Willy Giese

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Willy Giese (* 18. Dezember 1902 in Slupp; † 4. April 1973 in Münster) war ein deutscher Pathologe und Hochschullehrer.

Berufliches Wirken

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Er war Oberarzt von Ludwig Aschoff an der Universität Freiburg, wurde im Fach „allgemeine Pathologie, und pathologische und gerichtliche Anatomie“ 1932 habilitiert und 1937 zum Direktor des Instituts für Pathologie der Krankenanstalt Bremen St. Jürgenstraße (heute Klinikum Bremen-Mitte) ernannt. Die Ernennung zum außerplanmäßigen (apl.) Professor durch die Universität Hamburg erfolgte 1939.[1][2] In Bremen führte Giese 1942 in der Benquestr. 35 außerdem eine Praxis als Arzt für Nerven- und Geisteskrankheiten, und 1950 eine Praxis als Arzt für Pathologie.[3]

Chef des Instituts für Pathologie in Bremen war er bis 1954, als er – als Nachfolger von Herbert Siegmund – auf den Lehrstuhl für Pathologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster berufen wurde. Emeritiert wurde er dort 1971.[4] Auf ihn folgte von 1971 bis 1987 als Ordinarius Ekkehard Grundmann. Giese wurde 1966 in der Sektion Pathologie zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt und war 1968 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pathologie.

Er forschte über Lungenkrankheiten und -schäden (u. a. Tuberkulose, Silikose), bakterielle Hirnhautentzündung (Meningitis) und die Pathologie des exogenen Nahrungsmangels (Verhungern), letzteres gemeinsam mit Reinhard Hörstebrock. Zu seinen Schülern zählten außerdem u. a. Wolfgang Hartung, Konrad Morgenroth und Klaus-Michael Müller.[5]

Er trat zum 1. Mai 1933 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 3.145.482),[6] war von 1934 bis 1937 in der SA und von 1941 bis 1945 im NSDoB.[7] Im Oktober 1941 war er in geheime Giftgasexperimente der NS-Wehrmacht in Munsterlager bei Celle involviert, die offenbar zu Todesfällen bei Menschen- oder Tierversuchen führten. Zu den Auswertungen der Experimente steuerte er Obduktionen und mikroskopische Gewebeuntersuchungen bei.[8]

In seinem Institut wurden 1943/44 und später die Leichen von Opfern aus den Arbeiter-, Häftlings- und Kriegsgefangenenlagern in Bremen-Farge (KZ-Farge, Gestapo-Arbeitserziehungslager, Russenlager) obduziert[9][10], u. a. zur Untersuchung auf Tuberkulose bei Unterernährung („Prozentsatz an Tuberculose am klinischen wie Sektionsmaterial“).[11] Um 1944 erforschte Giese diese Krankheitszustände und berichtete darüber in wissenschaftlichen Zeitschriften.[12][13]

Im Einvernehmen mit Giese führte der SS-Arzt und Marinestabsarzt Heinz Weidemann im KZ-Farge „Untersuchungen“ an den unterernährten, verhungernden Häftlingen durch, einschließlich der Verabreichung von Injektionen (angeblich Traubenzucker oder Strophantin), angeblich „zur Rettung Kranker“ bzw. um „den Leuten ihr Los zu erleichtern“.[14]

Im Oktober 1945 ließ die US-Army in Anwesenheit von Giese auf dem Gelände des KZ Farge einige Gräber öffnen, wie der ehemalige KZ-Häftling und Augenzeuge Albert Gercken angab. Giese lehnte seine Mitwirkung bei der Identifizierung der Leichen ab.[15][16]

  • Eckart Prölß. Zur Geschichte der Pathologischen Anatomie in Bremen (bis 1989). Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizinischen Fakultät. Georg-August-Universität zu Göttingen, 2001.

Einzelnachweise

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  1. Universität Hamburg: Giese, Willy. Universität Hamburg, abgerufen am 14. Februar 2022.
  2. Virtual International Authority File VIAF: Willy Giese. Abgerufen am 14. Februar 2022.
  3. Bremer Adressbuch 1950. Abgerufen am 22. März 2022.
  4. Deutsche Gesellschaft für Pathologie: Die Entwicklung der akademischen Pathologie in Deutschland. S. 76, abgerufen am 8. März 2022.
  5. Wolfgang Hartung: Wolfgang Hartung. Im Spannungsfeld zwischen Allgemeiner und Spezieller Pathologie. Abschiedsvorlesung. Bochum, 16. April 1991. S. 1–11, abgerufen am 12. Februar 2022.
  6. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/10960649
  7. StAB 4,66-I.-3486
  8. Ernst Klee. Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren von und nach 1945. S. Fischer Verlag Frankfurt/Main 2001 ISBN 3-10-039310-4 S. 301, 307
  9. VERTEIDIGEN – VERDRÄNGEN – VERGESSEN. Das Arbeitserziehungslager Farge nach 1945. In: Eva Schöck-Quinteros, Simon Rau (Hrsg.): Aus den Akten auf die Bühne. Band 16.2. Milde Buchdruckerei, Bremen 2020, ISBN 978-3-88722-766-1, S. 203–260.
  10. Gespräch mit dem Arzt Dr.H. Aus Farge-Rekum, In: Jan-Friedrich Heinemann, Ingo Hensing, Karin Puzicha, Klaus Schilder. Der U-Boot-Bunker 'Valentin'. Beitrag zum Schülerwettbewerb „Deutsche Geschichte“ um den Preis des Bundespräsidenten (Betreuung: Klaus-Peter Zyweck).Schulzentrum Lehmhorster Straße Bremen-Blumenthal 1983. Fotokopiertes Typoskript. S. 37
  11. Oberfeldarzt der Reserve und beratender Internist beim stellvertretenden Generalkommando X. Armeekorps, Prof.Dr.H.H.Berg, Direktor der I. Medizinische Klinik des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf. Gutachten über den Ernährungszustand der Kriegs- usw.- Gefangenen in den Lagern Russenlager Bremen-Blumenthal, Arbeitserziehungslager und KL. vom 4. März 1944. Landeszentrale für politische Bildung Bremen, Bestand Denkort Bunker Valentin 2022, S. 1
  12. Willy Giese. Die Pleuritis exsudativa. Deutsche Medizinische Wochenschrift 1944;70:484-490
  13. Willy Giese. Zur pathologischen Anatomie der Hungerdystrophie und Ödemkrankheit. Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Heeres-Sanitätswesens. 1945;116:11-18
  14. Staatsarchiv Bremen Sign. StAB 4,66-I Weidemann, Heinz. Aussage am 9. Dezember 1946
  15. Arolsen Archives – DocID: 9021000. Albert Gercken, undatierter Bericht (vermutlich um 1955). In: arolsen-archives.org. Abgerufen am 5. Juni 2023 (Falsche Schreibweisen: Giebe statt Giese, Ohlsdorfer statt Osterholzer): „Captain Williams forderte angesichts dieser Gräuelstätte von dem Professor Giese (heute am pathologischen Institut Münster), dass zur Identifizierung der Opfer Kieferabdrücke von diesen gemacht würden. Prof.G. bat mich, dem Captain dieses Vorhaben auszureden, da es ihm unmöglich erschiene, es durchzuführen.“
  16. Auf Fotos von dieser Aktion ist unter anderem Landesobermedizinalrat Dr.Karl Stade (mit weißem Spitzbart) zu erkennen, vom Kriegsende 1945 bis 1948 Präsident der Bremer Gesundheitsverwaltung. Staatsarchiv Bremen Sign. StAB-10, B-AL-775