Wilder Peter von Hameln

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Wilder Peter von Hameln, auch wilder Peter von Hannover (* um 1711; † 1785 in Hertfordshire, Vereinigtes Königreich), war ein geistig behinderter Junge ungeklärter Herkunft.[1]

Der „wilde Peter“ wurde am 17. Juli 1724 als geschätzt 12 Jahre alter Junge auf einer Wiese bei Helpensen nahe der Stadt Hameln angetroffen. Er wurde von Bewohnern als blankes (= nacktes), schwarz-behaartes Geschöpf mit bräunlicher Haut beschrieben. Nach seiner Entdeckung wurde er in die Stadt gebracht, wo er großes öffentliches Interesse erregte. Sein Verhalten glich dem eines wilden Tieres, und er ernährte sich vorwiegend von Vögeln und rohem Gemüse. Die Straßenkinder benannten ihn „Peter“.

Grabstelle des Wilden Peters („Peter the Wild Boy“) in Hertfordshire

Peter wurde Ende 1725 nach England gebracht, wo der bekannte schottische Arzt und Mathematiker John Arbuthnot sich um die Erziehung des Knaben bemühte.[2] Er erlernte nie das Sprechen, lachte nie und zeigte absolute sexuelle und finanzielle Gleichgültigkeit. Er war musikalisch interessiert, konnte unterrichtet werden und verrichtete verschiedene Aufgaben. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er bei einer Familie auf dem Lande. 1767 wurde er in London König Georg III. vorgestellt. Der „wilde Peter“ von Hameln starb 1785 in Hertfordshire.[3]

Deutung des Falles

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während einige der Meinung sind, dass es sich bei Peter um ein Wolfskind gehandelt habe, vermutete Johann Friedrich Blumenbach 1811, es habe sich um den stummen und verwahrlosten Sohn eines Lüchtringer Kneipenwirts gehandelt. Er sei wohl 1724 von seiner Stiefmutter aus dem Haus geprügelt worden.[4]

Carl von Linné nahm den Jungen als ein Beispiel für eine Abweichung vom normalen Menschentyp in seine Zusammenstellung der „Wilden Menschen“ (Homo ferus) in die 10. Auflage von Systema Naturae (1758) auf und bezeichnete ihn dort als „Juvenis Hannoveranus“ (Hannoveranischer Junge).[5]

Nach einer neueren Untersuchung der Historikerin Lucy Worsley von der britischen Organisation Historic Royal Palaces soll es sich um einen Fall des sogenannten Pitt-Hopkins-Syndroms gehandelt haben.[6]

  • Johann Friedrich Blumenbach: Vom Homo sapiens ferus Linn. und namentlich vom Hamelschen wilden Peter. In: Johann Friedrich Blumenbach: Beyträge zur Naturgeschichte. 2. Teil. Dieterich, Göttingen 1811, S. 11–44. Online
  • Paul Collins: Not Even Wrong. Adventures in Autism. Bloomsbury, New York NY 2004, ISBN 1-58234-367-5.
  • Henry Wilson, James Caulfield: The Book of Wonderful Characters. Memoirs and Anecdotes of remarkable and eccentric Persons in all Ages and Countries. Chatto and Windus, London 1869.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Gudel Mattenklott: Der Tigerprinz – Laudatio auf ein Bilderbuch Chen Jianghong anlässlich der Verleihung des Ratten-fänger-Literaturpreises 2006 an Chen Jianghong am 24.11.2006 im Weserbergland-Zentrum Hameln. (pdf, 28 kB) Hameln, 24. November 2006, archiviert vom Original am 13. Oktober 2017; abgerufen am 11. Juni 2019.
    David Crystal: The Cambridge Encyclopedia of Language. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1987, ISBN 0-521-42443-7, S. 289.
  2. Robert Jütte: Historische Anthropologie: Wie ein vierfüßiges Tier. In: faz.net. 28. August 2008, abgerufen am 11. Juni 2019.
  3. P. J. Blumenthal: Kaspar Hausers Geschwister. Auf der Suche nach dem wilden Menschen (= Piper 4101). Erweiterte Taschenbuchausgabe. Piper, München u. a. 2005, ISBN 3-492-24101-8.
  4. Johann Friedrich Blumenbach: Vom Homo sapiens ferus Linn. und namentlich vom Hamelschen wilden Peter. In: Johann Friedrich Blumenbach: Beyträge zur Naturgeschichte. 2. Teil. Dieterich, Göttingen 1811, S. 22.
  5. Carl von Linné: Systema naturæ per regna tria naturæ, secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus, differentiis, synonymis, locis. Tomus I. Editio decima, reformata. Holmiæ 1758, S. 20, Online.
  6. Seltene Entwicklungsstörung: Was den „wilden Peter von Hameln“ quälte. In: Spiegel Online. 21. März 2011, abgerufen am 11. Juni 2019.