Wirtschaftsrecht der DDR

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Das Wirtschaftsrecht der DDR umfasste die rechtlichen Regelungen zur Gestaltung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs in der DDR im Rahmen der staatlichen Planvorgaben (fünfjährige Planungsordnung, jährlicher Volkswirtschaftsplan).

Während die meisten sozialistischen Staaten an der formalen Einheit des Zivilrechts festhielten, leitete die DDR schon 1951 mit der Verordnung über die Einführung des Allgemeinen Vertragssystems in der volkseigenen und der ihr gleichgestellten Wirtschaft (VVO)[1] die Trennung des Wirtschafts- vom Zivilrecht ein. Das neue Wirtschaftsrecht ersetzte gewissermaßen im Bereich der sozialistischen Wirtschaftssubjekte die alten sonderprivatrechtlichen Normen des Handels- und Gesellschaftsrechts, die gleichwohl formal in Kraft blieben. Anders als in der Tschechoslowakei mit dem Wirtschaftsgesetzbuch von 1964[2] kam es in der DDR jedoch nicht zu einer umfassenden Kodifikation des Binnenwirtschaftsrechts. Stattdessen bildete ab 1957 das Vertragsgesetz die Hauptnorm, flankiert von zahlreichen weiteren Regelungen. Im Außenwirtschaftsrecht war zwischen Beziehungen zu RGW-Ländern einerseits und Ländern des nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiets (NSW) andererseits zu unterscheiden.

Wirtschaftssubjekte

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Entsprechend der Dreigliederung des sozialistischen Eigentumsbegriffs (vgl. Art. 10 der DDR-Verfassung von 1968) gab es im Wesentlichen drei Arten sozialistischer Wirtschaftseinheiten:

Daneben gab es in geringem Umfang privatrechtliche Wirtschaftssubjekte. Auch der Staat bediente sich bisweilen privater Organisationsformen, insbesondere im Bereich des Außenhandels. Beispiele für Aktiengesellschaften: SDAG Wismut, Deutsche Handelsbank (DHB), Deutsche Außenhandelsbank (DABA), Deutsche Auslands- und Rückversicherungs-AG (DARAG), Mitropa. Beispiele für GmbH: Intercontrol, Intershop, Forum-Außenhandelsgesellschaft, Genex, Kunst und Antiquitäten GmbH.[19]

Staatliche Wirtschaftseinheiten waren im Register der volkseigenen Wirtschaft verzeichnet, das ab 1969 beim Staatlichen Vertragsgericht geführt wurde[20] (zuvor Handelsregister Teil C);[21] andere Wirtschaftssubjekte im Genossenschafts- bzw. Handelsregister, deren Führung ab 1952 bei den Kreisen lag.[22]

Im Rahmen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurden 1990 die sozialistischen Wirtschaftseinheiten in privatrechtliche Formen überführt[23] (siehe auch Treuhandanstalt).

1957 wurde die VVO vom Vertragsgesetz (Langform: Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft) abgelöst; dieses erfuhr 1965 und 1982 Revisionen.[24]

Das Vertragsgesetz galt für die binnenwirtschaftliche Betätigung der sozialistischen Wirtschaftseinheiten; subsidiär (z. B. für die Stellvertretung) galt das allgemeine Zivilrecht (ab 1976 das ZGB).[25] In der Fassung von 1982 regelte der dritte Teil des Vertragsgesetzes die Wirtschaftsverträge, darunter im 2. Kapitel die Koordinierungsverträge (§ 35; ehemals: Globalvereinbarungen), im 3. Kapitel die Leistungsverträge (spezielle Typen: Forschungs- und Entwicklungsleistungen § 61, Vergabe wissenschaftlich-technischer Ergebnisse zur entgeltlichen Nutzung § 62, Vorbereitung bzw. Durchführung von Investitionen §§ 63/64, Lieferverträge § 67, Dienstleistungsverträge § 69, Nutzungsverträge § 71) und im 4. Kapitel die Verträge über die gemeinschaftliche Lösung von Aufgaben (Kooperationsverträge, § 73). Der vierte Teil regelte im 1. Kapitel das Recht der Leistungsstörungen (einschließlich Vertragsstrafen,[26] §§ 56/106), der fünfte Teil die Verjährung.

Bei den Verträgen waren staatliche Preisvorgaben (§ 50) und Allgemeine Leistungsbedingungen (ALB, § 18) zu beachten. Es gab einen weitreichenden Kontrahierungszwang. Gleichsam Bindeglied zwischen Vertrag und Plan war die Bilanz.[27]

Neben das Recht der Verträge trat in den 1970er-Jahren im Wirtschaftsrecht die Möglichkeit des Staatlichen Vertragsgerichts, quasi öffentlich-rechtliche Wirtschaftssanktionen zu verhängen[28] (§§ 109/110 Vertragsgesetz 1982).

Daneben bestanden weitere öffentlich-rechtliche Vorschriften von wirtschaftlicher Relevanz, beispielsweise zur Allokation natürlicher Ressourcen.[29]

Zum 1. Juli 1990 wurde das Vertragsgesetz aufgehoben und kurzzeitig durch das nun Gesetz über Wirtschaftsverträge (GW) genannte GIW ersetzt.[30]

Der Außenhandel wurde über spezielle Außenhandelsbetriebe abgewickelt. Das Außenwirtschaftsrecht war zweigeteilt:[31]

Beziehungen zu RGW-Staaten

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Im Verhältnis zu Vertragspartnern in RGW-Staaten galten als internationales Einheitsrecht die Allgemeinen Bedingungen für die Warenlieferungen zwischen den Organisationen der Mitgliedsländer des RGW (AB/RGW 1958, ALB/RGW 1968)[32] und ähnliche Bestimmungen. Als Verrechnungseinheit diente der Transferrubel.

Beziehungen zu anderen Staaten

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Im Verhältnis zu Vertragspartnern in anderen Staaten (NSW) galten, sofern kollisionsrechtlich[33] DDR-Recht anzuwenden war, zunächst HGB und BGB, ab 1976 das Gesetz über internationale Wirtschaftsverträge (GIW).[34] Zu nennen ist auch das Seehandelsschiffahrtsgesetz (SHSG).[35]

Gerichtsbarkeit

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Das Staatliche Vertragsgericht war (unter Ausschluss der Zivilgerichte) ursprünglich nur für vertragliche Ansprüche zwischen sozialistischen Wirtschaftseinheiten zuständig („Wahrung der Vertragsdisziplin“). 1963 wurde die Zuständigkeit auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche erweitert (also auch außervertragliche, etwa aus Delikt oder Geschäftsführung/Handeln ohne Auftrag). 1972 kamen Kontrollverfahren zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen hinzu („Wahrung der Staatsdisziplin“). Themenbereiche in der Spruchpraxis des Vertragsgerichts waren insbesondere Plan–Bilanz–Vertrag, Investitionen, Außenhandel, Wissenschaft und Technik, Versorgung der Bevölkerung, Qualität und Garantie sowie materielle Verantwortlichkeit.[36] Das Vertragsgericht entsprach der sowjetischen Staatsarbitrage.

Das Schiedsgericht bei der Kammer für Außenhandel war für außenwirtschaftliche Schiedsverfahren zuständig. Es war ein Pendant zur Außenhandels-Schiedskommission bei der Handels- und Industriekammer der UdSSR.

Zeitschriften

  • Vertragssystem (VS, 1.1957–13.1969, ZDB-ID 511553-x); Wirtschaftsrecht (WR, 1.1970–21.1990, ZDB-ID 511554-1).
  • Der Außenhandel (1951–1967, ZDB-ID 504661-0); Sozialistische Außenwirtschaft (1968–1973, ZDB-ID 670-1); DDR-Außenwirtschaft (1973–1983, ZDB-ID 642802-2); AW (1983–1990, ZDB-ID 642801-0).
    • Beilage: Recht im Außenhandel (1959–1967, ZDB-ID 124852-2); Recht in der Außenwirtschaft (1968–1973, ZDB-ID 124850-9); Recht im Außenhandel (1975–1990, ZDB-ID 642810-1).

Rechtsnormen

  • Verordnung über die Einführung des Allgemeinen Vertragssystems in der volkseigenen und der ihr gleichgestellten Wirtschaft (VVO) vom 6. Dezember 1951 (GBl. I Nr. 147 S. 1141).
  • Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft (Vertragsgesetz) vom 11. Dezember 1957. Im Gesetzblatt der DDR, Nr. 77 vom 21. Dezember 1957, S. 627ff., Digitalisat; Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft – Vertragsgesetz –, vom 25. Februar 1965. Im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 7, S. 107ff., Digitalisat und Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft – Vertragsgesetz – vom 25. März 1982 im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 14, S. 293ff., Digitalisat; Kommentar (1977).
    • Erste Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge über wissenschaftlich-technische Leistungen – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 325).
    • Zweite Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge über Investitionen und über die Instandsetzung von Grundmitteln – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 329).
    • Dritte Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge über den Export und den Import – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 333).
    • Vierte Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Wirtschaftsverträge zur Versorgung der Bevölkerung – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 339).
    • Fünfte Durchführungsverordnung zum Vertragsgesetz – Vertragsstrafen – vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 16 S. 342).
  • Gesetz über internationale Wirtschaftsverträge (GIW) vom 5. Februar 1976 (GBl. I Nr. 5 S. 61; trans-lex.org).

Einzelnachweise

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  1. vom 6. Dezember 1951 (GBl. I Nr. 147 S. 1141)
  2. 109/1964 Sb. Hospodářský zákoník
  3. a b Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 (GBl. I Nr. 38 S. 355)
  4. Neue Osnabrücker Zeitung, 1. Oktober 2010
  5. Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Außenhandelsbetriebe vom 10. Januar 1974 (GBl. I Nr. 9 S. 77); Verordnung über die volkseigenen Außenhandelsbetriebe (AHB-Verordnung) vom 29. Juni 1989 (GBl. I Nr. 14 S. 183)
  6. a b c Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 212
  7. Hans-Joachim Herzog: Genossenschaftliche Organisationsformen in der DDR, Tübingen 1982 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  8. Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG-Gesetz) vom 2. Juli 1982 (GBl. I Nr. 25 S. 443); Musterstatuten der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 9. April 1959 (GBl. I Nr. 26 S. 333); vgl. OGZ 5, 226 (1957)
  9. Musterstatut der gärtnerischen Produktionsgenossenschaften vom 12. Juni 1958 (GBl. I Nr. 47 S. 536)
  10. Musterstatut der Produktionsgenossenschaften der Binnenfischer vom 1. Oktober 1981 (GBl. I Nr. 30 S. 349)
  11. Musterstatut der Fischereiproduktionsgenossenschaften der See- und Küstenfischer vom 15. Dezember 1977 (GBl. I 1978 Nr. 3 S. 49)
  12. Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. Februar 1973 (GBl. I Nr. 14 S. 121)
  13. Statistisches Jahrbuch der DDR 1990, S. 205
  14. Gesetz über die Kollegien der Rechtsanwälte und Musterstatut vom 17. Dezember 1980 (GBl. I 1981 Nr. 1 S. 1)
  15. Musterstatut der Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks vom 6. Februar 1986 (GBl. I Nr. 7 S. 65)
  16. Musterstatut der Genossenschaftskassen für Handwerk und Gewerbe vom 16. Januar 1974 (GBl. I Nr. 6 S. 63); ehemals Musterstatut der Genossenschaftsbanken für Handwerk und Gewerbe vom 9. Februar 1970 (GBl. II Nr. 19 S. 143)
  17. Musterstatut für gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften vom 8. Dezember 1967 (GBl. II Nr. 12 S. 49)
  18. Verordnung über die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften in der Fassung vom 23. Februar 1973 (GBl. I Nr. 12 S. 109)
  19. Ulf Bischof: Die Kunst und Antiquitäten GmbH im Bereich Kommerzielle Koordinierung, 2003 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  20. Verordnung über die Führung des Registers der volkseigenen Wirtschaft vom 16. Oktober 1968 (GBl. II Nr. 121 S. 968), vom 17. September 1970 (GBl. II Nr. 82 S. 573) und vom 10. April 1980 (GBl. I Nr. 14 S. 115)
  21. Vierte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über Maßnahmen zur Einführung des Prinzips der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Betrieben der volkseigenen Wirtschaft – Register der volkseigenen Wirtschaft – vom 7. April 1952 (GBl. I Nr. 45 S. 290)
  22. §§ 48–59 der Verordnung über die Übertragung der Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 15. Oktober 1952 (GBl. I Nr. 146 S. 1057)
  23. Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften vom 1. März 1990 (GBl. I Nr. 14 S. 107); Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik (Landwirtschaftsanpassungsgesetz) vom 29. Juni 1990 (GBl. I Nr. 42 S. 642)
  24. Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft (Vertragsgesetz) vom 11. Dezember 1957. Im Gesetzblatt der DDR, Nr. 77 vom 21. Dezember 1957, S. 627ff., Digitalisat.; Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft - Vertragsgesetz -, vom 25. Februar 1965. Im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 7, S. 107ff., Digitalisat und Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft - Vertragsgesetz - vom 25. März 1982 im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 14, S. 293ff., Digitalisat.
  25. Grundsätzliche Feststellung Nr. 2/1983 über die Anwendung von Bestimmungen des Zivilgesetzbuches auf Wirtschaftsrechtsverhältnisse vom 16. Mai 1983 (VuM StVG 1983, Nr. 3, S. 13)
  26. dazu unter Hinweis auf den Betriebsprämienfond Bernhard Großfeld: Money sanctions for breach of contract in a communist economy. In: The Yale Law Journal. Band 72, Nr. 7, 1963, S. 1326–1346, JSTOR:794555.
  27. Verordnung über die Material-, Ausrüstungs- und Konsumgüterbilanzierung (Bilanzierungsverordnung) vom 15. November 1979 (GBl. I 1980 Nr. 1 S. 1)
  28. Vierte Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Staatlichen Vertragsgerichts – Schiedsverfahren über die Verpflichtung zur Zahlung einer Wirtschaftssanktion – vom 15. Juni 1972 (GBl. II Nr. 45 S. 521)
  29. wie das Gesetz über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur in der Deutschen Demokratischen Republik (Landeskulturgesetz) vom 14. Mai 1970 (GBl. I Nr. 12 S. 67) oder das Berggesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Mai 1969 (GBl. I Nr. 5 S. 29)
  30. Gesetz über die Änderung oder Aufhebung von Gesetzen der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. Juni 1990 (GBl. I Nr. 38 S. 483), §§ 3, 4
  31. Staudinger-Firsching Vorbem. 23 zu Art. 27–37 n. F. EGBGB (1987)
  32. zuletzt GBl. II 1989 Nr. 4 S. 41
  33. vgl. Gesetz über die Anwendung des Rechts auf internationale zivil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf internationale Wirtschaftsverträge (Rechtsanwendungsgesetz, RAG) vom 5. Dezember 1975 (GBl. I Nr. 46 S. 748; trans-lex.org)
  34. vom 5. Februar 1976 (GBl. I Nr. 5 S. 61; trans-lex.org)
  35. vom 5. Februar 1976 (GBl. I Nr. 7 S. 109)
  36. Aus der Spruchpraxis des Staatlichen Vertragsgerichts (1.1971–17.1989, ZDB-ID 528145-3)