Wikipedia:Zedler-Preis/Zedler-Medaille 2008/Selbst auf die Gefahr des Galgens
Richard Albrecht
“the chance of being hanged”: A short note on Karl Marx consideration what might take the capitals owner “to the gallows” The following piece presents a smart research report - or scholarly miscellanea - in which for the first time a specific quotation of Karl Marx (1818-1883) is translated, and discussed, in another manner. Taking the very phrase on the pursuit of maximal profit Marx worked out for characterizing the criminal, and barbaric, nature of historical development of capitalism in the first volume of his main work “Das Kapital” seriously, the author, a independent well-experienced political scientist, and social psychologist, demonstrates that Marx as an interpreter of the British unionist functionary, and writer, Thomas Joseph Dunning (1799-1873) did a bad job when translating the famous phrase which was later on, and still is until nowadays, quoted very often. When documenting the details in a short but sophisticated analysis full of exact and impressive quotations and foundings, Richard Albrecht names a basic contradictory relationship according to the author Karl Marx: on the one hand Marx is working as a scholar, naming the source he had used, exactly – on the other hand the political writer Marx does not at all hesitate to exploit another author for painting his picture on the basic nature of capitalism as an economic, social, and cultural system which will commit any crime: whenever capital expects an extremely high profit rate it will be for sure at place.
Karl Marx's Tomb at Highgate Cemetery London
„selbst auf Gefahr des Galgens“
Philologie-historische Dokumentation zu einem Marx-Zitat
Dieser Beitrag ist eine Miszelle zur Marx-Engels-Forschung. Im Mittelpunkt des (Erkenntnis-) Interesses steht ein, genauer: das in politischen Zusammenhängen oft be- und vernutzte, Zitat von Karl Marx aus dem ersten Band seines kapitalismuskritischen Hauptwerks „Das Kapital“ (1867). In diesem kennzeichnete Marx das empirisch- reale Kapital als einen so barbarischen wie kriminellen, weil auf Maximalprofit gerichteten, Handlungszusammenhang: fürs anlagesuchende Kapital nämlich, so Marx, gibt es „kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ Im ersten, 1983 geschriebenen und hier unverändert (erst)veröffentlichten Abschnitt, spricht Richard Albrecht relevante philologiehistorische Aspekte zum Zitat aus dem „Kapital“ als Forschungsproblem an; im zweiten, 2008 – also ein halbes Dutzend politische Generationen (aber nur eine Biogeneration) später – recherchierten und geschriebenen Abschnitt präsentiert der Autor als historisch arbeitender Politikwissenschaftler auf der Ebene zweier relevanter Einzelheiten (s)eine Lösungen einmal mit Blick auf Marx´ sinnverschiebend-ungenügende deutsche Übersetzung der kurzen Eingangspassage des ausführlichen englischen Zitat von Thomas Joseph Dunning; zum anderen geht es um die abschließende Kernaussage des Zitats mit dem bildhaften Hinweis, daß das Kapital bei extrem hoher Profitrate jedes Verbrechen riskiert – „selbst auf Gefahr des Galgens“, welche Formulierung sich in der 1860 erschienenen Originalquelle, wie Richard Albrecht durch genauen Textvergleich nachweist, nicht findet: dort war nämlich die Rede von der Möglichkeit, „aufgehängt zu werden“. Damit präsentiert der Autor in seinem knappen Forschungsbericht ein widersprüchliches Bild: zum einen wird deutlich, daß Marx sich nicht mit fremden Federn schmückt, sondern als (Wirtschafts- und Sozial-) Wissenschaftler seine Quelle nennt; zum anderen übersetzt Marx eine Passage nicht nur unrichtig, sondern scheut sich als Publizist auch nicht, die Möglichkeit, gehängt zu werden, bildhaft in die Gefahr des Galgens zu verwandeln. – In diesem wissenschaftlichen Beitrag geht es forschungsmethodologisch um angewandte Primärforschung in einem gesellschaftlichen Sekundärbereich: Meinungen, Ansichten, Bilder über „den Kapitalismus“ als Gesellschaft(ssystem). Die dabei in Marx´ Umgang mit seiner Quelle aufscheinende doppelte Verzerrung – nämlich selektive Wahrnehmung (perception) in Form selektiver Nichtwahrnehmung (ignorance) – wird nur angemerkt, aber als solche (noch) nicht kulturanalytisch-sozialpsychologisch zu deuten versucht.
A. „Die Sache mit dem Galgen "Wenn das Geld" - so zitiert Karl Marx einen zeitgenössischen französischen Autor im berühmten vierundzwanzigsten Kapitel des ersten Bands im "Kapital" über "Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation" - "´mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt´", so das Kapital "von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend."[1] Und Marx fügt zur Veranschaulichung eine sicherlich aus den Beständen des Lesesaals des "British Museum" exzerpierte und auf irgendeinem seiner zahlreichen Notizzettel festgehaltene Zitatstelle in einer anschließenden Anmerkung bei:
"Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 2o Prozent, es wird lebhaft: 5o Prozent, positiv waghalsig; für 1oo Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 3oo Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel."[2]
Wie erkennbar, hat Marx diese Stelle offensichtlich wortgetreu, wenngleich ein wenig hölzern, selbst aus irgendeiner britischen Quelle übersetzt. Und es ist jenes wohl von sozialistischen Politikern zur bildhaften Agitation am meisten - und seit Generationen - benutzte Marx-Zitat aus dem "Kapital" überhaupt. Nur: es ist nicht der originäre Karl Marx, der hier zitiert wird. Sondern eines jener Marx-Zitate, das Marx selbst zur bildhaften Veranschaulichung benutzt: hier zum Abschluß des sechsten Abschnitts über "Die sogenannte ursprüngliche Akkummulation" des industriellen Kapitalismus im allgemeinen und namentlich des britischen.[3]
Wie vor Jahren am Beispiel der Verarbeitung literarischer Werke, Bilder und Autoren durch Karl Marx im "Kapital" so engagiert wie beredt von Manfred Naumann betont, be- und vernutzt Marx Zitate vor allem aus dem literarischen Fundus, den man Weltliteratur nennen mag oder auch nicht, in seinen "profane[n] Zusammenhängen" radikaler wissenschaftlicher Kritik der politischen Ökonomie durchaus bewußt. Genauer: "der Einbau des [literarischen] Zitats in profane Zusammenhänge" beeinträchtigt "nicht die Bedeutungstiefe des Quellenwerks; im Gegenteil: das respektlose Verfahren verunsichert zu flache Auslegungen und regt" - so Naumann resümierend mit Blick auf einen idealen Leser des "Kapital" - "zu konzentrierter Aktualisierung der überlieferten Sinnpotentiale an."[4]
Das gilt sicherlich auch für die im Zitat aufscheinende Sache mit dem Galgen: auch wenns sich nicht um eine literarische, sondern um eine zeitgenössische publizistische Quelle handelt. Nur: um welche Quelle handelt es sich bei der Sache mit dem Galgen? Die nicht eben seltenen Marx-Entnahmen und Marx-Zitate aus dem weltliterarischen Steinbruch könnten sicherlich mühelos nachgewiesen und insofern verifiziert werden. Anders freilich verhälts sich mit den zitierten 3oo Prozent Profit, zu deren Realisierung - so Marx zustimmend - das Kapital jedes Verbrechen riskiert: "selbst auf Gefahr des Galgens".
Erkennbar in der Marx'schen Fußnote im "Kapital" als Quellenangabe zunächst die pp. 35-36 des zeitgenössischen britischen Trade-Union-Führers und Publizisten Thomas J. Dunning[5]. In der Fußnote jedoch ebenso eindeutig feststellbar, daß Dunning selbst wiederum eine zeitgenössische britische Quelle, nämlich die akademische Rezensionszeitschrift "Quarterly Review", auswertet und zitiert, die kurz vorm Erscheinen seines Buchs ausgeliefert wurde. Und damit so feststellbar wie eindeutig schließlich, daß in Dunnings 186o publiziertem Buch über "Gewerkschaften und Streiks" wohl auf den pp. 35-43 auf die Zeitschrift "Quarterly Review" Bezug genommen wird - daß aber weder die von Marx angegebene Quelle - Dunning, pp. 35- 36 - noch die von Dunning ausgewertete Quelle - "Quarterly Review"[6] - das Zitat wie von Marx angemerkt enthält. (Mehr noch: die ausgiebige, wie beim "Quarterly Rewiev[er]" üblich, anonyme Diskussion zahlreicher Neuerscheinungen über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Streiks in der britischen Industrie, auf die sich Dunning bezieht, bleiben ganz zeitgenössischer unternehmerfreundlicher Ideologie verbunden.) Beide Quellen, nach denen sich die Marxsche Anmerkung und damit die Sache mit dem Galgen aufklären lassen sollten, sind bis heute im Bestand der "British Library" in der londoner Great Russell Street erhalten - geben aber das Zitat so nicht her.
Woher und von wem Marx nun die Sache mit dem Galgen übernommen haben mag mögen Berufenere als der Autor dieser Notiz erkunden. Wie auch immer -: die Sache mit dem Galgen hat aber, solange diese positive Falsifikation zitierter Passage nicht gelingt, noch eine für die spezielle Marx-Engels-Forschung zumindestens anregende Seite: denn wie bekannt verwandte Friedrich Engels in seinen letzten Lebensjahren viel Fleiß und Mühe darauf, eine schon damals fast zwanzig Jahre schwelende publizistische Auseinandersetzung um ein Marx-Zitat aus dem britischen "House of Common positiv zu beenden.[7] Es ging um eine knappe Passage aus einer Rede des damaligen Parlamentsabgeordneten der liberalen Partei, William E. Gladstone (später Premierminister), vom 13. Februar 1843[8] und zugleich um die von Friedrich Engels en détail unternommene Zurückweisung des Angriffs eines (zunächst anonym auftretenden) Marx-Kritikers: Lujo Brentano nämlich hatte Karl Marx öffentlich als Quellenfälscher angeprangert und Marx damit - so Engels ironisch - des "unsagbaren literarischen Verbrechens"[9] der Zitatfäl-schung zu überführen versucht; wodurch zunächst Marx´ wissenschaftliche Reputation und Anerkennung als Wissenschaftler öffentlich zerstört und sodann, wenngleich vermittelt, Marx´ politische Glaubwürdigkeit erschüttert werden sollte.
So gesehen, bleibt die Sache mit dem Galgen - gerade mit Blick auf die Engels´schen Anstrengungen um ein Gladstone-Zitat - dubios. Wenngleich - natürlich - nur philologisch.“
B.
Philologisch-historische Dokumentation
Folgend dokumentiere ich erstens ganz traditionell-philologisch Marx´ “Galgen“- Zitat, das sich im (historisch anschaulichen) vierundzwanzigsten Kapitel („Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“) des siebten Abschnitt („Der Akkumulationsprozeß des Kapitals“) der ersten Bandes von „Das Kapital“ findet. Es geht um ein von Marx´ vermitteltes Bild vom Kapital als einer Welt, die „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ (MEW 23: 788) ist. Im Zentrum meines (Erkenntnis-) Interesses steht nicht nur das Marx-Zitat, sondern die von Marx zitierte und deutsch übersetzte Kernpassage aus der englischen Originalquelle, nämlich Thomas Joseph Dunnings 1860 im Selbstverlag in London erschienener Broschüre(I). Zweitens dokumentiere ich mithilfe des Internet genannten weltweiten elektronischen Rechnernetzwerks world-wide-web (www) sowie verschiedener als Hilfsmittel benützter Suchmaschinen das hier publizierte, diskutierte und erstmalig positiv verifizierte Zitat von Thomas Joseph Dunning in den im Netz verbreiteten und netzöffentlich zugänglichen „seriösen“ Textvarianten in einigen wesentlichen europäischen Sprachen (II).
I.
Zunächst zitiere ich die Kernpassage (nicht nach den „Erläuterungen“ der zweiten MEGA-Ausgabe [MEGA²],[10] sondern) aus der von Marx benutzten Originalquelle, nämlich aus Thomas Joseph Dunnings 1860 im Selbstverlag erschienener Broschüre (IA1). Auf diesen 1860 veröffentlichten Text, der sich auf einen anonymen Beitrag der (mir leider nicht zugänglichen) Londoner Zeitschrift „Quarterly Review“ (vol. 106 [1859]: 485-522) über Streiks rückbezieht, hat Marx im Zusammenhang mit seiner Übersetzung der hier interessierenden Textpassage, deren beide Textvarianten in deutschen Marx-Engels-Buchausgaben – den Werken (MEW: IA2) und der Gesamtausgabe (MEGA²: IA3) – vorliegen, auch bibliographisch korrekt verwiesen. Sodann präsentiere ich meine eigene und in einer Passage von Marx´ Text(en) abweichende Neuübersetzung (IA4). Diese ergänze ich sowohl durch die im Original, nämlich in Dunnings Broschüre, auf der gleichen Seite unmittelbar folgende und etwa gleichlange Passage zum historischen Sklavenhandel (IA5) als auch durch meine Erstübersetzung dieser (IA6).
(IA1) “[Capital is said by this reviewer to fly turbulence and strife, and to be timid, which is very true; but this is very incompletely stating the question]. Capital eschews no profit, or very small profit, just as Nature was formerly said to abhor a vacuum. With adequate profit, capital is very bold. A certain 10 per cent. will ensure its employment anywhere; 20 per cent. certain will produce eagerness; 50 per cent., positive audacity; 100 per cent. will make it ready to trample on all human laws; 300 per cent., and there is not a crime at which it will scruple nor a risk it will not run, even to the chance of its owner being hanged. If turbulence and strife will bring a profit, it will freely encourage both. Smuggling and the slave trade have amply proved all that is here stated […]” (T. J. Dunning, Trade´s Unions and Strikes: Their Philosophy and Intention. London: The Author, 1860, 52 p.; quoted p. 36, lines 1-10)
(IA2) »Kapital«, sagt der Quarterly Reviewer, »flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.« (Übersetzung Marx; in: Karl Marx, Das Kapital I; Marx-Engels-Werke 23, Berlin: Dietz Verlag [1962] 1967², 799, Anm. 250).
(IA3) In der aktuellen Historisch-Kritischen Textausgabe, der Marx-Engels- Gesamtausgabe (MEGA) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, hier Zweite Abteilung: „Das Kapital“ und Vorarbeiten, ist mit Ausnahme von sechs (soweit ich verstanden habe) nach den Editoren vorliegenden Marx- Exzerpten und –Notizen vorgenommenen Textveränderungen gegenüber der Textveröffentlichung in den Marx-Engels-Werken (MEW) des Instituts für Marxismus- Leninismus beim ZK der SED (von 1962) nichts Wesentliches verändert worden: von den sechs Textkorrekturen beziehen sich fünf auf historische Schreibweisen – Procent anstatt Prozent, existirt, riskirt, encouragirt anstatt der modernisierten Schreibweise: existiert, riskiert, encouragiert –, und die sechste auf ein Verb – anstatt „Profit bringen“ „Profit tragen“. Daß heißt: am Text wurde nichts Substantielles verändert, so daß es auch bei der mangelhaften, wenn nicht, weil eingangs sinnverschiebenden, sogar ungenügenden Marx-Übersetzung des Dunning-Zitats geblieben ist: in der Originalpassage ist nämlich nicht vom „horror of absence of profit“ die Rede, vielmehr heißt es kontrapunktisch: „Capital eschews no profit“ (Kapital scheut keinen [wörtlich: nicht einen] Profit). Die hier interessierende Passage im historischen vierundzwanzigsten Kapitel („Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“) der ersten Bandes von „Das Kapital“ soll Marx´ Bild vom Kapital als einer Welt von Abschaum und Abscheu, „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ (MEW 23: 788) durch die direkt folgende Anmerkung in einer Fußnote verstärken und veranschaulichen, wenn es dort heißt: „Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Procent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Procent, es wird lebhaft; 50 Procent, positiv waghalsig; für 100 Procent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Procent, und es existirt kein Verbrechen, das es nicht riskirt, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragiren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.« (MEGA² II/5: 607 f.)
(IA4) [Hier folgt meine Übersetzung] Das Kapital scheut keinen Profit, auch sehr kleinen Profit nicht, genauso wie man der Natur früher nachsagte, sie verabscheute jede Leere. Bei angemessenem Profit ist Kapital sehr kühn. Wenn dem Kapital zehn Prozent sicher sind wird es überall anlegen; bei 20 Prozent wird es eifrig; bei 50 Prozent waghalsig; bei 100 Prozent wird es alle menschlichen Gesetze mit Füßen treten; bei 300 Prozent Profit wird es weder vor irgendeinem Verbrechen zurückschrecken noch irgendein Risiko nicht eingehen bis hin zur Möglichkeit, daß der Kapitaleigentümer aufgehängt würde. Wenn Unruhe und Streit Profit brächten, würde das Kapital beide offen unterstützen. All das, was eben festgestellt wurde, haben Schmuggel und Sklavenhandel hinreichend bewiesen.
(IA5) In Dunnings Broschüre heißt es nach diesem von Marx übersetzten Zitat weiter: „and, what is worse, the slave trade and slavery, by the profit attending them, have so debauched the public mind where they exist – and be it remenbered neither would exist but for the profitable return of capital so employed – that is has turned the so-called freeest country in the world into a vast slave-pen; and worse still, it has set all the pulpits in the “South” of that country to prove from the Word of God that this master crime is santioned bys the Almighty. That is what capital does, and is doing which, alas for human nature! no one can with truth contradiet.” (ibid, lines 10-18)
(IA6) [Hier folgt meine Übersetzung] Und was schlimmer ist: Sklavenhandel und Sklaverei haben überall, wo es sie gibt, über den mit ihnen verbundenen Profit – und es darf daran erinnert werden, daß es Sklavenhandel und Sklaverei ohne das hier angelegte Kapital nicht geben würde – die öffentliche Meinung so verdorben, daß das sogenannte freieste Land der Welt in eine riesige Strafanstalt für Sklaven verkehrt wurde; und noch schlimmer, wenn von jeder Kanzel im „Süden“ dieses Landes durch Gottes Wort bewiesen werden soll, daß der Allmächtige dieses Menschheitsverbrechen gutheißt! Genau das tut das Kapital ständig; und daß dies alles der menschlichen Natur schadet wird niemand ernsthaft bestreiten.
II.
Marx´ deutsches „Galgen“-Zitat und dessen originäre englische Quelle, Dunnings 1860 erschienene Broschüre, habe ich mithilfe des Internet genannten weltweiten elektronischen Rechnernetzwerks (world-wide-web [www]) und verschiedener als Hilfsmittel benützter Suchmaschinen in im Netz verbreiteten und netzöffentlich zugänglichen „seriösen“ Textvarianten in einigen europäischen Sprachen recherchiert: Der in diesem Fall richtigen deutsch(sprachig)en (Doppel-) Zitation bei de.wikipedia.org (IIA1) hänge ich – anstatt weiterer – die ebenfalls richtige und kontextuale Textwiedergabe zweier deutscher kapitalismuskritischer Autoren an (IIA2). Dieser folgt die auch im Netz verbreitete englische Textvariante von Marx´ „Das Kapital“ (übernommen aus der englischen Buchausgabe: Karl Marx, Capital. A Critical Analysis of Capitalist Production, vol. I, translated from the third German ed. by Samuel Moore and Edward Aveling, ed. by Frederick Engels. Moscow: Foreign Languages Publ. House, 1958, xii/807 p., Zitat 760, note 4) nach der englischen Netzenzyklopädie en.wikipedia.org (IIB1); diese übernimmt mit zu vernachlässigenden minimalsten Textabweichungen Dunnings „being hanged“-Passage. Diesem Zitat schließt sich eine im Netz weltweit verbreitete englische Textvariante an (IIB2), in der nicht vom Aufhängen („being hanged”), sondern vom Galgen („taken to the gallows“) die Rede ist; diese kurze Textpassage klingt so als könnte es sich um eine flüssige englische Rückübersetzung der - wie gezeigt: ungenügenden - deutschen Übersetzung des Dunning-Zitats von Marx selbst handeln. Diesen vier Zitaten/Texten in den für den hier gegebenen Zusammenhang relevanten beiden Hauptsprachen folgen zur Vervollständigung und Veranschaulichung die entsprechenden Zitatpassagen französisch (IIC), italienisch (IID) und spanisch (IIE). - Was schließlich den Urheber des berühmten „Kapital“-Zitats, T. J. Dunning, betrifft, so ist über ihn außer Geburts- und Sterbejahre wenig mehr bekannt als seine Autorenschaft der 1860 in London erschienenen Broschüre und die ihm zugeschriebene praktische unionistisch- organisatorische Tätigkeit in England. Der abschließend zitierte Kurzeintrag bei en.wikipedia.org (IIF) aus der Rubrik der dort erwünschten online-Lexikonartikel veranschaulicht den Stand dieses gesicherten wissenschaftlichen Nichtwissens, der bestätigt wurde durch meine Durchsicht mehrerer Ausgaben der „Encyclopaedia Britannica“ als auch verschiedener Fachveröffentlichungen von Autoren wie E.P. Thompson, Richard Hoggart und Eric J. Hobsbawm.[11]
(IIA1) "»Kapital«, sagt der Quarterly Reviewer, »flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.«" Thomas Joseph Dunning von Marx in einer Fußnote als Beleg zitiert. MEW 23, S. 788, 1867 (http://de.wikiquote.org/wiki/Profit; ebenda: http://de.wikipedia.org/wiki/Marxistische_Wirtschaftstheorie)
(IIA2) „Thomas Dunning, ein englischer Schuhmacher, der um 1840 die Proteste seiner Handwerkskollegen gegen die Einführung von industriellen Fertigungsmethoden in der Branche im Nordwesten Englands organisierte, fasste seine Erfahrungen wie folgt zusammen: »Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn, sicher, und man kann es überall anwenden; 20%, es wird lebhaft; 50%, positiv waghalsig; für 100% stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.«“ (Arno Klönne; Werner Biermann, Kapital-Verbrechen. Aus der Alltagsgeschichte des Kapitalismus; in: Sozialistische Zeitung [2005] (http://www.linksnet.de/artikel.php?id=1580)[12]
(IIB1) „Capital is said by a Quarterly Reviewer to fly turbulence and strife, and to be timid, which is very true; but this is very incompletely stating the question. ´Capital eschews no profit, or very small profit, just as Nature was formerly said to abhor a vacuum. With adequate profit, capital is very bold. A certain 10 per cent. will ensure its employment anywhere; 20 per cent. certain will produce eagerness; 50 per cent., positive audacity; 100 per cent. will make it ready to trample on all human laws; 300 per cent., and there is not a crime at which it will scruple nor a risk it will not run, even to the chance of its owner being hanged. If turbulence and strife will bring a profit, it will freely encourage both. Smuggling and the slave-trade have amply proved all that is here stated.´” (T. J. Dunning, l. c., pp. 35, 36)” (http://en.wikisource.org/wiki/Das_Kapital/Chapter_31)
(IIB2) In the chapter on “Primitive Accumulation”, Karl Marx writes, citing Dunning: “As capital’s profits increase so does its boldness. Give it 10% and it will go anywhere. Given it 20% and it will be enthused; with 50% it will be positively fearless; and with 100% it is capable of overriding all human laws; for 300% there are no crimes it will not risk even it takes them to the gallows …” (Carlos H. Reyes, Privatizations and Corruption: The Case of Honduras [010704] (http://peoplesgovernance.org/index.php?option=com_content&task=view&id=20&It emid=30)
(IIC) «Le capital fuit le tumulte et les conflits. Il est peureux de nature. Cela est très vrai, mais n'est pourtant pas toute la vérité. Le capital a horreur de l'absence de profit ou des très petits profits comme la nature a horreur du vide. Quand le profit est adéquat, le capital devient audacieux. Garantissez lui 10 pour cent, et on pourra l'em10 ployer partout; à 20 pour cent, il s'anime, à 50 pour cent, il devient carrément téméraire; à 100 pour cent il foulera aux pieds toutes les lois humaines; à 300 pour cent, il n'est pas de crime qu'il n'osera commettre, même s'il encourt la potence. i le tumulte et les conflits rapportent du profit, il lest encouragera l'un et l'autre. La preuve : la contrebande et la traite des esclaves.» Cité par Karl Marx dans Le Capital. Trades Unions and Strikes: Their Philosophy and Intention, Thomas Joseph Dunning, éd. N/A, 1860, p. 35-36 (http://fr.wikiquote.org/wiki/Capital)
(IID) «Il capitale», dice uno scrittore della Quarterly Review, «fugge il tumulto e la lite ed è timido per natura. Questo è verissimo, ma non è tutta la verità. Il capitale aborre la mancanza di profitto o il profitto molto esiguo, come la natura aborre il vuoto. Quando c’è un profitto proporzionato, il capitale diventa audace. Garantitegli il dieci per cento, e lo si può impiegare dappertutto; il venti per cento, - e diventa vivace; il cinquanta per cento, e diventa veramente temerario; per il cento per cento si mette sotto i piedi tutte le leggi umane; dategli il trecento per cento, e non ci sarà nessun crimine che esso non arrischi, anche pena la forca. Se il tumulto e le liti portano profitto, esso incoraggerà l’uno e le altre. Prova: contrabbando e tratta degli schiavi» (T. J. DUNNING, Trades’-Unions ecc., pp. 35, 36). (Karl Marx "Il capitale" - I° Libro, sez. VII, cap.24, punto 6: "Genesi del capitalista industriale"; nota 250) (http://xoomer.alice.it/primomaggiointernazionalista/argomento10/index.htm )
(IIE) «El capital» (dice el Quarterly Reviewer) «huye de los tumultos y las riñas y es tímido por naturaleza. Esto es verdad, pero no toda la verdad. El capital tiene horror a la ausencia de ganancias o a la ganancia demasiado pequeña, como la naturaleza al vacío. Conforme aumenta la ganancia, el capital se envalentona. Asegúresele un 10 por 100 y acudirá a donde sea; un 20 por 100, y se sentirá ya animado; con un 50 por 100, positivamente temerario; al 100 por 100, es capaz de saltar por encima de todas las leyes humanas; el 300 por 100, y no hay crimen a que no se arriesgue, aunque arrostre el patíbulo. Si el tumulto y las riñas suponen ganancia, allí estará el capital encizañándolas. Prueba: el contrabando y el comercio de esclavos». (T. J. Dunning. Trade-Unions, etc., pp. 35, 36). (http://www.marxists.org/espanol/me/ 1860s/eccx86s.htm)
(IIF) Thomas Joseph Dunning - (1799-1873) British trade union leader, the author of Trade Unions and Strikes: Their Philosophy and Intention (http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Requested_articles/Biographies)
Anmerkungen
[Quelltext bearbeiten][1] Zitiert nach: Marx-Engels-Werke [MEW]. Band 23; Berlin 1962, p. 788 [2] Ebenda, p. 788, Anm. 25 [3] Der nordamerikanische stand dem wenig nach; vgl. Gustavus Myers: History of Public Franchises in New York City. New York 19oo; Gustavus Myers: The History of the Great American Furtunes. Chicago 1911 [4 vol.es]; New York 1936²; Gustavus Myers: History of Tamany Hall. New York 1917 [4] Vgl. Manfred Naumann: Literatur im "Kapital"; Weimarer Beiträge. 25. Jg. 1979/4, pp. 5-4o, hier p. 35 [5] Vgl. Thomas Joseph Dunning: Trade Unions and Strikes. London 185o [6] Vgl. Quarterly Review, vol. 100 [1859], July-October, pp. 485-522 [7] Vgl. Friedrich Engels: In Sachen Brentano contra Marx wegen angeblicher Zitatsfälschung. Geschichtserzählung und Dokumente. Hamburg 1891; Marx-Engels- Werke, Bd. 22, pp. 95-185 [8] „Kapital" I; vgl. Marx-Engels-Werke, Bd. 23, hier pp. 680-681 [9] So Engels in der Vorrede zur vierten [deutschen] Auflage des "Kapital" I; zitiert nach Marx-Engels-Werke, Bd. 23, pp. 41-46, hier p. 44 [10] Karl Marx / Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA): Zweite Abteilung „Das Kapital“ und Vorarbeiten. Band 5 [ = MEGA², II/5]. Hrgg. vom Institut für Marxismus- Leninismus beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: Karl Marx, Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie. Erster Band. Hamburg 1867. Text. Berlin: Dietz, 1983, hier 987 f. Entsprechend der für „Text und Apparat“ dieser MEGA-Edition geltenden Editionsprinzipien (ibid, 58*) wurde „auf die originalsprachige Ausgabe“, hier Dunnings Broschüre [1860], verwiesen und das von Marx „übersetzte“ Zitat „nach der Quelle wiedergegeben“. Diese war, leider schade, englisch und wurde deshalb nicht übersetzt. Wäre es eine „Textpassage in Latein und Griechisch“ gewesen, dann hätte sie, so die Editionspraxis, „ins Deutsche übersetzt“ werden müssen ... [11] Alle folgenden Linkhinweise habe ich zuletzt am 150508 überprüft. Die für diesen Beitrag benützen Materialien befinden sich im „Privatarchiv Richard Albrecht – Bereich Europa – lange liegengebliebes und mehr“ (PARABELLUM) und könnten interessierten Forscher(inne)n bei Bedarf in Kopien zur Verfügung gestellt werden. Anfragen bitte an den Autor via e-Post -> para.bellum@gmx.net 12 [12] Hingegen schreibt ein so prominenter deutscher Papiermarxist wie Dr. [[Werner Seppmann]] (*1950: http://www.glasnost.de/autoren/seppmann) – Mitherausgeber der Zweimonatszeitschrift „Marxistische Blätter“ (http://www.marxistischeblaetter. de), Vorsitzender der „Marx-Engels-Stiftung“ (http://www.marx-engelsstiftung. de) und einer der beiden Leiter des „Projekt[s] Klassenanalyse@BRD“ (http://www.marx-engels-stiftung.de/klassenanalyse.php [und] http://www.vspvernetzt. de/soz-0704/070412.htm) – noch 2008 das „zutreffende“ „Galgen“-Zitat Marx selbst zu (http://www.linksnet.de/artikel.php?id=3654 Marx und die Perspektiven des Gegenwartskapitalismus; in: Marxistische Blätter, 46 [2008] 2: 74-79, hier 77) [Erstveröffentlichung]