichtig und spitzfindig, den Zusammenhang sowie die
Bekämpfung der Prostitution nur in der Frau zu suchen, wobei der Mann von dieser
Problematik völlig ferngehalten wird. Die Untersuchung der Prostitution, die
Auseinandersetzung mit diesem Metier, ihrem Milieu erfolgt meist aus der
Perspektive des Mannes, der in diese Analyse nicht verflochten werden will. Es
ist nicht legitim, abwertend von einer "Nutte" zu sprechen, wobei ihr "Freier"
als ehrenwerte integrationswürdige Person von der Gesellschaft anerkannt wird.
Diese Sichtweisen sind jedoch aufgrund des immer noch waltenden,
vorherrschenden, fast unumstößlichen Patriarchats, das zwar durch die
Frauenbewegung in Frage gestellt wird, nicht verwunderlich. Die Ausübung der
Prostitution darf keinesfalls nur den "Aktiven" angelastet werden, sondern
ebenso den "passiven Genießern", denn nur so lässt sich die Prostitution
intensiv angehen oder positiv verändern.
Ein wirkliches Verschwinden oder eine totale Umstrukturierung der Prostitution
lässt sich nur durch eine tiefer gehende, profunde Umwälzung sowohl des
maskulinen als auch des femininen Bewusstseins erreichen, mit denen eine völlige
Auflösung des Patriarchats einhergehen müsste. Beide Forderungen sind immer noch
illusionär und leider utopisch.
Zahlreiche Theoretiker (Biologen, Psychologen, Soziologen u.a.) befassen sich
mit der Erscheinung der Prostitution. Extreme Milieutheoretiker betrachten die
Armut als den eigentlichen Grund und die Ursache der Prostitution. Ebenso sollen
erblich-degenrative und körperlich-seelische Abweichungen die Prostitution
begünstigen. Solche Behauptungen jedoch sind haltlos, da nur etwa ein Drittel
der Prostituierten anormale Merkmale aufweist, auch ist die soziale Herkunft der
Prostituierten nicht vorwiegend in den unterprivilegierten Teilen der der
Bevölkerung zu suchen. In der Antike die Hetären, im Mittelalter die Mätressen,
heute vielfach Tänzerinnen, die Luxusnutten können als Beispiele für doch zum
Teil gebildete Prostituierte angeführt werden, die nicht bescheidenen
Verhältnissen entstammen. Es gibt ebenso Auffasssungen, welche die vielfältigen
Tendenzen der menschlichen Sexualität für die Prostitution verantwortlich
machen. Ältere Betrachtungen nehmen eine ursprüngliche Polygamie des Mannes an
und sehen sie als den verursachenden Faktor der Prostitution. Diese Ansichten
werden heute verworfen, da man ebenso eine Polygamie der Frau vertreten kann,
die allerdings durch die Erziehung unterdrückt wird. Es gibt wenige Frauen, die
überhaupt auf die Idee kommen und verlangen, man solle Bordelle für Frauen
eröffnen. Die Abhilfe einer sexuellen Erleichterung, die auf einer mechanischen
Weise erfolgt, wird der Frau nicht zugemutet und ihr kategorisch versagt.
Tatsache ist, dass Prostituierte nicht nur in den unteren Schichten der sozialen
Stufenleiter, sondern ebenso gehobenen Kreisen entstammen. Die Behauptung, diese
Frauen entspringen problembeladenen Familienverhältnissen, seien in Heimen
aufgewachsen oder adoptiert, verfügen über mangelnden Familienrückhalt, ihr
natürliches Liebesbedürfnis sei nie gestillt worden, lässt sich generalisieren.
Es ist auf jeden Fall ein Fakt, dass die bestehenden gesellschaftlichen
Verhältnisse der Frau außer der Heirat lediglich schlecht bezahlte Berufe
anbieten. Sie muss einen höher stehenden Mann heiraten, der scheinbar ihre
einzige Chance des gesellschaftlichen Aufstiegs birgt. Eine schöne Frau, die
über ihren herrlichen Körper entzückt ist und einer mediceischen Venus gleicht,
empfindet ihr Äußeres, ihre sexuellen erotischen Reize als zu vornehm, um sich
mit dem Mann des niederen oder des mittleren Standes zu verheiraten.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse emanzipieren die Frau nicht. Sie wird
unterbezahlt und liefert ein gut ausbeutbares Material, besonders in der
Industrie und im Einzelhandel. Nichtsdestotrotz stellt ihre Präsenz in der Welt
der gesellschaftlichen Produktion eine Beeinträchtigung dar, da sie vermeintlich
der Arbeitsmoral und der Disziplin des Mannes schadet. Sie dient der sexuellen
Befriedigung des Mannes, der sie ebenso am Arbeitsplatz sexuell missbrauchen
kann. Frauen, die dagegen protestieren, werden eher entlassen als ihre
männlichen Kollegen, die dies verursachen.
Gedanken, die der Frau gleichwertige Arbeitschancen einräumen, kommen nicht
ausreichend auf. Daher müssen wir weiterhin daran arbeiten, eine Veränderung im
weiblich-männlichen Produktionsverhältnis herbeiführen zu können.
Dieses Missverhältnis der ungleichen Behandlung am Arbeitsplatz wird raffiniert
mit der Möglichkeit begründet, sie möge sich verheiraten und von ihrem Ehemann
aushalten lassen, wodurch sie den Arbeitsmarkt entlaste.
Für viele Frauen ist Prostitution ein Notbehelf und vielleicht eine Chance, dem
Zwang der Abhängigkeit zu entkommen. Viele Prostituierte kommen aus
Frauenberufen, die schlecht bezahlt werden. Viele haben überhaupt keine
Ausbildung. Viele blicken auf eine abgebrochene Schulzeit oder nicht zu Ende
gemachte Ausbildung zurück. Viele sind arbeitslos. Und Prostituierte, die
studieren oder studiert haben, bleiben in der Branche hängen, weil sie keine
Arbeit finden. Durch das "Anschaffen" rutschen sie nicht total ab, selbst wenn
ihre materielle Lage in den meisten Fällen doch völlig unsicher bleibt, und die
Prostitution für sie der potentielle Weg in psychische Erkrankung oder gar Tod
sein kann. Nicht immer finden sie den Ariadnefaden und können ihren
Lebensunterhalt anders verdienen.
Das schulische, berufliche Spektrum der Prostituierten exakt zu erfassen, ist
sehr schwierig, da ihre Fluktuation sehr groß ist. Viele gehen sporadisch,
zeitlich begrenzt diesem Job nach, steigen aus und steigen wieder ein.
Prostitution ist sehr heterogen. Pauschalaussagen und Generalisierungen sind
hier völlig fehl am Platz. Die Tendenz, die Prostituierte mit einem
leichtlebigen, bornierten Flittchen, einer lästigen "Drohne", dem geilen
"Nüttchen" gleichzusetzen, ist eine Fehleinschätzung, ein infames
Pauschalurteil, eine Verallgemeinerung von bedenklicher Willkür, die keinesfalls
den faktischen Sachverhalt trifft. Frauen dieses Milieus sind außerhalb ihrer
Arbeitsstelle sehr zurückhaltend, in ihrer Kleidung selten provokativ. Da ihre
Funktion ausschließlich der eines erotischen Objekts gleicht, staffiert sie sich
die Prostituierte öffentlich niemals aufgeilend aus, es sei denn, dass sie auf
Kundenfang ist. Außerhalb ihrer Arbeit versucht sie, die hohen Stöckelschuhe,
das eng anliegende Kleid, die Korsage, die starke Bemalung nach Möglichkeit zu
meiden. Sie will nicht in ihrer Freizeit als "Dirne" behandelt werden und dem
Ruch der Obsession, sich ständig grandios zur Schau stellen zu müssen, Folge
leisten. Sie ist nicht geneigt, auch noch privat ihren Körper zu Markte zu
tragen. Die Skala der sich als Prostituierte verdingenden Frau reicht von der
Fabrik-, Hilfsarbeiterin, vom Dienst-, Zimmermädchen, von der Hausangestellten,
Näherin, Kellnerin, Verkäuferin, Friseuse bis zur Sekretärin, zu Mannequin,
Studentin, Krankenschwester und Stewardess. Sie kann auch der schöpferischen
Branche angehören und eine ausgebildete Tänzerin, Schauspielerin oder Sängerin
sein. Die Prostituierten entspringen allen Berufsgruppen und allen
Nationalitäten.
Immer noch bekommen Frauen bis zu 20% weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen,
und das bei gleicher Arbeit. Sie werden um so mehr ausgebeutet, beruflich
unterdrückt, entehrt, mehr als ein Ding als eine Person behandelt. Die
unzureichenden Löhne, das Elend, die soziale Schieflage, die Arbeitslosigkeit,
die insbesondere die Frau trifft, die geringen Berufsmöglichkeiten,
konjunkturelle Einbrüche, wirtschaftliche Rezession, bereiten der Prostitution
ein fruchtbares Feld und sind deren unausbleibliche Konsequenzen. Es handelt
sich hierbei um einen leicht nachvollziehbaren, ökonomischen Vorgang.
In Krisen-, Kriegszeiten, in Phasen extremer ökonomischer Depression nimmt die
Prostitution bekanntlich zu. Die Wirtschaft spornt zum Konsum an, bietet
allerdings keine Arbeitsstellen an, um das notwendige Geld heranschaffen zu
können.
Da die Devise "Geld stinkt nicht" keinesfalls an Anziehungskraft eingebüßt hat,
steht keinem philiströsen Moralisten zu, Prostituierte höhnisch oder Mitleid
erregend zu verurteilen. Diese Aburteilungen sind altbekannt und zeugen vielfach
von eigenen unbewältigten Problemen.
Die Theorie von der Gleichsetzung der Prostituierten mit den Kriminellen, ihre
Herabsetzung als Degenerierte und Psychopathin sind unqualifiziert und
unzutreffend. Die Behauptung, diese Frauen könnten ihren Lebensunterhalt auf
einer anderen Weise aufbringen, hilft nicht, dem Problem der Prostitution näher
zu kommen. Keine Frau ist für die Prostitution prädestiniert oder gar erblich,
physiologisch vorbelastet. In diesem Kontext von einer angeborenen Bestimmung zu
sprechen, ist purer Blödsinn.
Die Prostitution ist kein Laster, keine Dekadenz, sondern eine Möglichkeit, der
Frau eine eventuelle finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen. Die Ansicht,
Prostituierte sind samt und sonders geistlos, borniert, dumm und primitiv, ist
eine anmaßende Degradierung und enorme Unterschätzung dieser Frauen.
Verallgemeinerungen sind sehr gefährlich, da dieser Branche viel Unrecht angetan
und ihre tatsächliche Problematik nur am Rande berührt wird. Prostitution birgt
so viele Ausnahmen in sich, dass sie beinah ihr eigentliches Gepräge bilden.
Der Prostitution gehen nämlich auch Frauen nach, die ihren Beruf reflektieren.
Sie arbeiten, um kraft der Ersparnisse eine langfristige essentielle Lebensbasis
schaffen zu können. Sie sind intelligent und souverän, nutzen ihre Weiblichkeit
als Geldquelle, um zu vorgegebenen Zielen zu gelangen. Sie machen sich
selbständig, eröffnen ein Café, ein Restaurant, Bar, Klub oder emigrieren mit
ihrem Ersparten ins erträumte Land, sei es nach Spanien oder in die USA. Auch
für die Kinder wird vorgesorgt. Sie finanzieren ihnen eine gute Ausbildung, sei
es im Internat oder an der Universität.
Die Prostitution benutzt den "Freier" als Werkzeug, das ihren eigenen Zwecken
dient. Es wird zielgerichtet und sinnvoll gearbeitet, um eine ökonomische
Unabhängigkeit zu erlangen. Viele Prostituierte schaffen eine Situation, in der
sie stets die Oberhand bewahrt. Sie liefert ihr Geschlecht dem Mann als Objekt
aus, wird aber schließlich zum Subjekt. So beispielsweise ist die Kurtisane
geistig mitnichten zurückgeblieben, geschweige denn einem Kretinismus oder einer
Debilität verfallen. Sie muss keinesfalls eine entwurzelte Existenz oder das
Kind von Adoptiv-, Pflegeeltern sein. Sie entstammt nicht unbedingt dem Kinder-,
Erziehungsheim oder der unterprivilegierten Bevölkerungsschicht.
Die Meinung, Arbeiterfrauen, Arbeitermädchen seien sexuell relativ unbefangen
und verfügen über mehr sexuelle Freizügigkeit, folglich seien gerade sie die
Frauen, die sich prostituieren, entbehrt jedes Wahrheitsgehaltes. Die
Prostituierte ist nicht automatisch ungebildet. Es prostituieren sich ebenso
Töchter sozial hochgestellter Eltern. Das Kind wächst behütet auf, besucht die
höhere Schule und schlägt trotz der recht guten Zukunftsaussichten den Weg der
Prostitution ein. Das konventionelle Image der Kurtisanen, das sie als morbid,
seelisch unpässlich und fatalistisch hinstellt, und in ihr das Individuum sieht,
das zum reichlichen Alkohol-, Drogenkonsum neigt, kann nicht aufrechterhalten
werden, ist zu pauschal und oberflächlich. Alkohol- und Drogenprobleme sind in
jeder Schicht präsent. Das Milieu des Bordells fördert durchaus diese
Problematik, verhilft zu ihrer Entstehung, kann jedoch nicht prinzipiell aus
dieser Perspektive betrachtet und angegangen werden. Die Prostitution kann zur
Alkohol- und Rauschgiftsucht führen, wenn die psychische Konstitution der
Sexanbieter zu labil ist, um mit der Lüge zu leben. Und umgekehrt auch
prostituieren sich Drogenkranke, um die Sucht finanzieren zu können.
Fakt ist allerdings, dass sich Prostituierte nicht immer mit zerrütteten,
schwierigen Verhältnissen, sprich mit einer schweren, gefühlsarmen Kindheit
assoziieren lassen. Gewiss wachsen viele Kinder in Heimen auf, kommen zu
Pflegeeltern und gelangen selten in den Genuss einer guten Ausbildung. In ihrer
Not suchen sie dann den nächst liegenden Weg, Geld zu verdienen. Das aber muss
nicht immer Prostitution sein.
Der Prostitution nämlich liegt keine spezifische Biografie, keine spezifische
Kindheit zu Grunde. Ihre primäre Motivation ist gesellschaftlich und strukturell
bedingt. Die Nachkommen der Prostituierten müssen sich nicht zwangsläufig
ebenfalls prostituieren. Der Tod der Eltern, Abweisung in der Kindheit sind
nicht immer der Nährboden für die Prostitution, wie in der Wissenschaft von
Jahrzehnten angenommen.
Viele Prostituierte leben in Scheidung oder haben eine Trennung hinter sich,
verlieren ihre Arbeit und können folglich ihren Lebensunterhalt nicht mehr
entsprechend tilgen. Sie sind verschuldet und sind gezwungen, die Schulden
selbst zu tilgen, da der Partner sich abgewandt hat. Sie haben Kinder, die
versorgt werden müssen. In aller Eile, vor allem der Kinder wegen, müssen sie
sich um neue Einnahmequellen kümmern. Frauen, die ihre Familien im Ausland
finanziell unterstützen (Osteuropa, Südostasien) oder ihren alten Eltern unter
die Arme greifen, manifestieren ebenfalls diese Problematik. Es ist den Frauen
keinesfalls zu verübeln, dass sie sich als Prostituierte verdingen, und sie sind
deshalb nicht zu verurteilen.
Von ihrem Ehemann, Freund, Geliebten angestachelt und verleitet, gelangt manche
Frau ebenso in die Welt der Prostitution, schimpflich als schiefe Bahn
bezeichnet. Auch Frauen gut situierter Männer schrecken davor nicht ab. Sowohl
der Gatte als auch die Gattin streben größere Investitionen an, die durch
normale Arbeit nicht unmittelbar realisiert werden können. Die Prostitution
verbessert die gemeinsame finanzielle Lage, erhöht den sozialen Status, denn
Geld bedeutet Prestige.
Männer die nicht berufstätig sind, sondern stets ihre Frauen arbeiten lassen,
sie in ihrer Gewalt haben, fungieren als Zuhälter. Sie können die Frau
moralisch, ethisch ausnutzen. Die meisten Zuhälter haben ein sehr männliches
Aussehen, das den libidinösen Nerv der Frau trifft. Prostituierte, welche sich
hässlich, zurückgesetzt und minderwertig vorkommen, freuen sich über eine
Verbindung, die sie mit einem gut aussehenden Mann unterhalten dürfen. Der
"Apollo" und "Narziss" spielt ihr eine fantastische Liebe vor, nur um an ihr
Geld zu gelangen. Sie kauft ihm elegante teure Garderobe, arbeitet hart und
entwürdigt sich total, nur um ihm einen Sportwagen, den er begehrt, zu
finanzieren.
Die Prostituierte, die ihren Freund, ihren Zuhälter so sehr liebt, verzichtet
auf die Erfüllung der eigenen materiellen Wünsche, um Geld zu sparen und ihrem
Geliebten alles für ihn so Begehrenswerte zu ermöglichen. Sie kann seiner
"Schönheit" nicht widerstehen, liebt ihn abgöttisch, ist von ihm emotional
abhängig und verharrt in diesem Gewerbe, um ihn zu unterhalten. Sie betet ihn
an, er ist ihr moralischer Halt, ihr gesellschaftlicher Fels, an welchen sie
sich klammert und an dem sie sich festhält. Durch ihn fühlt sie sich als
gesellschaftliches Individuum anerkannt, braucht ihn als gesellschaftliche
Legitimation, die ihre Schuldgefühle minimiert.
Die Prostituierte, die die gesellschaftlichen Sittenmaßstäbe, ihre
Festschreibung nie in Frage stellt, betrachtet ihren Job als eine Schande. Ihr
Partner, der sie rabiat übervorteilt, gewährt ihr die Möglichkeit, nach außen
doch als "normal" zu gelten, was sie so anstrebt und äußerst benötigt. Er treibt
sie an, da sie sonst nie den Mut zur Prostitution haben würde. Obgleich sie die
männliche eitle Arroganz haßt, eine Verachtung, einen Widerwillen gegen den Mann
empfindet, ist sie ihrem Partner ergeben und beinahe gehorsam. Sie braucht die
männliche Protektion, seine Unterstützung, da sie sonst Gefahr läuft, sich
selbst zu verachten.
Das Kapital, das die Prostituierte anfänglich benötigt, sei es für ihre
Unterkunft, sei es für ihre Garderobe, werden ihr in manchen Fällen von einem
Zuhälter oder von einer Kupplerin gestellt, die damit Rechte über sie erwerben
und den größten Teil ihres Verdienstes an sich reißen. Frauen, die in solchem
Zuhälterverhältnis leben, ihren Verdienst abführen müssen, verfügen über eine
enorm labile psychische Konstitution. Sie sind verzweifelt und de facto
depressiv; sie benötigen den Mann, da sie ihr Leben allein nie leben könnten. Er
ist ihr "Lebenshelfer" und gleichzeitig ihr "Beschützer", den sie gütlich und
großmütig entlohnen. Sie wird eng an ihn geschmiedet und liebt ihn vorbehaltlos.
Sie kennt psychische Tiefs, einhergehend mit Schwinden der Lebensfreude, gar des
Lebenswillens. Der Freund, der Mann ist ihr Lebensinhalt, ihre Lebensaufgabe,
ihr Lebenselixier. Sie ist nicht in der Lage. diesem Verhältnis zu entfliehen
und zu gesunden. Der Zuhälter fungiert oftmals als Vater, so dass die
psychoanalytische Erklärung dieser Verbindung scheinbar in Elektra-Komplex zu
münden vermag. Die Frau wird mit Gewalt unterdrückt, verängstigt, mit subtilen,
psychologischen Mitteln bearbeitet, dressiert und trainiert, jeglichen
Selbstvertrauens und jeglichen Mutes beraubt. Sie kann letztlich ohne weiteres
in den Selbstmord getrieben werden. Die Prostituierte ist das verschiebbare
Objekt, der Stoff des Mannes, dem er sich keinesfalls verpflichtet fühlt.
Die Mehrheit der Prostituierten arbeitet nicht in der Nähe ihrer Familie, aus
Angst und Sorge um ihren Ruf. Sie wissen, dass ihre Form Geld zu verdienen, aufs
äußerste verachtet wird und sie samt und sonders erbarmungslos in Verruf bringt,
sie erniedrigt, zu Parias herabwürdigt. Diese Tatsache zwingt viele
Prostituierte unter Pseudonymen zu arbeiten. Sie wollen anonym bleiben und vor
allem dem Verlust der gesellschaftlichen Integrität vorbeugen. Lediglich die
Polizei, gegebenenfalls die Razzia, das Gesundheitsamt und der untersuchende
Arzt erfahren ihre wahren persönlichen Daten. Die Sexarbeiterin ersehnt einen
Beruf, der ihr möglicherweise als Alibi dienen könnte. Sie verfügt offiziell
über gar keine Rechte, in ihr werden alle Gestalten der weiblichen Sklaverei
vereinigt. Die Prostituierte ist ein Sündenbock, eine Ablaufrinne und Latrine.
Der Mann benutzt sie, entlädt seine sexuelle Gier an ihrem Körper und verleugnet
sie schließlich. Die augenblickliche Gesetzgebung führt zu systematischen
Kasernierung und Ghettoisierung der Prostituierten.
Das Recht auf Leistungen der Sozialversicherung (Arbeitslosigkeit, Krankheit,
Altersversorgung etc.) werden ihr weitgehend verwehrt. Sie wird zwar toleriert,
kann allerdings strafrechtlich verfolgt und unter Polizeiaufsicht gestellt
werden. In bürgerlichen Kreisen wird sie mit einem Schrecken erregenden Nimbus
des Tabu umgeben, das ihr weitere schikanöse Diskriminierung einbringt. Sie
versinnbildlicht den Schmutz der widerwärtigen weiblichen Natur. Sie ist eine
Person mit zweifelhaftem Charakter, mit widerlichem Ekel behaftet, treibt sich
herum, entwürdigt und demoralisiert ihre Umwelt und lässt ihre Kinder verkommen.
Weiterhin wird ihr vorgeworfen, dass sie das unbekümmerte Lotterleben der
Verantwortung vorziehe, Luxus liebe und ihre Kinder zur Nachahmung animiere.
Sie ist sinnlich, toll, gefährlich, bösartig, schlecht und ausbeuterisch und ist
in der Lage, den Mann zugrunde zu richten, mit gefühllos gewordenem Herz, das
auf ihr losgelöstes Sexualverhalten, auf Geschlechtsverkehr ohne innigste
Zuneigung, ohne Sympathie zurückzuführen ist. Das Hurentum ist vulgär und
gewalttätig.
Die Kurtisane ist das monströse, erotomanische Ungeheuer, das "keift, kreischt,
spuckt, kratzt, furzt, beißt, anspringt, in Fetzen reißt, schlampig ist,
wirrezersaust, fauchrot, unanständig; das herumhurt, sich auf die nackten
Schenkel schlägt und sich nicht genug tun kann im Auslachen dieser Männer..." 1)
Sie ist eine Horrorgestalt, ein Satan, Teufel, Vampir, eine Hexe, eine Hyäne und
wird unentrinnbar mit Verbrechen und Verderben verknüpft. Sie ist die
Kriminalisierte, der man wenig Glauben schenkt.
Das sogenannte "Strichmädchen", die Vertreterin des "horizontalen" Gewerbes"
entfesselt rachedürstige Instinkte, die die normale Frau oder der normale Mann
nicht gerne zugeben. Sie empfinden Gier und Interesse für die Prostitution,
trauen sich allerdings nicht, in das Sexmilieu einzutauchen. Geschieht dies,
dann nur heimlich. Die Frauen beneiden die Prostituierte für das, was sie selber
gerne sein würden. Sie ist im Besitz eines dreckigen Hurenleibes, sie geifert
und ist hysterisch. Ein schmutziges Tier mit Fratze, das den bösen Teil der
Menschheit ausmacht. Als lieblicher Schatz, als "Nüttchen" wird sie nur im
nachteiligen Sinne beschimpft. Ihre Bedrohlichlkeit rührt scheinbar von ihren
sexuellen Erfahrungen her. Jede Bewegung, jede Biegung dieser Frau ist
aphrodisierend und allenthalben eine Provokation. Das Strichmädchen trieft vor
libidinisierender Vulgarität, vor Sinnlichkeit und verführerischer Kunst. Ihre
Verfolgung ist nicht primär aus der spezifischen Organisation des
gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses herzuleiten, sondern ebenfalls aus
der ökonomischen Perspektive. Der Fiskus ist bestrebt, alle Gelder der
Prostituierten zu besteuern und der Steuerhinterziehung endlich auf die Spur zu
kommen. Manche Prostituierte geben aus Angst freiwillig einige ihrer Einnahmen
an, um der reellen Besteuerung zu entkommen.
Die Prostituierte ist für die wissende Umwelt ein ausbeutbares Material. Ein
Taxifahrer. der über ihrer Arbeit Bescheid weiß, fährt Umwege, jegliche
Abkürzungen meidend, sehr langsam und jede Verkehrsampel hypervorsichtig
anfahrend. Er will Geld "absahnen". Das Restaurant, das Bordells beliefert,
verfährt ähnlich. Bestellungen werden nicht gewissenhaft erledigt, zu überhöhten
Preisen an die Damen geliefert. Manche Prostituierte setzen sich zur Wehr, um
dem System der Übervorteilung Einhalt zu gebieten.
Die Inhaber von Kosmetikstudios, von Saunas, die eigentlich als Puff fungieren,
machen fingierte Auszahlungszettel, um zu hohe Besteuerung zu verhindern. Sie
täuschen in einer geschickten und "intelligenten" Weise das Finanzamt, das ihnen
ansonsten kaum die Chance des Weiterbestehens ermöglicht. Sie werden in einer
Größenordnung besteuert, die nicht den realen Ausmaß trifft. Auch werden
Prostituierte in der Öffentlichkeit nicht als gleichrangige Bürger behandelt.
Dies ist ein Paradoxon. Das Aufschreiben der täglichen Leistungen in den
Arbeitswohnungen und Bordells erfolgt in Codes, deren Dekodierung nur der Chefin
und den Frauen bekannt ist. In manchen Clubs wird mit Chips gearbeitet, oder das
Geld nach dem "Bedienen" sofort ausgezahlt. Das mühselige Gewerbe der
Prostitution lässt die Frau de facto auf das Niveau einer Sache degradieren. Sie
wird dementsprechend gedemütigt. Sie ist das Objekt, an dem man sich rächen,
entladen könne. Sie dient als Abtritt.
Während des Sexdienstes ist sie mal die böse, zügellose Frau, die an all seinem
Ärger Schuld hat, mal eine gute Frau, die ihm Glück beschert. Die Schmuseworte
"Schätzchen", "Liebchen", welche in der Euphorie des Koitus fallen, sind Formen,
die im Grunde ihres Tenors erniedrigend gemeint sind. Die Betörungsversuche, die
Komplimente und Schmeicheleien vieler Kunden laufen nur darauf hinaus, ihre
Bereitschaft zu erhöhen, ihm mehr Sexualität zu schenken. Es wird ihr mehr Geld
versprochen, das er nachzahlen wolle, wenn sie im Bett gut sei.
Die einprägsamen Vornamen der Prostituierten sind für die Kunden frei
disponibel, ungebunden und austauschbar. Die Prostituierte ist ein erotisches
Objekt, ist sexuell aktiv und erscheint dem Mann dadurch unheimlich. Sie wird
mancherseits als "Irre" verschrien, da sie in die konventionellen Normen nicht
hineinpasst. Ihr Sexus wir erbarmungslos ausgenutzt. Sie ist die sexuelle
Nahrung, die den Liebeshunger des Mannes stillt. Sie muss ohne Unterlass ihr
Herz, ihren Unterleib im Griff haben. Sie täuscht dem Kunden Liebesfreude vor,
selbst allerdings empfindet sie mehr als Ekel. So gleicht einer hölzernen
Gestalt, ist zu einem Replikanten degradiert, der die Funktion ausübt, die ihm
zugeteilt wird. Sie vermag durchaus relativ hohe Geldsummen zu verdienen, wird
aber gänzlich entlebendigt und funktionalisiert. Sie ist namenlos und fast
ichlos. Sie wird aufgelöst in das unbestimmte weite Prinzip des Genusses, der
unendlichen Lockung und Begeilung.
Diese Entgrenzung und Entwirklichung, gekoppelt mit Entpersönlichung stellen
eine besonders schlimme Form der Unterdrückung dar, welche die Frau austauschbar
macht und zum eigentlichen "Nichts" degradiert, das bedenkenlos verschiedenartig
geformt in Anspruch genommen werden kann. Sie wird automatisch mit "Trieb"
gleichgesetzt.
Prostituierte werden gekauft, benutzt und fallengelassen. Sie werden kaum in die
Gesellschaft integriert und sind mit einem Pesthauch behaftet. Lediglich mittels
ihres verdienten Geldes vermögen sie sich Respekt zu verschaffen. Oftmals werden
diese Frauen von Männern verlassen, sobald diese erfahren, dass ihre Freundin,
Geliebte der Prostitution nachgeht.
Die Prostituierte verachtet ihren "Freier", den sie so wunderbar durch
vorgespielten Genuss täuschen kann. Sie empfindet ihm gegenüber Gleichgültigkeit
und Abscheu, die sich meist mit einem Ekel erfüllten Hass paaren. Sie tritt ihm
meist angewidert und mir Skepsis gegenüber. Die Bezahlung wird in den meisten
Fällen vor der Leistung verlangt. Er ist ein Geld tragender Android, den man nie
gehen lassen darf. Der Freier redet ein sinnloses Zeug, das man nicht ernst
nimmt, ihm trotzdem zuhört, damit er zahlt. Gewiss wird unterschieden zwischen
gepflegtem, galanten und unsauberem Gast, zwischen nettem, konzilianten und
impertinentem, zwischen wohlhabendem und minder bemitteltem. Im allgemeinen aber
sind es Männer, die langweilen. Der stete Umgang mit dem männlichen Geschlecht
verleiht der Frau eine enorme Männer-Kenntnis. Sie ist in der Lage, dem Mann
beinahe seine sexuelle Manier, seine soziale Zugehörigkeit anzusehen. Sie steht
im Dienste jedes Mannes und hat den Mann jeder Couleur und jeder sozialen
Herkunft zufrieden zustellen. Sie muss sich der Polizei und vielerorts einer
erniedrigenden ärztlichen Kontrolle aussetzen. Trotz der Präservative und
Kondome läuft sie Gefahr vielfältiger venerischer Infektionen.
Das Damoklesschwert "Aids" bedroht ihr Leben. Die Prostituierte wird von
infamen, unwahren Gerüchten verfolgt, denen üble Verleumdungsabsichten
innewohnen. Sie muss sich mit administrativen Zwängen auseinandersetzen. Eine
irrationale Hurenverachtung wird stets mobilisiert, die das Nachgehen der
Prostitution erschwert. Unterschriftensammlungen, Initiativen sind bemüht, ihr
Arbeitsgebiet auszutrocknen. Sie wird auf das "vogelfreie" rechtlose Sachgut
herabgemindert, das in der Welt der Institutionen, der Formalitäten kaum ernst
genommen wird. Sie ist die fleischliche Verkörperung von "Pest", die der
gesellschaftlichen Öffentlichkeit ein Dorn im Auge ist, den man ausmerzen müsse.
Vor Gericht wird es ihr untersagt, als Zeugin zu fungieren, sie darf keine
öffentlichen Ämter bekleiden. Es wird ihr auferlegt, cirka zwei Jahre zu warten,
bis sie die Lizenz und Konzession für die Er"ffnung eines Geschäfts, einer
Boutique, eines Restaurants etc. erlangen kann.
Ob sie dann wohl gereinigt ist?
Jegliche Lebenshaltung, Denkart, persönliche Lehre wird diskreditiert, wenn
Prostituierte für ihre Durchsetzung kämpfen. Der Grad der offensiven Haltung,
der entrüsteten Häme gegen Prostituierte hängt von der psychischen Konstitution
des Menschen, von seiner Sozialisation und von seinen sexuellen Erlebnissen ab.
Sicherlich spielen hierbei noch mehr Faktoren eine Rolle, die psychologisch zu
werten sind. Der Anti-Huren-Komplex, das Anti-Huren-Syndrom trifft in
aufgesetzter Schärfe unentwegt zutage. Für die Gesellschaft gilt die
Prostitution als ein pathologischer Auswuchs. In Wirklichkeit sind Prostituierte
Opfer der moralischen Heuchelei und der psychopathischen sexuellen Moral, die
Ordnung und Leblosigkeit fordern.
3. Psychologischer Aspekt
Die Frau bietet ihren Körper feil, um endlich ihrer sozialen Bestimmung zu
entfliehen und näher an die feine Gesellschaft, an die ansonsten für sie so
unerreichbare Noblesse zu gelangen. Die Prostitution verhilft ihr möglicherweise
dazu. Sie vermag ein relativ angenehmes Leben zu führen und verfügt über gewisse
Unabhängigkeit.
Ihre Sexualität, ihr Körper, ihr Busen wird zum Sexual- und Marktwert, die
fingierte Liebe zur Technik. Sie konzentriert sich auf diese Funktion und
versucht, alles zu vermeiden, das sie beeinträchtigen könnte. Sie nimmt ihren
Körper und die gesellschaftliche Wirklichkeit in Beschlag, um daraus Kapital zu
schlagen. Ihre Reize werden zu einem intimen Handelsobjekt. Es erfolgt action
gegen cash.
Der Körper, die äußere Präsentation und Physiognomie stellen primär das
entscheidende Kapital, die existenzielle materielle Basis, die generelle
Handelsgrundlage der Prostituierten dar, die sie drastisch hüten muss. Sekundär
ist die äußere Erscheinung ebenso eine Quelle ihres Selbstbewusstseins. Ist dies
nicht der Fall, wird sie wohl finanziell als auch psychisch-seelisch in morbide
Verzweiflung getrieben. Sie betrachtet ihre Weiblichkeit als ein Instrument und
Werkzeug zum Geldverdienen und zum Erlangen von Selbstbewusstsein. Die
Prostituierte verfügt in der Regel über keine anderen Bestätigungsfelder, die
ihrem Dasein einen tieferen Sinn verleihen. Die Folge ist, dass sie ihre äußere
Staffage so sehr benötigt, um außerhalb ihres Milieus überhaupt fungieren zu
können. Ein Verbalhornen, ein Tadeln ihres Outfits, geschweige denn deren
Verneinung kann für sie schlimme Folgen haben und sie in Melancholie,
Depression, Mutlosigkeit und Schwermut treiben.
Sie will bei ihrem Gast die absolute Anerkennung ihrer Schönheit, ihrer Statur,
ihres Selbst heraushören. Sie braucht die Bestätigung, um zu "sein", um zu
"existieren". Ihre schmerzliche Abhängigkeit von ihrem Äußeren kann sie
buchstäblich ruinieren. Die Kokotte ist von ihrem Arbeitsmilieu, dem das Äußere
als Geldquelle dient, sehr geprägt. Da an ihrem Arbeitsplatz ihr Körper, ihre
Feminität, ihre Umgangsformen, Allüren und Etiketten stets zweckgerichtet sind,
verhält sie sich in gleicher Manier auch außerhalb des Bordells. Sie ist über
kurz oder lang "puffgeschädigt" und unfähig, sich von der Funktionalisierung der
eigenen Person zu trennen. Ihre starke "Seite" besteht in ihrer Körperlichkeit,
in ihrem Aussehen und in der körperlichen Veräußerung. Es sind Mittel, welche
die Männlichkeit locken und bestricken.
Sie ist sich dessen bewusst, dass nur, wenn sie körperlich gut bestückt,
figurell passabel proportioniert ist, "geil", erotisch aussieht, die männliche
Kundschaft nach ihr zu gieren und zu lechzen vermag. Diese Momente lassen sie
famos erscheinen, erheben sie gewaltig und lassen ihr Selbstwertgefühl vermehrt
anwachsen. Sie schöpft daraus unentwegt ihr Selbstvertrauen und ihre
Selbstsicherheit. Jedwede Infragestellung verursacht eine tiefgründige
Verunsicherung, eine seelische Erschütterung. Da das gesellschaftliche Leben der
Frau wesentlich mehr Schönheitsattribute abfordert, als dem männlichen Wesen,
wird sie in eine Rolle gedrängt, die sie erfüllen muss, um dem allgemeinen Image
zu entsprechen. Die meisten Kurtisanen sind bemüht, dem gängig aktuellen
Frauenideal entsprechen, da sie sonst über keine Bestätigungsfelder verfügen.
Die Prostituierte ist ohne ihre "Schönheit" wehrlos und substanzlos, von einer
immensen Schwäche gekennzeichnet. Verunsicherung, Schwäche, Hilflosigkeit,
Verängstigung, Verwirrung, gekoppelt mit kompensatorischer Aggressivität,
begleiten ihr Verhalten. Das tritt flagrant zutage, sobald sie mit staatlich
autorisierten Institutionen und Organen konfrontiert wird. Die polizeiliche
Razzia, nächtliche Fahndungsstreife, das Gesundheits-, Finanz-, Ordnungsamt,
Ärzte, die sie privat untersuchen, gleichen Inquisitionen, die sie bedrohen und
de facto in ihrer Gewalt haben. Jederzeit können sie der Prostituierten die
Handschellen anlegen, wenn sie nicht im Besitz der nötigen Papiere (Ausweis,
Attest, Syphilis-, Aidsnachweis und dergleichen) ist. Eine polizeiliche
Festnahme bedeutet fRr die Prostituierte fast immer eine ungeheure nervliche
Belastung.
Alle Prostituierten sind verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen.
Jedoch ist die Pflicht regional verschieden und abhängig von der
Gewissenhaftigkeit der Bordellinhaber. Aids-, Syphilis-Untersuchungen müssen
nicht überall gemacht werden, sondern können zusätzlich durchgeführt werden. Sie
liegen in der Verantwortung der Prostituierten. Eine Ausnahme bilden Bayern und
Baden-Württemberg, die diese Frauen einer rigorosen regelmäßigen Kontrolle
unterziehen und jegliches Vergehen mit erheblichen Strafen ahnden. Trotz all der
behördlichen Auflagen wird in etlichen Bars und Wohnungen ohne Kondom
gearbeitet, obgleich dadurch das Risiko einer Infektion wächst, und die
darauffolgenden Konsequenzen schwerwiegend sein können. Manchmal werden
ärztliche Konsultationen umgangen, wenn zu Gesundheitsamt und Polizei eine gute
Verbindung besteht. Klubs und Bars, die nicht als eindeutige Bordellbetriebe
kategorisiert werden, unterziehen ihre Frauen keinesfalls einer Untersuchung.
Hotelbars, Spielkasinos, die großzügig Champagner und Cocktails kredenzen,
beherbergen ebenso Kurtisanen, die sich aber lediglich sporadisch zum
Gynäkologen bemühen. Daher ist in solchen Kreisen das Grassieren von venerischen
Krankheiten stets gegeben. Generell aber ist es üblich, dass Prostituierte
wöchentlich einen Arzt aufsuchen, den sie selbst bezahlen, da viele nicht
krankenversichert, und die Krankenkassen nicht verpflichtet sind, diese Art der
gynäkologischen Untersuchung, den so genannten "Abstrich", der das Anlegen einer
Kultur bedeutet, zu finanzieren. Pflichtmäßige Untersuchungen in
Gesundheitsämtern sind selbstverständlich kostenlos, verlangen aber ein
Offenlegen aller Personalien der Prostituierten sowie ihres gesamten Wirkungsund
Aktionsradius.
In manchen Regionen Deutschlands wird die Prostituierte gezwungen, nur am
Gesundheitsamt "auf den Bock zu gehen" und darf nicht privat derartige
Untersuchungen durchführen lassen.
Da nicht jeder Arzt gewillt ist, eine Kokotte zu untersuchen, verfügt sie oder
ihre Arbeitsstelle über einen bestimmten Arzt, der bereit ist derartige
Konsultationen vorzunehmen. Mancher Gynäkologe lehnt Prostitution ab und will
daher totalen Abstand, gleichwohl sie ihn direkt bezahlen würde. Die
Prostituierte ist flüssig und tritt ihm konziliant gegenüber. Der Zunft wegen
wird sie abgewiesen und gemieden. Manche Ärzte, im Jargon des Milieus
"Höhlenforscher" genannt, treten Sexarbeiter tatsächlich mit Ablehnung
gegenüber. Sie sehen sie mitleidsvoll als nichtige rechtlose Wesen an. Diese
Allüren werden gleichermaßen von den Arzthelferinnen praktiziert. Sie ist eine
Privatpatientin, der eine bevorzugte, privilegierte Behandlung vergönnt wird.
Vielerorts werden Prostituierte vor ihrer Behandlung einer Unterredung, gar
einem Interview unterzogen, um sie auszufragen oder gar in ihre
Familiengeschichte einen flüchtigen Einblick zu bekommen. Es wird nach dem Grund
ihrer Prostitution gefragt, nach der Dauer ihrer Tätigkeit, ihr Schuld,
Schamgefühl einredend. Sie wird belehrt, und es wird ihr nahegelegt, sich
eventuell nach einer anderen Verdienstmöglichkeit umzuschauen. Ähnliche Torturen
muss sie bei der polizeilichen Registration über sich ergehen lassen.
In Bayern, Baden-Württemberg muss sie persönlich zur Polizei, zum Ressort der
Kinder- und Jugend-Kriminalität, gehen, um hier ihre Angaben zu machen. Die
Möglichkeit des Fingerabdrucks, der Angabe der Eltern, der Fahrzeugnummer, der
Ablieferung eines aktuellen Photos werden ihr überlassen.
Eine Prostituierte, die registriert ist und ihre Steuern nicht freiwillig
abführt, muss mit enormen Nachzahlungen rechnen, die so hoch angesetzt werden,
dass sie ihren existenziellen Ruin bedeuten können. Da die Gesellschaft ihren
politisch-soziologischen und ökonomischen Rahmen so ausrichtet, dass man der
Kurtisane die Ausführung ihres Berufes erschwert, sie in jeder Hinsicht
erniedrigt, ist es keinesfalls verwunderlich, dass sie ein janusköpfiges
Verhalten an den Tag legt. Der Clou ist, dass diese Herrschaften, seien es hohe
Beamte des Polizeikaders, seien es staatlich bestallte Notare und Juristen,
offiziell die Kurtisane verleugnen und verleumden, sie verhohlen jedoch
frequentieren. Die Gesellschaft baut sich auf einer Fülle von dergleichen
Widersprüchen auf. Das savoir-vivre der Nacht, das savoir-vivre des Tages kann
den Widerspruch manifest anschaulich machen.
Die bacchantische, dionysische und aphroditische Hochjubelung der
Prostituierten, die Überschwenglichkeit, welche ihr entgegengebracht werden,
wenn man mit ihr ins Bett will, die generösen Angebote und Versprechungen,
Pelze, Diamanten und ganze Häuser, die im Alkoholrausch gegeben werden,
entpuppen sich in der Ernüchterung als Geschwätz und pure Plattheiten. Es ist
ein Brimborium, das die Prostituierte gar nicht mehr wahrnimmt.
Die groteske Janusköpfigkeit und Widersprüchlichkeit, die sie täglich erlebt,
spiegeln sich in ihrem gesamten Verhalten und Handeln wider. Sie hat an ihrem
Arbeitsplatz einen souveränen Auftritt, außerhalb des Puffs ist sie extrem
verschüchtert oder extrem aggressiv. Ihre psychische Konstitution wird
einerseits von einer außerordentlichen Euphorie, andererseits von einer tiefen
Tristesse, Jämmerlichkeit und Freudlosigkeit begleitet. Sie weist keine
Kontinuität in ihrer Lebensbewältigung auf. Konformität, Opportunität,
Rücksichtnahme und Verzweiflung bilden einen Teil ihres Gesichtes, Hass,
Feindseligkeit, und Angriffslustigkeit den anderen.
Ihre Verhaltensformen rühren von aufgestauten Aggressionen her, welche permanent
unterdrückt und verdrängt werden müssen. Sobald es möglich ist, werden sie
entladen, katapultiert und richten sich vielfach gegen Personen, die als
Auslöser fungieren, jedoch nicht ihre grundsätzlichen Verursacher sind. Die
Prostitution führt über kurz oder lang zur unzusammenhängenden
Charakterstruktur, die unberechenbar sein kann. Dieses Desaster wird bedingt
durch die Prostitution, die eine immense Unterdrückungsfähigkeit des eigenen
Widerwillens, ein verstärktes Ausbilden von Mechanismen der Täuschung, der
Vorspiegelung und Verstellung abverlangt.
Die Sexarbeiterin muss lernen, ihren angeborenen Ekel, ihre Abneigung und
Abscheu zu überwinden, ihre eigenen Ansprüche zurückzustellen und das eigene
"Ich" extrem hart zu unterdrücken, das allmählich zu rebellieren aufhört, und
seine völlige Entselbstung erfährt. Dieser Vorgang wirft sie zurück und führt
zur Regression. Diese Erscheinung ist ebenso in der breiten Masse zu finden. Es
sind Menschen der niederen sozialen Schicht, sie verfügen über keine oder
lediglich elemantare Schulbildung. Die Ursächlichkeit ihres Verhaltens ist
ähnlich gelagert. Sie erfahren Unterdrückung, der sie machtlos ausgeliefert
sind, handeln in der "Radfahrerreaktion", indem sie ihre Aggressionen an
Menschen weiterleiten, die ihr Dilemma nicht immer verursachen.
Lediglich Prostituierte, die länger die Schulbank gedrückt haben, befinden sich
in der Lage, eine eigene gesellschaftliche Position zu beziehen. Sie wagen die
Bewusstwerdung ihrer Situation. Die tiefgreifende Sozialisierung,
Internalisierung und Inkulturation müssen reflektiert werden, um nicht das Opfer
der stereotypen Denkstrukturen und ihrer unbewussten Abläufe zu werden.
Seite 11
Prostitution.txt
Es ist einleuchtend, dass eine Kurtisane, die ständig Erfolg bei ihren Kunden
hat, erhöht und vielfach von Problemen, die ihrem Milieu anhaften, abgelenkt
wird. Eine ekstatische Euphorie begleitet ihre Arbeit, und erhöht ihre
Anwartschaft auf ein anderes Leben, lässt ihr leidendes, krankes Herz höher
schlagen, in spe dieses Milieu vielleicht baldigst verlassen zu können. Sie will
mittels des ersparten Geldes irgendwo in der Sonne ein genüssliches Leben
führen, sich selbständig machen oder gar Bücher schreiben. Einige Prostituierte
schaffen es wirklich, ihre Wünsche beherzt zu verfolgen und sie letztendlich zu
realisieren.
Außergewöhnlich attraktive junge Models haben sicherlich weniger Probleme mit
ihrem seelischen Befinden als Frauen, die nicht partout dem jetzigen epochalen
Frauenideal entsprechen, obgleich sie durchaus sehr hübsch sein können. Die
Attraktivität im Bordell verweist keinesfalls auf klassische Schönheit, sondern
muss eher die sexy sein. Frauen, die diese Strategie intus haben, sich "geil"
stylen, verdienen ihr Geld. Der Aufruhr der Seele, der Unzufriedenheit des
Gemüts stellt die Sexarbeiterin den Glamour des Zasters entgegen. Solange dies
funktioniert, kann sie einer ernsthaften Konfrontation und Auseinandersetzung
mit sich selbst entfliehen. Da sie aber das Älterwerden und die dadurch bedingte
zunehmende Konkurrenz nicht verhindern kann, kommen einige Probleme auf sie zu.
Ein guter Lebenspartner, falls er vorhanden ist, kann ihr dabei zur Seite
stehen. Frauen, die infolge ihres wenig attraktiven Aussehens nicht die
Gelegenheit haben, immer "viel" Geld zu verdienen, befinden sich eher in
moralischer Zwangslage.
Prostituierte verfügen samt und sonders über weit mehr Sensibilität, Empathie
und Verständnis als die Menschen, die sich in normalen Arbeitsprozessen befinden
und den Mitmenschen in seiner "Nacktheit" lediglich zuhause erleben. Aufgrund
ihres permanenten Kontaktes mit Intimitäten, mit der Not ihrer Klienten, die
bisweilen verzweifelt, geistig oder körperlich behindert sind, erlangt die
Kokotte ein geschärftes gefühlsmäßiges Empfinden. Ein enormes Hineinfühlen, das
Wahrnehmen der vielfältigsten Gefühle und Empfindungen, Ertasten von
Befindlichkeiten sind ihr eigen. Infolgedessen wird sie auch ihrer eigenen
Emotionalität, ihrem Leiden aufs äußerste ausgeliefert. Sexarbeiterinnen weisen
eine extreme Feinfühligkeit und eine ungeheure Wahrnehmung von Stimmungen auf,
bedürfen starker seelischen Wärme, suchen nach familienähnlichen
Arbeitsverhältnissen. Sie lassen sich fallen, lehnen sich an und genießen die
Fürsorglichkeit der Chefin oder des Chefs. Die Verlorenheit, Verzweiflung,
Stigmatisierung, Desorientierung, die soziale Zurückweisung und das
Ausgestoßensein werden von ihr in aller Klarheit wahrgenommen und tagtäglich
gespürt. Es sind blutende Wunden und schmerzende Blessuren, stets präsent und
unverkennbar. Eine subtile, nervliche Folter und Quälerei, der sie sich um des
Geldes Willen unterzieht.
Sie konsumiert Alkohol, Drogen und Tabletten, um sich abzulenken und besser
arbeiten zu können. Es ist allerdings eine Tatsache, da Prostitution die Frauen
allmählich all ihrer Ideale, Illusionen und Träume beraubt. Der Versuch der
Liebe wird zur Wunschvorstellung, die Beziehung aus der Perspektive der
Spekulation und Kalkulation eingegangen. Unbehagen und Unwohlsein, verknüpft mit
Frustration, Traurigkeit und Hilflosigkeit grassieren und treten in der Form von
Symptomen der Appetit-, Schlaflosigkeit, der Nervosität, des Schmerzempfindens,
der Weinkrämpfe und dergleichen zu Tage. Sie ist bedrückt und konfus, ohne
innere Ruhe und sucht vermittels des Geldes ihr defizitäres psychopathisches
Verhalten zu kompensieren.
Das Verhältnis der Frauen, die gemeinsam arbeiten, sei es auf der Straße, im
Bordell, im Club oder in einer Wohnung wird im Großen und Ganzen von einer
instinktiven Kollegialität begleitet, die allerdings umschlagen kann. Sie sind
nett und freundlich, obgleich sie zunächst eine gewisse Zeit der
"Beschnupperung" nötig haben, die gewiss aggressiver Art sein kann. Mal
unterhalten sie sich oberflächlich, mal banal, mal tiefgründig und kompliziert.
Unbewusst sprechen sie Lebensfragen an, die gesellschaftskritisch orientiert
sein können. Sie sprechen Privates an, beurteilen Schönheitsoperationen. Sie
geben einander Rat, sprechen über Krankheiten, Alkoholprobleme, Essgewohnheiten,
Schonkost etc. Ihre Konversation ist ehrlich und lebensnah, niemals abstrakt
oder philosophisch. Empfindlichkeit, Feindseligkeit, Eifersucht, Futterneid,
Konkurrenz und schikanöses Verhalten (Verstecken von Kondomen, Strapse und so
fort) sind ebenso an der Tagesordnung.
Die wohlbekannte Radfahrerreaktion tritt hier verstärkt auf. Frauen, die in
vornehmen, privaten Klubs tätig sind, schauen mit Missachtung auf ihre
Kolleginnen, die sich auf der Straße verdingen. Sie bezeichnen sie als asozial,
um sich in einem besseren sozialen Licht darzustellen und von der eigenen
bedrückenden Problematik abzulenken. Ausländer werden von ihnen ebenso abfällig
behandelt. Tiefe, ehrliche Freundschaften entstehen in diesem Milieu eher
selten, wohl aus dem Manko heraus, die polare Dualität nicht überbrücken zu
können.
Außerdem will die Prostituierte, aus dem Milieu ausbrechen und ist bestrebt,
Verbindungen und Kontakte zur anderen "Welt" zu knüpfen. Sie wünscht sich, einen
gutsituierten, wohlhabenden, begüterten Herrn kennen zu lernen, der sie
heiratet, so dass sie unter die bisherige Form der Lebensbewältigung endlich
einen Schlussstrich ziehen kann. In ihrem Kummer und Ungemach empfindet sie
andererseits viel Solidarität und Verbundenheit zu Außenseitern, zu Menschen,
die gesellschaftlich versagen, zu Notleidenden und zu Kriminellen. Sie steht
ihnen bei, unterstützt sie und ist gar emotionell mit ihnen verflochten. Mancher
Gatte, Geliebter einer Kutisane befindet sich im Gefängnis, sei es wegen eines
Einbruchs, sei es wegen Drogen und dergleichen. Sie steht ihm bei und
unterstützt ihn. Sie fühlt sich ihm verbunden. Beide sind Ausgestoßene und
Outcasts und suchen die soziale Integration. Die Prostituierte ist janusköpfig
und wandelt zwischen Extremen. Sie verfügt über kein tiefes, dauerhaftes
Fundament, verliert in Augenblicken des Alleinseins den Respekt vor sich selbst
und erliegt einer fundamentalen Anfechtung, die einen Strom von Unglücklichsein
nach sich zieht. Die Wertschätzung ihrer Person wird geringer, bis sie sich
völlig aufzulösen scheint. Die Bereitschaft zur Selbsttötung ist bei
Prostituierten gegeben, begründet durch stete gesellschaftlichen Diskriminierung
und Zurücksetzung. Ihr wird die Würde entzogen, da ihr Körper beständig zensiert
wird. Die Anschauung, der Körper ist nicht alles, das Bewusstsein eine
unsagbare, unbeirrbare Schönheit, haben in diesem Milieu keinen Widerhall und
keine Resonanz. Die Prostituierte und ihr Wohlbefinden hängen von ihrem Körper
ab, wobei sie ihren Geist und ihren Intellekt vernachlässigt. Für sie nimmt der
Kampf gegen das Altern eine überaus dramatische Dimension an.
Das Klimakterium und das Alter versetzen sie schließlich in einen Schock, in ein
Trauma. Es bedroht sie, da sie ihres hübschen Körpers, der ihr sicherstes Gut
ist, verlustig geht. Sie verliert ihre Existenzgrundlage, wenn der Mann sie
nicht mehr begehrt. Um das Altern so weit wie möglich hinauszuschieben,
unterwirft sie sich permanentem Essensentzug, Diät, die ihre tägliche Last
darstellen. Sie macht Gymnastik, walkt regelmäßig oder geht in Fitness-Center
und dies nicht immer aus Freude, sondern oft aus dem krampfhaften Zwang heraus,
den natürlichen Vorgang des Vergehens aufhalten zu wollen. Sie unterzieht sich
kosmetischen Operationen, um ihren Busen zu vergrößern, zu straffen oder um sich
im Ganzen zu verjüngen. Frischzellenkuren werden ihr verschrieben, für die sie
teuer bezahlen muss. Psychosomatische Störungen, ein krankhafter Wechsel
zwischen Magersucht und Fettsucht kennzeichnet die Konstitution vieler dieser
jungen Frauen.
4. Prostitution und Kunst
Die Prostitution und die Kunst stehen in ungewöhnlicher Querverbindung
zueinander. Die Schönheit, der Eros, die Wollust werden mit den Künsten in
zweispältiger Weise verknüpft. Die Entblößung des Körpers, die Zurschaustellung
des entschleierten Leibes, die Nacktheit an sich ist ein künstlerischer Akt. Die
zurechtgemachten Prostituierten mit exhibierendem Charme und raffiniertem
Sex-Appeal sind exzellent lebende Bilder, "künstlerische Posen". Es ist eine
schöpferische Aktivität, den Körper, das Antlitz so zu stylen, dass es attraktiv
aussieht, die Männer bestrickt, sie in ihren Bann zieht und mit ihrer Präsenz
einfängt.
Für Maler, Bildhauer, Literaten ist die Prostituierte ein Idol, eine
Ideenspenderin, die seine Werke nährt. Als Modell wird sie gemalt und bewundert.
Henri de Toulouse-Lautrec weilte oft in Pariser Bordells und Kabaretts ("Le
Mirliton", "Moulin Rouge", "Jardin de Paris" und viele andere). Für
Toulouse-Lautrec ist das Bordell die Widerspiegelung des jeweiligen
gesellschaftlichen Lebens, also eines einzigen großen traurigen Theaters, eines
Cabarets, eines Zirkus und Jahrmarkts. Es ist das Terrain, wo man der Vielfalt
und Widersprüchlichkeit, der Triebhaftigkeit und Verklemmtheit, der
Beschränktheit und Genialität, der Güte und Schlechtigkeit, der Exhibitionslust
und Introvertiertheit, der Raffinesse und Leichtgläubigkeit, der Jugend und dem
Alter, dem Glück und der Melancholie begegnet. Henri de Toulouse-Lautrec nimmt
begierig diese Wirklichkeit in sich auf. Er bewundert die Prostituierte und
nimmt sie sowie ihr Milieu als künstlerisches Motiv in Anspruch. Georg Büchner
mit "Dantons Tod", Emile Zola mit "Nana", Robert Bresson mit "Les Dames de Bois
de Boulogne", Bertolt Brecht mit den frühen Werken "Straßen der Stadt" und der
"Dreigroschenoper", Jean-Luc Godard mit "Le Plus Vieux Metier du Monde" greifen
wichtige Bestandteile des Milieus auf, welche für ihre künstlerische und
schöpferische Arbeit unentbehrlich sind.
II. Funktion
Das Milieu der Prostitution ist in seinem lokalen Ausmaß sehr schwierig zu
erfassen. Es gibt die unterschiedlichsten Betätigungsfelder der Prostitution.
Die nächtliche Bar inklusive Hausbesuch, private Wohnung, Appartement als
Tagesbordell, Kosmetikstudio, Fitness-Center, Sauna als abwechslungsreicher
Puff, Peepshow, Straßenprostitution, Ehe-, Hausfrau, die sich in ihrer Wohnung,
in der Abwesenheit des Gatten, verdingt, bilden nur einen Teil dieser Vielfalt.
Stundenhotels, große Privathäuser, Privatwohnungen, Tanzbars, Massagesalons sind
begehrte Sexlokalitäten, in denen das Gewerbe vermittelt und ihm nachgegangen
wird. Prostitution tritt auch privat auf (Call-Girl, Automobilprostitution und
dergleichen) und wird vielfach von Männern organisiert. Es handelt sich hierbei
um ein kapitalkräftiges Feld, das zwar wegen der Immunschwächekrankheit "Aids"
enorme Einbußen erleidet, die Notwendigkeit seiner Präsenz nie versiegen wird.
Das Bordell ist ein therapeutischer Ort, wo eine Explosion der permanent
zurückgedrängten aufgestauten sexuellen Energiepotentiale stattfindet. Die
Aufstauung wird durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verursacht, die
den sexuellen Trieb an sich als ein Laster offiziell aburteilt. Das "Laster"
kann in der Intensität nicht in der breiten Öffentlichkeit behoben werden und
bedarf eines speziellen von der Gesellschaft abgeschirmten Platzes.
Nachweislich minimiert die Prostitution Vergewaltigungen, Ausschreitungen sowie
abnorme sexuelle Delikte, so dass sie nicht nur als ein langfristiges Ventil,
sondern ebenso als eine augenblickliche Abhilfe fungiert. Der verspießte
Pharisäer findet in der Prostitution seine Entladung. Prostitution ist für die
Lebenserhaltung dieser Gesellschaftsform enorm wichtig, sie beschwört den
Fortbestand der Monogamie. Ihre signifikante Bedeutung liegt in der
Konservierung des moralinsauren gesellschaftlichen Theaters. Sie ist
lebensnotwendig für das geordnete Funktionieren des Menschen.
In der Welt der Prostitution zeigt sich der Mann als tyrannisch, sadistisch,
gewalttätig, kindlich, masochistisch und schüchtern. Das Bordell erlaubt ihm
sich zu exhibitionieren. Hier kann es sich völlig entblößen, dem sexuellen
Drang, der spezifischen sexuellen Neigung freien Lauf lassen. Die grelle
Triebangst, die ihm von Kindesbeinen an eingeimpft wird, verblasst. Die
Beherrschung der Triebe, die ihm gelehrt wird, wandelt sich in ein freies
Brausen der Lüste. Es liegt ein Mangel vor, der nach Ausgleich verlangt. Es ist
keine Störung. kein Fehler in der Individuation, sondern eine gesunde Forderung
nach Dynamik.
Die gewöhnliche Zweierbeziehung verblasst und verliert an Erotik und Vitalität.
Der Mann lebt seine Neigungen aus und verschafft ihnen freien Lauf. Er sucht die
Räumlichkeit des Bordells auf, um sich sexuell zu entladen und simultan seine
Aggressionen, sein Unbehagen, sein Unwohlsein zumindest teilweise zu verringern.
In dieser Welt traut er sich, seine Wünsche und Sehnsüchte, seine skurrilsten
sexuellen Fantasien, seine Ansprüche zu manifestieren und ihrer Verwirklichung
näher zu kommen.
Die Nachfrage nach Bordells wächst und schafft großes Angebot. Es ist eine
Heuchelei sich darüber zu wundern und zu mokieren. Das Spektrum des
Bordellpublikums ist bunt und vielfältig, seine Skala breit gefächert und
weitreichend. Es erstreckt sich vom ärmlichen Lohnabhängigen bis zum
wohlhabenden Direktor, vom jungen Mann bis zum bejahrten Greis. Sämtliche
Generationen und etliche Schichten sind im Bordell vertreten
Die Vielzahl der Puffs bietet für alle Schichten den passenden Standard. Er
reicht von einfachen Billigpuffs bis zu illustren edlen Bars und vornehmen
Privatklubs. Im allgemeinen lässt sich festhalten, dass der Mann nur selten dem
"Freudenhaus" den Rücken zukehren würde, wenn er ohne Zwang die Entscheidung zu
fällen hätte.
Die Kunden sind Männer, die gewöhnlich in konventionellen monogamen
Eheverhältnissen oder Beziehungen leben. Manche leben auch als Single. Ältere
Männer, die einen großen "Hunger", "Appetit" auf eine junge Frau verspüren. Ihre
Frauen wollen vom Sex nichts mehr wissen oder würden auch ihrerseits lieber mit
einem jüngeren Mann verkehren. Männer, die körperlich oder geistig behindert
sind, in den Rollstuhl verdammt und kaum eine Chance haben, mit einer Frau
sexuellen Kontakt aufzunehmen, suchen im Bordell ihre Befriedigung und sexuelle
Entlastung.
An Schwachsinn Leidende, Spastiker machen vom Bordell Gebrauch, selbst wenn sie
dadurch immense finanzielle Einbußen erleiden oder auf andere lebensnotwendige
Dinge verzichten. Junge Männer frequentieren das Milieu, um den Thrill des
Verruchten, des Berüchtigten und des Niederträchtigen zu verspüren. Sie
empfinden eine Neugier und möchten das schlüpfrige "obszöne" Flair und Fluidum
dieses Ortes kennen lernen. Der junge Mann ist erpicht auf sexuelle Abenteuer
und frivole Eskapaden, die eine feste Beziehung eher ausschließt. Falls der eine
oder andere Mann mit einer Freundin zusammenlebt, sie zu lieben glaubt,
verzichtet er im Bordell auf den Geschlechtsverkehr und verlangt lediglich
Fellatio oder "Handmassage". Er meint, mit diesem Entschluss werde er seine Frau
nicht betrügen können. Gewiss treiben innere Einsamkeit, seelische Not und
Ungemach die Männer in die Sexzentren. Schließlich Betrunkene, vielfach auch aus
akademischen Kreisen, die nüchtern dessen Schwelle nie betreten würden.
Jung und alt suchen das Bordell auf, um hier den gesellschaftlichen Zwängen, den
universellen Lebensnormen und Verpflichtungen zu entfliehen. Es ist ein
Eskapismus, denn jemanden kennen zu lernen kostet Zeit und auch Überwindung.
Manche haben den gewöhnlichen Koitus übersatt und erwünschen mehr sexuelle
Phantasien. Sie wollen ihre sexuellen Träume Wirklichkeit werden lassen.
Verheiratete Männer sehnen sich nach einer vorübergehenden Befreiung aus dem
Familiengefängnis, aus der konventionellen Ehezange. Das Korsett, in das er mit
seiner Einwilligung gezwängt wird, verliert im Puff zeitweilig seine
Zwanghaftigkeit und lässt in seiner Intensität nach. Mangels Courage und
Selbstbewusstseins ist nicht jeder in der Lage, seine eingefahrene Situation zu
ändern. Sie birgt nämlich auch Vorteile, ökonomische Bequemlichkeit und
beständige Sicherheit. Er geht konform, um nichts zu gefährden.
Ehemänner, die zu lethargisch, zu gehemmt sind, sich mit ihrer Lebenspartnerin
über Sex, über ihre sexuellen Fantasien zu unterhalten. Der Mann wird in seinem
Phlegma gefangen und unbeweglich gemacht. Beide müssen mehr kommunizieren, um
das sexuelle Siechtum der Ehe nicht vollends zu beschleunigen. Da es möglich
ist, sich für Geld eine passende Frau zu kaufen, braucht man sich weder mit
einer dauerhaften noch mit einer flüchtigen Partnerschaft Mühe zu geben. Sie
gehen in den Puff, um sich dort "das zu holen", was sie bei ihrer Ehefrau
vermissen. Es kann sich hierbei um Fellatio, um Cunnilingus handeln;
Liebesspiele, die offensichtlich zu Hause zu kurz kommen. Die Welt des Bordells
offeriert ihm sexuelle Abenteuer dionysischer und bacchantinischer Art. Sie
ähneln orgiastischen Festen, sind voller heißer Wildheit und voll gierenden
Verhängnisses, sextrunken und zügellos.
Die Sphäre des Puffs wird quasi zur Stätte einer vermeintlichen Anarchie, die
Grenzen des jeweiligen Systems sprengend. Es ist ein Milieu außerhalb der
bürgerlichen Welt. Die Gäste, Kunden, im Jargon "Freier" genannt, sind
scheinbare Ausreißer, die ihren fest gefügten Lebensbedingungen zeitweilig
entfliehen. Sie brechen aus, um ihre Leidenschaften auszuleben. Sie werden
entlastet, gleichsam dem Vorgang einer seelischen Läuterung.
Schließlich müssen sie sich wieder dem alltäglichen Leben unterwerfen. Der Puff
räumt ihnen die Möglichkeit ein, aus dem krampfhaften Innern herauszubrechen und
ihren "animalischen", "bestialischen" Trieben Folge zu leisten. Sie wissen, dass
sie nie verraten, nie kompromittiert werden. Ihr Wunsch der Anonymität, des
Inkognito wird bewahrt und respektiert. Professoren, Direktoren, Ärzte,
Politiker, Juristen, Journalisten, Notare, Künstler, Kaufleute etc.; Männer
minder und hoch dotierter Berufe; Krankenpfleger, Arbeiter, Studenten, sie
allesamt lassen sich gleichermaßen bedienen.
Manche stehen auf Strapse, sind vernarrt in schwarze Spitzendessous, in High
Heels, welche der Prostituierten eine erhöhte stolze, aufrechte und somit
dominante Haltung verleihen. In manchen Fällen muss die Konkubine diese während
des Beischlafs beibehalten. Der Freier fetischisiert ihre Unterwäsche, ihre
Arbeitsutensilien, die er küsst, leckt und manchmal auch heimlich entwendet, in
der Art eines Kleptomanen, ohne materielle Bereicherungsabsicht.